Herzgefäße: Inflammation bei kardiovaskulären Erkrankungen
Autor:
Prim. Priv.-Doz. Dr. Ronald Binder
Abteilung für Innere Medizin II
Kardiologie und Intensivmedizin
Klinikum Wels-Grieskirchen
E-Mail: ronald.binder@klinikum-wegr.at
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Die Atherosklerose ist eine inflammatorische Erkrankung mit Lipideinlagerungen in den Blutgefäßen. Obwohl das LDL-Cholesterin als der wichtigste modifizierbare Risikofaktor gilt, ist die Inflammation ein besserer Prädiktor für zukünftige kardiovaskuläre Ereignisse. Daher werden die Messung der Inflammation (hs-CRP) und deren medikamentöse Behandlung (Colchicin 0,5mg 1x täglich per os) in den neuen ESC-Leitlinien empfohlen.
Keypoints
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Die Atherosklerose ist eine inflammatorische Erkrankung mit Lipideinlagerungen in den Blutgefäßen.
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Marker der Inflammation (z.B. hs-CRP) sind sehr gute Prädiktoren für die Progression der Atherosklerose.
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Die Verabreichung von Colchicin (0,5mg 1xtgl. per os) hat beim chronischen Koronarsyndrom eine Klasse-IIa-Empfehlung erhalten.
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Subkutanes Interleukin-2 oder Interleukin-6-Ligand-Inhibitoren sind mögliche zukünftige Therapien der Inflammation bei Atherosklerose.
Inflammation bei kardiovaskulären Erkrankungen war am heurigen Kongress der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) in London ein wichtiges Thema mit über 300 Beiträgen.1 Die Empfehlung, Inflammation zu messen und einer medikamentösen Therapie zuzuführen, hat erstmals in die ESC-Leitlinien zur Behandlung des chronischen Koronarsyndroms (CCS) Einzug gehalten.2 Weiters wurde der Stellenwert der Inflammationsmarker in Bezug auf Lipidmarker neu bewertet und über Studien zu möglichen zukünftigen Therapien der Inflammation berichtet.
ESC-Leitlinien zu chronischem Koronarsyndrom
Während in den CCS-Leitlinien aus dem Jahr 2019 die Inflammation praktisch kein Thema war, hat sie in den neuen Empfehlungen einen prominenteren Stellenwert erlangt. Die Messung des „High-sensitivity C-reactive“-Proteins (hsCRP) hat eine Klasse-IIa-Empfehlung zur Risikostratifizierung und Prognostizierung bei CCS erhalten. Gleichzeitig gibt es nun eine Therapieempfehlung für CCS-Patienten mit gesteigerter Inflammation. Die Verabreichung von Colchicin 0,5mg einmal täglich per os hat bei CCS eine Klasse-IIa-Empfehlung zur Reduktion von Herzinfarkt, Schlaganfall oder Revaskularisation erhalten (Abb.1).
Abb. 1: Antiinflammatorischer Mechanismus von Colchicin – die NLRP3-Inflammasom-Achse: IL-1β, IL-6, C-reaktives Protein (Quelle: Li Y et al. 2021)1
30 Jahre Follow-up der Women’s Health Study
Paul Ridker aus Boston hat am ESC eine Langzeitanalyse der „Women’s Health Study“ (WHS) präsentiert, welche zeitgleich im New England Journal of Medicine publiziert wurde.3 Bei über 27000 gesunden Frauen (Durchschnittsalter 55 Jahre) wurden vor 30 Jahren LDL-C, hs-CRP und Lp(a) gemessen. Über drei Jahrzehnte wurden kardiovaskuläre Ereignisse dokumentiert. Es zeigte sich, dass das hsCRP als Marker der Inflammation der beste Prädiktor für zukünftige kardiovaskuläre Ereignisse war.
Ein ähnliches Resultat wurde in einer Analyse der UK-Biobank von Marcello Markus präsentiert. Bei über 55000 Patienten unter lipidsenkender Therapie zeigte sich das hsCRP über einen Zeitraum von 11Jahren als besserer Prädiktor für Herzgefäßendpunkte als LDL-C.
Niedrigdosiertes Interleukin-2 beim Herzinfarkt
Für Aufsehen am ESC sorgte die Präsentation der IVORY-Studie durch Rouchelle Sriranjan.4 Diese doppelblinde, randomisierte, placebokontrollierte Studie verglich die subkutane Gabe von Interleukin-2(IL-2) vs. Placebo bei Patienten mit erhöhtem hsCRP (>2mg/l) nach einem akuten Koronarsyndrom (ACS). Es zeigte sich mittels PET-CT eine um 7,7% signifikant reduzierte Inflammation des Zielgefäßes. IL-2 war sehr gut verträglich und unterschied sich vom Placebo nur durch lokale Beschwerden an der Einstichstelle.
Metaanalyse zu Colchicin
Aernoud Fiolet präsentierte eine Metaanalyse zu Colchicin, welche mit etwa 15000 Patienten die Studien CONVINCE, LoDoCo2, COPS, COLCOT, LoDoCo und die Arbeit von Deftereos et al. miteinschloss.5 Im Vergleich zu Placebo führte die Gabe von Colchicin mit 27% zu einer signifikanten Senkung der Zahl von Schlaganfällen und „major adverse cardiovasulcar events“ (MACE; Tab.1).5 Es gab allerdings keinen Unterschied bei der Gesamtsterblichkeit und bei der kardiovaskulären Mortalität. Colchicin war im Vergleich zu Placebo gut verträglich. Insbesondere gab es gleich viele Pneumonien unter Colchicin wie unter Placebo. Diese Metaanalyse bestätigt das Potenzial von Colchicin, zukünftige Schlaganfälle und Herzinfarkte bei Patienten mit Atherosklerose zu verhindern.
Tab. 1: Colchicin zur Sekundärprävention von kardiovaskulären Ereignissen (nach Fiolet ATL et al. 2024)4
Kein Stellenwert von Glukokortikoiden beim Herzinfarkt
Auf die Myokardischämie beim akuten Herzinfarkt folgt unmittelbar eine Entzündungsreaktion. Ob die Unterbindung dieser Inflammation mit intravenös verabreichtem Methylprednisolon vorteilhaft ist, wurde in der doppelblinden, randomisierten, placebokontrollierten PULSE-MI-Studie untersucht.6 Prähospital erhielten 742 Patienten mit akutem ST-Hebungs-Infarkt in Dänemark 250mg Methylprednisolon oder Placebo intravenös verabreicht. Es zeigte sich zwar eine Verbesserung der akuten Infarktgröße, der initialen systolischen LV-Funktion und der mikrovaskulären Dysfunktion, doch der primäre Endpunkt (Infarktgröße nach 3 Monaten) war zwischen Methylprednisolon und Placebo nicht unterschiedlich.
Kein Nutzen von Anakinra bei der Myokarditis
Anakinra ist ein Interleukin-1-beta- und -alpha-Antagonist, der bei verschiedenen Autoimmunerkrankungen etabliert ist. In einer doppelblinden, randomisierten, placebokontrolliertenStudie wurde untersucht, ob Anakinra bei akuter Myokarditis zu einer Reduktion des kombinierten Endpunkts aus Herzinsuffizienz, ventrikulärer Arrhythmie, therapiebedürftigem Thoraxschmerz und Reduktion der systolischen LV-Funktion führt. Es zeigten sich kein Vorteil von Anakinra bezüglich des primären Endpunkts und auch keine Verbesserung der LV-Funktion im 12-monatigen Beobachtungszeitraum. Für die meist viral bedingte akute Myokarditis (häufiger bei jungen Männern) ist weiterhin keine spezifische Routinetherapie etabliert.
Neues Ziel: Interleukin-6-Inhibitor
Ein vielversprechendes Ziel in der Inflammationskaskade ist die Inhibition von Interleukin-6 (IL-6). Eine Erhöhung von IL-6 wurde mit vermehrten kardiovaskulären Ereignissen in Verbindung gebracht. Plaquerupturen und Erosionen sowie die Aktivierung von Matrixmetalloproteinasen, welche die fibröse Kappe von Koronarplaques schwächen, wurden in Zusammenhang mit IL-6 gebracht. In einer randomisierten doppelblinden Phase-II-Studie mit dem IL-6-Ligand-Inhibitor Ziltivekimab bei Patienten mit Niereninsuffizienz und erhöhtem hsCRP wurden Biomarker der Inflammation und Thrombose, die für die Atheroskleroseentwicklung relevant sind, reduziert. Mehrere Studien mit klinischen Endpunkten zu Ziltivekimab sind zurzeit aktiv.
Zusammenfassung
Die Messung und Behandlung der Inflammation bei kardiovaskulären Erkrankungen erfreuen sich einer zunehmenden Aufmerksamkeit und Bedeutung. Mit der Bestimmung des hsCRP und der Therapie mit Colchicin stehen empfohlene Mittel zur Verfügung, um eine erhöhte Inflammation zu erkennen und zu behandeln. Neue Marker und Behandlungspfade der Inflammation sind Gegenstand reger Forschung.
Literatur:
1 Li Y et al.: Anti-inflammatory mechanisms and research progress of colchicine in atherosclerotic therapy. Cell Mol Med 2021; 25(17): 8087-94 2 Vrints C et al.: 2024 ESC Guidelines for the management of chronic coronary syndromes.Eur Heart J 2024; 45(36): 3415-537 3 Ridker PM et al.: Inflammation, cholesterol, lipoprotein(a) and 30-year cardiovascular outcomes in women. N Engl J Med 2024; doi: 10.1056/NEJMoa2405182 4 Sriranjan R et al.: Low-dose interleukin 2 for the reduction of vascular inflammation in acute coronary syndromes (IVORY): protocol and study rationale for a randomised, double-blind, placebo-controlled, phase II clinical trial. BMJ Open 2022; 12(10): e062602 5 Fiolet ATL et al.: Colchicine for secondary prevention of ischaemic stroke and atherosclerotic events: a meta-analysis of randomised trials. 2024; 76: 102835 6 Madsen JM et al.: Prehospital pulse-dose glucocorticoid in ST-segment elevation myocardial infarction: the PULSE-MI randomized clinical trial. JAMA Cardiol 2024; 9(10): 882-91
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