CED in Zeiten der Coronapandemie
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Das SARS-Coronavirus 2 und die dadurch hervorgerufene Pandemie sowie Einschränkungen des täglichen Lebens haben nicht nur direkte, sondern auch indirekte Auswirkungen auf Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED). Die CED-Arbeitsgruppe der ÖGGH nimmt dazu Stellung und beantwortet die wichtigsten Fragen zu dieser Thematik.
Seit Monaten hält die Pandemie mit dem neuen SARS-Coronavirus 2 die Welt in Atem. Diese für alle von uns noch nie dagewesene Situation führt uns unmissverständlich vor Augen, wie eng Wirtschaft, Sozialleben und Gesundheit miteinander verflochten sind. Obwohl eine Infektion mit dem SARS-CoV-2 in mehr als 80% der Fälle mit milden grippeähnlichen Symptomen einhergeht, entwickeln doch 14% der Betroffenen eine schwere Erkrankung‚
die „Corona Virus Disease 2019“, kurz Covid-19, mit ausgedehnter Pneumonie, die in bis zu 5% zu einer zunehmenden Einschränkung des Gasaustausches mit Beatmungspflicht und Organversagen im Rahmen einer überschießenden Immunantwort führt.1 Die rasche und unkontrollierte Verbreitung des Virus führte vielerorts zu einer Überlastung der Gesundheitssysteme und erschütternde Bilder gingen und gehen um die Welt. Diese außergewöhnliche Situation stellt auch uns Gastroenterologen insbesondere im Hinblick auf das Management von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) vor Herausforderungen und wirft relevante Fragen hinsichtlich der Sicherheit unserer Patienten auf:
1. Verschlechtert eine Infektion mit SARS-CoV-2 eine vorbestehende CED oder löst sie sogar eine solche aus?
2. Gehören CED-Patienten zur Risikogruppe für eine schwere Covid-19-Erkrankung?
3. Setzen wir unsere Patienten durch immunsuppressive und Biologika-Therapien einem besonderen Risiko aus?
Chronologie der Coronapandemie in Österreich
Ende Dezember 2019 beobachteten die Behörden der 8-Millionen-Stadt Wuhan, Hauptstadt der Provinz Hubei am chinesischen Festland, die ersten Fälle einer Pneumonie mit unklarer Ursache. Am 8.Jänner2020 erklärten chinesische Wissenschaftler, dass sie ein neues Virus aus der Coronaviridae-Gruppe als ursächliches Agens identifiziert hätten. Einen Monat später wurde die durch das neue Coronavirus ausgelöste Erkrankung Covid-19 „getauft“. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich das Virus bereits in viele Länder außerhalb Chinas ausgebreitet, wobei aus österreichischer Sicht die Lage in Norditalien besonders beunruhigte. So war es weniger die Frage ob, sondern wann der erste Coronafall in Österreich identifiziert wird, was schließlich am 24.Februar in Innsbruck geschah. Der rasche nationale und internationale Anstieg an bestätigten SARS-CoV-2-Infektionen veranlasste unsere Bundesregierung, die bekannten umfassenden Maßnahmen mit dem Ziel der Minimierung von persönlichen Kontakten zu beschließen und umzusetzen. Dies führte zur erhofften Abnahme der Neuinfektionen, wodurch der befürchtete Kollaps des österreichischen Gesundheitswesens abgewendet werden konnte. Mit Stand vom 20.Mai2020 wurden in Österreich mehr als 16000 Fälle registriert, von denen der Großteil, nämlich mehr als 14500, bereits wieder genesen sind. Somit gelten derzeit weniger als 1000 Fälle noch als aktiv. Leider sind in Österreich mit Stand 20.Mai2020 auch über 600 Menschen an Covid-19 verstorben.
SARS-CoV-2 und der Gastrointestinaltrakt
Man geht davon aus, dass sich SARS-CoV-2 primär durch Tröpfcheninfektion überträgt, was den Respirationstrakt zur primären Eintrittspforte macht. Vor Kurzem wurden beunruhigende Daten veröffentlicht, wonach das Virus von einigen Infizierten, bereits bevor sich Symptome bemerkbar machen, weitergegeben werden kann.2 Basierend auf den Forschungsdaten zu den ursprünglichen SARS- und MERS-Coronaviren konnte gezeigt werden, dass sich das neue Coronavirus SARS-CoV-2 durch Interaktion seines Oberflächenproteins „Spike“ (S) mit dem menschlichen Oberflächenprotein „angiotensin-I converting enzyme“ 2 (ACE2) Zutritt zur Zelle verschafft. Diese Interaktion und die Aufnahme werden erst nach der initialen Aktivierung von SARS-CoV-2 durch die Spaltung des viralen S-Proteins mittels menschlicher Proteasen wie TMPRSS2, TMPRSS4 und CatB/L möglich.3 Somit eignen sich sowohl ACE2 als auch die Proteasen als Ansatzpunkte für potenzielle Therapien. In der Lunge wird ACE2 vor allem in den Surfactant-produzierenden Typ-II-Pneumozyten gebildet, wodurch sich sowohl der Tropismus für tiefe Lungenabschnitte als auch die funktionellen Einbußen erklären lassen. Außerhalb der Lunge wird ACE2 vermehrt unter anderem auf der luminalen Seite von intestinalen Epithelzellen (IEC) im Darm exprimiert. In diesem Bereich ist dessen Funktionalität nicht an das Renin-Angiotensin-System gekoppelt, sondern in die intestinale Aminosäuren-Homöostase involviert und somit direkt mit Mechanismen der Wirt-Mikroben-Beziehung verbunden.4 Daher ist es nicht überraschend, dass Patienten mit Covid-19 in bis zu 30% der Fälle auch über gastrointestinale Symptome klagen. In Tabelle 1 sind die berichteten Symptome nach Tropismus und Häufigkeit aufgelistet.5 Diese Symptome scheinen direkt mit der viralen Infektion von IEC zusammenzuhängen. In eleganten Experimenten wurde kürzlich nachgewiesen, dass SARS-CoV-2 tatsächlich in der Lage ist, menschliche Enterozyten (in sogenannten Organoidkulturen) zu infizieren, sich dort zu replizieren und zudem in diesen Zellen eine antivirale Immunantwort auszulösen.6 So erklärt sich auch, warum im Stuhl von über der Hälfte der an Covid-19 erkrankten Patienten RNA von SARS-CoV-2 nachgewiesen werden konnte. Erwähnenswert ist zudem, dass auch im Stuhl von erkrankten Patienten, die nicht an gastrointestinalen Symptomen leiden, RNA von SARS-CoV-2 nachweisbar ist. Dieser Nachweis lässt natürlich die Möglichkeit einer fäkooralen Übertragung befürchten. Rezenten Studiendaten zufolge wird SARS-CoV-2 im aggressiven Milieu des Stuhlwassers inaktiviert, wodurch die Infektiosität verloren zu gehen scheint.7
Tab. 1: Gastrointestinale Symptome von Covid-19-Patienten (modifiziert nach Hajifathalian K et al.: 2020)
CED, Immunsuppression und Viruserkrankungen
Viren zählen mit Abstand zu den häufigsten Pathogenen. Als Teil unseres Mikrobioms übersteigt die Anzahl der Viren in unserem Darm, der Großteil davon Bakteriophagen, sogar die Anzahl unserer Bakterien um das 10-Fache. Somit ist es wohl auch keine Überraschung, dass Virusinfektionen sozusagen „tägliche Routine“ im Management von CED-Patienten sind. Viren, vor allem die der Herpesvirusgruppe, wie das Herpes-simplex-Virus, das Herpes-zoster-Virus oder das Zytomegalievirus, gehören zu den häufigsten Erregern opportunistischer Infektionen.8 Das Risiko für solche Infektionen steigt proportional zum Grad der Immunsuppression und ist somit bei Patienten auf einer dreifach-immunsuppressiven Kombinationstherapie, insbesondere, wenn auch Kortikosteroide enthalten sind, am höchsten. Auf der anderen Seite lehrt uns die Erfahrung mit bei CED eingesetzten Biologika, dass bestimmte Wirkmechanismen mit einem erhöhten Risiko für spezifische virale Infektionen assoziiert sind. Die bekanntesten Beispiele sind sicherlich die Reaktivierung einer latenten Hepatitis B unter Anti-TNF-Präparaten, die zu fulminantem Leberversagen führen kann. Ein anderes Beispiel wäre die progressive, multifokale Leukenzephalopathie unter Natalizumab (in Österreich aus diesem Grund für die Behandlung von CED nicht zugelassen) durch Reaktivierung des John-Cunningham-Virus.
Unter Berücksichtigung dieses Wissens scheinen die Vorbehalte, die bezüglich Immunsuppression und Covid-19 aufkamen, nachvollziehbar und umsichtig. Dies veranlasste wohl das Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK), Patienten mit einer „Erkrankung, die mit einer dauerhaften und relevanten Immunsuppression behandelt werden muss“, in die sogenannte Covid-19-Risikogruppe einzureihen. Hier wurden namentlich eine dauerhafte Kortisontherapie, Cyclosporin, Tacrolimus, Azathioprin, Mycophenolat, Methotrexat, Tyrosinkinase-Inhibitoren und eine laufende Biologikatherapie als entsprechende relevante Immunsuppression aufgezählt. Dies hat durchaus arbeitsrechtliche Implikationen, da Betroffene unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf Dienstfreistellung unter Entgeltfortsetzung haben. Obwohl gut gemeint, hat diese Maßnahme doch zu großer Verunsicherung unter CED-Patienten geführt, die sich ab sofort als Mitglieder einer Covid-19-Risikogruppe wähnen mussten. So stellt sich aus medizinischer Sicht die Frage: Werden diese Empfehlungen tatsächlich durch Daten gestützt? Dazu zeigt eine relevante Fallsammlung aus Italien, dass unter CED-Patienten die Sterblichkeit durch Covid-19, ähnlich wie in der Allgemeinbevölkerung, mit dem Alter und mit Komorbiditäten steigt. Während die CED-Erkrankungsaktivität ebenfalls die Sterblichkeit erhöht, scheinen, mit Ausnahme von Steroiden, CED-Medikamente die Sterblichkeit nicht zu erhöhen.9 Zusätzliche Daten kommen von einem Covid-19-CED-Register, das von der International Organization For the Study of IBD (https://Covidibd.org/) eingerichtet wurde. Bis heute wurden hier unkontrolliert von externen Ärzten mehr als 1000 Covid-19-CED-Fälle registriert. Obwohl bislang nur ein Teil der Daten in ausgewerteter Form öffentlich gemacht wurde10, scheinen die zur Verfügung stehenden Informationen die Erfahrungen aus Italien zu stützen.
Umgekehrt führen diese vielversprechenden Sicherheitsdaten unter anderem dazu, dass man mittlerweile versucht, schwere Covid-19-Fälle – mit respiratorischer Insuffizienz und einem „systemic inflammatory response syndrome“ –, die ja durch eine überschießende Immunantwort und einen Zytokinsturm unterhalten werden, mithilfe derselben immunsuppressiven Medikamente zu behandeln. Angesichts der per se hohen Mortalität wegen einer schweren Covid-19-Erkrankung und in Erinnerung an die Ergebnisse älterer, gut geplanter und kontrollierter Studien zur Zytokinblockade (beispielsweise Anti-TNF-Strategien) bei Sepsis ist es mehr als ratsam, solche Studien sorgfältig zu planen und kontrolliert nach den Regeln der „guten klinischen Praxis“ durchzuführen.
Fazit
Leider lässt sich oft erst im Rückblick Sinn oder Unsinn der von uns getroffenen Entscheidungen bewerten. Die gegenwärtige Coronapandemie scheint uns allerdings ein sehr gutes Beispiel dafür zu sein, wie ein gemeinsames Problem Interessen eint, gute Ideen generiert und die internationale Zusammenarbeit fördert. So ist es in nur wenigen Wochen gelungen, einen Datensatz zu generieren, auf dessen Fundament Entscheidungen getroffen werden, die für die Sicherheit unserer CED-Patienten und potenziell generell für den Kampf gegen diese Pandemie hilfreich sein könnten. Um die Sicherheit noch weiter zu verbessern, ist es sinnvoll, weiterhin alle Covid-19-Fälle unter unseren CED-Patienten konsequent unter https://Covidibd.org/ zu registrieren.
Autoren:
Ass.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Alexander Moschen, PhD1,2
Dr. Thomas Haas3
Ao. Univ.-Prof. Dr. Christoph Högenauer4
Ao. Univ.-Prof. Dr. Gottfried Novacek5
Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Petritsch4
Ao. Univ.-Prof. Dr. Walter Reinisch5
Ao. Univ.-Prof. Dr. Harald Vogelsang5
Ao. Univ.-Prof. Dr. Robert Koch1
1 Abteilung für Innere Medizin I, Medizinische Universität Innsbruck
2 Christian Doppler Labor für mukosale Immunologie, Medizinische Universität Innsbruck
3 Darm Praxis Salzburg, 5020 Salzburg
4 Klinische Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie, Medizinische Universität Graz
5 Universitätsklinik für Innere Medizin III, Medizinische Universität Wien
Korrespondenz:
Ass.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Alexander Moschen,PhD
E-Mail: alexander.moschen@i-med.ac.at
Literatur:
1 Wu Z et al.: Characteristics of and important lessons from the coronavirus disease 2019 (COVID-19) outbreak in China: summary of a report of 72 314 cases from the Chinese Center for Disease Control and Prevention. JAMA 2020; doi:10.1001/jama.2020.26482 Arons MM et al.: Presymptomatic SARS-CoV-2 infections and transmission in a skilled nursing facility. N Engl J Med 2020; doi: 10.1056/NEJMoa2008457 3 Hoffmann M et al.: SARS-CoV-2 cell entry depends on ACE2 and TMPRSS2 and is blocked by a clinically proven protease inhibitor. Cell 2020; 181: 271-80 4 Hashimoto T et al.: ACE2 links amino acid malnutrition to microbial ecology and intestinal inflammation. Nature 2012; 487: 477-81 5 Hajifathalian K et al.: Gastrointestinal and hepatic manifestations of 2019 novel coronavirus disease in a large cohort of infected patients from New York: clinical implications. Gastroenterology 2020; doi: 10.1053/j.gastro.2020.05.010 6 Lamers MM et al.: SARS-CoV-2 productively infects human gut enterocytes. Science 2020; doi: 10.1126/science.abc1669 7 Zang R et al.: TMPRSS2 and TMPRSS4 promote SARS-CoV-2 infection of human small intestinal enterocytes. Sci Immunol 2020; doi:10.1126/sciimmunol.abc3582 8 Rahier JF et al.: European evidence-based consensus on the prevention, diagnosis and management of opportunistic infections in inflammatory bowel disease. J Crohns Colitis 2009; 3: 47-91 9 Bezzio C et al.: Outcomes of COVID-19 in 79 patients with IBD in Italy: an IG-IBD study. Gut 2020; doi:10.1136/gutjnl-2020-321411 10 Brenner EJ et al.: Corticosteroids, but not TNF antagonists, are associated with adverse COVID-19 outcomes in patients with inflammatory bowel diseases: results from an international registry. Gastroenterology 2020; doi: 10.1053/j.gastro.2020. 05.032
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