Add-ons in der Reproduktionsmedizin
Autoren:
Dr. Georg Weiss, MSc
Priv.-Doz. Dr. Michael Schenk
Das Kinderwunsch Institut Schenk GmbH
FRED Fertility Research Education Development Gesellschaft mbH
8143 Dobl, Österreich
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Auf dem Weg zum Wunschkind haben sich neben den Standardmethoden der In-vitro-Fertilisation zusätzliche Add-on-Therapien entwickelt. Die Verwendung dieser Methoden ist jedoch großteils experimentell und (noch) nicht mit genügend Evidenz belegt, sodass eine Anwendung kritisch zu betrachten ist.
Keypoints
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Empfohlene Add-ons sind Eizell- und Spermienaktivierung sowie der Einsatz von Hyaluronsäure im Transfermedium.
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Die Entwicklung von Add-ons ist nur durch klar definierte Protokolle und rationale Grundlagen möglich.
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Sichere Anwendung von Add-ons ist nur bei Vorliegen ausreichender Evidenz gewährleistet.
Die Reproduktionsmedizin ist ein relativ junges Fachgebiet der Medizin, das sich durch rasante Fortschritte und innovative Behandlungen für Paare mit unerfülltem Kinderwunsch auszeichnet. Seit der Geburt des ersten Babys durch In-vitro-Fertilisation (IVF) 1978 konnten viele neue Therapieschemata und Technologien erforscht und verbessert werden.1 Trotz des immensen Fortschritts wird bei vielen Paaren keine Ursache der Infertilität identifiziert. Selbst bei Patient:innen mit klaren Indikationen variiert der Erfolg der assistierten Reproduktionstechnologien (ART). Die neuesten Daten des European IVF Monitoring (EIM) Consortium berichteten, dass in den teilnehmenden Ländern die Schwangerschaftsraten pro Embryotransfer (ET) in Frischzyklen 34,1% bei IVF und 32,1% bei intrazytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI) betrugen. Die Geburtenraten lagen pro ET bei 26,1% nach IVF und 23,9% nach ICSI, während nach Kryo-ET die Schwangerschafts- und Geburtenraten pro ET 34,3% bzw. 24,9% betrugen.2
Aufgrund dieser Erfolgschancen wird die ART-Behandlung von Patient:innen als und behandelnden medizinischen Fachkräften oft als frustran wahrgenommen. Für einige Patient:innen kann das Risiko des Scheiterns in Kombination mit den finanziellen Aspekten der ART dazu führen, dass sie die Behandlung abbrechen, während es bei anderen den Wunsch nach vermeintlich besseren Behandlungsoptionen verstärkt.3,4 Die innovative Natur der ART, gepaart mit der Entschlossenheit der Patient:innen und dem Wunsch der medizinischen Fachkräfte, das Beste für ihre Patient:innen zu tun, hat den Weg für die umfangreiche Nutzung von Zusatztherapien – sogenannten „Add-ons“ – im Bereich der Reproduktionsmedizin geebnet. Die Add-ons umfassen Tests, Medikamente, Geräte, komplementäre oder alternative Therapien, Laborverfahren und chirurgische Eingriffe. Das gemeinsame Ziel ist es, eine Verbesserung der Schwangerschaftsrate oder der Lebendgeburtenrate (LBR) zu erreichen, das Risiko einer Fehlgeburt zu verringern oder die Zeit bis zur Erreichung einer Schwangerschaft zu verkürzen. Die Verfügbarkeit umfangreicher Evidenz hinsichtlich der Sicherheit und Wirksamkeit von Add-ons ist jedoch häufig begrenzt oder sie fehlt ganz.5,6 Aus diesem Grund wurde eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Expert:innen auf dem Gebiet der Reproduktionsmedizin, zusammengestellt, um die Vielfalt an klinischem und labortechnischem Fachwissen sicherzustellen. Diese Gruppe wurde von der European Society of Human Reproduction and Embryology (ESHRE) ins Leben gerufen. Alle verfügbaren Add-ons wurden in drei Untergruppen eingeteilt: diagnostische Tests, Laborinterventionen sowie klinisches Management.7 Die Empfehlungen zu den einzelnen Add-ons wurden mit einer einheitlichen Terminologie versehen (Tab. 1).
Tab. 1: Überblick über die vier Standardformulierungen, welche für die Beschreibung der Empfehlungen verwendet wurden (modifiziert nach Lundin K et al.)7
Diagnose und diagnostische Tests
Im Bereich diagnostische Tests werden Tests der endometrialen Rezeptivitäts und immunmodulierende Therapien (z.B. Intralipidinfusion, intravenöse Immunglobuline) sowie Bluttests auf Immunparameter (z.B. uterine Killerzellen) nicht zur Anwendung empfohlen. Hier fehlen ausreichende biologische Begründungen und es gibt keinen Nachweis eines klinischen Nutzens. Derzeit nicht für die klinische Praxis empfohlen werden auch die Genotypisierung von „killer-cell immunoglobulin-like receptors“ (KIR) und humanen Leukozytenantigenen (HLA). Ebenso wurde die Screening-Hysteroskopie nicht für die Routinepraxis empfohlen, jedoch kann sie bei Patient:innen mit rezidivierendem Implantationsversagen (RIF, „recurrent implantation failure“) in Erwägung gezogen werden.
Laborinterventionen
Im Bereich der Laborinterventionen wird die künstliche Eizellaktivierung (mittels Calcium-Ionophor) zwar nicht für die Routinepraxis empfohlen, jedoch gilt sie als geeignet bei vollständigem Fertilisierungsversagen (0% 2PN), sehr niedrigen Befruchtungsraten (<30%) oder bei Globozoospermie. In einer Metaanalyse konnte gezeigt werden, dass die Verwendung von Calcium-Ionophor die Lebendgeburtenrate, insbesondere bei Patientinnen mit Fertilisierungsversagen, deutlich steigern kann.8
Folgende Laborinterventionen wurden laut ESHRE nicht für die Anwendung außerhalb definierter Forschungsprotokolle empfohlen: Mitochondrienersatztherapie, In-vitro-Aktivierung inaktiver Follikel, Embryokulturmedien mit zugesetzten Wachstumsfaktoren, „assisted hatching“, „time-lapse imaging“. Für die klinische Routinepraxis nicht empfohlen werden In-vitro-Maturation, Tests/Behandlungen von Spermien-DNA-Schäden oder genetische Untersuchungen wie Präimplantationsdiagnostik für Aneuploidien („preimplantation genetic testing for aneuploidies“, PGT-A), nichtinterventionelle Präimplantationsdiagnostik (ni-PGT-A) oder Messung der mitochondrialen DNA der Blastozyste. Auch die künstliche Spermienaktivierung mittels Phosphodiesterase(PDE)-Inhibitoren wird nicht für die klinische Routinepraxis empfohlen, jedoch hat sie sich bei primärer oder sekundärer totaler Asthenozoospermie, die nicht auf Strukturdefekte der Axoneme zurückzuführen ist, als vorteilhaft erwiesen.9
Im Bereich der Spermienselektion können magnetische Zellsortierung („magnetic activated cell sorting“, MACS) und die intrazytoplasmatische morphologische Spermainjektion (IMSI) auch nicht für die Routinepraxis empfohlen werden. Dies gilt auch für die Spermienselektion mithilfe der Hyaluronsäurebindung (Spermien-Hyaluronat-Bindungstest, „physiological ICSI“). Mikrofluidiktechnologien können jedoch in Erwägung gezogen werden, da hier verbesserte Fertilisierungsraten gezeigt werden konnten.10
Klinisches Management
Folgende Add-ons im Bereich des klinischen Managements werden aus Sicht von ESHRE generell nicht empfohlen: „platelet-rich plasma“ (PRP), Einsatz von Zusatzmedikation vor oder während der ovariellen Stimulation (z.B. Metformin, Wachstumshormon, Testosteron, Aspirin), Uterusspülungen (intrauterine Gabe von hCG, Wachstumsfaktor G-CSF, Embryokulturüberstand, Seminalplasma), Stammzelltherapie bei Frauen mit primärer Ovarialinsuffizienz (POI) bzw. verminderter/schlechter Ovarialreserve (DOR), Glukokortikoide, Antioxidantientherapie, Komplementär- und Alternativmedizin (z.B. Akupunktur). Hier gibt es in der Literatur (noch) zu wenig Evidenz bzw. keine ausreichenden Daten für eine sichere Anwendung. Weiters sind folgende Add-ons derzeit nicht für den Einsatz in der klinischen Praxis empfohlen: „elective freeze-all“, Duostim, intravaginale und intrauterine Kultursysteme, „endometrial scratching“.
Die einzige empfohlene Therapie im klinischen Management ist die Verwendung von Hyaluronsäure (HA) als Adhäsionsverbindung in Embryotransfermedien. Es konnte gezeigt werden, dass die Verwendung von HA bei der IVF-Behandlung die Lebendgeburtenrate nach frischen Transfers ohne Auftreten von unerwünschten Ereignissen erhöht.11 Dieser Effekt konnte jedoch nicht bei Kryoembryotransfers festgestellt werden.12
Diskussion
Innovation spielt eine entscheidende Rolle im Bereich der Reproduktionsmedizin. Der Zweck der Add-on-Empfehlungen vonseiten der ESHRE liegt darin, Forscher:innen zu ermutigen, klare rationale Grundlagen für Behandlungen zu schaffen. Durch eine sorgfältige Untersuchung und Zusammenfassung der Grundlagen, der Wirksamkeit und der Sicherheitsdaten der aufgeführten Interventionen wird deutlich, dass die meisten von ihnen nicht für die routinemäßige klinische Praxis empfohlen werden können, was bedeutet, dass sie nicht der Mehrheit der Patient:innen angeboten werden sollten. Bei Einige Interventionen haben ernsthafte Sicherheitsbedenken aufgeworfen oder konnten keine vorteilhaften Effekte nachweisen. Bei anderen wiederum verfügt man nicht über ausreichende Daten, um ihre Integration in die klinische Praxis zu unterstützen, und es sind weitere Untersuchungen im Rahmen von präklinischer und/oder klinischer Forschung erforderlich. Bis diese Studien eine klinische Relevanz und das Potenzial für erfolgreiche Schwangerschaften belegen, sollte diese Art an Interventionen nicht routinemäßig angeboten werden. Es liegt in der Verantwortung der Kliniken, nicht etablierte Interventionen konstant zu überwachen und zu überprüfen sowie die Ergebnisse mit anderen Kliniken zu teilen, um ausreichend Daten für aussagekräftige Schlussfolgerungen zu sammeln.
Literatur:
1 Steptoe PC, Edwards RG: Birth after the reimplantation of a human embryo. Lancet 1978; 2(8085): 366 2 Wyns C et al.: ART in Europe, 2018: results generated from European registries by ESHRE. Hum Reprod Open 2022; 2022(3): hoac022 3 De Neubourg D et al.: Evolution of cumulative live birth and dropout rates over six complete IVF/ICSI cycles: a large prospective cohort study. Reprod Biomed Online 2021; 42(4): 717-24 4 Verberg MFG et al.: Why do couples drop-out from IVF treatment? A prospective cohort study. Hum Reprod 2008; 23(9): 2050-5 5 Harper J et al.: When and how should new technology be introduced into the IVF laboratory? Hum Reprod 2012; 27(2): 303-13 6 Lensen S et al.: How common is add-on use and how do patients decide whether to use them? A national survey of IVF patients. Hum Reprod 2021; 36(7): 1854-61 7 Lundin K et al.: Good practice recommendations on add-ons in reproductive medicine. Hum Reprod 2023; 38(11): 2062-104 8 Shan Y et al.: Assisted oocyte activation with calcium ionophore improves pregnancy outcomes and offspring safety in infertile patients: a systematic review and meta-analysis. Front Physiol 2022; 12: 751905 9 Ebner T et al.: Pharmacological stimulation of sperm motility in frozen and thawed testicular sperm using the dimethylxanthine theophylline. Fertil Steril 2011; 96(6): 1331-6 10 Aydın Ş et al.: Prospective randomized controlled study of a microfluidic chip technology for sperm selection in male infertility patients. Andrologia 2022; 54(6): e14415 11 Heymann D et al.: Hyaluronic acid in embryo transfer media for assisted reproductive technologies. Cochrane Database Syst Rev 2020; 9(9): CD007421 12 Yung SSF et al.: Hyaluronic acid-enriched transfer medium for frozen embryo transfer: a randomized, double-blind, controlled trial. Fertil Steril 2021; 116(4): 1001-9
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