Mycoplasma genitalium, Chlamydien, Syphilis
Bericht:
Dr.med. Lydia Unger-Hunt
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Sexuell übertragbare Infektionen sind weltweit im Ansteigen begriffen, was die Resistenzproblematik verschärft. Dass ein Screening asymptomatischer Personen nicht unbedingt die optimale Vorgehensweise sein muss, zeigt sich am Beispiel der Chlamydien. Und cave Syphilis: Hier gibt vor allem der Anstieg der Zahl an mütterlichen Infektionen Grund zur Besorgnis.
Es dauerte ganze 36 Jahre von der Identifizierung des Mycoplasma genitalium (MG) als neue Art im Jahr 1983 bis zum 2019 erstmals verfügbaren Test, leitet Dr. med. Clarissa Vergunst vom Zentrum für Sexuelle Gesundheit in Amsterdam ihren Vortrag ein.
Nichtgonorrhoische Urethritis und postkoitale Blutungen
MG benötigt die Endothelzellen im Urogenitaltrakt als Wirtszellen für Überleben und Replikation und die Infektion mit MG ist eine sexuell übertragbare Krankheit (STD) mit hoher Prävalenz: In den Niederlanden beispielsweise war MG an zwei STD-Kliniken für rund 13,8% aller urogenitalen/analen Infektionen verantwortlich; am häufigsten waren Männer betroffen, die Sex mit Männern haben (MSM).1 Die Konkordanz ist hoch – bei Vorliegen einer Infektion sind 40–50% der aktuellen Sexualpartner:innen ebenfalls betroffen –, der natürliche Verlauf ist unbekannt, man weiss jedoch von spontanen Heilungen, und 90% der Infektionen sind asymptomatisch, berichtet Dr. Vergunst. Liegen Symptome vor, dann bei Männern als Ausfluss aus der Harnröhre mit Schmerzen beziehungsweise Brennen, entsprechend einer nichtgonorrhoischen Urethritis (NGU). Bei Frauen ist eine MG-Infektion mit Zervizitis assoziiert, die sich durch postkoitale Blutungen bemerkbar machen kann.
Die Behandlungsmöglichkeiten sind «sehr eingeschränkt: MG hat keine Zellwände, dagegen ausgerichtete Antibiotika sind also wirkungslos». Die therapeutischen Optionen sind daher auf Makrolide oder Fluoroquinolone beschränkt, die sich gegen die DNA- bzw. RNA-Proteinsynthese richten; Tetrazykline können zur Reduktion der Keimbelastung zum Einsatz kommen. Eine Antibiotikaresistenz scheint relativ rasch aufzutreten, «was verständlich ist: Das Mycoplasma hat ein nur sehr kleines Genom, und damit ist auch die Wahrscheinlichkeit höher, dass eine Mutation eines der zwei für die Resistenzentwicklung relevanten Gene trifft. Zudem fehlt diesem primitiven Bakterium ein DNA-Reparaturmechanismus», erklärt Clarissa Vergunst. In den Niederlanden sind bereits zwei Drittel der MG gegen Makrolide resistent.2
Zur Behandlung empfehlen die meisten Guidelines Azithromycin über fünf Tage, Moxifloxacin für sieben bis zehn Tage oder Doxycyclin über sieben Tage, entweder zusammen mit oder gefolgt von Azithromycin oder Moxifloxacin.2 Aus Kanada stammt die Empfehlung, bei Therapieversagen nach zwei Antibiotikazyklen das Konsil eines Spezialisten einzuholen.2
Ob ein Screening für MG bei Frauen sinnvoll wäre, ist noch unbekannt: Es gibt keine klare Assoziation mit Symptomen und die Rolle unerwünschter Schwangerschaftsoutcomes sowie von Tubeninfertilität «ist ebenfalls noch unbekannt – die Datenlage zu MG ist also insgesamt immer noch mangelhaft», schliesst Dr. Vergunst.
Chlamydien-Update: Paradigma des asymptomatischen Screenings
Auch zum Chlamydien-Screening ist die Diskussion noch nicht abgeschlossen, so Dr. med. Marja Oldhoff vom University Medical Center Groningen. Infektionen mit Chlamydien sind die weltweit häufigste bakterielle sexuell übertragbare Infektion (STI), die Mehrheit der Fälle (70–95%) verläuft asymptomatisch, ein Screening «scheint also unerlässlich für den Nachweis, die Behandlung und auch die Prävention von Folgekrankheiten».3 An erster Stelle der Screening-Ziele steht dabei das Vermeiden von Komplikationen wie Adnexitis oder Beckenentzündung (‹pelvic inflammatory disease›, PID) mit nachfolgender Tubenpathologie und den daraus möglichen Folgen wie chronischen Beckenschmerzen, Extrauteringravidität (EUG) oder Infertilität.
Entsprechende Leitlinien sind zwar länderspezifisch, generell wird aber empfohlen, junge Frauen und Jugendliche unter 25 Jahren zu testen, so Dr. Oldhoff; manche Leitlinien empfehlen zudem ein Screening von Schwangeren, von Frauen vor Setzen eines Intrauterinpessars und von Personen, die in der Sexindustrie arbeiten.3 Die CDC Guidelines 2021 (‹U.S. Center for Disease Prevention and Control›) empfehlen ein jährliches Screening bei sexuell aktiven Frauen unter 25 Jahren sowie bei Frauen über 25 Jahre mit erhöhtem Risiko.3 Ein Testen von Männern sollte zudem in klinischen Settings mit hoher Prävalenz (z.B. STI-Kliniken) oder bei Populationen mit hoher Infektionslast, wie MSM, erwogen werden, ergänzt Dr. Oldhoff; Partner von positiven Frauen sind ebenfalls immer zu testen und zu behandeln.
EU: trotz Screening 16% mehr Fälle
Ob durch das Screening allerdings die Zahl der Chlamydieninfektionen selbst gesenkt werden kann, scheint mittlerweile fraglich: Laut einer australischen Studie führt etwa ein opportunistisches Screening junger Erwachsenen in der Allgemeinpraxis zu nur geringen Änderungen der Prävalenz.4 In der EU blieb der gewünschte Effekt verschiedenster Screening-Programme ebenfalls aus, im Gegenteil: Die Raten an bestätigten Fällen nahmen seit 2012 um 16% zu.5
Kann ein Screening asymptomatischer Personen zumindest die Komplikationen reduzieren? Einer aktuellen niederländischen Studie an mehr als 5000 Frauen zufolge eher nicht, denn das Risiko für PID, EUG und tubare Infertilität ist bei symptomatischer Chlamydieninfektion zwar verdoppelt, aber bei asymptomatischer Chlamydieninfektion auf demselben Niveau wie bei nicht mit Chlamydien infizierten Frauen.6 Und: Entgegen häufigen Annahmen haben Frauen mit Chlamydieninfektion die gleiche Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden, wie Frauen ohne bekannte Infektionen – nur die Zeit bis dahin kann verlängert sein.7
Ebenfalls zu berücksichtigen sind die mit der Behandlung asymptomatischer Infektionen assoziierten Probleme, so Dr. Oldhoff: Dazu zählen eine mögliche Resistenzentwicklung, Nebenwirkungen, Kosten, aber auch die psychologische Belastung etwa aufgrund der Angst, unfruchtbar zu sein (obwohl diese bei Symptomfreiheit unbegründet ist).8,9 Ebenfalls wichtig ist die Tatsache, dass Chlamydien in rund 50% der Fälle spontan abheilen.10 «Insgesamt ist die Debatte also noch in vollem Gange.» In den Niederlanden wurde das Screening auf asymptomatische Chlamydien in der öffentlichen Gesundheitsversorgung beendet, «es bleibt allerdings weiterhin wichtig, symptomatische Erkrankungen frühzeitig zu erkennen und gleichzeitig Interventionen wie den Kondomgebrauch nach wie vor zu fördern», betont die Expertin.
Syphilitische Herausforderungen: Resistenzen, Klinik, Behandlung
Zwei besorgniserregende Beobachtungen bezüglich der Syphilis beziehungsweise Neurosyphilis konstatiert Univ.-Prof. Dr. med. Nicolas Dupin von der Universität Paris Cité. Erstens war sowohl in Europa als auch in den USA 2022 ein starker Anstieg der Fälle um 41% im Vergleich zu 2018 zu beobachten, laut ECDC-Bericht 2022 (‹European Centre for Disease Prevention and Control›).11 Zweitens stieg die Rate mütterlicher Syphilis in den USA zwischen 2016 und 2022 um 222%, was vor allem für das Kind Folgen haben kann: bei einer intrauterinen Infektion im zweiten Trimester etwa Enzephalitis und Tod.12,13
Auch in weiteren Bereichen sind Probleme festzustellen. So sind bereits mehr als 70% der Stämme in Frankreich resistent gegen Makrolide.14 Zudem kann die Diagnose herausfordernd sein, da bei der Erstmanifestation des Schankers wirklich typische Merkmale fehlen, so Prof. Dupin. Das heisst im Umkehrschluss: «Jede genitale Schleimhautulzeration ist Syphilis, bis zum Beweis des Gegenteils.»15 20% der Infizierten entwickeln Sekundärsyphilis, von Prof. Dupin poetisch als «grosser Imitator» beschrieben, da alle Organe betroffen sein können: Augen, Haut, Knochen, Lymphknoten, Nieren, Genitalien, Gehirn. Zwei praktische Tipps des Dermatologen: Differenzialdiagnostisch ist Herpes sehr schmerzhaft, ein syphilitischer Schanker ist hingegen völlig schmerzfrei. Und: Manchmal sind Läsionen in der oralen Mukosa der einzige Hinweis, «in solchen Fällen ist unverzüglich eine Serologie anzufordern». Aber cave: Diese kann falsch negativ sein, im Zweifelsfall ist daher auch eine Biopsie (bei Läsionen) oder eine PCR anzufordern.
Eine Neurosyphilis wiederum kann auch in asymptomatischen Frühstadien auftreten, «dass dies nur bei später Syphilis auftritt, ist falsch».16 Die derzeitige Behandlung wird ausschliesslich mit Penicillin durchgeführt: eine intramuskuläre Injektion von 2,4 Mio. Einheiten Benzathin-Penicillin G (BPG) bei früher Syphilis beziehungsweise drei Injektionen an den Tagen 1, 8 und 15 bei später latenter kardiovaskulärer oder gummatöser Syphilis.17 Bei Frühsyphilis in der Schwangerschaft werden zwei Injektionen an Tag 1 und 8 empfohlen, «obwohl keine gute Evidenz für die Sinnhaftigkeit der zweiten Injektion vorliegt». Zum Schluss noch eine gute Nachricht: Aufgrund der ausschliesslichen Behandlung mit Penicillin waren «dringend» Alternativen erforderlich, und für Ceftriaxon konnten Prof. Dupin und Kolleg:innen diese Effektivität bereits nachweisen.18
Quelle:
Session „STI Screening“ am 26. September 2024, EADV 2024, Amsterdam
Literatur:
1 Hetem DJ et al.: High prevalence and resistance rates of Mycoplasma genitalium among patients visiting two sexually transmitted infection clinics in the Netherlands. Int J STD AIDS 2021; 32(9): 837-44 2 Jensen JS, Unemo M: Antimicrobial treatment and resistance in sexually transmitted bacterial infections. Nat Rev Microbiol 2024; 22: 435-50 3 Smith AC et al.: At-home specimen self-collection as an additional testing strategy for chlamydia and gonorrhoea: a systematic literature review and meta-analysis. BMJ Glob Health 2024; 9: e015349 4 Hocking JS et al.: Population effectiveness of opportunistic chlamydia testing in primary care in Australia: a cluster-randomised controlled trial. Lancet 2018; 392(10156): 1413-22 5 European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC): Chlamydia: Annual Epidemiological Report for 2022. ECDC 2022; verfügbar unter https://www.ecdc.europa.eu/sites/default/files/documents/CHLAM_AER_2022_Report.pdf (zuletzt aufgerufen am 4.12.2024) 6 Alexiou ZW et al.: Reproductive tract complication risks following Chlamydia trachomatis infections: a long-term prospective cohort study from 2008 to 2022. Lancet Reg Health Eur 2024; 45: 101027 7 Hoenderboom BM et al.: Pregnancies and time to pregnancy in women with and without a previous chlamydia trachomatis infection. Sex Transm Dis 2020; 47(11): 739-47 8 Van Bergen JEAM et al.: Where to go to in chlamydia control? From infection control towards infectious disease control. Sex Transm Infect 2021; 97(7): 501-6 9 De Wit GA et al.: Chlamydia screening is not cost-effective at low participation rates: evidence from a repeated register-based implementation study in The Netherlands. Sex Transm Infect 2015; 91(6): 423-9 10 Dukers-Muijrers NHTM et al.: Controversies and evidence on Chlamydia testing and treatment in asymptomatic women and men who have sex with men: a narrative review. BMC Infect Dis 2022; 22(1): 255 11 ECDC: Syphilis - Annual Epidemiological Report 2022. ECDC 2024; verfügbar unter https://www.ecdc.europa.eu/en/publications-data/syphilis-annual-epidemiological-report-2022#:~:text=Stockholm%3A%20ECDC%3B%202024.&text=In%202022%2C%2035%20391%20confirmed,41%25%20increase%20compared%20to%202018 (zuletzt aufgerufen am 4.12.2024) 12 U.S. Center for Disease Prevention and Control (CDC): Trends and Characteristics in Maternal Syphilis Rates During Pregnancy: United States, 2016-2022. CDC 2024; verfügbar unter https://www.cdc.gov/nchs/products/databriefs/db496.htm#:~:text=From%202016%20to%202022%2C%20the,and%20nearly%20all%20reporting%20areas (zuletzt aufgerufen am 4.12.2024) 13 Stafford IA et al.: Syphilis complicating pregnancy and congenital syphilis. NEJM 2024; 390(3): 242-53 14 Pospíšilova P et al.: Multi-locus sequence typing of Treponema pallidum subsp. pallidum present in clinical samples from France: Infecting treponemes are genetically diverse and belong to 18 allelic profiles. PLoS One 2018; 13(7): e0201068 15 Hope-Rapp et al.: Etiology of genital ulcer disease. A prospective study of 278 cases seen in an STD clinic in Paris. Sex Transm Dis 2010; 37(3): 153-8 16 Ropper AH: Neurosyphilis. NEJM 2019; 381(14): 1358-63 17 Janier M et al.: 2020 European guideline on the management of syphilis. JEADV 2021; 35(3): 574-88 18 Bettuzzi T et al.: Ceftriaxone compared with benzylpenicillin in the treatment of neurosyphilis in France: a retrospective multicentre study. Lancet Infect Dis 2021; 21(10): 1441-7
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