
Störungen der Mutter-Kind-Interaktion bei postpartalen psychischen Erkrankungen
Autorinnen:
DGKP Michaela Schwarz1
Dr. Annemarie Unger2
1 Krankenanstaltenverbund
Gemeinde Wien
2 Abteilung für Sozialpsychiatrie
Universitätsklinik für Psychiatrie
Medizinische Universität Wien
Korrespondierende Autorin:
Dr. Annemarie Unger
E-Mail: annemarie.unger@meduniwien.ac.at
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Die gelungene Mutter-Kind-Interaktion im ersten Lebensjahr bildet die Basis für die psychosoziale Entwicklung und das Beziehungsverhalten des Kindes im späteren Leben. Die psychiatrische Erkrankung der Mutter kompromittiert die Mutter-Kind-Interaktion, da die Sensibilität gegenüber dem Kind durch die Symptomatik beeinträchtigt wird.
Die Interaktion zwischen der Mutter und ihrem Baby beginnt bereits in der Schwangerschaft und wird durch zahlreiche Faktoren beeinflusst. So ist beispielsweise bei einer Schwangerschaft nach dem 4. IVF-Versuch eine andere Ausgangslage vorhanden als bei einer ungewollten unerwarteten Schwangerschaft oder gar nach einer Vergewaltigung. Bedeutend ist zudem, ob ein tragfähiges soziales Netzwerk vorhanden ist, ob die Frau in ihrem Selbstbild eine mütterliche Kapazität findet und ob sie mit sich und ihrem Leben zufrieden ist.
In einer Studie von 250 Mutter-Kind-Paaren zeigten 24% der psychisch gesunden Mütter vs. 45,2% der Mütter mit einer psychiatrischen Erkrankung eine Interaktionsstörung. Die Störung der Interaktion kann eine Regulationsstörung des Säuglings (z.B. exzessives Schreien oder Gedeihstörung) bedingen bzw. die psychosoziale Entwicklung nachhaltig beeinträchtigen.
Bereits der Säugling kommuniziert auf vielfältige Weise mit seiner Umwelt; ausgestattet mit einem Repertoire an Feinzeichen und selbstregulatorischen Kompetenzen teilt er sich und seine Befindlichkeit als „Sender“ dem Gegenüber mit und reagiert auch selbst als „Empfänger“ auf Mitteilungen des Gegenübers. Aufseiten des Gegenübers, das im kommunikativen Wechselspiel ebenfalls mal „Sender“, mal „Empfänger“ ist, sollen die Signale des Säuglings erwartbare, prompte und adäquate Reaktionen auslösen. Blickt z.B. der Säugling mit rosiger Haut, gleichmäßiger Atmung und aufmerksamem Blick seine Mutter direkt an, erwarten wir andere Reaktionen bei der Mutter, als wenn der Säugling blass-marmoriert ist, ruckartige Bewegungen macht, angespannte Gliedmaßen hat, schmatzt, seinen Kopf hin und her wendet oder gar schon schreit. In der frühen Kommunikation zwischen Mutter und Kind können intuitive elterliche Kompetenzen beobachtet werden, die auch auf vorsprachlicher Ebene den Säugling in seiner Entwicklung wesentlich unterstützen, indem sie ihm die affektiv-integrative Verhaltensregulation erleichtern, seine frühen Erfahrungen strukturieren und seine sich entwickelnden Fähigkeiten unterstützen.
Das Gelingen der Kommunikation zwischen Mutter und Kind kann durch unterschiedlichste Faktoren, sowohl aufseiten des Säuglings als auch aufseiten der Mutter, beeinflusst oder auch gestört werden. Die rührenden Feinzeichen eines Frühgeborenen z.B. können Sorgen und Ängste der Mutter verstärken, wohingegen die Feinzeichen eines „unersättlich“ wirkenden Säuglings im neonatalen Entzug die Mutter überreizen und zu ärgerlichen Reaktionen führen könnten. Hier lässt sich schon erahnen, welch große Tragfähigkeit das Repertoire an intuitiven elterlichen Kompetenzen in seiner Grundausstattung oft benötigt, um die Bedürfnisse eines Säuglings in seiner Gesamtheit angemessen zu beantworten.
Von der Mutter erwarten wir in der Interaktion mit ihrem Kind ein auf die Bedürfnisse des Kindes fein abgestimmtes Angebot. Beobachtbare Merkmale sollten z.B. Bemühung um Blickkontakt, melodische Stimmführung, angemessene Regulation von Nähe und Abstand und Verwendung der „Ammensprache“ u.Ä. sein. Die Mutter sollte sich zeitlich, räumlich, emotional, inhaltlich und kommunikativ mit dem Säugling abstimmen können. All diese elterlichen Fähigkeiten der Mutter werden von ihrer eigenen Lebensgeschichte, ihren Vorbelastungen, früheren Bindungserfahrungen und ihrer Mentalisierungsfähigkeit beeinflusst. Aber auch wie hilfreich sie selbst durch ihr Umfeld in ihren eigenen Bedürfnissen unterstützt wird, kann sich bedeutsam auf die Mutter-Kind-Interaktion auswirken.
Für die gelungene Mutter-Kind-Interaktion sind mehrere Dimensionen ausschlaggebend:
-
Empfänglichkeit = offen für Anregungen und Eindrücke
-
Bereitwilligkeit = Schnelligkeit, Unverzüglichkeit
-
Angemessenheit
-
Vermeidung von Intrusivität
-
Positiver/negativer Affekt
Spezifische Krankheitsbilder und deren mögliche Auswirkung auf die Interaktion
Peripartale Depression
Etwa 10% der Mütter erkranken an einer peripartalen Depression, welche gekennzeichnet ist durch Freudlosigkeit, negativen Affekt und Antriebslosigkeit. Für die Mutter-Kind-Interaktion fehlt häufig die nötige Empfänglichkeit, es fehlt an der maternalen Reaktion und Reaktivität. Vermehrt ist ein negativer Affekt vorhanden, es fehlt die Affizierbarkeit, die Fähigkeit, emotional mit dem Gegenüber mitzuschwingen. Zudem fehlt die Flexibilität als Reaktion auf die Affektzustände des Kindes. Betroffene klagen über fehlende Energie, es fällt ihnen schwer, die kindlichen Bedürfnisse prompt zu befriedigen. Aufgrund der Antriebsschwäche kann es vorkommen, dass Betroffene den ganzen Tag im Bett verbringen möchten, es fehlt ihnen außerdem die Freude an der Interaktion mit dem Kind. Inhaltlich finden sich häufig Insuffizienzgefühle und aggressive Zwangsgedanken, welche sich auf das Kind fokussieren können und zu einem Vermeidungsverhalten führen.
Angststörung und Zwangsstörung
Bei Angststörung und Zwang kann es mitunter zu einer Verstärkung der von physiologischer Seite her entstandenen Hypervigilanz kommen. Betroffene Mütter haben häufig Ein- und Durchschlafstörungen und stellen hohe Ansprüche an sich und die Umgebung (Perfektionismus). Sie neigen dazu, vermehrt Dinge kontrollieren zu wollen, z.B. durch Vitalkontrollen („Atmet das Baby noch?“), und sind durch eine starke innere Unruhe in einem Hyperarousal. Dies kann zu einem Verhalten der sogenannten überfürsorglichen „Helikopter-Mutter“ führen, welche allgegenwärtig ist, zu Intrusivität neigt und damit auch Autonomie-Bestrebungen des Kindes verhindert. Auch hier können Zwangsgedanken auftreten, z.B. dem Kind könnte ein Schaden passieren bzw. ich könnte dem Kind einen Schaden zufügen. Diese sind zumeist ein Ausdruck von chronischer Erschöpfung und/oder unterdrückter Aggression.
Postpartale Psychose
Die postpartale Psychose ist selten und betrifft etwa 1 von 1000 Geburten. Es handelt sich hierbei um ein schweres Erkrankungsbild, das innerhalb der ersten 2 Wochen nach der Geburt auftreten kann. Betroffene zeigen ein „mosaikartiges“ Zustandsbild mit Ein- und Durchschlafstörung, delirähnlichen Schwankungen, der Antrieb ist häufig erhöht, es entstehen bizarre Ideen. Bedingt durch die teils fehlende Realitätsprüfung, ist häufig eine Trennung von Mutter und Kind notwendig. Die Interaktion ist in der akuten Phase durch Überforderung, Reizüberflutung und erhöhte Anspannung nicht möglich und das stellt mitunter eine potenzielle Gefahr für die Sicherheit des Kindes dar. Im Verlauf entwickeln 50% der Betroffenen eine bipolare Erkrankung.
Schizophrenie
Etwa 50% aller an Schizophrenie erkrankten Frauen werden Mütter. Von diesen erhalten etwa 50% die Obsorge für ihre Kinder. Der Schweregrad der Erkrankung korreliert mit der Qualität der Mutter-Kind-Interaktion. Sowohl Positivsymptomatik (z.B. Halluzinationen, Wahn) als auch Negativsymptomatik (z.B. Antriebslosigkeit, fehlende Vitalität, Affektstarre) kann sich ungünstig auf die Interaktion auswirken. Positivsymptome können eine Feindseligkeit gegenüber dem Baby bedingen, während Antriebslosigkeit zu fehlender Aufmerksamkeit gegenüber dem Baby führen kann. Es kann zu Überforderung kommen, wenn kognitive Beeinträchtigungen vorliegen (z.B. Unfähigkeit, die Aufmerksamkeit zu teilen, zu priorisieren). Reizüberflutung durch das quengelige Baby oder Verschwimmen der Ich-Grenze zwischen Mutter und Kind stellen weitere Herausforderungen dar. Mütter mit Schizophrenie brauchen häufig intensive Unterstützung bzw. kommt es oft zu einer Involvierung der Kinder- und Jugendhilfe.
Bei Vorliegen einer Interaktionsstörung kann die Behandlung der psychiatrischen Symptomatik der Mutter eine Besserung der Qualität der Interaktion bewirken. Dennoch gibt es Interaktionsstörungen, die persistieren und deren Behandlung ein hohes Ausmaß an Spezialisierung erfordert. Der Säugling kann sich bis zu einem gewissen Grad selbst beruhigen, z.B. indem er sich irgendwo festhält, die Hände zusammenführt oder an einem Schnuller oder seinem Daumen saugt. Die Fähigkeit zur Selbstregulation ist bei den Säuglingen unterschiedlich stark ausgeprägt, davon abhängig werden die Mütter unterschiedlich stark herausgefordert. Bei Unruhe, die über seine selbstregulatorischen Versuche hinausgeht, benötigt der Säugling ein Gegenüber, das ihm beim Beruhigen hilft und Co-Regulation anbietet. Die Mutter sollte nun also den Affekt des Kindes wahrnehmen, containen und beantworten können. Dies erfordert aufseiten der Mutter hohe Kompetenzen auch in der Regulation eigener Affekte und Spannungszustände. Mithilfe der Ainsworth-Feinfühligkeitsskala erfassen wir die Dimensionen der Wahrnehmung, die Interpretation des kindlichen Verhaltens, angemessene Reaktion und Promptheit der Reaktion und erheben so einen eventuellen Unterstützungsbedarf. Dieser kann in der Weitergabe sachlicher Informationen ausreichend erfüllt sein oder auch längere interaktionsergänzende Begleitung bedingen. Die Auswahl der unterstützenden Maßnahmen orientiert sich z.B. auch am Grad der Mentalisierungsfähigkeit der Mutter – je ausgeprägter hier die Defizite sind, desto restriktiver und engmaschiger erfolgen die Maßnahmen in der Unterstützung der Erziehung.
Hilfreiche Interventionen müssen immer individuell auf die Bedürfnisse des Mutter-Kind-Paares abgestimmt werden, nicht alles ist für jeden gleich hilfreich. Hautkontakt z.B. kann bei manchen Müttern mit unangenehmen Erfahrungen verknüpft sein und wie ein Trigger zusätzliche Störungen auslösen. Bei jeglicher Intervention, aber insbesondere bei stationärer Aufnahme ist darauf zu achten, dass die Mutter in ihren Kompetenzen gestützt wird. Eventuelle Insuffizienz- und Schuldgefühle der Mutter drohen durch die Vermittlung des Eindrucks, das Personal gehe im Gegensatz zu ihr selbst adäquater mit dem Säugling um als sie selbst, verstärkt zu werden.
Eventuelle psychiatrische Diagnosen werden als wertvolle Information erachtet und fließen in die Interpretation der Interaktionsbeobachtung mit ein, sind aber in den allermeisten Fällen nicht per se aussagekräftig genug, um daraus schließen zu können, wie diese Mutter sich diesem Säugling gegenüber verhalten wird und ob eine räumliche Trennung zwingend notwendig sein wird.
Quelle:
Dieser Beitrag basiert auf einem Vortrag der Autorinnen bei der ÖGPP-Jahrestagung 2024.
Literatur:
bei den Verfasserinnen
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