Das Antiphospholipidsyndrom: eine systemische Autoimmunerkrankung mit unterschiedlichen Facetten
Autor:
PD Dr. med. Thomas Neumann
Klinik für Rheumatologie Kantonsspital St. Gallen
E-Mail: thomas.neumann@kssg.ch
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Thromboembolische Ereignisse treten bei Patienten mit Autoimmunerkrankungen gehäuft auf. In dieser Situation ist eine Diagnostik auf Antiphospholipidantikörper (aPL) notwendig. Das klinische Bild des Antiphospholipidsyndroms ist vielfältig und stellt eine Verbindung einer Autoimmunerkrankung mit einer Störung des Gerinnungssystems dar.
Keypoints
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Die Diagnose des APS basiert auf dem Nachweis mittel- bis hochtitriger Antiphospholipidantikörper (Lupusantikoagulanz, Antikörper gegen β2-Glykoprotein I und gegen Cardiolipin) und der charakteristischen klinischen Manifestationen.
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Die Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten (INR 2–3) ist der Standard für unprovozierte venöse Thrombosen bei APS und zusätzlich Aspirin oder INR 3–4 bei arteriellen Thrombosen.
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Aspirin und niedermolekulares Heparin sind die Standardtherapie für schwangere Frauen mit APS und Schwangerschaftskomplikationen.
Definition und Epidemiologie
Das Antiphospholipidsyndrom (APS) manifestiert sich in zwei unterschiedlichen Ausprägungen: als Thromboembolie (arteriell, venös oder mikrovaskulär) und/oder Schwangerschaftskomplikation. Es setzt den Nachweis von persistierenden aPL (Lupusantikoagulanz [LA], Antikörper gegen IgG- und/oder IgM-β2-Glykoprotein I [β2-GPI] und/oder Antikörper gegen IgG- und/oder IgM-Cardiolipin [CL]) voraus. Das APS ist eine systemische Autoimmunerkrankung. In der ersten Beschreibung des APS durch Hughes 1983 wurde bei Patienten mit SLE die Trias aus wiederholten Fehlgeburten, ZNS-Symptomen (einschliesslich Myelitis) und rezidivierenden tiefen Beinvenenthrombosen mit Nachweis von CL-Antikörpern und LA dargestellt.1 Seitdem wurden sowohl das Spektrum der klinischen Manifestationen als auch die Antikörperkonstellationen umfangreich beschrieben. In mehreren internationalen Konsensustreffen, darunter Sapporo 19982 und Sydney 20043, wurden Kriterien zur Klassifikation erarbeitet.
Die Prävalenz des APS liegt bei 1:2000, obwohl aPL bei 1–5% der Bevölkerung nachweisbar sind.4,5 Eine Laboruntersuchung auf aPL sollte jedoch nur bei klinischen Konstellationen erfolgen, die auf ein APS hinweisen. Dazu zählen rezidivierende Thrombosen trotz therapeutischer Antikoagulation, Thrombosen an untypischer Lokalisation oder bei jungen Patienten (<50 Jahre) und nicht provozierte Thrombosen6sowie Schwangerschaftskomplikationen.
Pathophysiologische Aspekte
Die Bindung von aPL an β2-GPI auf Zelloberflächen aktiviert Endothelzellen, Monozyten und Thrombozyten. Dieser Prozess initiiert einen proinflammatorischen und prothrombotischen Phänotyp und aktiviert das Komplementsystem. Neuere Studien deuten darauf hin, dass es zu einer Aktivierung von neutrophilen Granulozyten, zu einer Freisetzung von neutrophilen extrazellulären Traps (NETose) und zur Hochregulation des mTOR-Komplexes auf Endothelzellen kommt.7
Klinische Beobachtungen zeigen nur eine geringe Überlappung zwischen vaskulären und geburtshilflichen Komplikationen. Nur 19% der Patientinnen mit einem primären vaskulären Ereignis entwickeln im Verlauf eine Schwangerschaftskomplikation und nur 12% mit einem primären Ereignis in der Schwangerschaft entwickeln eine vaskuläre Komplikation.8 Trotz der unterschiedlichen klinischen Phänotypen werden die gleichen Autoantikörper nachgewiesen. Allerdings ist die Gewebsverteilung des Zielantigens β2-GPI unterschiedlich, mit einer deutlich höheren Expression im Dezidual- und Plazentagewebe als im Endothel.9
Vermutlich existieren darüber hinaus mehrere β2-GP-I-abhängige Subpopulationen mit unterschiedlichen biologischen Effekten, die sich jedoch in den bisher üblichen Labortests nicht unterscheiden lassen. Das klinisch manifeste APS entwickelt sich bei Vorliegen von aPL vermutlich erst nach einem zweiten Auslöser (z.B. Infektion, mechanisches Trauma oder venöse Stase). Dieser zweite Schritt in der Entstehung des APS ist komplementabhängig.10 Einiges deutet darauf hin, dass immunologische Prozesse eine grössere Bedeutung für Schwangerschaftskomplikationen des APS haben als für das vaskuläre APS. Vermutlich sind auch weitere, nicht den aktuellen Kriterien zugehörige APS-Manifestationen (z.B. Libman-Sacks-Endokarditis) von immunologischen Prozessen abhängig.
Klinische Manifestationen und Laborkriterien
Das klinische Spektrum des APS ist aufgrund der arteriellen, venösen oder mikrovaskulären Manifestationen oder Schwangerschaftskomplikationen vielfältig (Tab. 1). Nicht alle Manifestationen sind in der aktuellen Klassifikation als klinische Kriterien enthalten (Tab. 2).3 Die häufigsten klinischen Manifestationen sind tiefe Beinvenenthrombosen, gefolgt von Hirninfarkten und Lungenarterienembolien.11
Tab. 1: Klinische Manifestationen des Antiphospholipidsyndroms12
Tab. 2: Antiphospholipidsyndrom – Klassifikationskriterien:3 Mindestens ein klinisches sowie ein laboranalytisches Kriterium müssen erfüllt sein
Prophylaxe und Therapie
Das Management des APS ist abhängig von der klinischen Symptomatik (venös, arteriell, mikrovaskulär, Schwangerschaftskomplikation) und der Laborkonstellation (Antikörperprofil, Titerhöhe, Persistenz). Die Risikobewertung leitet sich massgeblich aus der Antikörperkonstellation ab (Tab.2).13 Die EULAR-Empfehlungen fassen den aktuellen Standpunkt zur primären und sekundären Prophylaxe des APS zusammen.14 Die Risikobewertung sollte zusätzlich die mögliche Koexistenz anderer systemischer Autoimmunerkrankungen, wie z.B. SLE, und die Erfassung traditioneller kardiovaskulärer Risikofaktoren beinhalten. Das Management klassischer kardiovaskulärer Risikofaktoren (Raucherentwöhnung, Behandlung von Bluthochdruck, Dyslipidämie und Diabetes, regelmässige körperliche Aktivität) sollte berücksichtigt werden.
Primärprophylaxe
Asymptomatische aPL-Träger (ohne vaskuläres oder geburtshilfliches APS) mit Hochrisiko-aPL-Profil sollen eine Prophylaxe mit niedrig dosierter (75–100mg täglich) Acetylsalicylsäure (LDA) erhalten (Evidenzlevel [EL] 2a; Empfehlungsstärke [ES] B). Bei Patienten mit SLE ohne bisherige Thrombembolien und ohne Schwangerschaftskomplikationen wird wie folgt vorgegangen: a) bei Hochrisiko-aPL-Profil erfolgt eine Prophylaxe mit LDA (EL 2a, ES B) und b) bei Niedrigrisiko-aPL-Profil kann eine LDA-Prophylaxe erwogen werden (EL 2b, ES C). Bei nicht schwangeren Frauen mit der Vorgeschichte eines rein geburtshilflichen APS (mit oder ohne SLE) wird eine prophylaktische Behandlung mit LDA nach entsprechender Nutzen-Risiko-Abschätzung (aPL-Profil, weitere kardiovaskuläre Risikofaktoren, Verträglichkeit von ASS) empfohlen (EL 2b, ES B).
Sekundärprophylaxe
Patienten mit definitivem APS (erste venöse Thrombose): Es wird eine orale Antikoagulation mit einer Ziel-INR von 2,0–3,0 empfohlen (EL 1b, ES B). Rivaroxaban sollte nicht bei Dreifach-aPL-Positivität eingesetzt werden (EL 1b, ES B). Direkte orale Antikoagulanzien (DOAC) können in Betracht gezogen werden, wenn trotz guter Therapieadhärenz unter Vitamin-K-Antagonisten (VKA) die Ziel-INR nicht erreicht wird oder Kontraindikationen gegenüber VKA vorliegen (EL 5, ES D). Bei nicht provozierter erster Venenthrombose sollte die Antikoagulation langfristig fortgesetzt werden (EL 2b, ES B). Bei provozierter erster Venenthrombose sollte die Therapie so lange erfolgen wie für Patienten ohne APS. Eine längere Antikoagulation kann bei Hochrisiko-aPL-Profil oder anderen Risikofaktoren für Rezidive erfolgen (EL 5; ES D). Für Patienten mit APS und rezidivierenden venösen Thrombosen trotz Antikoagulation mit VKA bei einem INR-Zielwert von 2,0–3,0 ist die Optimierung der VKA-Einstellung, einschliesslich Aufklärung über Therapieadhärenz und häufige INR-Bestimmungen empfohlen (EL 5, ES D). Wenn die Ziel-INR von 2–3 (zum Zeitpunkt der Thromboembolie) erreicht war, sollte die zusätzliche Gabe von LDA, eine Erhöhung des INR-Zielwertes auf 3,0–4,0 oder eine Umstellung auf niedermolekulares Heparin (LMWH) erwogen werden (EL 4–5, ES D). Für Patienten mit APS und einem ersten arteriellen Ereignis wird eine Antikoagulation mit VKA gegenüber einer alleinigen Behandlung mit LDA bevorzugt (EL 2b, ESC). Die Antikoagulation sollte mit einer Ziel-INR von 2,0–3,0 oder 3,0–4,0 – je nach individuellem Risiko für Blutungen oder Rezidive von Thromboembolien – erfolgen (EL1b, ESB). Eine INR von 2,0–3,0 in Kombination mit LDA kann erwogen werden (EL 4, ES C). Rivaroxaban sollte nicht bei Dreifach-aPL-Positivität eingesetzt werden (EL1b, ESB). Der Einsatz von DOAC bei Patienten mit APS und arteriellen Ereignissen wird nicht empfohlen (EL5, ESD). Bei Patienten mit rezidivierender arterieller Thrombose, trotz adäquater Behandlung mit VKA, können eine Erhöhung des INR-Zielwerts auf 3,0–4,0, die zusätzliche Gabe von LDA oder die Umstellung auf LMWH in Betracht gezogen werden (EL 4–5, ES D).
Schwangerschaft
Bei Frauen mit Hochrisiko-aPL-Profil, aber ohne Vorgeschichte von Thrombosen oder Schwangerschaftskomplikationen (mit oder ohne SLE) sollte eine Behandlung mit LDA (75–100mg täglich) während der Schwangerschaft in Betracht gezogen werden (EL 5, ES D).
Frauen mit ausschliesslichen Schwangerschaftskomplikationen eines APS in der Vorgeschichte (keine thrombotischen Ereignisse), mit oder ohne SLE: Bei Vorgeschichte von 3 und mehr wiederkehrenden spontanen Fehlgeburten vor der 10.Schwangerschaftswoche (SSW) oder bei (mindestens einer) Fehlgeburt nach der 10.SSW wird die kombinierte Gabe von LDA und Heparin in prophylaktischer Dosierung während der Schwangerschaft empfohlen (EL 2b, ES B). Bei Eklampsie, schwerer Präeklampsie oder Zeichen einer Plazentainsuffizienz in der Vorgeschichte wird eine Behandlung mit LDA oder LDA und Heparin in prophylaktischer Dosierung unter Berücksichtigung des individuellen Risikoprofils empfohlen (EL 2b, ES B).
Bei geburtshilflicher Vorgeschichte eines APS, ohne dass die APS-Kriterien erfüllt sind (z.B. 2 rezidivierende spontane Fehlgeburten vor der 10. SSW oder Entbindung nach der 34. SSW aufgrund einer schweren Präeklampsie oder Eklampsie), kann eine Behandlung mit LDA allein oder in Kombination mit Heparin in Betracht gezogen werden (LE 4, ES D).
Katastrophales Antiphospholipidsyndrom
Eine rasche Behandlung von Infektionen und eine Vermeidung von Unterbrechungen der Antikoagulation oder niedriger INR-Spiegel bei Patienten mit thrombotischem APS werden bei allen aPL-positiven Personen empfohlen, um die Entwicklung eines katastrophalen Antiphospholipidsyndroms (CAPS) zu vermeiden (EL 4, ES D). Für Patienten mit CAPS wird eine Kombinationstherapie mit Glukokortikoiden, Heparin und Plasmaaustausch oder intravenösen Immunglobulinen empfohlen. Zusätzlich sollten auslösende Faktoren (z.B. Infektionen, Gangrän oder Malignom) entsprechend behandelt werden (EL 5, ES D). In refraktären Fällen eines CAPS kann eine Anti-B-Zell-Therapie mit Rituximab oder eine Komplementhemmung mit Eculizumab erwogen werden (EL 4, ES D).
Literatur:
1 Hughes GR: Thrombosis, abortion, cerebral disease, and the lupus anticoagulant. Br Med J (Clin Res Ed) 1983; 287(6399): 1088-9 2 Wilson WA et al.: International consensus statement on preliminary classification criteria for definite antiphospholipid syndrome: report of an international workshop. Arthritis Rheum 1999; 42(7): 1309-11 3 Miyakis S et al.: International consensus statement on an update of the classification criteria for definite antiphospholipid syndrome (APS). J Thromb Haemost 2006; 4(2): 295-306 4 Duarte-Garcia A et al.: The epidemiology of antiphospholipid syndrome: a population-based study. Arthritis Rheumatol 2019; 71(9): 1545-52 5 Shi W et al.: Prevalence of lupus anticoagulant and anticardiolipin antibodies in a healthy population. Aust N Z J Med 1990; 20(3): 231-6 6 Devreese KMJ et al.: Guidance from the Scientific and Standardization Committee for lupus anticoagulant/antiphospholipid antibodies of the International Society on Thrombosis and Haemostasis: update of the guidelines for lupus anticoagulant detection and interpretation. J Thromb Haemost 2020; 18(11): 2828-39 7 Yalavarthi S et al.: Release of neutrophil extracellular traps by neutrophils stimulated with antiphospholipid antibodies: a newly identified mechanism of thrombosis in the antiphospholipid syndrome. Arthritis Rheumatol 2015; 67(11): 2990-3003 8 Alijotas-Reig J et al.: The European Registry on obstetric antiphospholipid syndrome (EUROAPS): a survey of 247 consecutive cases. Autoimmun Rev 2015; 14(5): 387-95 9 Meroni PL et al.: Obstetric and vascular antiphospholipid syndrome: same antibodies but different diseases? Nat Rev Rheumatol 2018; 14(7): 433-40 10 Meroni PL et al.: Complement activation in antiphospholipid syndrome and its inhibition to prevent rethrombosis after arterial surgery. Blood 2016; 127(3): 365-7 11 Cervera R et al.: Antiphospholipid syndrome: clinical and immunologic manifestations and patterns of disease expression in a cohort of 1000 patients. Arthritis Rheum 2002; 46(4): 1019-27 12 Uthman I et al.: Management of antiphospholipid syndrome. Ann Rheum Dis 2019; 78(2): 155-61 13 Sciascia S et al.: Risk scale for the diagnosis of antiphospholipid syndrome. Ann Rheum Dis 2011; 70(8): 1517-8 14 Tektonidou MG et al.: EULAR recommendations for the management of antiphospholipid syndrome in adults. Ann Rheum Dis 2019; 78(10): 1296-304
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