Klimawandel: Fieberkurve am Anschlag!
Bericht:
Sabine Mack
„Wenn ein Kind Fieber hat, warten wir in der Regel nicht ab, ob es mit einer Wahrscheinlichkeit von 66% unter einem letalen Niveau bleibt, sondern handeln sofort.“ So prägnant bringen es Forschende im Rahmen der Studie „A medical language for climate discourse“ auf den Punkt, warum es höchste Zeit ist, auf die immensen Klimaveränderungen zu reagieren, und das auf effektive Art und Weise.1
Das Themenfeld Klimawandel ist deutlich vielschichtiger als eine zu erwartende Zunahme bestimmter Hautkrebsarten durch höhere UV-Bestrahlung. Extremwetterereignisse wie die Überschwemmungen im Sommer 2024 bringen z.B. auch ein erhöhtes Infektionsrisiko gegenüber pathogenen Keimen in den betroffenen Gebieten mit sich.
Die Komplexität des Themas scheint vielen Menschen den Zugang zu erschweren. Hier kann es helfen, den Klimawandel unter dem Blickwinkel des eigenen Tätigkeitsfeldes, der Hautgesundheit, zu betrachten. Denn so zeigt sich, wie nahezu jeder in individueller Art und Weise von den Folgen betroffen sein kann. Im Folgenden nehmen wir daher exemplarisch konkrete gesundheitliche Risiken in den Blick, die sich insbesondere im Kontext der Hautgesundheit ergeben.
Höhere Temperaturen
Im Jahr 2023 mussten in Österreich 4400 Menschen aufgrund extremer Hitze und Sonnenbelastung medizinisch behandelt werden. In 9 von 10 Fällen wurden ein Hitzschlag oder Sonnenstich diagnostiziert. Dabei berichtet die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) für Österreich von einer massiven Zunahme der Hitzetage:2 Das Jahr 2023 markierte das wärmste Jahr in der 257-jährigen Temperatur-Messgeschichte in Österreich. Bis zu 40 Hitzetage sind es heuer in einem durchschnittlichen Jahr, weitere Steigerungen werden erwartet.
Beispiele für Gesundheitsrisiken
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Pruritus: Starkes Schwitzen kann bei Patient:innen mit vorhandenen Hauterkrankungen, die bereits unter einem starken Juckreiz leiden, wie z.B. bei der atopischen Dermatitis, häufig zu einer Verschlechterung der Symptomatik führen und die Lebensqualität weiter verschlechtern.
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Infektionen und Intoxikationen:2 Milde Winter begünstigen bereits im Frühjahr eine hohe Dichte und Aktivität heimischer Zeckenarten. Besonders bedeutsam im Zusammenhang mit Infektionsrisiken im Rahmen klimatischer Veränderungen sind Zecken, wie z.B. der Holzbock (Ixodes ricinus).
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Starkes Schwitzen: Auch für Patient:innen, die unter einer Fehlfunktion der Schweißdrüsen leiden, wie z.B. bei Hyperhidrose, ist bei deutlich steigenden Temperaturen eine Verschlechterung der Lebensqualität wahrscheinlich.
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Chronisch Kranke: Unter Hitzebelastungssymptomen wie Kreislaufstörungen, Kopfschmerzen, Schwindel, Fieber und Erschöpfung leiden besonders ältere Menschen und Menschen mit chronischen Vorerkrankungen. 3
UV-Strahlen und Hautkrebs
Zu den essenziellen, direkten Folgen gehört die zunehmende UV-Belastung. Hierunter leiden insbesondere Außenbeschäftigte, Ältere und Kinder, aber auch Menschen, die ihre Freizeit viel draußen verbringen. Ultraviolette (UV) Strahlung und der individuelle Hauttyp sind dabei essenzielle Risikofaktoren für fast alle Arten von Hautkrebs. In Österreich soll die Zahl der an Hautkrebs Erkrankten zwischen 2014 und 2030 um 73% von 19400 auf 33700 ansteigen.4
Beispiele für Gesundheitsrisiken
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Aktinische Keratose: Eine der häufigsten Hautkrebsvorstufen ist die aktinische Keratose.4 Das Risiko steigt mit steigendem Alter und hellem Hauttyp. Männer sind häufiger betroffen als Frauen, auch weil die Kopfhaut zu den häufigen Lokalisationen gehört. Ungeschützte Glatzen oder lichte Haartracht bei Männern im höheren Alter bieten dabei ein „perfektes Einfallstor“.
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Kinderaugen: Auch die Augen von Kindern sind durch Sonnenstrahlen besonders gefährdet:4 Die klaren Linsen von Heranwachsenden lassen UV-Strahlung ungefiltert auf die Netzhaut treffen. Eine hohe Sonnenbelastung in jungen Jahren gilt als starker Risikofaktor, später weißen und schwarzen Hautkrebs u.a. an den Augenlidern zu entwickeln. Hohe UV-Strahlung kann außerdem bei Kindern besonders leicht photochemische Schäden an Proteinen der Augenlinse auslösen, die deren Eintrübung und damit die Entstehung des grauen Stars fördern.5
Extremwetterereignisse
Neben Hitzewellen und damit potenziell verbundenen Brandkatastrophen ist eine Beschleunigung des Wasserkreislaufes inklusive einer Erhöhung der Niederschlagsmengen eine der besonders relevanten Folgen des Klimawandels.2 Im Sommer 2024 konnten wir in Österreich anhand der Überschwemmungen anschaulich sehen, was hier künftig vermehrt auf uns zukommen kann.
Beispiele für Gesundheitsrisiken
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Pilze: Pilzerkrankungen werden nach Klimakatastrophen häufiger, während Infrastrukturen und Ressourcen zur Diagnose in den nach Naturkatastrophen überforderten Gesundheitssystemen oft fehlen:6Durch die Katastrophen selbst können Sporen verteilt werden. Winde oder Waldbrände führen dazu, dass sie freigesetzt und stärker verteilt werden. Zusätzlich kann es infolge von solchen Katastrophen bei den Menschen vor Ort zu Traumata und Verletzungen kommen, die anfälliger für eine Infektion machen. Häuser können durch Flutungen wiederum zum Habitat für Pilze werden, welche krank machen können.
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Wasserqualität: Der Kontakt mit verunreinigtem Wasser bringt ein erhöhtes Risiko für Infektionen durch pathogene Erreger.2 Eine zeitweise Verschlechterung der Wasserqualität vor Ort nach einer Überschwemmung bspw. und der dadurch erschwerte Zugang zur ärztlichen Versorgung – ggf. sogar der zeitweise Verlust der notwendigen eigenen Medikamente und die mangelnde Möglichkeit für Nachschub vor Ort — belasten dabei Menschen mit chronischen Erkrankungen und entsprechenden hygienischen Bedürfnissen besonders stark.
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Allergische Reaktionen:2 Im Zuge einer milderen Witterung kommt es zu einem früheren Beginn und einem späteren Ende des Pollenflugs.Gleichzeitig hat Klimawandel v.a. durch seine direkten Effekte wie steigende Temperaturen, Regenmengen und Co2-Anteile in der Luft auch Auswirkungen auf Pollenkonzentration und Pollenallergenität. Hausstaub- und Vorratsmilben sind sehr von der sie umgebenden Luftfeuchtigkeit abhängig. Bei künftig möglichen wärmeren Wintern könnten sie von einer geringeren Notwendigkeit zu heizen profitieren, da dies in abgedichteten Wohnungen zu einer höheren Luftfeuchtigkeit führt. Schimmelpilze wiederum profitieren von einer erhöhten CO2-Konzentration. Parallel dazu verstärkt sich das Risiko für „eingeschleppte Arten“ (Neophyten) mit hohem Allergenpotenzial, wie z.B. Am-brosia. Und auch bei tierischen Allergenen ist eine vergleichbare Entwicklung möglich, z.B. durch Insektengiftallergien aufgrund aggressiver bisher in Europa (noch) nicht heimischer Arten und einer möglichen Verstärkung der Wespenpopulation hierzulande.
Individuelle Lebensqualität und Leistungsfähigkeit
Ausreichend intensive Bewegung und Sport gelten als niederschwelliger und wirksamer Ansatz zur Gesunderhaltung im Allgemeinen und zur Prävention zahlreicher physischer und psychischer Erkrankungen. Aber gerade der Sport und auch andere Freizeitaktivitäten mit einem ausreichend intensiven Bewegungsausmaß draußen wie drinnen werden künftig unmittelbar von den negativen gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels betroffen sein.7
Beispiele für Gesundheitsrisiken
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Lebensqualität: Patient:innen, die aufgrund von Hauterkrankungen unter erheblichen Abstrichen bei ihrer „quality of life“ leiden, sind zusätzlichem Stress ausgesetzt, was bei chronisch Kranken, die durch ihre Erkrankung bereits eine verminderte Lebensqualität zeigen, wie z.B. bei AD und Psoriasis, die mentale und auch körperliche Leistungsfähigkeit einschränken kann.6
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Bewegung bei Hitze: Wichtige Themen bei körperlicher Aktivität draußen, aber auch bei Sommersport in geschlossenen Räumen (Verein, Fitnessstudio etc.), sind z.B. Hitzebelastung und die damit verbundenen gesundheitlichen Risiken.2
Bedrohung für die Wintersportnation Österreich
Der Alpenraum ist besonders stark vom Klimawandel betroffen. Anpassungen an den Klimawandel sind erforderlich, um klimabedingte Risiken zu bewältigen und die Auswirkungen des Klimawandels zu bewältigen:8 In einigen Alpenländern gibt es zwar nationale Anpassungsstrategien, aber die Umsetzung wird durch mehrere Hindernisse behindert: Regionale Anpassungsstrategien und Aktionspläne entstehen gerade erst, Anpassung ist kaum auf die lokale Agenda eingepflegt, und das Mainstreaming der Politik ist auf allen Ebenen begrenzt. Governance spielt eine Schlüsselrolle beim Übergang von Anpassungsstrategien zur Umsetzung in der Praxis, aber es fehlen in allen Ländern Kapazitäten für eine mehrstufige, sektorübergreifende Steuerung von Anpassungsprozessen. Adäquate Governance-Designs und -Modelle fehlen meist noch oder sind nicht funktionsfähig.
Es lohnt sich, werden wir aktiv!
Neben Überschwemmungen und Waldbränden gehören zu den Folgen einer Zunahme an Extremwetterereignissen abtauende Gletscher und Permafrostgebiete, Bergstürze, Steinschläge, plötzlich auftretende Gletscherspalten und Großlawinenlagen,5 Herausforderungen, die insbesondere für eine Urlaubs- und Sportnation wie Österreich wirtschaftlich bedrohlich sind. Gleichzeitig gibt es viele Ansatzpunkte „direkt vor Ort“, um aktiv zu werden: Der Gesundheitssektor ist für ca. 7% des CO2-Ausstoßes in Österreich verantwortlich. Österreich hat nun als eines der ersten europäischen Länder neben England und Frankreich eine „Strategie für ein klimaneutrales Gesundheitswesen“ erarbeitet. Sie enthält Maßnahmen für alle klimarelevanten Handlungsfelder:9,10 Dazu zählen etwa nachhaltige Beschaffungskriterien, wiederverwendbare Medizinprodukte, die Optimierung von Verpackungsgrößen bei Medikamenten, Sanierung von Gebäuden, Ernährungssystem und Energieversorgung oder das Abfallmanagement. Ordinationen und Kliniken hierzulande stehen also vor zusätzlichen großen Anforderungen, die Patientenversorgung an die Auswirkungen des Klimawandels anzupassen und gleichzeitig die eigene Praxisorganisation klimafreundlich zu gestalten.
Wie unsere Sprache die Wahrnehmung verändert
Die Studie „A medical language for climate discourse“ zeigt, dass die bisherige wissenschaftliche Kommunikation rund um den Klimawandel häufig missverstanden wird oder nicht die nötige Dringlichkeit vermittelt:1 Dies liege an der oft technikaffinen Sprache, die von Klimaforschenden gerne verwendet wird. Eine solche Sprache trage zwar wissenschaftlichen Grundsätzen von Zurückhaltung und Bescheidenheit Sorge, sei aber auf kommunikativer Ebene eher hinderlich. Die versteckten Implikationen erschweren es Nichtexperten, die Schwere der Krise zu begreifen. Durch die Verwendung medizinischer Begriffe könnten Klimafragen in einem fachlichen Kontext dargestellt werden, der lebensrettende Maßnahmen betont. Beispielsweise wäre es denkbar, klimatische Kipppunkte als „Metastasen“ zu umschreiben, was eine ernstere und dringlichere Reaktion hervorrufen könne.
Lesetipp
Mit Klimawandel und den gesundheitlichen Folgen beschäftigt sich z.B. „Gesundheitsrisiko Klimawandel. Neue Herausforderungen für Sport, Beruf und Alltag.“ Herausgegeben von Sven Schneider, 1. Aufl. 2024, erschienen im Hogrefe Verlag Göttingen, ISBN: 9783456962863. Einige der benannten Gesundheitsrisiken werden hier anschaulich beschrieben und Lösungsansätze aufgezeigt.
https://www.hogrefe.com/de/shop/gesundheitsrisiko-klimawandel.html?type=dg
Literatur:
1 Forgács B: A medical language for climate discourse. Front Clim 2024. Climate and Decision Making. Volume 6, 2024; https://doi.org/10.3389/fclim.2024.1384753 (letzter Zugriff: 2.10.2024) 2 Schneider S.: Gesundheitsrisiko Klimawandel. Neue Herausforderungen für Sport, Beruf und Alltag. 1. Aufl. 2024, Göttingen: Hogreefe Verlag 3 Pressemitteilung: „ÖGK-Gesundheitsbarometer: Hautgesundheit. Schmieren, meiden und kleiden: Der gesunde Umgang mit Sommersonne“, Österreichische Gesundheitskasse, Juni 2024 4 Prognose der Krebsprävalenz bis 2030. Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Klimaschutz, Juli 2023 5 Kinderaugen: Frühe Sonnenschäden zählen doppelt schwer – Tipps für den richtigen UV-Schutz. Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft, Stuttgart, 2024 6 Seidel D et al.: Impact of climate change and natural disasters on fungal infections. Lancet; online veröffentlicht im März 2024 (letzter Zugriff: 8.10.2024) 7 Schneider S, Leer S: Sport und Klimawandel – Welche Folgen hat der Klimawandel für den Sport? Gesundheitswesen 2022; 84(08-09): 832-833. Published online 2022 8 Mapping gouvernace of adaption to clima change in the alpine space. European regional development fund: https://www.wsl.ch/gov-vis-cca/ (letzter Zugriff: 9.10.2024) 9 Klimaneutrales Gesundheitswesen: Österreich als Vorreiter. Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie. Juni 2024; https://www.bmk.gv.at/service/presse/gewessler/2024/0711_klimaneutral_gesund.html (letzter Zugriff: 9.10.2024) 10 Gesundheitswesen: Österreich strebt Klimaneutralität bis 2040 an. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs, Juni 2024; https://www.gesundheit.gv.at/news/aktuelles/aktuell-2024/klimaneutrales-gesundheitswesen.html , letzter Zugriff: 9.10.2024
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