
Patellaluxationen beim Kind und Jugendlichen – wer muss operiert werden?
Autor:
Dr. Michael Humenberger
Klinische Abteilung für Unfallchirurgie, Universitätsklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Medizinische Universität Wien
E-Mail: Michael.humenberger@gmail.com
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Patellaluxationen sind häufige Verletzungen bei Kindern und Jugendlichen und gehen oft mit erheblichen funktionellen Einschränkungen und einem erhöhten Risiko für Rezidive einher. Sie zeigen in diesen Altersgruppen unterschiedliche Ursachen und Risikofaktoren und erfordern unterschiedliche Therapieansätze.
Während bei Kindern häufig anatomische Fehlbildungen im Vordergrund stehen, spielen bei Jugendlichen oft traumatische Ereignisse und sportliche Aktivitäten eine größere Rolle. Die Entscheidung, ob eine operative Behandlung notwendig ist, hängt von verschiedenen Faktoren wie dem Alter des Patienten, der anatomischen Prädisposition und der Häufigkeit der Luxationen ab. Dieser Artikel beleuchtet die Unterschiede zwischen der Patellaluxation beim Kind und beim Jugendlichen sowie die Indikationen zur Operation und stellt aktuelle Therapieansätze vor.
Patellaluxationen treten bei Kindern und Jugendlichen häufig auf und machen etwa 2–3% aller Knieverletzungen in dieser Altersgruppe aus. Man unterscheidet traumatische von habituellen Patellaluxationen. Traumatische Patellaluxationen entstehen durch ein Trauma, wie z.B. einen Sturz oder eine plötzliche Drehbewegung, während anatomische Fehlstellungen das Auftreten von habituellen Patellaluxationen begünstigen. Die Erstluxation führt oft zu Schmerzen, Schwellungen und einer eingeschränkten Mobilität. Während bei einigen Patienten eine konservative Therapie ausreicht, benötigen andere eine operative Intervention, um Rezidive zu vermeiden und die Funktion des Kniegelenks langfristig zu erhalten.
Anatomische Risikofaktoren und Diagnostik
Kinder weisen häufiger angeborene Fehlbildungen wie Trochleadysplasien oder Patella alta auf, während bei Jugendlichen dynamische Faktoren wie Muskelungleichgewichte und sportbedingte Verletzungen dominieren. Die Diagnostik der kindlichen Patellaluxation unterscheidet sich nur unwesentlich von der des Erwachsenen. Im Fall einer operativen Therapie müssen jedoch die offenen Wachstumsfugen in die Therapieentscheidung miteinbezogen werden. Im Falle einer akuten Patellaluxation steht nach Anamnese und klinischer Untersuchung das konventionelle Röntgen im Vordergrund. Hier werden Aufnahmen im a/p und seitlichen Strahlengang durchgeführt. Sollte die Reposition noch nicht präklinisch erfolgt sein, kann ein vorsichtiger Repositionsversuch bereits umgehend nach der radiologischen Diagnostik erfolgen. Eine schonende Repositionstechnik reduziert das Risiko repositionsassoziierter Knorpel-Knochen-Verletzungen und sollte bei Bedarf unter Schmerzausschaltung erfolgen. Das MRT dient zur Beurteilung der Gelenksanatomie sowie etwaiger Begleitverletzungen wie Knorpelschäden, osteochondraler Frakturen und Rupturen des MPFL. Bei speziellen Fragestellungen wird eine Computertomografie durchgeführt, in der die Trochleageometrie und Frakturen besser beurteilt werden können sowie Torsionsmessungen erfolgen können. Ganzbeinaufnahmen dienen der Beurteilung von Achsfehlstellungen. Da sie im Stehen und bei gleichmäßiger Belastung durchgeführt werden, haben sie in der akuten Phase weniger Bedeutung und sollten im Verlauf durchgeführt werden.
Die Entscheidung, ob ein Kind oder Jugendlicher mit einer Patellaluxation operiert werden sollte, hängt maßgeblich von den zugrunde liegenden anatomischen Risikofaktoren ab. Dazu zählen:
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Trochleadysplasie: Eine flache oder konvex geformte Trochlea femoris begünstigt das Auftreten habitueller Patellaluxationen.
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Patella alta: Eine hochstehende Patella erhöht das Risiko für Luxationen vor allem in strecknaher Stellung. Analog zu Erwachsenen kommen hier der Caton-Deschamps- und der Insall-Salvati-Index zur Anwendung.
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Erhöhter TT-TG-Abstand: Eine lateralisierte Tuberositas tibiae führt zu einem nach lateral auf die Patella ausgerichteten Kraftvektor. Da es sich beim TT-TG-Abstand jedoch um einen absoluten Wert handelt, muss dieser vor allem bei Kindern altersadaptiert interpretiert werden.
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Genu valgum: Eine X-Bein-Fehlstellung mit erhöhtem Q-Winkel führt ebenso zu einem lateralisierenden Kraftvektor auf dem Femoropatellargelenk, wodurch die Patella aus der Ideallinie nach lateral gezogen wird.
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Torsionsmalalignment
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Vermehrte femorale Antetorsion
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Vermehrte tibiale Außenrotation
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Hyperlaxität
Die Diagnostik umfasst neben der klinischen Untersuchung bildgebende Verfahren wie Röntgen, MRT und CT, um die genaue Anatomie und das Ausmaß der Fehlstellungen zu erfassen.
Konservative vs. operative Therapie
Konservative Therapie
Bei einer erstmaligen Patellaluxation ohne schwerwiegende anatomische Risikofaktoren und ohne osteochondrales Abscherfragment ist eine konservative Therapie oft die erste Wahl. Diese umfasst:
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Ruhigstellung: Schonung, Kühlung und Hochlagerung des Beines zur Schmerzlinderung und Reduktion der Schwellung
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Orthesen: initiale Ruhigstellung in leichter Flexionsstellung und mit zunehmender Freigabe des Bewegungsumfanges, jedoch ohne nachgewiesene Evidenz. Die Dauer der Immobilisation und der Orthesenversorgung hat keinen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit einer Reluxation.
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Physiotherapie: frühzeitiger Beginn isometrischer Kräftigungsübungen für die Streckmuskulatur und gezieltes Training der Oberschenkelmuskulatur, insbesondere des M. vastus medialis obliquus. Die Wahrscheinlichkeit einer Reluxation kann mittels Patellar-Instability-Severity-Score abgeschätzt werden. Wenn auch 50–70% der Patienten nach einer Erstluxation mit konservativer Therapie beschwerdefrei bleiben, hat die primäre operative Therapie bessere Ergebnisse bzgl. Reluxationsrate gezeigt. Dies geht jedoch nicht unbedingt mit einem besseren klinischen Ergebnis einher.
Operative Therapie
Absolute OP-Indikationen bei akuter Patellaluxation stellen intraartikuläre osteochondrale Fragmente sowie, in seltenen Fällen, nicht reponierbare Patellaluxationen und Luxationsfrakturen dar. Eine operative Behandlung sollte in folgenden Fällen empfohlen werden:
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Rezidivierende Luxationen: wiederholte Luxationen trotz konservativer Therapie
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Ausgeprägte Trochleadysplasie, Patella alta oder erhöhter TT-TG-Abstand
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Begleitverletzungen: Knorpelschäden, chondrale Fragmente oder vollständige Rupturen des medialen patellofemoralen Ligaments (MPFL)
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Erstluxation mit hohem individuellem Risiko für eine Rezidivluxation
Es stehen verschiedene operative Verfahren zur Verfügung, darunter:
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MPFL-Rekonstruktion: Wiederherstellung des medialen Stabilisators der Patella. Diese ist auch bei Kindern und Jugendlichen mit offenen Wachstumsfugen möglich, sofern eine fugenschonende OP-Technik angewandt wird.
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Weichteileingriffe: laterales Release bzw. laterale Erweiterungsplastik, Naht bzw. Refixation des MPFL, Sehnentransfers
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Trochleaplastik: Umformung der Trochlea zur Verbesserung der Patellaführung
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Tuberositas-Versetzung: Medialisierung der Tuberositas tibiae zur Reduktion des TT-TG-Abstands. Im Falle einer Patella alta kann diese durch eine Distalisierung der Patella korrigiert werden.
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Torsionskorrekturen: Sowohl die Trochleaplastik als auch die TT-Versetzung und die Torsionskorrekturen sind bei offenen Fugen kontraindiziert und können erst nach Fugenschluss erfolgen.
Alle OP-Techniken sollen zu einem schmerzfreien, stabilen und frei beweglichen Kniegelenk führen, ohne das Wachstum zu beeinträchtigen. Die Wahl des Verfahrens hängt von den individuellen anatomischen Gegebenheiten und dem Alter des Patienten ab. Die MPFL-Rekonstruktion ist die am häufigsten angewandte OP zur Patellastabilisierung und muss gegebenenfalls mit anderen OP-Techniken kombiniert werden. Die MPFL-Rekonstruktion kann mittels autologer Gracilissehne, gestielter Quadrizepssehne oder gestielter Adductor-magnus- oder Patellasehne erfolgen. Die Fixierung erfolgt meist durch resorbierbare Schrauben oder Anker. Bei Patienten mit offener distaler Femurepiphyse erfolgt die femorale Fixierung distal der Fuge, ohne diese zu verletzen. Die Fixierung des Transplantates an der Patella kann über Bohrkanäle und resorbierbare Schrauben oder in Onlay-Technik mit Fadenankern erfolgen. Um eine Überspannung des Transplantates zu vermeiden, erfolgt die finale Fixierung des Transplantates in 20–30° Flexionsstellung des Kniegelenkes und mit Stabilisierung der Patella in neutraler Position bzw. mit leichtem Druck nach lateral. Postoperativ muss eine freie Beweglichkeit des Kniegelenks gegeben sein. Die bedeutendsten operationsspezifischen Komplikationen der MPFL-Plastik stellen die Fehlpositionierung des femoralen Insertionspunktes sowie die Patellafraktur dar. Vor allem Patienten mit habituellen Patellaluxationen benötigen gelegentlich Zusatzeingriffe, wie ein laterales Release bzw. eine Erweiterungsplastik des lat. Retinaculums, oder eine Versetzung der Tuberositas tibiae. Da die TT-Versetzung jedoch bei offenen Fugen kontraindiziert ist, kann die rein weichteilige TT-Versetzung nach Grammont erfolgen. Bei ausgeprägter Trochleadysplasie und femoropatellarer Instabilität zwischen 30 und 60° ist die Trochleaplastik indiziert. Diese sollte jedoch erst nach Wachstumsabschluss durchgeführt werden. Valgusfehlstellungen können mittels Hemiepiphyseodese erfolgreich korrigiert werden. Diese wird mittels Zweilochplatte, meist am distalen Femur, durchgeführt und muss bei noch ausreichendem Wachstumspotenzial erfolgen. Schwere Torsionsanomalien können mittels Korrekturosteotomien korrigiert werden, wobei jedoch zu beachten ist, dass diese mit einer hohen Komplikationsrate vergesellschaftet sind. Vor allem Verletzungen des Nervus peroneus mit konsekutiven Funktionseinschränkungen stellen eine schwerwiegende Komplikation der Derotationsosteotomie dar.
Im Fall eines begleitenden Knorpelschadens sollte diesem eine spezielle Beachtung geschenkt werden. Meist handelt es sich um osteochondrale Läsionen, die nach Patellaluxationen zu 76% die Patella, zu 24% den lateralen Femurkondylus und zu 6,5% beide Gelenkspartner betreffen. Handelt es sich um ein Fragment im artikulierenden Bereich des Gelenks, so ist, sofern technisch möglich, immer die Refixation des Fragmentes anzustreben. Hierfür bieten sich v.a. resorbierbare Implantate an, um das Fragment zu befestigen. Bezüglich der Einheilungsrate und Prognose steht leider nur wenig Literatur zur Verfügung. Im Falle von nicht refixierbaren Knorpelschäden sollte nach aktuellen Guidelines zum Thema Knorpelschäden vorgegangen werden. Hier wird vor allem auf die AGA-Guideline „Therapie von Knorpelschäden“ verwiesen.
Langzeitprognose und Komplikationen
Unbehandelte oder inadäquat behandelte Patellaluxationen können langfristig zu erheblichen Problemen führen. Dazu zählen:
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Chronische Instabilität: Wiederholte Luxationen führen zu einer dauerhaften Schwächung der stabilisierenden Strukturen.
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Frühzeitige Arthrose: Knorpelschäden und Fehlbelastungen begünstigen die Entstehung einer Femoropatellararthrose.
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Einschränkungen im Alltag: Schmerzen und Instabilität können die sportliche Aktivität und die Lebensqualität beeinträchtigen.
Eine frühzeitige und individuelle Therapieentscheidung ist daher maßgeblich, um diese Komplikationen zu vermeiden.
Fazit
Patellaluxationen bei Kindern und Jugendlichen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Ursachen, Risikofaktoren und Therapieansätze. Während bei Kindern angeborene anatomische Fehlbildungen im Vordergrund stehen, dominieren bei Jugendlichen traumatische Ereignisse und sportbedingte Verletzungen. Die Behandlung von Patellaluxationen bei Kindern und Jugendlichen erfordert eine sorgfältige Abwägung zwischen konservativen und operativen Maßnahmen. Während bei Erstluxationen ohne schwerwiegende anatomische Risikofaktoren und ohne osteochondrale Fragmente eine konservative Therapie oft ausreicht, profitieren Patienten mit rezidivierenden Luxationen oder ausgeprägten Fehlstellungen von einer operativen Intervention. Die langfristige Prognose hängt maßgeblich von einer frühzeitigen und individuell angepassten Therapie ab.
Take-Home-Messages
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Indikation zur Operation: Eine operative Behandlung sollte bei rezidivierenden Patellaluxationen, persistierenden Beschwerden oder schweren anatomischen Fehlstellungen (z.B. Trochleadysplasie, Patella alta, erhöhter TT-TG-Abstand) in Betracht gezogen werden. Eine absolute OP-Indikation besteht bei intraartikulären osteochondralen Fragmenten nach akuter Patellaluxation.
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Konservative Therapie bei Erstluxation: Bei einer erstmaligen Patellaluxation ohne schwerwiegende anatomische Risikofaktoren und ohne osteochondrale Fragmente ist eine konservative Therapie mit Ruhigstellung, Physiotherapie und Stabilisierungstraining oft die erste Wahl. Dennoch haben Studien gezeigt, dass die primäre operative Therapie bessere Ergebnisse hinsichtlich der Reluxationsrate bietet.
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Langzeitfolgen unbehandelter Patellaluxationen: Unbehandelte oder inadäquat behandelte Patellaluxationen können zu chronischer Instabilität, frühzeitiger Femoropatellararthrose und erheblichen Einschränkungen im Alltag führen. Eine frühzeitige und individuelle Therapieentscheidung ist daher ausschlaggebend, um langfristige Komplikationen zu vermeiden.
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Operative Verfahren: Die MPFL-Rekonstruktion ist die am häufigsten angewandte Operation zur Stabilisierung der Patella und kann bei Kindern und Jugendlichen mit offenen Wachstumsfugen durchgeführt werden, sofern eine fugenschonende Technik angewendet wird. Bei ausgeprägten anatomischen Fehlstellungen können zusätzliche Verfahren wie Trochleaplastik, Tuberositas-Versetzung oder Torsionskorrekturen erforderlich sein, die jedoch erst nach Wachstumsabschluss durchgeführt werden sollten.
Literatur:
● AGA-Komitee Knie-Patellofemoral: Die Therapie der instabilen Patella ● AGA-Knie-Knorpel-Meniskus-Komitee: Therapie von Knorpelschäden ● Figueiredo I et al.: Complications after knee derotational osteotomies in patients with anterior knee pain and/or patellofemoral instability: a systematic review with meta-analysis. EFORT Open Rev 2025; 10(1): 14-25 ● Leitlinie Patellaluxationen DGU/ÖGU. 2. Auflage 2021 ● Sperl M, Kraus T: Patellaluxationen beim Kind. In: Engelhardt M, Raschke M (Hrsg.): Orthopädie und Unfallchirurgie, Springer Reference Medizin. Berlin, Heidelberg: Springer, 2024. https://doi.org/ 10.1007/ 978-3-642-54673-0_209-1
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