Mykobiom, Dysbiose und Karzinogenese
Autoren:
Univ.-Prof. Dr. Cornelia Speth
Mag. Dr. Günter Rambach
Institut für Hygiene und Medizinische MikrobiologieMedizinische Universität Innsbruck
Korrespondierende Autorin:
Univ.-Prof. Dr. Cornelia Speth
E-Mail: cornelia.speth@i-med.ac.at
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Pilze sind ein wichtiger Bestandteil des humanen Mikrobioms und erfüllen als Mykobiom zahlreiche Funktionen für Homöostase und Verdauung. Jedoch wurde auch für einige Tumorarten beschrieben, dass ihr Auftreten mit einer Dysbiose des Mykobioms bei den Patienten korreliert. Vertiefende Studien zeigten, dass Pilze die Tumorprogression durch Sekretion prokarzinogener Stoffe oder Schaffung eines entzündlichen Milieus fördern, aber auch anti-tumorigene Eigenschaften aufweisen können.
Keypoints
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Eine Dysbiose des Mykobioms wird mit einer Vielzahl von Tumoren in Zusammenhang gebracht.
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Pilze können das Tumorwachstum sowohl supprimieren als auch fördern.
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Zentrale Mechanismen, wie Pilze zur Tumorprogression beitragen, sind die Produktion von pro-tumorigenen Faktoren sowie die Schaffung eines inflammatorischen Milieus.
Während sich früher Studien zum Mikrobiom hauptsächlich auf das Bakteriom konzentrierten, rücken nun andere Bestandteile – wie zum Beispiel das Mykobiom – ebenfalls ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Zahlreiche Pilzspezies, sowohl Hyphenpilze als auch verschiedenste Hefepilze, kolonisieren innere und äußere Körperoberflächen und tragen zur Homöostase des Körpers bei, helfen bei der Verdauung und interagieren mit dem Immunsystem.1
Mykobiom und Karzinogenese
In den letzten Jahren erschienen immer mehr Studien, die eine Korrelation zwischen dem Auftreten von Tumoren und einer Dysbiose des Mykobioms bei den Patienten beschrieben. Diese Studien wurden ergänzt durch In-vivo-Experimente im Tiermodell sowieIn-vitro-Versuche mit Tumorzelllinien. Im Wesentlichen sind vier Mechanismen denkbar bzw. beschrieben, wie Pilze zur Zelltransformation beitragen können:
Bildung und Freisetzung von Mykotoxinen, die transformierende Eigenschaften aufweisen; die transformierende Wirkung ist für Aflatoxine beschrieben, aber auch für Zearalenon, Ochratoxin A und Fumonisine;2–4
Sekretion anderer vom Pilz produzierter Faktoren, die in die Zellproliferation eingreifen;
die Schaffung eines proinflammatorischen Milieus, das die Tumorprogression begünstigt;
der Verlust von tumorhemmenden Eigenschaften, wenn Pilzarten durch Dysbiose stark abgereichert werden.
Nicht nur jeweils eine Pilzspezies ist mit einer Tumorart korreliert; es gibt durchaus Tumoren, wie z.B. das Kolorektalkarzinom, an denen mehrere Pilzarten beteiligt zu sein scheinen.1
Im Folgenden soll die Rolle von Candida,Saccharomyces und Malassezia in der Tumorentstehung bzw. -progression an ausgewählten Beispielen dargestellt werden.
Candida
Candida ist Teil des Mykobioms fast aller Körperoberflächen. Eine Dysbiose der Kolonisation mit Candida albicans ist für mehrere Tumorarten beschrieben worden, u.a. für das orale Plattenzellkarzinom, ösophageale Tumoren sowie Kolorektalkarzinome.5
Für das orale Plattenzellkarzinom spielen die Produktion und Sezernierung von fungalen Faktoren eine wichtige Rolle, die in zentrale Zellprozesse wie Proliferation und Apoptose eingreifen (Abb. 1). Ein solcher Faktor sind die Nitrosamine, die von Candida freigesetzt werden und bei oralen Epithelzellen eine Aktivierung von proliferationsregulierenden Proto-Onkogenen wie z.B. Ha-rasbewirken. Daneben ist auch die Sezernierung des Enzyms Alkoholdehydrogenase (ADH) beschrieben, welches bei der Verstoffwechselung von Ethanol, Glukose oder Fruktose Acetaldehyd bildet. Acetaldehyd wiederum greift in eine Vielzahl von zellulären Prozessen ein; so werden unter anderem auch die Reparatur der DNA und die Induktion der Apoptose gestört.6
Ein weiterer Mechanismus, der bei der Tumorinduktion durch Candida mitwirken kann, ist die Stimulation der lokalen Immunabwehr und damit die Etablierung eines chronisch-entzündlichen Milieus (Abb. 1).1Candida kann mit einer Vielzahl von „pattern recognition receptors“ (Toll-like-, Nod-like- und C-type-Lectin-Rezeptoren) auf Zellen der angeborenen Immunität interagieren, die über ihre entsprechenden intrazellulären Signaltransduktionswege die Expression und Sezernierung zahlreicher Zytokine und Chemokine triggern. Zusätzlich werden auch Adhäsionsmoleküle auf Endothelzellen in ihrer Expression hochreguliert, sodass auch die Metastasierung von Tumorzellen, die dann aus dem Blutstrom ans Endothel binden und ins Gewebe eindringen können, gefördert wird.6
Saccharomyces
Auch beim Kolorektalkarzinom (CRC) ist bei den Patienten eine Dysbiose des Mykobioms gegenüber gesunden Kontrollpersonen feststellbar; so verschiebt sich zum Beispiel das Verhältnis von Ascomyceten zu Basidiomyceten signifikant. Eine genauere Untersuchung ergab, dass vor allem Saccharomyceten bei CRC-Patienten depletiert sind.7 Diese Depletion um den Faktor 2,7–4 wurde in einer weiteren Studie bestätigt und auch quantifiziert.8 Somit steht zu vermuten, dass Saccharomyces(S.) nicht zur Tumorinduktion oder -progression beiträgt, sondern dass im Gegenteil die Depletion des Pilzes im Mykobiom mit einem Verlust Tumor-inhibierender Eigenschaften einhergeht.9 In einem Mausmodell für CRC zeigte sich, dass die intestinale Kolonisation der Tiere mit Saccharomyces cerevisiae die Tumorprogression verlangsamte. Ein dabei relevanter Mechanismus ist, dass S. cerevisiae die Aktivität des intestinalen Immunsystems moduliert, indem es die Expression proinflammatorischer Zytokine wie IL-1β und TNF-α in der Lamina propria reduziert.8 Mittels Zellkulturen konnte außerdem gezeigt werden, dass die Inkubation von CRC-Tumorzellen mit Saccharomyces die Proliferation der Zellen inhibierte und ihre Apoptose förderte.10 Das ist kein genereller Effekt von probiotischen Mikroorganismen, wie ein Vergleich mit Lactobacillus acidophilus oder Lactobacillus reuteri zeigte, wo die Ko-Kultivierung mit CRC-Tumorzellen die Lebensfähigkeit der Zellen nicht oder nur minimal beeinflusste.
Abb. 1: Übersicht über verschiedene Mechanismen, mit denen Candida als Teil des Mykobioms die Entstehung bzw. Progression von oralen Plattenepithelkarzinomen fördern kann (created with BioRender.com)
Malassezia
Eine kürzlich publizierte Forschungsarbeit stellte einen klaren Zusammenhang zwischen dem Hefepilz Malassezia (M.) und dem duktalen Pankreas-Adenokarzinom (PDAC) her.11 Beim Pankreaskarzinom sind neue Erkenntnisse zur Pathogenese von besonderer Bedeutung, da diese Tumorart aufgrund der meist späten Diagnose und des schlechten Therapieansprechens nach wie vor eine sehr schlechte Prognose für die Patienten aufweist.
Mittels Untersuchungen bei PDAC-Patienten sowie In-vivo-Experimenten in Mausmodellen zeigte diese Forschungsarbeit, dass das Pankreaskarzinom mit einer 3000-fachen Anreicherung von Pilzen im Pankreas assoziiert ist. Es handelt sich dabei vor allem um Malassezia globosa, der aus dem Darm in den Pankreasgang einwandert. Die antimykotische Entfernung dieser Pilze verminderte signifikant die Tumorprogression; die anschließende Rekolonisierung mit verschiedenen Pilzen zeigte, dass vor allem die Besiedelung mit Malassezia globosa wieder zu einem starken Tumorwachstum führte.
Genauere Analysen, wie M. globosa die Progression der Karzinogenese fördert, stellten die Aktivierung des Komplementsystems in den Mittelpunkt. Malassezia triggert über die Interaktion mit Mannan-binding Lectin (MBL) den Ablauf der Komplementkaskade, wobei als Folge der Spaltung des Komplementproteins C3 das Fragment C3a entsteht. C3a hat proinflammatorische Wirkung, kann an Rezeptoren auf Tumorzellen binden und stimuliert so ihre Proliferation. PDAC-Patienten mit niedriger Expression von MBL oder C3 haben eine bessere Überlebensrate als Patienten mit jeweils hoher Expression. Auch im Mausmodell führte die Deletion von MBL zu einer stark verminderten Tumorprogression. Dagegen stimulierte die Applikation von rekombinantem C3a in den Pankreata der Mäuse die Zunahme der Tumormasse.
Neue mögliche Therapieansätze
Aus den zahlreichen Arbeiten, die die Beteiligung des Mykobioms an der Tumorentstehung und -progression zeigen, ergeben sich einige interessante Therapieansätze, die die derzeit etablierten Therapien ergänzen und unterstützen könnten.
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Antimykotika: Die Gabe von Antimykotika könnte die Dysbiose des Mykobioms reduzieren und wurde, wie oben erwähnt, schon in Mausmodellen getestet.11 Neben der positiven Wirkung auf den Tumor kann gleichzeitig eine Abschirmung der Patienten gegenüber Mykosen erreicht werden. Allerdings muss die Therapieauswahl auf den jeweiligen Pilz genau abgestimmt werden.
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Probiotika: Auch die Applikation von Probiotika hat zum Ziel, die fungale Dysbiose zu verbessern. Zusätzlich könnten, wenn Organismen wie Saccharomyces cerevisiae eingeschlossen werden, deren antitumorigene Eigenschaften die Tumorprogression weiter inhibieren.8,12 Allerdings kann die Gabe von Probiotika bei stark immungeschwächten Patienten zu starken Nebenwirkungen bis hin zu einer Fungämie führen.9
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Antiinflammatorische Substanzen: Ziel ist hier die Reduktion des entzündlichen Milieus, das, wie oben erwähnt, die Karzinogenese fördern kann. Hier sind allerdings nicht generell immunsuppressive Substanzen angeraten, die gleichzeitig die Tumorabwehr einschränken könnten, sondern die spezifische Inhibierung der für die jeweilige Tumorart relevanten proinflammatorischen Prozesse. Ein Beispiel hierfür wäre die gezielte Hemmung der Komplementaktivierung über MBL beim Pankreaskarzinom, beispielsweise mit monoklonalen Antikörpern.
Zusammenfassung
Mit den Untersuchungen zur Bedeutung des Mykobioms bei der Entstehung und Progression verschiedener Tumorarten hat sich ein neues, spannendes Forschungsfeld etabliert. Damit ergeben sich auch wichtige Einblicke in die Tumorpathogenese, aus denen sich neue unterstützende Therapieansätze ableiten lassen.
Literatur:
1 Kaźmierczak-Siedlecka K et al.: Fungal gut microbiota dysbiosis and its role in colorectal, oral and pancreatic carcinogenesis. Cancers 2020; 12(5) 2 Kew MC: Aflatoxins as a cause of hepatocellular carcinoma. JGLD 2013; 22(3): 305-10 3 Kowalska K et al.: Zearalenone as an endocrine disruptor in humans. Environ Toxicol Pharmacol 2016; 48:141-9 4 Wangia-Dixon RN, Nishimwe K: Molecular toxicology and carcinogenesis of fumonisins: a review. J Environ Sci Health C Toxicol Carcinog 2021; 39(1): 44-67 5 Vyhnalova T et al.: The role of the oral microbiota in the etiopathogenesis of oral squamous cell carcinoma. Microorganisms 2021; 9(8) 6 Ramirez-Garcia A et al.: Candida albicans and cancer: Can this yeast induce cancer development or progression? Crit Rev Microbiol 2016; 42(2): 181-93 7 Coker OO et al.: Enteric fungal microbiota dysbiosis and ecological alterations in colorectal cancer. Gut 2019; 68(4): 654-62 8 Li JQ et al.: Saccharomyces cerevisiae may serve as a probiotic in colorectal cancer by promoting cancer cell apoptosis. J Dig Dis 2020; 21(10): 571-82 9 Shamekhi S et al.: An overview of yeast probiotics as cancer biotherapeutics: possible clinical application in colorectal cancer. Clin Transl Oncol 2020; 22(8): 1227-39 10 Yenuganti VR et al.: In vitro evaluation of anticancer effects of different probiotic strains on HCT-116 cell line. J Appl Microbiol 2021; 131(4): 1958-69 11 Aykut B et al.: The fungal mycobiome promotes pancreatic oncogenesis via activation of MBL. Nature 2019; 574(7777): 264-7 12 Sambrani R et al.: Recent advances in the application of probiotic yeasts, particularly Saccharomyces, as an adjuvant therapy in the management of cancer with focus on colorectal cancer. Mol Biol Rep 2021; 48(1): 951-60
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