Management der TSH-Erhöhung
Autor:
Dr. Armin Wunder
Facharzt für Allgemeinmedizin
Kompetenzzentrum Weiterbildung Hessen
Institut für Allgemeinmedizin
Goethe Universität
Frankfurt am Main
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Die Leitlinie „TSH-Erhöhung in der Hausarztpraxis“ der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM) erläutert die Sinnhaftigkeit der Bestimmung des Laborwertes des Thyroidea-stimulierendenHormons (TSH) und enthält Empfehlungen zur Bewertung erhöhter TSH-Werte.
Sowohl im ambulanten als auch im stationären Setting wird das Thyroidea-stimulierendeHormon (TSH) häufig bestimmt. Dabei geht es beispielsweise um die Abklärung, ob vorgetragene Symptome wie Müdigkeit, ungewollte Gewichtszunahmen, Haarausfall etc. durch eine Schilddrüsenfunktionsstörung bedingt sind. Allerdings wird dieser Wert auch im Rahmen von Routinen, wie der Gesundheitsuntersuchung, zusätzlich zu den vorgeschriebenen Laborparametern „einfach mal so“ mitbestimmt.
Zur Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit der TSH-Bestimmung in der Hausarztpraxis gibt uns die Leitlinie „TSH-Erhöhung in der Hausarztpraxis“ der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM) wichtige Hinweise.1
Unter anderem möchte diese Leitlinie uns hausärztlich tätige Ärzt:innen sensibilisieren, erhöhte TSH-Werte kritisch zu bewerten und eine Übertherapie zu vermeiden. Dazu wurden neue Empfehlungen zur Definition altersabhängiger Normwerte eingepflegt (Tab. 1).2 Dabei wird explizit empfohlen, bei asymptomatischen Erwachsenen und bei Frauen mit Kinderwunsch oder Schwangerschaft ohne bekannte Schilddrüsenerkrankung kein TSH-Screening durchzuführen.2
Tab. 1: Erhöhte TSH-Werte nach Altersgruppe (modifiziert nach der DEGAM-Leitlinie 2023)2
Das Management einer TSH-Erhöhung bei Schwangeren und Frauen mit Kinderwunsch in der hausärztlichen Praxis wird in einem separaten Artikel behandelt.
Anamnese
Wenn Patient:innen über Symptome berichten, die uns an eine Schilddrüsenunterfunktion denken lassen, sollten sie nach Faktoren befragt werden, die mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für eine Hypothyreosein Zusammenhang stehen (Tab. 2).3 Bei allen Patient:innen sollte – in Abhängigkeit von den geschilderten Beschwerden – eine symptomorientierte körperliche Untersuchung durchgeführt werden, um weitere differenzialdiagnostische Überlegungen/Krankheitsbilder abzuklären/auszuschließen.
Tab. 2: Faktoren im Zusammenhang mit erhöhter Wahrscheinlichkeit für die Diagnose Hypothyreose (modifiziert nach der DEGAM-Leitlinie 2023)3
Labordiagnostik
Bei einer Blutentnahme (BE) sollte daran gedacht werden, dass es Faktoren gibt, die den TSH-Wert beeinflussen können – so beispielsweise die Nahrungsaufnahme und der Zeitpunkt der BE: Im Vergleich zu einer morgendlichen BE nüchtern führen eine spätere BE und eine BE nach einem Frühstück zu etwa 30% niedrigeren TSH-Werten.4
Auch die Medikamentenanamnese kann von Bedeutung sein: Hochdosierte Azetylsalizylsäure (4x1000mg/d), Heparin, Glukokortikoide und Biotin beeinflussen ebenfalls den TSH-Wert – sie führen zu einer Erniedrigung des TSH-Spiegels. Ein Krankenhausaufenthalt hingegen kann durch eine vorübergehende Stoffwechselumstellung in der Phase der Rekonvaleszenz zu einer TSH-Erhöhung führen.
Weitere Diagnostik
Wurde nun ein erhöhter TSH-Wert festgestellt, ergeben sich je nach TSH-Wert (≤/>10mU/l) und den anamnestischen Angaben unterschiedliche Empfehlungen für die weitere Diagnostik.
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TSH-Wert über dem Referenzwert und ≤10mU/l) und unauffällige Anamnese: Hier sollte eine Wiederholungsmessung des TSH-Wertes durchgeführt werden. Ist dieser im Referenzbereich, ist zunächst keine weitere Diagnostik notwendig. Sollte der Wert weiterhin erhöht sein, wird eine einmalige Bestimmung des fT4-Wertes zur Differenzierung einer latenten respektive manifesten Hypothyreose empfohlen.
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TSH-Wert>10,0mU/l: Neben einer Wiederholungsmessung des TSH-Wertes sollte auch fT4 bestimmt werden.
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TSH-Wert über dem Referenzwert und auffällige Anamnese: Bei dieser Konstellation sollte direkt eine Bestimmung des fT4-Wertes veranlasst werden.
TPO-Antikörper
Bei einer latenten Hypothyreose kann eine einmalige Bestimmung der TPO-Antikörper (TPO-AK) durchgeführt werden, da bei Vorliegen einer Hashimoto-Thyreoiditis das Risiko leicht erhöht ist, dass sich eine manifeste Hypothyreose entwickelt.5 Bei der Entscheidung, ob eine Bestimmung sinnvoll ist, sollte auch bedacht werden, dass dies zu einer Verängstigung bzw. Pathologisierung der Patient:innen führen kann,andererseits aber andere Patient:innen durch die Kenntnis profitieren.
Eine erneute Bestimmung der TPO-AK, die sogenannte „Verlaufskontrolle“, hat keine Auswirkung auf eine therapeutische Entscheidung und sollte nicht erfolgen.
Wurde eine manifeste Hypothyreose diagnostiziert, so hat auch hier die Bestimmung der TPO-AK keine Auswirkung auf die hausärztliche Entscheidung.
Sonografie
Da eine routinemäßige Sonografie der Schilddrüse bei Patienten mit TSH-Erhö-hung keine Auswirkung auf eine Therapieentscheidung hat, sollte diese bei unauffälliger körperlicher Untersuchung nicht erfolgen.6
Therapie der Hypothyreose
Nach Diagnostik einer TSH-Erhöhung sollte, unter Würdigung möglicher Folgeerkrankungen, Wechsel- und Nebenwirkungen, mit den Patient:innen partizipativ über die Einleitung respektive Durchführung einer Therapie gesprochen werden. Liegt eine manifeste Hypothyreose vor, sollte eine Therapie immer erfolgen.7
Zur Substitution bei einer latenten Hypothyreose, die kontrovers diskutiert wird, gibt die Leitlinie folgende individuell zu entscheidende Empfehlungen:7
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Asymptomatische Patient:innen mit leichter TSH-Erhöhung (≤10mU/l) sollten nicht substituiert werden.
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Bei Patienten ≤75 Jahre und einem TSH-Wert >10mU/l sollte eine Therapie eingeleitet werden. Hier kann, je nach Klinik und Patientenwunsch, nach entsprechender Aufklärung bis zu einem TSH-Wert <20mU/l auf eine Therapie verzichtet werden.
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Bei Patienten >75 Jahre kann auf eine Substitution bis zu einem TSH-Wert <20mU/l verzichtet werden.
Therapeutisch sollte bei einer behandlungsbedürftigen Hypothyreose als Monotherapie Levothyroxin (L-Thyroxin) eingesetzt werden.8 Dabei sollte beachtet werden, dass bestimmte Nahrungsmittel, Nahrungsergänzungsmittel und Medikamente die Wirkung des L-Thyroxins beeinflussen (Tab. 3).
Tab. 3: Nahrungsmittel, Nahrungsergänzungsmittel und Medikamente, welche die Wirkung von L-Thyroxin beeinflussen (modifiziert nach der DEGAM-Leitlinie 2023)8
Da bestimmte Lebensmittel (z.B. Milch und Milchprodukte) sowie Nahrungsergänzungsmittel mit L-Thyroxin interagieren, sollte gemeinsam mit den Patient:innen überlegt werden, ob diese eine Einnahme auf nüchternen Magen und mindestens im Abstand von 30 Minuten zu einer Nahrungsaufnahme bzw. zur Einnahme anderer Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel oder eine abendliche Einnahme von dem Zubettgehen bevorzugen.8
Selen-Substitution?
Für einen Nutzen einer ergänzenden Seleneinnahme bei Patient:innen mit Hypothyreose (und Hashimoto-Thyreoiditis) gibt es keine Evidenz.9
Dosierung von L-Thyroxin
Die Therapie mit L-Thyroxin sollte so erfolgen, dass der TSH-Wert im euthyreoten Bereich liegt. Dabei sind die altersspezifischen oberen Referenzwerte und als unterer Referenzwert ein TSH-Wert von 0,4mU/l zu beachten. Die in der Leitlinie formulierten Empfehlungen zur Initialdosis sind in Tabelle 4 dargestellt.10
Tab. 4: Empfehlungen zur Initialdosis L-Thyroxin bei manifester latenter Hypothyreose (modifiziert nach der DEGAM-Leitlinie 2023)10
Die volle Dosis des Ersatzpräparates kann bei jungen Menschen ohne Komorbiditäten gegeben werden. Bei Patient:innen >60 Jahre bzw. solchen mit kardiovaskulären Erkrankungen sollte eine geringere Startdosis gewählt werden und eine Dosisanpassung alle 4 bis 6 Wochen mit einer Steigerung um 25μg L-Thyroxin unter Kontrolle des TSH-Wertes erfolgen.
Bei Patient:innen mit Adipositas kann das sogenannte Normalgewicht, also das geschätzte fettfreie Körpergewicht, zur Berechnung herangezogen werden.11
Aufgrund der Halbwertszeit des L-Thyroxin (7 Tage) empfiehlt sich eine Kontrolle des TSH-Wertes sowohl bei der Ersteinstellung als auch bei Änderung der Dosis frühestens nach 8 Wochen. Hat sich eine Dosis etabliert, sollte der TSH-Wert anfangs alle 6 Monate kontrolliert werden, später reichen Kontrollen 1x jährlich.
Literatur:
S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin e. V. (DEGAM): Erhöhter TSH-Wert in der Hausarztpraxis, 2023. https://register.awmf.org/assets/guidelines/053-046l_S2k_Erhoehter-TSH-Wert-in-der-Hausarztpraxis_2023-07.pdf ; zuletzt aufgerufen am 10. 7. 2024
DEGAM-Leitlinie Erhöhter TSH-Wert in der Hausarztpraxis 2023; Seite 9
DEGAM-Leitlinie Erhöhter TSH-Wert in der Hausarztpraxis 2023; Seiten 28 ff
Mirjanic-Azaric B et al.: The impact of time of sample collection on the measurement of thyroid stimulating hormone values in the serum. Clin Biochem 2015; 48: 1347-9
DEGAM-Leitlinie Erhöhter TSH-Wert in der Hausarztpraxis 2023; Seite 32
DEGAM-Leitlinie Erhöhter TSH-Wert in der Hausarztpraxis 2023; Seiten 33 ff
DEGAM-Leitlinie Erhöhter TSH-Wert in der Hausarztpraxis 2023; Seite 35
DEGAM-Leitlinie Erhöhter TSH-Wert in der Hausarztpraxis 2023; Seite 39
Qui Y et al.: Insufficient evidence to support the clinical efficacy of selenium supplementation for patients with chronic autoimmune thyroiditis. Endocrine 2021; 73(2): 384-97
DEGAM-Leitlinie Erhöhter TSH-Wert in der Hausarztpraxis 2023; Seite 42
Santini F et al.: Lean body mass is a major determinant of levothyroxine dosage in the treatment of thyroid diseases. J Clin Endocrinol Metab 2005. 90(1): 124-7
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