Gastroenterologie trifft Dermatologie: seltene Erkrankungen des Ösophagus
Autor:innen:
Dr. Hansjörg Schlager
Dr. Julia Konrad
OÄ DDr. Franziska Baumann-Durchschein
Klinische Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie
LKH-Universitätsklinikum Graz
Korrespondierender Autor:
Dr. Hansjörg Schlager
E-Mail: hansjoerg.schlager@medunigraz.at
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In diesem Übersichtsartikel werden zwei Raritäten der entzündlichen Ösophaguserkrankungen, die autoimmunvermittelten Dermatosen Lichen planus und das Schleimhautpemphigoid, mit ihren Manifestationen in der Speiseröhre beleuchtet.
Keypoints
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Bei untypischen Verläufen von Ösophagitiden, vor allem mit Ulzerationen und Schleimhautablösungen, sollte an seltene Differenzialdiagnosen wie die ösophagealen Manifestationen von autoimmunvermittelten Dermatosen gedacht werden.
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Bei der klinischen Untersuchung sollte auch auf Läsionen im Mundbereich, an Augen, Haut und im Anogenitalbereich geachtet werden.
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Unverzichtbar für die korrekte Diagnosestellung ist die enge, fächerübergreifende Zusammenarbeit von Dermatologie, Gastroenterologie sowie Pathologie.
Schmerzen in der Speiseröhre (Odynophagie) und ein retrosternales Brennen werden zu Recht häufig mit der gastroösophagealen Refluxerkrankung in Verbindung gebracht. Eine empirische Therapie mit Protonenpumpenhemmern wird als Erstlinienbehandlung durchgeführt und führt auch meist zu einer Besserung der Beschwerden. Sollte jedoch die Symptomatik persistieren, sind weiterführende Untersuchungen angezeigt.
Der nächste Schritt führt zu einer diagnostischen Gastroskopie mit einer Biopsieentnahme aus der Speiseröhre, idealerweise unter 2- bis 3-wöchiger Pause der Protonenpumpenhemmer, um eine eosinophile Ösophagitis auszuschließen. Zeigen sich hier bereits Zeichen einer Schleimhautablösung, vor allem nach Manipulation, sollten seltene Erkrankungen der Speiseröhre als Differenzialdiagnose in Betracht gezogen werden.
Ösophagealer Lichen planus (ELP)
Der Lichen planus (LP) stellt die häufigste dermatologische Systemerkrankung mit ösophagealer Mitbeteilung dar. Diese entzündlichemukokutane Dermatose kommt in ca. 0,5–2% der Allgemeinbevölkerung vor und betrifft in der Regel Haut, Nägel, Haare und die orale sowie genitale Schleimhaut. Das Hauptmanifestationsalter liegt in der 3. bis 6. Lebensdekade.1 Die ösophageale Manifestation kommt in 25–50% der Fälle vor, jedoch ist die Ausprägung meist milde und asymptomatisch und wird daher auch vermutlich unterdiagnostiziert.2
Den ösophagealen Lichen planus sieht man typischerweise bei kaukasischen Frauen mittleren Alters. Eine Beteiligung der Haut selbst ist hier nur bei 38% vorhanden. Hingegen finden sich orale Läsionen in bis zu 89% und genitale Läsionen in bis zu 42%.3
Diese autoimmune Erkrankung der (Schleim-)Haut wird durch CD8+ T-Zellen verursacht, die sich gegen basale Keratinozyten richten. Weiters werden eine Aktivierung von TH1-Zellen sowie eine Imbalance von TH1- und TH2-Zellen mit einer Aktivierung der Interleukin-17/23-Achse vermutet. Unspezifische Mechanismen führen zu einer Hochregulation von Interferon-γ, TNF-α und Matrix-Metalloproteinasen. Der Triggermechanismus, der diese Kaskade in Gang bringt, ist nicht bekannt, jedoch wurden Assoziationen mit einer Hepatitis-C-Infektion gefunden.1
Klinik
Die häufigsten ösophagusspezfischen Symptomesind die Dysphagie und die Odynophagie. Ein Gewichtsverlust kommt nur bei starker Ausprägung mit Stenose und deutlich reduzierter Nahrungsaufnahme vor. Anamnestisch sollten rezidivierende Aphthen im Mundbereich, Zahnfleischentzündungen mit Schmerzen und Brennen sowie Blutungen beim Zähneputzen erfragt werden. Dabei lassen sich Ulzerationen im Mundbereich, eine typische weißliche Streifung der Mundschleimhaut („Wickham-Striae“) oder ein geschwollenes rotes Zahnfleisch („beefy gingiva“) finden. Erhabene, gut abgrenzbare Papeln oder hyperpigmentierte, erythematöse Plaques – begleitet von starkem Juckreiz an Hals, Gesicht, Armen, Gelenken, Beinen, Handflächen und Fußsohlen – sind typische Hautläsionen bei LP. Wichtig ist auch,Veränderungen im Genitalbereich und Symptome wie Schmerzen beim Geschlechtsakt, Juckreiz oder rezidivierende Harnwegsinfekt zu erfragen. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit sollte auch mit der Gynäkologie bzw. Urologie erfolgen, um stenosierende Prozesse oder Läsionen wie violette Papeln im Genitalbereich zu untersuchen und ggf. auch zu biopsieren.1
Typische endoskopische Befunde in der Gastroskopie sind Strikturen vor allem im mittleren und proximalen Drittel des Ösophagussowie eine Ablösung der Schleimhaut. Gelegentlich zeigen sich auch Hyperkeratosen oder Ulzerationen mit dickem, weißlichem, erhabenem Exsudat (Abb. 1).4
Abb. 1: Typische endoskopische Veränderungen bei Lichen planus mit Denudation (Schleimhautablösung) und Stenosierung der Speiseröhre
Diagnostik
Die Biopsien sollten nicht nur aus den Läsionen selbst, sondern auch direkt aus gesund imponierender Schleimhaut, ca. 1cm neben den Läsionen, entnommen werden.
In der Histologie zeigen sich dichte, entzündliche, bandförmige („lichenoide“) Infiltrate aus T-Lymphozyten entlang der superfiziellen Lamina propria und des basalen Epithels. Typisch sind auch intraepitheliale apoptotische Körperchen, sogenannte „civatte bodies“, und eine Degeneration der Basalzellen. In der direkten Immunfluoreszenz können Fibrinablagerungen entlang der Basalmembran und IgM in den degenerierten Zellen hinweisend auf einen LP sein, dafür müssen die Proben aber in isotoner NaCl-Lösung oder in einem speziellen Medium (Michels-Medium) und nicht in Formalin übermittelt werden.5 Monasterio et al.5 geben Diagnosekriterien an, die sich aus endoskopischen Zeichen wie Schleimhautablösung, Striktur, Trachealisierung und Hyperkeratose sowie histologischen Zeichen wie auch Veränderungen in der Immunfluoreszenz zusammensetzen. Daraus kann der Schweregrad, welcher für die therapeutische Entscheidung wichtig ist, ermittelt werden.
Therapie
Bei Assoziationen mit NSAR, Antihypertensiva und oralen Antidiabetika kann ein Absetzen vor allem bei milden Formen als erster Therapieversuch angedacht werden. Retinoide haben in der Behandlung des ELP keinen Stellenwert. Bei milden/moderaten Formen wird als erster Therapieversuch eine topische Kortikosteroidtherapie angeraten. Bei schweren Formen kommen in der Erstlinie orale Steroide (z.B. 40–60mg Aprednislon) zum Einsatz.
Bei Therapieversagen kann als Zweitlinie ein Versuch mit Tacrolimus (1–2mg 2x tgl.) versucht werden. Dabei ist zu beachten, dass ein Wirkungseintritt jedoch erst nach 3–6 Monaten zu erwarten ist. Bei Stenosierungen der Speiseröhre werden Bougierungen als supportive Maßnahmen eventuell in Kombination mit Injektion von Triamcinolon angeraten. Bei Versagen dieser Maßnahmen gibt es einzelne Fallberichte zu Behandlungserfolgen mit Hydroxychloroquin, Mycophenolat, Azathioprin, Cyclophosphamid, Adalimumab, Rituximab und Tofacitinib. Prinzipiell ist zu sagen, dass sich die Therapieempfehlungen auf geringe Fallzahlen beziehen und es immer einer engen interdisziplinären Abstimmung mit den Dermatologen bedarf.1,4 Zuletzt ist zu erwähnen, dass bei einem erhöhten Karzinomrisiko von bis zu 6,1% eine Surveillance hinsichtlich der Entwicklung von Plattenepithelkarzinomen durchgeführt werden sollte, vor allem wenn bereits Hyperkeratosen (epidermoide Metaplasien) vorliegen.1
Schleimhautpemphigoid („mucous membrane pemphigoid“, MMP)
Das Schleimhautpemphigoid ist eine weitere seltene autoimmune Erkrankung der Haut und Schleimhäute, welche sich charakteristischerweise durch eine Blasenbildung kennzeichnet.
Klinik
Die Spaltbildung findet hier im subepidermalen Bereich statt und kann jedes geschichtete Plattenepithel betreffen.6 Mit einer Inzidenz von 13 pro 1000000 Einwohner und einer Beteiligung von 4–11% des Ösophagus handelt es sich hier um eine Rarität. Die orale Schleimhaut ist mit 10–35% häufiger betroffen. Weitere Manifestationsorte können Augen, Larynx, Trachea und Genital- sowie Analbereich sein. Im Vergleich zum Lichen planus ist der Altersgipfel mit ca. 70–75 Jahrendeutlich höher. Der Ösophagus kann auch als einziger Manifestationsort auftreten,dies wird immer als schwere Verlaufsform gewertet. Bei MMP kommt es zu Dysphagie und Odynophagie bzw. Schmerzen im Bereich des Mundraums. Bei Stenosierung der Speiseröhre kann es auch zu Schwierigkeiten beim Verzehr von Festspeisen und zu Gewichtsverlust kommen.7
Das typische Bild, welches sich in der klinischen Untersuchung zeigt, sind Enantheme mit fragilen Blasen bzw. solche, die zu Erosionen und Ulzerationen werden oder bereits geworden sind, teilweise auch in Kombination mit deutlichen Schmerzen. Neben der dermatologischen Begutachtung sollte auch eine Vorstellung beim Augenfacharzt erfolgen, da in bis zu 70% eine Augenbeteiligung auftritt.6
Diagnostik
Bei Verdacht auf eine ösophageale Mitbeteiligung ist eine Endoskopie angezeigt, in welcher sich ähnlich wie beim LP Abschilferung der Schleimhaut (spontan oder bei Manipulation), entzündliche Zeichen mit Erosionen und Ulzerationen oder auch teilweise langstreckige Stenosen darstellen. Wieder sollte hier bei der Biopsie auf eine zusätzliche periläsionelle Probenentnahme geachtet werden. Idealerweise werden Blase und Läsion in gleichen Anteilen biopsiert. Weiters sollte gesund imponierende Schleimhaut vor allem im proximalen Drittel mitbiopsiert werden.8
In der direkten Immunfluoreszenz und Histopathologie zeigt sich eine Ablagerung von IgG, IgA und/oder C3 entlang der Basalmembran in bis zu 70%. Bei der indirekten Immunfluoreszenz werden in bis zu 50% positive IgG- oder IgA-Antikörper nachgewiesen. Auch eine Antikörpertestung auf BP-180 (in 2/3 der Fälle pos.), BP 230, Laminin 322 (in 3/4 der Fälle pos.), α6β4-Integrin und Kollagen Typ VII gehört zur Routinediagnostik.6
Therapie
Ist die Diagnose eines Schleimhautpemphigoids des Ösophagus etabliert, ist die enge interdisziplinäre Absprache der Therapie von zentraler Bedeutung. Eine Therapie mit Glukokortikoiden, z.B. mit Prednisolonäquivalent 0,5–1mg/kgKG, mit anschließendem Tapering oder Pulsschema mit 500–1000mg Methylprednisolon für 3 Tage in Kombination mit Immunsuppressiva/Immunmodulatoren wie Dapson, Doxycylcin, Methotrexat, Mycofenolat-Mofetil oder Azathioprin wird empfohlen. Bei schweren oder therapierefraktären Formen kommen Cyclophosphamid oder Rituximab zum Einsatz. Eine aggressive Therapie ist dabei notwendig, da das Schleimhautpemphigoid mit einer 1-Jahres-Mortalität bis zu 30% verbunden ist. Neben der antiinflammatorischen Therapie können auch hier Dilatationen der Speiseröhre notwendig sein, um eine normale Boluspassage und Ernährung zu gewährleisten.6
Zusammenfassung
Zusammengefasst sollte bei untypischen Verläufen von Ösophagitiden, vor allem mit Ulzerationen und Schleimhautablösungen, an seltene Differenzialdiagnosen wie die ösophagealen Manifestationen von autoimmunvermittelten Dermatosen gedacht werden. Hier ist ein „Blick über den Tellerrand“ notwendig und man sollte bei der Symptomerhebung auch auf Läsionen im Mundbereich, an den Augen, der Haut und im Anogenitalbereich achten. Eine enge Zusammenarbeit zwischen den Disziplinen Dermatologie und Gastroenterologie sowie Pathologie ist hierfür von größter Wichtigkeit, um die richtige Diagnose stellen zu können.
Literatur:
1 Jacobs JW et al.: Demystifying esophageal lichen planus: A comprehensive review of a rare disease you will see in practice. Am J Gastroenterol 2022; 117(1): 70-7 2 Schauer F et al.: Esophageal lichen planus: towards diagnosis of an underdiagnosed disease. Scand J Gastroenterol 2019; 54(10): 1189-98 3 Fox LP et al.: Lichen planus of the esophagus: what dermatologists need to know. J Am Acad of Dermatol 2011; 65(1): 175-83 4 Decker A et al.: Esophageal lichen planus: Current knowledge, challenges and future perspectives. World J Gastroenterol 2022; 28(41): 5893-909 5 Monasterio C et al.: Esophageal lichen planus – an underdiagnosed disease. Z Gastroenterol 2021; 59(5): 460-9 6 Hofmann SC et al.: S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des Schleimhautpemphigoids. J Dtsch Dermatol Ges 2022; 20(11): 1530-52 7 Benoit S et al.: Structured diagnostic approach and risk assessment in mucous membrane pemphigoid with oesophageal involvement. Acta Derm Venereol 2018; 98(7): 660-6 8 Yilmaz K et al.: Evaluation of the diagnostic value of oesophageal biopsies for direct immunofluorescence microscopy in mucous membrane pemphigoid. Acta Derm Venereol 2023; 103: adv11947
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