<p class="article-intro">Handverletzungen stellen ein deutliches Problem in der derzeitigen Gesundheitspolitik dar. Das Wissen um ein erhöhtes Risiko während der Arbeit durch Stress, Unachtsamkeit, Übermüdung und Verwendung ungesicherter Maschinen bedingt den vermehrten Einsatz von Präventionsmaßnahmen. Größeres Augenmerk müsste in Zukunft aber auch auf die weitaus häufigeren Verletzungen in der Freizeit gerichtet werden. Der Ausfall im Berufsleben durch einen Freizeitunfall muss gleichermaßen beurteilt werden. Daher sollten auch bei Freizeittätigkeiten Präventionsmaßnahmen gegen Handverletzungen getroffen werden.<sup>1, 2</sup></p>
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<p class="article-content"><p>Analysiert man die Handverletzungen in europäischen Ländern, so werden ca. 11 Millionen pro Jahr in der Literatur angegeben. 8,8 Millionen davon waren 2007 in stationärer Behandlung. Aus Frankreich liegen sehr gute Statistiken in Bezug auf Verletzungen der Hand vor: Insgesamt wurden 1.400.000 Handverletzungen pro Jahr beschrieben, hiervon 620.000 schwere Handverletzungen. Zwei Drittel dieser Verletzungen ereigneten sich in der Freizeit und nur ein Drittel während der Arbeit. Aus diesem Grund wurden schon 2003 die Notwendigkeit und Wichtigkeit der Handprävention erkannt. Eine landesweite Präventionskampagne wurde 2010/2011 in Frankreich initiiert, unter Beteiligung der Ministerien und der Industrie, um die Öffentlichkeit auf die Möglichkeiten der Vermeidung von Handverletzungen im Freizeit- und Arbeitsbereich hinzuweisen. Ein besonderer Fokus wurde dabei auf den Beginn mit Präventionsmaßnahmen im Schulalter gelegt.<br /> Die durchschnittlichen Behandlungskosten für eine Handverletzung belaufen sich auf 2.500 bis 4.200 Euro pro Unfall. Die indirekten Kosten (finanzieller Ausgleich, Versicherung und Verlust des Arbeitsplatzes) betragen ca. 80 % der Gesamtkosten.<sup>3–5</sup> Daten der CDC (Centers for Disease Control and Prevention) in den Vereinigten Staaten haben gezeigt, dass insgesamt 865.000 Patienten mit Schnitt-/Stichverletzungen, Rissquetschwunden und Amputationen behandelt worden sind. Hiervon hatten 37 % der Patienten Verletzungen der oberen Extremität.<sup>6</sup> Häufigste Ursache, vor allem für die schwerwiegendsten Verletzungen, ist das Arbeiten mit maschinenbetriebenen Werkzeugen.<sup>7</sup> Somit können erhöhte Arbeitsplatzkontrollen und Schulungen, insbesondere bei verletzungsgefährdenden Tätigkeiten, das Risiko für schwere Handverletzungen deutlich reduzieren. Zum Beispiel kann durch das Tragen von Sicherheitshandschuhen das Ausmaß einer Verletzung oft deutlich vermindert werden.</p> <h2>Analyse der Handverletzungen</h2> <p>Betrachtet man die Arbeitsunfälle im Jahr 2012 in Österreich, so ereigneten sich insgesamt 107.710 Verletzungen. Hiervon waren 41.030 Verletzungen am Handgelenk und an der Hand. Somit liegt der Anteil an Handverletzungen bei Arbeitsunfällen bei 38 % . Dies spiegelt sich in den jährlichen lebenslangen Kosten wider, die an die 320 Millionen Euro betragen. Analysiert man nun die Daten genauer, so verursachten im Jahr 2012 454 Amputationsverletzungen 50 Millionen Euro an lebenslangen Kosten. Im Gegensatz dazu kommen Frakturen zwar zehnmal häufiger vor, verursachen aber nur Kosten von 78 Millionen Euro. Besonders häufige Verletzungen wie Verstauchungen oder Zerrungen sind zwar im Einzelfall mit 10.500 Euro vergleichsweise „günstig“, verursachen aber aufgrund der höheren Inzidenz 36 Millionen Euro an lebenslangen Kosten pro Jahr.<sup>8</sup><br /> Branchen mit besonderer Gefährdung sind metallverarbeitende Betriebe, der Bau und die Gastronomie. Weiters ist die Bearbeitung von Holz für Hände besonders gefährlich. Das Arbeiten mit nicht kraftbetriebenen Werkzeugen steht mit 25,6 % aller Unfälle an erster Stelle der Unfallursachen. Unfälle mit „Materialien, Gegenständen und Werkstücken“ waren in 24,4 % und beim Hantieren mit „ortsfesten Maschinen und Ausrüstungen“ in 10,4 % zu beobachten. Bei den Unfällen mit Handwerkzeugen führen mit fast 4.600 Verletzungen „Messer, Kochmesser, Cutter“, gefolgt von den Unfällen mit Spritzen und Nadeln (rund 1.200) und Unfällen mit „Hammer, Steinschlägel, Steinspalthammer“.<br /> Im Gegensatz zu Arbeitsunfällen sind Freizeitunfälle aufgrund von Dokumentationslücken im öffentlichen Gesundheitssystem außerhalb der AUVA nicht so genau dokumentiert, jedoch lassen Zahlen aus dem Jahr 2010 auch hier auf einen Handlungsbedarf schließen. Von 79.700 Verletzungen an der Hand ereigneten sich 56.996 (72 % ) in der Freizeit. Somit wird eindeutig klar, dass Handverletzungen in der Freizeit 2,5-fach häufiger auftreten als bei Arbeitsunfällen. Legt man nun die Kosten analog auf die Gesamtkosten bei Freizeitunfällen um, würden hier jährliche lebenslange Kosten von 800 Millionen Euro entstehen. Diese müssen von der Allgemeinheit, von den Sozialversicherungen, aber auch von Betrieben getragen werden. Nicht vergessen werden darf in diesem Zusammenhang auch, dass im Gegensatz zu den Arbeitsunfällen bei Freizeitunfällen die meisten Kosten durch den Verletzten selbst getragen werden müssen, da viele Kosten nicht durch die Sozialversicherung abgedeckt sind. Selbst bei privaten Unfallversicherungen gibt es hier eine Begrenzung der Folgekosten auf zumeist wenige Jahre. Die Folgekosten danach müssen dann ebenfalls durch den Verletzten abgedeckt werden. Aus diesem Grund wurde der „Circle for Leisure Time Hand Injury Prevention“ gegründet, um auch hier Maßnahmen zu treffen und so die Anzahl an Handverletzungen im Freizeitbereich zu reduzieren.<sup>7</sup></p> <h2>Ziele der Kampagne</h2> <p>Zwei wesentliche Ziele sollten erreicht werden: einerseits die Bewusstseinsbildung, entsprechend richtig und achtsam zu arbeiten, und andererseits Information und Unterstützung bei der Auswahl der richtigen Arbeitsmittel. Um dies realisieren zu können, wurden mehrere wichtige Faktoren herausgearbeitet: <br /><br /><strong>Richtiges Arbeitsmittel</strong><br /> Die Auswahl des für die jeweilige Tätigkeit richtigen Arbeitsmittels ist ein entscheidender Einflussfaktor für das Unfallrisiko. Die Auswahl von falschen Maschinen – z.B. Kreissäge statt Fingerfräser beim Fräsen einer Nut, oder Messer statt Isolierzange beim Abisolieren eines Elektrokabels – erhöht das Unfallrisiko. Die Verwendung von Sicherheitsmessern kann zu einer deutlichen Reduktion von Verletzungen führen. Es ist das Ziel, mittel- und langfristig die klassischen „Stanleymesser“ durch Sicherheitsmesser mit Rückzugsklinge zu ersetzen. Sicherheitsmesser sind nicht wesentlich teurer als die „klassischen“ Messer, und nach einer kurzen Einarbeitungszeit wird man sein Sicherheitsmesser nicht mehr gegen ein altes Messer eintauschen wollen.<br /><br /><strong> Richtiger Handschutz</strong><br /> Die Thematik der Sicherheitshandschuhe stellt einen weiteren Schwerpunkt der Kampagne dar. In vielen Bereichen muss das Tragen von unterschiedlichen Handschuhen mit den dazu passenden Schutzmerkmalen gefordert werden. Der Handschuh muss entsprechend den gestellten Anforderungen ausgewählt werden. Es ist wichtig, die vom Hersteller angeführten Angaben am Handschuh zu bewerten und ein geeignetes Modell auszuwählen. Je höher die Anforderungen (Belastungen), die an einen Handschuh gestellt werden, desto „steifer“ ist er in der Regel auch. Es muss jeweils geprüft werden, welche Anforderungen bezüglich Schnittschutz für eine bestimmte feinmotorische Tätigkeit bestehen. Somit muss das Bewusstsein bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern geschärft werden, dass Handschuh nicht gleich Handschuh ist und jede Tätigkeit eine spezielle Anforderung an den Handschuh stellt.<br /><br /><strong> Kostenfaktor</strong> Kostenanalysen in der AUVA haben gezeigt, dass Handunfälle im Jahr 2012 durchschnittliche Kosten pro Unfall von 7.851 Euro verursachten. Die Gesamtkosten für Arbeitsunfälle mit Handverletzungen beliefen sich 2012 auf 322 Millionen Euro, wobei Kosten für die AUVA von 151 Millionen Euro zu verzeichnen waren. Bei einer durch die Präventionskampagne erwarteten mittelfristigen Senkung der Unfallzahlen um 10 % würden die jährlichen Kosten der AUVA um 15 Millionen Euro reduziert werden können.<br /><br /><strong> „Leichte“ Handverletzung</strong><br /> Die Datenanalyse, insbesondere die Auswertungen mit einem speziell entwickelten Verfahren zur Unfallfolgekostenberechnung bei der AUVA, hat gezeigt, dass die Zahl der leichten Handverletzungen deutlich überwiegt und gerade deshalb einen großen Kostenfaktor darstellt. Die Kosten für Betriebe, AUVA und öffentliche Bereiche haben im Jahr 2012 insgesamt 183 Millionen Euro betragen. Würde alleine diese Anzahl von Handverletzungen durch den erwarteten Erfolg der Kampagne um 10 % reduziert werden, entspräche dies einer Kostenreduktion von 18,3 Millionen Euro.<br /><br /><strong> „Schwere“ Handverletzung</strong><br /> Schwere Handverletzungen werden wesentlich seltener beobachtet, lösen aber eine deutlich höhere primäre finanzielle Belastung für alle Bereiche aus. Die zu erwartende Dauerrente im Falle eines Arbeitsunfalles führt zu einer langjährigen Rentenzahlung. Betrachtet man beispielsweise Nervenverletzungen in Hohlhand, Thenar und Hypothenar, so verursachen diese lebenslange durchschnittliche Unfallkosten von 264.422 Euro. Komplexe Handverletzungen (Kombination aus zumindest zwei Verletzungen von Sehnen, Nerven, Amputationsverletzungen und Fraktur) treten mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,5 % auf, führen aber zu durchschnittlichen lebenslangen Kosten von 109.898 Euro je Unfall. Insgesamt schlagen sie mit 13 Millionen Euro an lebenslangen Kosten pro Jahr zu Buche.</p> <h2>Ablauf der Kampagne</h2> <p>Die Notwendigkeit von Maßnahmen zur Reduktion von Handverletzungen und zu deren Prävention wurde bereits im Jahr 2011 von der Federation of European Societies for Surgery of the Hand (FESSH) erkannt. Nach zweijähriger Planung und Datenanalyse wurde die Kampagne 2014 gestartet. Entsprechend den statistischen Daten und den unterschiedlichen Verletzungsmustern, Altersstrukturen und Verletzungsursachen wurden gezielte Kampagnensujets ausgewählt und umgesetzt. Auf einer breiten medialen Plattform wurde auf die Verletzungsproblematik hingewiesen. Verwendet wurden Werbespots zur Bewusstseinsbildung in Fernsehen und Kino, Plakate und Citylights. Auch wurden Folder zu den wesentlichen Themen, die kurz und in übersichtlicher Weise Informationen vermitteln, erstellt. Hauptthemen waren hier Sicherheitshandschuhe, Erste Hilfe oder ein „HANDbuch“ mit wichtigen Informationen rund um das Thema Hand und Unfallverhütung.<br /> Des Weiteren wurden Fortbildungsveranstaltungen für Arbeitsmediziner und Sicherheitsbeauftragte mit dem Schwerpunktthema Handverletzungen in vier Regionen Österreichs abgehalten. Spezielle Schulungen in Betrieben mit Hinweisen auf die Verwendung von Schutzhandschuhen und Sicherheitsmessern sollten das Bewusstsein für Handverletzungen erhöhen.<br /> Ein besonderes Augenmerk wurde auf das Thema „Erste Hilfe bei Handverletzungen“ gelegt: Eine eigene App wurde gestaltet und zweisprachig freigegeben. Hauptziel der Entwicklung war die rasche und prompte Hilfestellung zu Erstmaßnahmen und Verhalten nach einer Verletzung, um etwaige Folgeschäden niedrig zu halten.<br /><br /> Im Dezember 2015 wurde die Kampagne nach zweijähriger Laufzeit abgeschlossen. Danach wurde eine gezielte Datenerhebung gestartet, um den Erfolg der Kampagne zu evaluieren. Verwendung fanden dabei bereits bekannte integrative Baukastensysteme zur Evaluation im Präventionsbereich.<br /> Erste Analysen der Daten haben die Effizienz und den Erfolg der Präventionsmaßnahmen bereits bestätigt. Bei Fragen über den Inhalt und das Konzept der Kampagne konnte erkannt werden, dass die gewünschten Zielgruppen sehr gut angesprochen wurden. Die Erhebung von Daten vor und nach der Kampagne hat ergeben, dass das Wissen über das etwaige Risiko einer Handverletzung deutlich gesteigert wurde und dementsprechende Schutzmaßnahmen verstärkt zum Einsatz gekommen sind. Vor allem konnte bereits in den ersten 6 Monaten nach Beendigung der Kampagne eine Verringerung der Verletzungshäufigkeit erkannt werden.<br /> Weitere Analysen der Daten in den nächsten Jahren sollen die Ergebnisse der Erstauswertung bestätigen. Jedoch müssen nach Beendigung der statistischen Datenanalyse die Präventionsmaßnahmen fortgeführt werden, um die Wichtigkeit von Handverletzungen im Bewusstsein zu halten und somit eine andauernde Reduktion der Verletzungshäufigkeit zu gewährleisten.</p> <h2>Schlussfolgerung</h2> <p>Erste Analysen der Kampagne deuten bereits auf eine Reduktion der Häufigkeit von Handverletzungen hin. Die Daten der nächsten Jahre werden uns zeigen, ob eine tatsächliche Reduktion der Verletzungen durch die Kampagne stattgefunden hat. Zur Berechnung hierfür wird ein spezielles Tool verwendet, das es ermöglicht, Prognosen zu stellen. Allein die Reduktion der erfassten hohen Zahlen von leichten Verletzungen kann zu einer sozioökonomisch bedeutenden Kosteneinsparung im Gesundheitswesen führen. Die zurzeit intensiven Reformtätigkeiten (Zusammenlegung von Krankenanstalten zu Verbünden) würden von einer Reduktion der Handverletzungen massiv profitieren. Die dabei eingesparten Ressourcen könnten an anderer Stelle effizienter eingesetzt werden.<br /> Die hohe Zahl an Freizeitunfällen verdeutlicht, dass auch auf diesem Sektor präventive Maßnahmen zwingend notwendig sind und hohe Kosten entstehen, die zumeist von den Verletzten oder deren Familien getragen werden müssen. Erste Maßnahmen wurden hier bereits mit der Gründung eines „Circle for Leisure Time Hand Injury Prevention“ getroffen. Die einmalige Situation, dass Unfälle während der Arbeit durch ein eigenes Sozialversicherungssystem abgedeckt werden, darf nicht aufgegeben werden. Nur so können nach einem Arbeitsunfall dem Patienten die beste Behandlung und Rehabilitation angeboten werden. Private Anbieter, wie neuerdings in der Politik gefordert, werden mit Sicherheit eine Reduktion der Gesamtkosten bringen, dies wird aber wahrscheinlich auch mit einer Reduktion der Leistungsumfänge (wie bei Versicherungsfällen im Freizeitbereich) einhergehen.</p></p>
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<p><strong>1</strong> Demiral Y et al: Country Reports: Occupational Safety and Health in Turkey. 2010 (Erisim tarihi: 01 Haziran 2011), www. oshnet.eu <strong>2</strong> Davas Aksan A et al: Risk factors for occupational hand injuries: relationship between agency and finger. Am J Ind Med 2012; 55: 465-73 <strong>3</strong> Kaya Bicer E et al: Evaluation of the risk factors for acute occupational hand injuries. Chir Main 2011; 30: 340-4 <strong>4</strong> Bellemère P: Pour une campagne nationale de prévention des accidents de la main. Rationale for prevention, la FESUM Nantes Assistance Main, Clinique Jeanne d’Arc, 21, Rue des Martyrs, 44100 Nantes, France <strong>5</strong> Tubiana M, Legrain M: Comment développer et améliorer les actions de prévention dans le système de santé français. Bull Acad Natl Med 2002; 186(2): 447-531 <strong>6</strong> Centers for Disease Control and Prevention (CDC): Nonfatal occupational injuries and illnesses – United States, 2004. Morb Mortal Wkly Rep 2007; 56(16): 393-7 <strong>7</strong> Leixnering M et al: Prevention of hand injuries - current situation in Europe. Handchir Mikrochir Plast Chir 2013; 45(6): 339-43 <strong>8</strong> Rauner MS et al: Prevention of occupational injuries related to hands: calculation of subsequent injury costs for the Austrian social occupational insurance institution (AUVA). Handchir Mikrochir Plast Chir 2015; 47(4): 228-34</p>
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