Testen, testen, testen
Bericht:
Dr. med. Felicitas Witte
Forscher verzeichnen immer mehr Azithromycin-Resistenzen bei Gonorrhö. Diese und andere Geschlechtskrankheiten bleiben ausserdem oft unentdeckt und unbehandelt, insbesondere bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen.
Zurzeit ist zwar das Coronavirus Thema Nummer eins, doch andere Erreger sollten nicht in den Hintergrund geraten. Dr. med. Viviane Bremer, Epidemiologin und Leiterin des Fachbereichs «HIV/AIDS und andere sexuell oder durch Blut übertragbare Infektionen» am Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin, macht zurzeit nicht nur Covid-19 Sorgen, sondern auch die zunehmende Resistenz von Gonokokken gegen Azithromycin. Als Standardtherapie gilt eine Doppelbehandlung mit Azithromycin und Ceftriaxon. Doch Azithromycin wirkt gemäss Auswertung des deutschen Gonokokken-Resistenz-Netzwerks GORENET in einem von zehn Fällen nicht mehr.1 Die wenigen dann noch wirksamen Mittel sind teuer, haben mehr Nebenwirkungen und sind für besonders kranke Patienten reserviert.
Im Jahr 2019 wurden dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) 3907 bestätigte Gonorrhöfälle gemeldet. Dies sind 35% mehr als 2018. Der Anstieg betrifft vor allem Männer und ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass diese häufiger in Checkpoints und anderen Beratungszentren getestetwurden.2In Deutschland hat sich gemäss GORENET der Anteil resistenter Azithromycin-Gonokokken zwischen 2016 und 2018 verdoppelt. Auch in anderen Staaten der Erde werden zunehmend Resistenzen verzeichnet, wobei sich das Ausmass von Land zu Land ziemlich unterscheidet. Aus China werden Resistenzraten von 18,6% berichtet,3 aus Indien 5%.4 Im European Gonococcal Antimicrobial Surveillance Programme (Euro-GASP) stiegen die Azithromycin-Resistenzraten von 7,5% in den Jahren 2016 und 2017 auf 13,3% im Jahr 2018.5 Als Kriterium galt damals eine minimale Hemmkonzentration (MIC) von 0,5mg/l. 2019 wurde der MIC-Grenzwert für die Azithromycin-Resistenz auf >1mg/l gesetzt, und auch mit diesem war ein signifikanter Anstieg der Azithromycin-Resistenzen von 3,7% im Jahr 2017 auf 7,6% im Jahr 2018 zu verzeichnen.
Die nachlassende Empfindlichkeit gegenüber Azithromycin, so heisst es im Euro-GASP-Report, sei zusammen mit einer neu auftretenden Resistenz gegenüber Ceftriaxon ein Grund zur Besorgnis und bedrohe die Wirksamkeit der derzeitigen hocheffektiven Doppeltherapie mit Azithromycin und Ceftriaxon. Dem BAG wurden 2019 wie auch in den Vorjahren immerhin keine Fälle von multiresistenten Gonokokken gemeldet.
Forscher vom RKI und vom European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) haben kürzlich herausgefunden, dass die zunehmende Azithromycin-Resistenz vermutlich auf bestimmte Genveränderungen im Gonokokken-Genom zurückzuführen ist, die durch DNA-Austausch zwischen verschiedenen Stämmen zustande kommen.6 Das Team um Dr. rer. nat. Sebastian Banhart und Dr. rer. physiol. Dagmar Heuer vom Fachbereich «Sexuell übertragbare bakterielle Krankheitserreger» am RKI sequenzierte das Genom von 128 resistenten Gonokokken aus den GORENET-Proben von 2018. In zwei von drei Gonokokken mit Azithromycin-Resistenz fanden sie die gleiche Veränderung im Genom, nämlich auf dem mtr-Gen-Ort, der schon seit Längerem mit einer Azithromycin-Resistenz in Verbindung gebracht wird. Das mtr-Gen dient mit als Bauvorlage für eine Pumpe, die Antibiotika aus den Bakterien herauspumpen kann und so zur Resistenz beiträgt. «Offenbar hat sich dieser Gonokokken-Genotyp in den letzten Jahren klonal ausgebreitet, was zu der Zunahme der resistenten Stämme passt», sagt RKI-Epidemiologin Bremer.
Unentdeckte Infektionen weit verbreitet
Viele STI liessen sich vermeiden, wenn sich Menschen regelmässig oder zumindest vor dem sexuellen Kontakt mit einem neuen Partner auf Geschlechtskrankheiten testen lassen würden – das betrifft nicht nur Gonorrhö. Wie wichtig das gerade für Jugendliche und junge Erwachsene wäre, haben kürzlich Forscher von der Ruhr-Universität in Bochum gezeigt.7Das Fazit: Junge Menschen stecken sich beim Sex häufig mit Keimen an, ohne dass sie das merken. Sie infizieren sich nicht nur durch «klassischen» Sex, sondern auch durch Oral- oder Analverkehr oder Schmierinfektion. Häufig findet man Chlamydien, Mykoplasmen, Herpes- oder Papillomaviren, immer öfter auch Gonokokken und vor allem bei homo- und bisexuellen Männern Treponema pallidum, den Erreger der Syphilis.
Dem BAG wurden 2019 1046 neue Fälle von Syphilis gemeldet. Die Inzidenz lag im Durchschnitt der zwei Vorjahre. Betroffen waren vor allem homo- und bisexuelle Männer, aber auch Sexarbeiterinnen. An neuen HIV-Fällen verzeichnete das Amt im Jahr 2019 421 neue Fälle, praktisch gleich viele wie im Vorjahr. Die Mehrheit der Infizierten betraf wie im Vorjahr mit 79% überwiegend Männer. Neben Gonorrhö verzeichnet das BAG einen Anstieg an Chlamydieninfektionen: 12374 bestätigte Chlamydiosefälle waren es im Jahr 2019, 11% mehr als 2018. Den Anstieg führt das BAG aber vor allem auf häufigeres Testen zurück.
Geschlechtskrankheiten können unangenehme Folgen haben. Chlamydien sind einer der häufigsten Gründe für Kinderlosigkeit. Auch Gonokokken können zu Unfruchtbarkeit führen, ebenso zu chronischen Unterleibsschmerzen und Gelenkentzündungen. Papillomaviren verursachen unschöne Warzen im Genitalbereich und Gebärmutterhalskrebs, HIV eine chronische Immunschwäche.
Bleibt eine Syphilis unentdeckt und unbehandelt, kann sie sich nach Jahren mit Veränderungen an Herz und Gefässen, Knoten in der Haut und bleibenden Schäden der Nerven mit Gefühlsstörungen und Lähmungen bis hin zum hirnorganischen Psychosyndrom bemerkbar machen. «Ich sehe leider immer wieder Patienten, bei denen solche Langzeitfolgen die ganze Lebensplanung durcheinandergebracht haben», sagt Prof. Dr. med. Norbert Brockmeyer, Leiter des Zentrums für sexuelle Gesundheit «WIR-Walk-in-Ruhr» an der Dermatologischen Klinik der Ruhr-Universität Bochum und federführender Autor der Studie.7 Er und sein Team befragten 272 junge Menschen zwischen 14 und 31 Jahren, die meinten, gesund zu sein. Die Forscher konzentrierten sich auf zwei der häufigsten Keime: Chlamydien und Gonokokken. Mit einem standardisierten Set entnahmen die Teilnehmer selbst Proben: die Frauen aus Mund, Scheide und After und die Männer aus Mund, After und Urin. Bei jedem 13. jungen Menschen fanden die Forscher Chlamydien, bei jedem 18. Gonokokken und bei 5 Teilnehmern beide Keime.
Interessanterweise gab knapp jeder 7. an, er habe Juckreiz, Brennen oder Schmerzen gespürt, dies jedoch nicht mit einer Geschlechtskrankheit in Verbindung gebracht. Jeder 3. davon war dann mit Chlamydien oder Gonokokken infiziert.
Wenige Alternativen
Noch sei das Problem der Azithromycin-Resistenz unter Kontrolle, sagt Brockmeyer, ihm bereite es aber dennoch Sorgen. Das Problem ist, dass das Antibiotikum noch in diversen anderen Situationen eingesetzt und von den Leitlinien als First-Line-Therapie empfohlen wird, etwa gegen Infektionen mit Mykoplasmen oder mit Chlamydien im Falle einer Schwangerschaft, gegen Atemwegsinfektionen, Haut- oder Wundinfekte. «Die Therapie ist einfach und praktisch, deshalb verschreiben es viele Kollegen gerne», sagt Brockmeyer. Azithromycin müssen die Patienten in den meisten Fällen nur einmal als Tablette einnehmen, während sie zum Beispiel im Falle einer Mykoplasmeninfektion die Alternative Moxifloxacin eine Woche lang täglich schlucken müssen. «Wir müssten uns überlegen, die Behandlungsempfehlungen zu ändern und Alternativen für Azithromycin zu suchen», meint Brockmeyer.
Bei Partnerwechsel testen
Sie habe an der Bochumer Studie überrascht, dass so viele Jugendliche Analverkehr hatten, nämlich knapp jede zweite Frau und zwei von drei Männern, sagt Dr. med. Ruth Draths, niedergelassene Gynäkologin in Sursee (LU) und Präsidentin der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendgynäkologie Gynea. «Vielen ist nicht bewusst, dass man sich dabei genauso anstecken kann wie beim normalen Sex», sagt sie. Auch dass nur zwei von drei Befragten Kondome verwendet hatten, um sich vor einer Geschlechtskrankheit zu schützen, fände sie «erschreckend wenig». Doch selbst wer konsequent ein Kondom benutzt, ist bekanntermassen nicht hundertprozentig geschützt.
Die letzte grössere Umfrage zur sexuellen Gesundheit von jungen Menschen in der Schweiz stammt von den Unispitälern Zürich und Lausanne aus dem Jahr 2018.8 Diese lässt vermuten, dass sich auch hierzulande die Jugend zu wenig um STIkümmert. Teilgenommen hatten 7142 junge Erwachsene zwischen 24 und 26 Jahren. Fast alle waren schon sexuell aktiv gewesen, die meisten mit zwei bis sieben Partnern. So gut wie alle praktizierten oralen Sex, jeder Zweite analen. Jeder Zehnte hatte schon einmal eine Geschlechtskrankheit gehabt, am häufigsten eine Infektion mit Chlamydien, Papilloma- oder Herpesviren.
Gynäkologin Draths empfiehlt ihren Patienten, sich mit jedem neuen Sexualpartner testen zu lassen. «Auch öfter, wenn sie wechselnde Partner haben oder mehrere gleichzeitig.» Ein Test wird zudem Schwangeren empfohlen und denen, die ungeschützten Sex hatten oder wenn der Sex erzwungen wurde. Gemäss BAG übernehmen die Krankenkassen grundsätzlich alle Analysen für sexuell übertragbare Krankheiten, wenn sie vom Arzt verordnet und in der Analysenliste aufgeführt sind. Das gelte auch für die Multiplex-Tests. Im Gegensatz dazu stellen regelmässige STI-Tests zur Früherkennung bei Risikoverhalten jedoch keine Leistungspflicht der obligatorischen Krankenpflegeversicherung dar. Diese müssen von den Betroffenen selbst bezahlt werden. «Die Rückvergütung der Tests war bisher aber kein Thema», sagt Dr. med. Pierre Villars, niedergelassener Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe in Zürich und im Vorstand der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe zuständig für Tarifwesen und Verbindungen zu den Krankenkassen.
Gerade im Falle von jungen Patienten brauche man genügend Zeit, sie aufzuklären, sagt Gynäkologin Draths. Hilfreich für die Aufklärung ist eine Informationsbroschüre, die Draths kürzlich geschrieben hat und die auch für Jugendliche und junge Erwachsene gut verständlich ist. Sie lässt sich auf der Internetseite von Firstlove.ch bestellen: www.firstlove.ch/buchbestellen .
So unangenehm es ist: Zeigt der Abstrich eine Infektion, müssen die Betroffenen nicht nur sorgsam die Antibiotika nehmen, sondern auch Partnerin oder Partner informieren. Das sagt sich so einfach, dabei ist es ja selbst für so manch einen Arzt schwierig, über das Thema zu sprechen. «Wir müssen endlich das Tabu brechen, sonst wird sich nichts ändern», sagt Brockmeyer. «STI sind etwas völlig Normales und jeder kann sich infizieren – übrigens auch Mediziner.» Am besten sei, das Thema nüchtern und rechtzeitig anzusprechen: «Ich hatte mehrere Partner. Und du? Wie wäre es, wenn wir beide einen Test machen?»
Literatur:
1 Buder S et al.: BMC Infectious Disesases 2018; 18: 44 2 BAG-Bulletin 48/2020; www.bag.admin.ch 3 Yin YP et al.: PLoS Med 2018; 15: e1002499 4 Kulkarni SV et al.: J Med Microbiol 2018; 67: 22-28 5 Gonococcal antimicrobial susceptibility surveillance in Europe, 2018. https://www.ecdc.europa.eu/en/publications-data/gonococcal-antimicrobial-susceptibility-surveillance-europe-2018 (letzter Aufruf 27.2.2021) 6 Banhart S et al.: J Infect Dis 2021; doi: 10.1093/infdis/jiab091. Online ahead of print 7 Skaletz-Rorowski A et al.: J Eur Acad Dermatol Venereol 2021; 35: 241-6 8 Barrense-Dias Y et al.: Sexual health and behavior of young people in Switzerland. Lausanne, Institut universitaire de médecine sociale et préventive, 2018 (Raisons de santé 291). http://dx.doi.org/10.16908/issn.1660-7104/291 (letzter Aufruf 27.2.2021)
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