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Mit Ohrenschmalz zum Kapazunder

<p class="article-intro">In Sonntagsreden von Gesundheitspolitikern wird dem Hausarzt Aufwertung in Aussicht gestellt. Die Wirklichkeit schaut anders aus. Es bleibt bei Lippenbekenntnissen.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Die zunehmende Geringsch&auml;tzung des heimischen Allgemeinmediziners l&auml;sst f&uuml;r gesundheitspolitische Laien oft den f&auml;lschlichen Eindruck entstehen, dieser Typus an niedergelassenem Arzt sei prim&auml;r f&uuml;rs Krankschreiben, f&uuml;rs Formularwesen der Sozialversicherungen und f&uuml;r die Verordnung von Drogensubstitutionsmitteln da. Leider spiegelt sich diese Zweitrangigkeit auch in der Medienwelt wider. Selbst bei Thematisierung banalster Gesundheitsst&ouml;rungen werden Statements von Universit&auml;tsprofessoren eingeholt. Um die &Uuml;berlegenheit so eines Kapazunders unter Beweis zu stellen, erfolgen der Griff nach hochtrabenden Fachausdr&uuml;cken und die Erw&auml;hnung von Therapiem&ouml;glichkeiten, die eine Stange Geld kosten, welches von den Kassen nicht zur&uuml;ckerstattet wird. Zum Schluss erfolgt noch die Bekanntgabe der Kontaktdaten zur Privatordination des Spezialisten.</p> <h2>Ausblendung des Hausarztes</h2> <p>Beispielhaft wird die Gesundheitsbeilage einer auflagenstarken Zeitung herausgenommen. Dabei soll nicht unerw&auml;hnt bleiben, dass die &bdquo;Kronen Zeitung&rdquo; im Rahmen ihrer Tagesberichterstattung und ver&ouml;ffentlichter Leserbriefe der Aufwertung des Hausarztes positiv gegen&uuml;bersteht. Der Gesundheitsteil der Samstag-Krone vom 23. Juli 2016 hingegen ist ein Beispiel f&uuml;r permanentes Hochjubeln des Spezialistentums. Wer bei R&uuml;ckkehr nach einem langj&auml;hrigen Auslandsaufenthalt die in der Mitte besagter Zeitung eingelegten 20 Seiten genau studiert, der muss den Eindruck bekommen, &Ouml;sterreichs Allgemeinmediziner seien in seiner Abwesenheit abgeschafft worden. Fairnesshalber kommt zur Erw&auml;hnung, dass die diversen Beitr&auml;ge, medizinisch betrachtet, ein hohes Niveau aufweisen. Fachkollegen vieler Sparten kommen zu Wort. Der Begriff &bdquo;Hausarzt&ldquo; oder &bdquo;Allgemeinmediziner&ldquo; hingegen f&auml;llt auf 20 Seiten kein einziges Mal. Selbst eine ganz kurz gehaltene Empfehlung, am Beginn jeder Erkrankung zuerst den Vertrauensarzt zu kontaktieren, fehlt. Wom&ouml;glich d&uuml;rfte es den Verantwortlichen der Druckschrift gar nicht auffallen, dass sie einer Verherrlichung des Spezialistentums Vorschub leisten. Bei jedem Wehwehchen wird empfohlen, den entsprechenden Facharzt aufzusuchen. So darf es nicht wundern, dass der medizinische Laie den Eindruck bekommt, nur der Spezialist k&ouml;nne ihm helfen. Es bleibt nur ein gro&szlig;es Fragezeichen: Welcher Facharzt soll angesteuert werden? Diese Frage zu beantworten, gestaltet sich in manchen F&auml;llen selbst f&uuml;r &Auml;rzte gar nicht so leicht. Der Laie hingegen geht fast immer in die Irre. Besonders dann, wenn er unter einer larvierten Depression oder an chronischem Alkoholmissbrauch leidet. So rennen zum Beispiel Patienten monatelang einem Orthop&auml;den die T&uuml;r ein, obwohl ein Psychiater f&uuml;r sie zust&auml;ndig w&auml;re.</p> <h2>Allgemeinmediziner in der &Uuml;berzahl</h2> <p>Zeitungsberichte wie die in der Krone sollten einen Beitrag dazu liefern, dass die Leser im Falle einer Erkrankung nicht vorrangig Spitalsambulanzen, sondern ihren Hausarzt aufsuchen. Unter den niedergelassenen &Auml;rzten sind die Allgemeinmediziner in der Mehrheit. Von den rund 7.000 Kassen&auml;rzten werden knapp 3.900 Hausarztpraxen betrieben. Bei den rund 10.000 Wahl&auml;rzten &Ouml;sterreichs ist der &Uuml;berhang der Allgemeinmediziner mit 7.000 noch ausgepr&auml;gter.</p> <h2>Selbstbedienung statt Steuerung</h2> <p>Dem &Ouml;sterreicher ist Patientensteuerung ein Fremdwort. Die politischen Verantwortungstr&auml;ger haben bewusst darauf verzichtet, um beim W&auml;hler nicht in Ungnade zu fallen. So bestimmt auch der blutigste Laie selbst, welcher Arzt zum Beispiel eine R&ouml;tung im Genitalbereich zu beurteilen hat. Extrem lange Wartezeiten f&uuml;r einen Termin bei einem Kassen-Facharzt sind die Folge. Geht es nach der besagten Gesundheitskrone auf Seite 18, dann muss die Erstbegutachtung der oben erw&auml;hnten R&ouml;tung durch eine Fach&auml;rztin f&uuml;r Haut- und Geschlechtskrankheiten erfolgen. Launige Nebenbemerkung: Dermatologen sind in der Krone fast durchgehend weiblichen Geschlechts und haben keine Kassen. Zwei Seiten der besagten Beilage vom 23. Juli widmen sich Genitaloperationen, welche die Lust der Frauen steigern sollen. Schon 16-J&auml;hrige, so der Bericht, wollen unter das Messer. Die Demut vor medizinischen Eingriffen d&uuml;rfte komplett verloren gegangen sein. Die befragte Sch&ouml;nheitschirurgin beruhigt die Leser. Eine nur 17 Jahre alte Patientin h&auml;tte sie schon einmal abgewiesen. Absolute Randthemen wie Unterspritzung des G-Punktes und Entfernung der Klitoris-Vorhaut kommen zur Sprache. Am Schluss des Beitrages erkl&auml;rt die Spezialistin w&ouml;rtlich: &bdquo;Wer einen Eingriff vornehmen lassen m&ouml;chte, sollte unbedingt Informationen von einem Facharzt einholen!&ldquo; Da lobe ich mir einen engagierten Hausarzt, der den Mut zur Wahrheit hat und damit eine teure Facharztkonsultation und eine &uuml;berfl&uuml;ssige Operation verhindert: &bdquo;Frau Gruber, im Vertrauen, eine Vergr&ouml;&szlig;erung der &auml;u&szlig;eren Schamlippen kann Ihre Ehe nicht retten!&ldquo; Damit kann auch der gesundheitspolitische Neueinsteiger erkennen, dass in den Warter&auml;umen der Fachkollegen ein hoher Prozentsatz an Patienten sitzt, der gar keiner fach&auml;rztlichen Begutachtung und Behandlung bedarf. &Auml;hnlich wie auch in unseren Spitalsambulanzen schm&auml;lern Patienten mit Banalerkrankungen und Befindlichkeitsst&ouml;rungen die freien Kapazit&auml;ten der Kassen-Fach&auml;rzte, die f&uuml;r das dringliche Einschieben ernstlich Erkrankter notwendig w&auml;ren.</p> <h2>Ohrsp&uuml;len als Dom&auml;ne des Facharztes?</h2> <p>Wer unter vermehrter Produktion von Ohrenschmalz leidet, so die Empfehlung von zwei Krone-Autorinnen, sollte die Ohren regelm&auml;&szlig;ig von einem HNO-Arzt professionell reinigen lassen. Sowohl Frau Dr. Andrea Dungl als auch Frau Mag. pharm. Claudia Dungl d&uuml;rfte aber bekannt sein, dass jeder Allgemeinmediziner schon in seiner Ausbildung lernen muss, Zerumen zu entfernen. Auch ein Ohrenschmalzpfropf ist f&uuml;r den praktischen Arzt kein unl&ouml;sbares Problem. Dass das Ohrensp&uuml;len in anderen hochzivilisierten L&auml;ndern auch von Krankenschwestern oder Fris&ouml;ren gemeistert wird, sei nur nebenbei erw&auml;hnt. Wer meint, dass nur die beiden Genannten Ohrschmalzpatienten prim&auml;r zum Facharzt schicken, t&auml;uscht sich. Auch Karin Podolak, Chefin der Krone-Gesundheitsredaktion, empfiehlt zwei Seiten vorher ebenfalls die HNO-&auml;rztliche Behandlung. &Uuml;berproduktion von Ohrenschmalz scheint in besagter Ausgabe bestimmendes Thema zu sein. Podolak erkl&auml;rt das so: &bdquo;Wenn beim Schwimmen oder Tauchen Wasser in die Ohren gelangt, quillt der Pfropfen auf und verlegt den Geh&ouml;rgang.&ldquo; Ihre Empfehlung: &bdquo;durch den HNO-Arzt entfernen lassen&ldquo;. Sp&auml;testens jetzt bemerken sensibilisierte Leser der &bdquo;Kronen Zeitung&ldquo;, dass seit dem letzten Duschgang das H&ouml;rverm&ouml;gen vermindert scheint. Es folgt ein rascher Griff zum Handy, um einen Termin beim HNO-Arzt zu bekommen. Leser anderer Bl&auml;tter vermissen wom&ouml;glich eine derartige Aufkl&auml;rung &uuml;ber Ohrenschmalz, wissen daf&uuml;r aber aus Erfahrung, dass bei pl&ouml;tzlicher H&ouml;rverschlechterung nach dem Waschen der Haare ein Aufsuchen des Hausarztes schnelle Abhilfe schaffen kann.</p> <h2>Thema Popo-Vergr&ouml;&szlig;erung</h2> <p>Eine andere Krone-&bdquo;Gesund&ldquo;-Ausgabe, die vom 30. Juli, widmet sich auf den Seiten 2 und 3 den Popos der Frauen. Da muss die Fachmeinung eines plastischen Chirurgen her. Redakteurin Mag. Monika Kotasek-Rissel befragt einen Wiener Spezialisten f&uuml;r &bdquo;Popo-Korrekturen&ldquo;. F&uuml;r den Einstieg ins Thema h&auml;lt das volumin&ouml;se Hinterteil der US-amerikanischen TV-Schauspielerin Kim Kardashian her, Foto inklusive. Der befragte Arzt vermutet, dass die Hollywood-Sch&ouml;nheit ein &bdquo;Brazilian butt lift&ldquo; durchf&uuml;hren hat lassen. Selbst gut geschulte Mediziner verstehen bei diesem Begriff nur Bahnhof, doch der Fachmann hilft dem Leser aus der Patsche: &bdquo;Bei diesem Eingriff wird sowohl ein Implantat eingesetzt als auch Eigenfett injiziert.&ldquo; So werden von ihm die diversen Methoden dargestellt, den Allerwertesten &bdquo;aufzupeppen&ldquo;. &bdquo;Betroffene Frauen&ldquo;, so der Spezialist, &bdquo;d&uuml;rfen sich dann &uuml;ber mehr Volumen freuen.&ldquo; &Uuml;ber die unfreiwillige Methode, wie leider viel zu viele &Ouml;sterreicherinnen ihr Ges&auml;&szlig; auffetten, wird kein Wort verloren. Auch geh&auml;ufter Verzehr von Schweinsbraten mit Kn&ouml;del kann den Popo vergr&ouml;&szlig;ern.</p> <h2>Psoriasisbehandlung in der Privatpraxis</h2> <p>Auf den Seiten 4 und 5 der besagten Ausgabe kommt es zur Thematisierung der &uuml;beraktiven Blase. Eine Gyn&auml;kologin aus Dornbirn kl&auml;rt die Leser auf. Dann geh&ouml;ren zwei Seiten dem Hauptverband der Sozialversicherungen, zwei weitere einer Yoga-Lehrerin. Schlie&szlig;lich wird es aber in guter Krone-Manier Zeit, wieder eine Dermatologin zu Wort kommen zu lassen. Eine Universit&auml;tsprofessorin referiert &uuml;ber die Schuppenflechte. Ein &bdquo;Google-Blick&ldquo; gen&uuml;gt und schon wei&szlig; der unter Psoriasis leidende Krone-Leser, dass die Frau Professor in einer Wiener Innenstadt-Privatpraxis anzutreffen ist. In einem Kasten gleich neben der Haut&auml;rztin begr&uuml;ndet eine Fach&auml;rztin f&uuml;r physikalische Medizin, warum wir zur St&auml;rkung der Immunabwehr regelm&auml;&szlig;ig 100 % ig naturreines PMA-Zeolith schlucken sollen. Selbstverst&auml;ndlich kommt auch der Produktname zur Erw&auml;hnung. Auf den n&auml;chsten Seiten erkl&auml;rt der bekannte Hepatologe Univ.-Prof. DDr. Peter Ferenci die lebersch&uuml;tzende Wirkung der Mariendistel.</p> <h2>Bruststraffung in Grazer Privatklinik</h2> <p>Dann folgen Beitr&auml;ge eines Wiener Internisten und eines Kinderfacharztes. In der abschlie&szlig;enden Rubrik &bdquo;Sprechstunde&ldquo; beantworten Fachkollegen die Fragen der Leser. Der Wissbegierige lernt so in der 16-seitigen Beilage noch einen zweiten plastischen Chirurgen kennen. Beim Thema &bdquo;Bruststraffung&ldquo; gibt der Universit&auml;tsprofessor gleich bekannt, in welcher Grazer Privatklinik er anzutreffen ist. Ganz zum Schluss der Gesundheitsbeilage referiert eine weitere Dermatologin &uuml;ber Haarausfall unter der sehr seltenen Autoimmunkrankheit Lichen planopilaris. Auch in der &bdquo;Gesund&ldquo;-Ausgabe vom 30. Juli sind Begriffe wie &bdquo;Allgemeinmediziner&ldquo; und/oder &bdquo;Hausarzt&ldquo; nicht zu finden. Vielleicht f&auml;llt es dem Herausgeber gar nicht auf. Vielleicht ist alles nur Zufall. Aber die genannten Krone-Gesundheitsbeilagen schicken unbewusst folgende Botschaft aus: &bdquo;Am besten gleich zum Spezialisten in die Privatordination!&ldquo;</p></p>
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