Immuntherapie: Status quo und Ausblick in die Zukunft
Unsere Gesprächspartnerin:
Ap. Prof.in Priv.-Doz.in DDr.in Ayşegül Ilhan-Mutlu
Klinische Abteilung für Onkologie
Universitätsklinik f. Innere Medizin I
Medizinische Universität Wien
E-Mail: aysegul.ilhan@meduniwien.ac.at
Das Interview führte Mag.a Dr.in Anita Schreiberhuber
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Die Immuntherapie hat zweifelsohne die Therapie von gastroösophagealen Tumoren nachhaltig verändert. Wir befragten Ap. Prof.in Priv.-Doz.in DDr.inAyşegül Ilhan-Mutlu zu den aktuellen Entwicklungen im Bereich der Immuntherapie, den Stellenwert von Kombinationstherapien und baten sie um ihre Einschätzung, was die zukünftige Entwicklung der Therapielandschaft betrifft.
Die Einführung der Immuntherapie in die Therapie von oberen gastroösophagealen Tumoren hat einen Paradigmenwechsel in der Behandlung dieser Tumorentitäten eingeläutet. Wie bewerten Sie den aktuellen Stellenwert der Immuntherapie bei diesen Karzinomen?
A. Ilhan-Mutlu: Inzwischen hat sich die Immuntherapie als Standard of Care (SOC) in der Erstlinie bei Adenokarzinomen und Plattenepithelkarzinomen (SCC) des Magens (GC), des Ösophagus (ESCC) und des gastroösophagealen Übergangs (GEJ) im metastasierten und lokal fortgeschrittenen Setting etabliert. Genauso, wie wir eine Testung auf die HER2 als Biomarker schon vor ca. 14 Jahren eingeführt haben, ist es inzwischen unerlässlich, auch eine Bestimmung des PD-L1- und des MSI(Mikrosatelliteninstabilität)-Status durchzuführen, da die Immuntherapie auf Basis der PD-L1-Expressionshöhe zugelassen ist. Für MSI-H gibt es eine Zulassung von Pembrolizumab ab der zweiten Linie beim GC. MSI ist ein sehr starker prädiktiver Biomarker.
Welcher Stellenwert kommt der Zusammensetzung des Chemotherapie-Backbones zu? Sehen Sie Unterschiede im Ansprechen bei Gabe von Cisplatin verus Oxaliplatin bzw. was ist über die Wahl des Chemotherapie-Backbones hinsichtlich Effektivität bekannt?
A. Ilhan-Mutlu: Damit haben Sie ein äußerst wichtiges Thema angesprochen. Weder die EMA (European Medicines Agency) noch die FDA (Food and Drug Administration) haben definierte Chemotherapie-Backbones in der Kombination mit der Immuntherapie vorgeschrieben. Vier Substanzen können zu vier unterschiedlichen Chemotherapie-Backbones kombiniert werden: CAPOX (Capecitabin + Oxaliplatin), Cisplatin + Capecitabin, CF (Cisplatin + 5-Fluorouracil [5-FU]) und FOLFOX (5-FU + Oxaliplatin + Leukovorin). Cunningham et al. haben vor ca. 15 Jahren die vierarmige, prospektive, randomisierte Phase-III-Studie REAL-21 zum Vergleich dieser Kombinationen, jeweils mit dem Zusatz von Epirubicin, durchgeführt. Diese Studie ist aus meiner Sicht sehr wertvoll – unter der Kombi von CAPOX + Epirubicin (EOX) wurde das längste mediane Gesamtüberleben (OS) erzielt. Wenn auch die OS-Unterschiede nicht besonders groß waren, wurde sehr wohl gezeigt, dass Oxaliplatin etwas effektiver als Cisplatin sein kann. Zudem wurden eine bessere Verträglichkeit und eine niedrigere Komplikationsrate verzeichnet.
Was können Sie über Ihre persönlichen Erfahrungen bezüglich des Chemotherapie-Backbones berichten?
A. Ilhan-Mutlu: Nachdem wir gesehen haben, dass Studien zur Cisplatin-basierten Chemotherapie als Zusatz zur Immuntherapie im Bereich von Adenokarzinomen negativ waren, so wie das bei KEYNOTE-0622 der Fall war, denke ich, dass Cisplatin zumindest bei Adenokarzinomen vermieden werden sollte. KEYNOTE-8593 ist eine positive Studie und in dieser Studie wurde überwiegend Oxaliplatin verwendet. Cisplatin ist emetogener als Oxaliplatin. Wenn man sich für das CF-Schema entscheidet, muss 5-FU für fünf Tage über eine Pumpe verabreicht werden, und das ist aus meiner Sicht in der klinischen Praxis schwer durchführbar und auch für die Patien-t:innen eine Belastung. Für mich stellen CAPOX und FOLFOX gangbare Strategien dar.
Die Entscheidung zwischen CAPOX und FOLFOX fällt uns auch nicht leicht – beide haben Vor- und Nachteile. Natürlich muss die Entscheidung im Rahmen eines Patien:innengesprächs und unter Berücksichtigung der Krankheitscharakteristika und des Allgemeinzustands getroffen werden. Wenn ein:e Patient:in nicht schlucken kann, ist CAPOX keine geeignete Option. Aber wenn man bezüglich der Compliance keine Bedenken hat, dass der/die Patient:in die Capecitabin-Tabletten einnimmt – durchschnittlich 7–8 Stück pro Tag –, ist CAPOX sehr wohl eine gute Strategie.
Führen Sie lokale Registerstudien durch, um die Effekte auf die Outcomes von unterschiedlichen Chemotherapie-Backbones zu untersuchen?
A. Ilhan-Mutlu: Ja, wir führen eine Datenbank zu unseren Patient:innen und auch daraus geht hervor, dass unter CAPOX ein deutlich längeres OS erzielt wird als bei Patienten:innen, die FOLFOX oder CF erhalten, wobei Real-World-Daten im Vergleich zu randomisierten Settings mit gewissen Bias behaftet sind.4
Gibt es neben den bereits zugelassenen Checkpoint-Inhibitoren (CPI) Pembrolizumab und Nivolumab Substanzen, deren Zulassung in der näheren Zukunft realistisch erscheint?
A. Ilhan-Mutlu: Einige CPI wie z.B. Toripalimab (Phase-III-Studie JUPITER-065), Camprelizumab (Phase-III-Studie ESCORT-16) oder Sintilimab (Phase-III-Studie ORIENT-157) wurden im asiatischen Raum intensiv erforscht. Nachdem aber fast ausschließlich asiatische Patient:innen in die klinischen Studien dazu eingeschlossen wurden, ist in Europa keine Zulassung zu erwarten.
Ein anderes Beispiel ist Tislelizumab, ein sogenanntes „Next generation“-CPI. In die Studie RATIONALE-3028 wurden auch nichtasiatische Patient:innen inkludiert. Tislelizumab wurde basierend auf dieser Studie im September 20239 als Zweitlinientherapie für das nichtresektable, lokal fortgeschrittene/metastasierte ESCC als Monotherapie nach platinbasierter Chemotherapie zugelassen.10
In den Studien RATIONALE-30511 und -30612 wurde Tislelizumab in der Erstlinie ebenfalls auch an nichtasiatischen Patient:innen mit lokal fortgeschrittenem/metastasiertem Adenokarzinom des Magens11, GEJ11 bzw. lokal fortgeschrittenem/metastasiertem Ösophaguskarzinom12 in der Erstlinie untersucht, sodass ich davon ausgehe, dass auch in diesen Indikationen Zulassungen durch die EMA erfolgen werden.
Gibt es auch CPI, die gegen andere Targets als PD-1/PD-L1 oder CTLA4 gerichtet sind?
A. Ilhan-Mutlu: Anti-TIGIT(T-Zell-Immunglobulin und ITM-Domäne)-Substanzen wie Domvanalimab oder Ociperlimab sind zurzeit stark im Aufschwung. In der letzten Zeit wurden dazu viele Daten präsentiert. So wird in Arm 1 der Phase-II-Studie EDGE-Gastric an zuvor unbehandelten Patienten mit lokal fortgeschrittenem/metastasiertem Adenokarzinom des Magens, Ösophagus oder GEJ der TIGIT-Inhibitor Domvanalimab mit dem PD-1-Inhibitor Zimberelimab in Kombi mit FOLFOX untersucht. Erste Ergebnisse (medianes Follow-up: 33 Monate) wurden im November 2023 am ASCO Virtual Plenary präsentiert und sind vielversprechend. Die objektive Responserate betrug 59%, die Rate des 6-monatigen progressionsfreien Überlebens (PFS) lag bei 93%. Immunmediierte Nebenwirkungen waren im Allgemeinen mild.13 Die Kombi Domvanalimab + Zimberelimab + Chemotherapie versus Nivolumab + Chemotherapie wird zurzeit in der Phase-III-Studie STAR-221 (NCT05568095) in der Erstlinie untersucht.
In welche Richtung geht der Weg in der Therapie von gastroösophagealen Tumoren? Werden sich auch hier – wie ja generell in der Onkologie zu beobachten ist – Kombistrategien immer mehr durchsetzen?
A. Ilhan-Mutlu: Ich gehe davon aus, dass sich Kombitherapien immer mehr durchsetzen werden. Zurzeit sind sehr viele Studien im Gange, in denen die Kombination von Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) wie z.B. Regorafenib oder Lenvatinib und Immuntherapie untersucht werden. Erste Daten deuten darauf hin, dass die Verabreichung solcher Kombinationen zu einer Verbesserung der Outcomes bei einem gleichzeitig managebaren Nebenwirkungsprofil führen kann. So wurde in einer einarmigen offenen monozentrischen Phase-II-Studie an Patient:innen mit lokal fortgeschrittenen/metastasierten Adenokarzinomen des Magens, GEJ und Ösophagus in Kombinationen mit Nivolumab + Chemotherapie (FOLFOX) untersucht. Von den 35 eingeschlossenen Patient:innen waren 25 nach 6 Monaten noch progressionsfrei.14
In der offenen Phase-III-Studie INTEGRATE IIb (NCT04879368) wird Regorafenib in Kombination mit Nivolumab versus Chemotherapie nach Wahl des Prüfarztes weiter untersucht. Aber auch neue TKI wie der Pan-VEGF(„vascular endothelial growth factor“)-Rezeptor-Inhibitor scheinen vielversprechend zu sein, wie dies schon beim metastasierten Kolorektalkarzinom in einer Phase-III-Studie15 an massiv vortherapierten Patient:innen mit Fruquintinib gezeigt werden konnte. Bei Adenokarzinomen des Magens oder GEJ wurde unter diesem oral verfügbaren TKI in Kombi mit Paclitaxel versus Paclitaxel als Zweitlinientherapie in der Phase-III-Studie FRUTIGA eine signifikante Überlegenheit im PFS nachgewiesen.16
Ausblick: Wie und durch welche Substanzen werden sich die Therapielandschaft und die therapeutische Vorgehensweise bei gastroöosphagealen Tumoren in naher Zukunft nach gegenwärtiger Perspektive erweitern?
A. Ilhan-Mutlu: CPI wie TIGIT-, aber auch CTLA4-Inhibitoren der nächsten Generation werden die Therapielandschaft bei gastroösophagealen Tumoren zusätzlich bereichern. Je mehr Erfahrungen wir generieren, umso selektiver werden wir die Patient:innen in der Zukunft behandeln. Wir sehen beispielsweise in der klinischen Praxis Patient:innen, die ein überdurchschnittlich gutes Ansprechen auf den SOC Immuntherapie + Chemotherapie in der Erstlinie zeigen. Bei diesen stellt sich die Frage, ob man möglicherweise eine Deeskalation der Chemotherapie vornehmen kann.
Auch im resektablen Setting gilt es herauszufinden, ob der Einsatz einer Immuntherapie sinnvoll ist, indem wir anhand von Biomarkern wie dem PD-L1-Status die Patient:innenselektion vornehmen und Patient:innen mit einem sehr hohen PD-1-Status von ≥20 oder sogar ≥50 mit einer Immuntherapie behandeln. Wir erwarten demnächst die Zulassung des First-in-Class-Claudin-18.2-Inhibitors Zolbetuximab, für den in den Phase-III-Studien GLOW17 und SPOTLIGHT18 in Kombi mit Chemotherapie als Erstlinie bei Patient:innen mit Adenokarzinomen des Magens und GEJ versus Chemotherapie eine signifikante Überlegenheit im PFS und OS verzeichnet worden ist.17,18 Dann wird bei Patient:innen, die sowohl Claudin-18.2- als auch PD-L1-positiv sind, die therapeutische Vorgehensweise eine Challenge sein. In der Entscheidungsfindung werden die Ergebnisse neuer Studien wie ILUSTRO, einer Phase-II-Studie zur dualen Immuntherapie + Chemotherapie mit Claudin-18.2-positiven, HER2– Patient:innen mit lokal fortgeschrittenen/metastasierten Adenokarzinomen des Magens oder GEJ19, und auch die in Real-Life-Kohorten gewonnene Expertise eine große Hilfestellung bieten.
Ein weiterer sehr wichtiger Punkt in der Immuntherapie-Ära ist, dass lokale Therapien wie die Strahlentherapie im metastasierten Setting zunehmend mehr an Bedeutung gewinnen. Bei Patient:innen, die eine Immuntherapie erhalten und isolierte Metastasen aufweisen, können mit Strahlentherapie eindrucksvolle Effekte erzielt werden, indem mehr Neoantigene freigesetzt werdenund dadurch die Wirksamkeit der Immuntherapie erhöht wird. Wir sehen, dass Immuntherapie in Kombi mit diesen lokalen Ansätzen gut machbar ist.
Vielen Dank für das Gespräch!
Literatur:
1 Cunningham D et al.: N Engl J Med 2008; 358: 36-46 2 Shitara K et al.: JAMA Oncol 2020; 6: 1571-80 3 Rha SY et al.: Lancet Oncol 2023; 24: 1181-95 4 Baumgartner R et al.: Anticancer Res 2020; 40: 965-75 5 Wang Z-X et al.: Cancer Cell 2022; 40: 277-88 6 Luo H et al.: JAMA 2021; 326: 916-25 7 Lu Z et al.: BMJ 2022; doi: 10.1136/bmj-2021-068714 8 Shen L et al.: J Clin Oncol 2022; 40; 3065-76 9 https://www.ema.europa.eu/en/medicines/human/EPAR/tevimbra#ema-inpage-item-authorisation-details : zuletzt aufgerufen am 13.2. 2023 10 Fachinformation Tislelizumab, Stand: Jänner 2024 11 Hoehler MA et al.: ASCO GI 2023; Abstract #286 12 Xu J et al.: Lancet Oncol 2023; 24: 483-95 13 Janjigian YY et al.: ASCO Plenary Series 2023; Abstract #433248 14 Cytryn AL et al.: Lancet Oncol 2023; doi: 10.1016/S1470-2045(23)00358-3 15 Dasari A et al.: The Lancet 2023; 402; 41-53 16 Xu R-H et al.: ASCO Plenary Series 2024; Abstract # 438780 17 Shah MA et al.: Nat Med 2023; 29: 2133-41 18 Shitara K et al.: Lancet 2023; 401: 1655-68 19 Shitara K et al.: ASCO 2023; Abstract #TPS4173
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