Management von Immuntherapie-assoziierten Nebenwirkungen
Autorin:
Assoc. Prof. Priv.-Doz. Dr. Veronika Seebacher-Shariat
Klinische Abteilung für Allgemeine Gynäkologie und Gynäkologische Onkologie,
Universitätsklinik für Frauenheilkunde
Medizinische Universität Wien
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Die Einführung der Immuntherapie hat die Onkologie revolutioniert, insbesondere durch Checkpoint-Inhibitoren wie PD-1-, PD-L1- und CTLA-4-Inhibitoren. Diese Therapien haben sich als wirksam bei der Behandlung vieler solider Tumoren und hämatologischer Malignome erwiesen, indem sie die körpereigenen Abwehrmechanismen gegen Tumorzellen stärken. Die Therapie wird meistens sehr gut vertragen, allerdings kann die Aktivierung des Immunsystems zu schwerwiegenden immunvermittelten Nebenwirkungen führen, die jedes Organsystem betreffen können.
Verschiedene Faktoren beeinflussen das individuelle Risikoprofil, „immune-related adverse events“ (irAE) zu erleiden, wie der Performance-Status, Komorbiditäten, die Tumorart, die Art bzw. Kombination der Therapie, das Mikrobiom von Haut, Lunge und Gastrointestinaltrakt und genetische Faktoren. Im Vergleich zu PD-1- und PD-L1-Inhibitoren treten Nebenwirkungen infolge von CTLA-4 Inhibitoren besonders an Haut, Gastrointestinaltrakt, Lunge und endokrinologischen Organen häufiger, früher und auch in höheren Graden auf. Auch weisen die einzelnen am Markt befindlichen PD-1- und PD-L1-Inihibitoren ein deutlich unterschiedliches Nebenwirkungsprofil auf.
Pathophysiologie immunvermittelter Nebenwirkungen
Die Hauptmechanismen der Immuntherapie bestehen in der Blockade immuninhibitorischer Signale, die normalerweise das Immunsystem vor Überaktivierung schützen. PD-1/PD-L1- und CTLA-4-Inhibitoren verhindern die T-Zell-Erschöpfung und stärken die T-Zell-vermittelte Immunantwort. Dies kann jedoch auch zu Autoimmunreaktionen führen, die sich gegen gesunde Zellen und Gewebe richten. Immunvermittelte Nebenwirkungen treten aufgrund einer überschießenden Immunaktivierung und einer gestörten Immuntoleranz auf. Besonders betroffen sind Organe mit physiologisch niedriger immunologischer Aktivität, wie Haut, Darm, Leber, Lunge, Schilddrüse und andere endokrine Organe.
Therapiestrategien je nach Schweregrad
Immunvermittelte Nebenwirkungen werden nach den „Common Terminology Criteria for Adverse Events“ (CTCAE) von Grad 1 (mild) bis Grad 4 (lebensbedrohlich) eingeteilt, und nach diesen richten sich die Therapieempfehlungen.
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Grad 1: Immuntherapie kann in den meisten Fällen fortgeführt werden. Symptomatische Therapie und engmaschige Überwachung sind ausreichend.
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Grad 2: Hier ist häufig eine vorübergehende Unterbrechung der Immuntherapie erforderlich. Orale Kortikosteroide in moderaten Dosen (0,5–1mg/kg Prednison) sind in der Regel ausreichend. Die Wiederaufnahme der Therapie erfolgt nach Besserung der Symptome.
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Grad 3–4: Eine dauerhafte Unterbrechung der Immuntherapie ist oft notwendig. Systemische Kortikosteroide (1–2mg/kg Prednison oder Methylprednisolon) sind die Therapie der Wahl. Nach 48 bis 72 Stunden sollte eine klinische Verbesserung eintreten. Falls keine Besserung beobachtet wird, sind zusätzliche Immunsuppressiva wie Infliximab oder Mycophenolatmofetil angezeigt.
Häufige und schwerwiegende immunvermittelte Nebenwirkungen
Von irAE kann praktisch jedes Organ betroffen werden, wobei Symptome oft zunächst unspezifisch erscheinen. Wichtig ist jedoch, bei jeglicher Symptomatik während und auch nach Abschluss einer Immuntherapie an die Möglichkeit von irAE zu denken. Die häufigsten irAE betreffen Haut, Gastrointestinaltrakt, Leber, Lunge und endokrine Drüsen. Besonders problematisch sind schwerwiegende und seltene Nebenwirkungen, die eine sofortige Intervention erfordern.
Dermatologische irAE
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Präsentation: Exantheme, Juckreiz, Vitiligo, bullöse Dermatitis
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Empfohlene Untersuchungen: klinische Untersuchung, evtl. Biopsie der Hautläsionen, Labor (Differenzialblutbild zur Überprüfung der Eosinophilenanzahl bei Verdacht auf schwere Hautreaktionen)
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Management: Grad 1 und 2 werden symptomatisch mit topischen Steroiden (Klasse II–IV) behandelt. Bei Grad 3 ist der Einsatz von systemischen Kortikosteroiden (Prednison 0,5–1mg/kg) angezeigt. Bei fehlendem Ansprechen können Immunsuppressiva wie Mycophenolatmofetil oder Infliximab eingesetzt werden.
Gastrointestinale irAE
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Präsentation: Diarrhö, Kolitis (bei CTLA-4-Hemmern häufiger als bei PD-1-Inhibitoren)
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Empfohlene Untersuchungen: Stuhluntersuchungen (Ausschluss von infektiösen Ursachen), Koloskopie (bei persistierenden oder schweren Symptomen mit Biopsie zur Bestätigung einer immunvermittelten Kolitis; histopathologisch zeigt sich häufig eine lymphozytäre Infiltration), CT Abdomen, Labor (C-reaktives Protein, Fäkal-Calprotectin sind erhöht bei aktiver Entzündung)
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Management: Grad 1 wird symptomatisch mit Diätanpassungen und Loperamid behandelt. Grad 2 erfordert orale Kortikosteroide (Prednison 1mg/kg), bei Grad 3 oder 4 sind ein stationärer Aufenthalt und die Gabe von intravenösen Kortikosteroiden (Methylprednisolon 1–2mg/kg) indiziert. Bei refraktären Fällen sollte Infliximab in Betracht gezogen werden.
Hepatische irAE
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Präsentation: asymptomatische Erhöhung der Leberwerte bis hin zu fulminanter Hepatitis
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Empfohlene Untersuchungen: Leberfunktionswerte zur Bewertung des Schweregrads der Hepatotoxizität, Hepatitisserologie, Autoantikörpertests (ANA, AMA, LKM-Antikörper zum Ausschluss einer autoimmunen Hepatitis), Sonografie oder CT des Abdomens (Beurteilung von Lebergröße, Gefäßstatus und strukturellen Anomalien), Leberbiopsie (bei persistierenden schweren Fällen)
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Management: Bei Grad 1 sollte engmaschig überwacht werden. Bei Grad 2–3 erfolgt die Therapie mit systemischen Steroiden (1–2mg/kg Prednison), die langsam über 4–6 Wochen ausgeschlichen werden. Bei persistierenden oder Grad-4-Nebenwirkungen wird die Therapie mit Mycophenolatmofetil oder Tacrolimus erwogen, während TNF-Hemmer vermieden werden sollten, da sie eine Hepatitis verschlimmern können.
Pulmonale irAE (Pneumonitis)
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Präsentation: Dyspnoe, Husten, radiologisch interstitielle Infiltrate
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Empfohlene Untersuchungen: Thorax-CT (Hauptdiagnosemethode zur Beurteilung von interstitiellen oder alveolären Infiltraten. Zeichen einer Pneumonitis sind milchglasartige Trübungen, retikuläre Veränderungen oder Konsolidierungen). Thorax-Röntgen (initiales Screening, jedoch weniger sensitiv als CT), Pulsoximetrie oder Blutgasanalyse zur Bewertung der Sauerstoffsättigung und des Gasaustauschs, Bronchoskopie mit bronchoalveolärer Lavage (Ausschluss von Infektionen und Untersuchung auf Entzündungszellen), Infektionsabklärung (Ausschluss von opportunistischen Infektionen wie Pneumocystis jirovecii oder Pilzinfektionen)
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Management: Grad 1 erfordert eine regelmäßige Überwachung und supportive Maßnahmen. Grad 2 sollte mit systemischen Steroiden (Prednison 1–2mg/kg) behandelt werden, gefolgt von einem langsamen Ausschleichen. Grad 3 und 4 bedürfen sofortiger intensiver Therapie und einer stationären Aufnahme. Eine Bronchoskopie und Lungenbiopsie sind oft notwendig, um Infektionen auszuschließen.
Endokrine irAE
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Präsentation: Hypophysitis, Thyreoiditis, Diabetes mellitus Typ 1, Nebenniereninsuffizienz
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Empfohlene Untersuchungen:
Hypophysitis:-
Magnetresonanztomografie (MRT) des Schädels: Vergrößerung der Hypophyse, Kontrastmittelaufnahme bei Hypophysitis
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Hormonprofile: Bestimmung von ACTH, Cortisol, TSH, freies T4, FSH, LH, Prolaktin, Testosteron oder Östrogen zur Überprüfung der Hypophysenfunktion
Thyreoiditis:
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Schilddrüsenfunktionstests: TSH, freies T4 und freies T3 zur Diagnose von Hypo- oder Hyperthyreose
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Schilddrüsenantikörper: TPO-Antikörper, Tg-Antikörper (Ausschluss einer autoimmunen Thyreoiditis)
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Sonografie der Schilddrüse: Beurteilung von Größe und Struktur
Nebenniereninsuffizienz:
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Plasma-ACTH und Morgen-Cortisol:Niedrige Cortisolspiegel und hohe ACTH-Werte weisen auf eine primäre Nebenniereninsuffizienz hin
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ACTH-Stimulationstest: Bestätigung der Nebenniereninsuffizienz durch fehlendes Ansprechen auf synthetisches ACTH
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Management: Diese Zustände führen oft zu einer permanenten hormonellen Dysfunktion und erfordern eine lebenslange Hormonersatztherapie. Bei akuter Hypophysitis oder Nebennierenkrisen ist möglichst rasch eine Hochdosis-Steroidtherapie (Hydrocortison 100mg intravenös) indiziert.
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Neurologische irAE
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Präsentation: Myasthenia gravis, Guillain-Barré-Syndrom, aseptische Meningitis, Enzephalitis
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Empfohlene Untersuchungen: Lumbalpunktion (Untersuchung des Liquors auf Entzündungszeichen bei Verdacht auf Enzephalitis oder Meningitis), MRT des Schädels, Elektromyografie (EMG) und Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) zur Bestätigung peripherer Nervenstörungen wie Guillain-Barré-Syndrom oder Myasthenia gravis, Acetylcholinrezeptor-Antikörper (bei Myasthenia gravis), EEG (bei Enzephalopathien oder Verdacht auf epileptische Anfälle)
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Management: Diese Nebenwirkungen sind selten, aber potenziell lebensbedrohlich. Die Therapie besteht in der sofortigen Unterbrechung der Immuntherapie und in der Gabe hoch dosierter systemischer Kortikosteroide (Methylprednisolon 1–2mg/kg). In schweren Fällen können eine Plasmapherese oder die intravenöse Gabe von Immunglobulinen erforderlich sein.
Langfristige Überwachung und Nachsorge
Nach der akuten Therapie immunvermittelter Nebenwirkungen ist eine engmaschige Nachsorge erforderlich. Einige irAE, insbesondere endokrine Störungen, bleiben irreversibel und erfordern eine lebenslange Hormonersatztherapie. Die Patienten sollten über mögliche Langzeitfolgen aufgeklärt werden und auf Symptome neuer Autoimmunerkrankungen achten.
Wichtige Maßnahmen für die Nachsorge
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Regelmäßige Laborkontrollen: Überwachung von Leberwerten, Schilddrüsenfunktion und Entzündungsparametern
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Bildgebung: Insbesondere bei pulmonalen oder gastrointestinalen irAE ist eine regelmäßige bildgebende Kontrolle (z.B. CT, MRT) sinnvoll.
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Endokrinologische Nachsorge: Patienten mit endokrinen irAE benötigen regelmäßige Konsultationen bei Endokrinologen und eine angepasste Hormonersatztherapie.
Fazit
Eine Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren ist meist gut verträglich und geht in den Studien mit einer Verbesserung der „patient-reported outcomes“ (PROs) einher. Dennoch muss sowohl während der Therapie als auch noch nach Abschluss der Therapie bei jedem Symptom an die Möglichkeit eines irAE gedacht werden. Das Management Immuntherapie-bedingter Nebenwirkungen erfordert ein detailliertes Verständnis der Pathophysiologie, eine präzise Klassifikation der Schweregrade und eine schnelle Therapieentscheidung.
Verschiedene Gesellschaften, wie die European Society of Medical Oncology (ESMO), die American Society of Clinical Oncology (ASCO) und die Society of Immunotherapy of Cancer (SITC) haben hilfreiche Leitlinien und Tools herausgegeben, die die Abklärung und Behandlung der einzelnen irAE erleichtern.
Literatur:
• Brahmer JR et al.: Society of Immunotherapy of Cancer (SITC) clinical practice guideline on immune checkpoint inhibitor-related adverse events. J Immunother Cancer 2021 ; 9(6): e002435 • Haanen J el al.: Management of toxicities from immunotherapy: ESMO Clinical Practice Guideline for diagnosis, treatment and follow-up. Ann Oncol 2022; 33(12): 1217-38 • Oliveira C et al.: Immune-related serious adverse events with immune checkpoint inhibitors: systematic review and network meta-analysis. Eur J Clin Pharmacol 2024; 80: 677-84 • Schneider BJ et al.: Management of immun-related adverse events in patients treated with immune checkpoint inhibitor therapy: ASCO Guideline Update. J Clin Oncol 2021; 39(36): 4073-126 • Yue M et al.: New advances in the study of PD-1/PD-L1 inhibitors-induced liver injury. Int Immunopharmacol 2024; 131: 111799
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