Medikamentöses Management bei gestörter Frühschwangerschaft
Autorin:
OÄ Dr. Valeria Colleselli-Türtscher
Universitätsklinik für Gynäkologie und Geburtshilfe
Medizinische Universität Innsbruck
E-Mail: valeria.colleselli@i-med.ac.at
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Bei einer sehr hohen Lebenszeitprävalenz von 25% stellt die Diagnose „gestörte Frühschwangerschaft“ einen häufigen Konsultationsgrund im Alltag der gynäkologisch-geburtshilflichen Praxis dar. Im folgenden Artikel wird eine Zusammenfassung der Erfahrungen mit medikamentösem Management bei dieser Diagnose an der Frauenklinik Innsbruck von Juni 2013 bis Juli 2021 präsentiert. Ein spezielles Augenmerk wurde in dieser Untersuchung auf mögliche Unterschiede bei Schwangerschaften nach assistierten Reproduktionsverfahren gesetzt.
Im Jahr 2013 wurde an der Frauenklinik Innsbruck eine grundlegende Änderung des Ablaufes der medikamentösen Behandlung bei gestörter Frühschwangerschaft durchgeführt, nachdem eine retrospektive Analyse des bisherigen Protokolls eine Erfolgsrate von nur 60% zeigte.1 Diese Umstellung umfasst allerdings nicht nur das Medikamentenregime, sondern vielmehr auch die Formulierung genauer Vorgaben zum Ablauf und zum Vorgehen bei Verdacht auf Restgewebe im Sinne einer institutionellen Standard Operating Procedure (SOP).
Behandlungsablauf
Die SOP sieht folgenden Behandlungsablauf vor:
Bei Diagnosestellung bzw. Zuweisung aufgrund gestörter Frühschwangerschaft („missed abortion“ oder „blighted ovum“): ausführliches Beratungsgespräch mit Diskussion der drei Behandlungsmöglichkeiten inklusive der zu erwartenden Erfolgsraten – abwartend vs. chirurgisch vs. medikamentös. Ggf. Einräumung einer gewissen Bedenkzeit mit Kontrolle nach ca. zwei Tagen. Im Rahmen der Aufklärung für das medikamentöse Management ist im Speziellen über den „off label use“ der eingesetzten Medikamente aufzuklären.Bei „informed consent“ zur medikamentösen Therapie erhält die Patientin eine Tablette Mifegyne® 200mg in der Ambulanz.Zwei Tage später erfolgt die tagesklinische Aufnahme: Vier Tabletten Cyprostol® 200μg werden parazervikal im Rahmen einer gynäkologischen Spiegeluntersuchung vom ärztlichen Personal eingelegt. Optional können die Tabletten dabei angefeuchtet werden, um eine bessere Auflösung der Tabletten zu erreichen (einzelne Tropfen NaCl 0,9% direkt auf die Tablette oder über das hintere Blatt des Spekulums abrinnen lassen).Parallel zu Cyprostol® erhält jede Patientin eine Tablette Naproxen® 500mg oral. Bei verstärkten Schmerzen oder anderen Nebenwirkungen (Übelkeit, Erbrechen) ggf. Anlage eines i.v. Zuganges und Analgesie bzw. Antiemese intravenös.Falls keine Blutung nach ca. 4 Stunden Verabreichung von 2 Tabletten Cyprostol® 200μg buccalNach Gewebeabgang bzw. vor Entlassung aus dem tagesklinischen Aufenthalt gegen 16 Uhr sonografische Kontrolle. Weiteres Prozedere abhängig vom Ergebnis dieser Untersuchung.
a. Bei Fehlen eines Fruchtsackes und Endometriumsdicke ≤20mm am Ultraschall: V.a. Abortus completus. Kontrolle im niedergelassenen Bereich in ca. sechs Wochen empfehlen
b. Fruchtsack vorhanden, Endometrium >20mm, V.a. Restgewebe im Ultraschall: V.a. Abortus incompletus. Die Patientin wird nach ca. einer Woche zur Kontrolle an der Ambulanz einbestellt. Besteht nach dieser Wartezeit weiterhin der Verdacht auf Restgewebe wiederum Diskussion der 3 Behandlungsmethoden wie oben beschrieben.
Es ist wichtig, genaue Kriterien zu definieren, da es ansonsten potenziell zu unnötigen Interventionen bzw. Unsicherheiten beim behandelnden Personal kommen kann. Die Definition einer erfolgreichen medikamentösen Therapie wird sehr individuell definiert – dieser Umstand erschwert den Vergleich von Literaturdaten: die Zeit des Follow-ups, Cut-off der Endometriumsdicke und Indikationen zur chirurgischen Intervention sind sehr heterogen. Ebenso werden in Studien die unterschiedlichsten Medikamente bzw. deren Kombination, Dosierungen und Applikationsformen getestet.2–5 Allgemein anerkannt ist inzwischen, dass die Zugabe von Mifepriston zu Misoprostol die Erfolgsrate bei medikamentöser Behandlung ohne Zunahme von unerwünschten Nebenwirkungen bzw. Komplikationen steigern kann.5 Die Verfügbarkeit von Mifepriston ist, auch aufgrund der hohen Kosten, regional sehr unterschiedlich.
Zahlen aus Innsbruck
Im Zeitraum von Juni 2013 bis Juli 2021 wurden an der Frauenklinik 1291 aktive Behandlungen bei gestörter Frühschwangerschaft durchgeführt. In 930 Fällen wählten die Patientinnen eine medikamentöse Behandlung – dies entspricht einem Anteil von 72%. In den verbleibenden 28% (n=631) stellte die primäre Therapie eine chirurgische Intervention dar.
Erfolgsrate
Für die vorliegende retrospektive Analyse wurde Erfolg so definiert, dass es zu keinem Zeitpunkt nach Medikamentengabe zu einer chirurgischen Intervention gekommen ist. Nach diesen Kriterien ergab sich im gesamten Kollektiv eine Erfolgsrate von 89%.
Eine multivariate Regressionsanalyse zeigte, dass das sonografisch bestimmte Gestationsalter der einzige Einflussfaktor auf die Erfolgsrate war. Wie in Abbildung 1 dargestellt, nimmt die Erfolgsrate mit zunehmendem Gestationsalter ab. Gleichzeitig geht aus der Abbildung auch hervor, dass der Großteil der medikamentösen Therapien bei niedrigerem Gestationsalter durchgeführt wurde.
Abb. 1: Erfolgsrate abhängig vom sonografisch bestimmten Gestationsalter (modifiziert nach Colleselli-Türtscher V et al. 2024)7
Follow-up
Wie eingangs erwähnt, wurde bei allen Patientinnen vor der Entlassung aus unserer Tagesklinik eine sonografische Evaluierung durchgeführt und eine Entlassungsdiagnose nach vorgegebenen Ultraschallkriterien gestellt.
Bei 666 Frauen (72%) wurde die Diagnose eines Abortus completus gestellt. In 30 Fällen war jedoch im Verlauf eine chirurgische Intervention indiziert. Daraus ergibt sich eine Falsch-positiv-Rate der sonografischen Diagnose von 5%.
In 243 Fällen (26%) erfolgt die Entlassung bei Verdacht auf Abortus incompletus und es wurde eine Verlaufskontrolle nach ca. einer Woche terminisiert. Bei dieser Kontrolle zeigte sich bei 45% (n=110) ein Abortus completus. Weitere 31% (n=74) wählten ein verlängertes Follow-up und konnten somit einen chirurgischen Eingriff verhindern. Bei 24% (n=59) wurde im weiteren Verlauf eine chirurgische Intervention zur Entfernung von Restgewebe durchgeführt.
Bei 16 Frauen wurde die operative Therapie nach medikamentöser Einleitung bereits im Rahmen des tagesklinischen Aufenthaltes durchgeführt.
Somit ergibt sich eine Gesamtzahl von 105 frustranen medikamentösen Therapien.
Zeit bis zum Gewebeabgang
Da im Untersuchungszeitraum alle Therapien im tagesklinischen Setting durchgeführt wurden, war es uns möglich, aufgrund der vorliegenden ärztlichen und pflegerischen Dokumentation in vielen Fällen die Zeit bis zum Gewebeabgang zu extrahieren. Im Durchschnitt lag die Zeit bis zum ersten Gewebeabgang bei 5 Stunden nach Applikation von Cyprostol (5,0±2,1h, Min. 0,25h, Max. 17,5h, Median 5).
Die Informationen zum weiteren Verlauf bei Verdachtauf Abortus incompletus sowie die Zeit bis zum Gewebeabgang ist im Speziellen für die Aufklärung der betroffenen Frauen wichtig.
Schwangerschaften nach assistierten Reproduktionsverfahren
Kaum untersucht ist bisher das Ansprechen auf die medikamentöse Therapie bei gestörter Frühschwangerschaft im Falle von Schwangerschaften, die nach assistierten Reproduktionsverfahren (ART) eingetreten sind. In der Literatur gibt es dazu eine ältere Studie sowie eine zweite rezente Arbeit, die quasi gleichzeitig mit dieser Arbeit veröffentlich wurde.3,6 Die Ergebnisse dieser Arbeiten sind widersprüchlich und bei beiden wurde ein Misoprostol-Monoschema untersucht.
In unserem Kollektiv wurde die medikamentöse Therapie bei 99 Schwangerschaften (11%) nach ART durchgeführt. In 45 Fällen wurde dabei zuvor ein frischer Embryotransfer durchgeführt, in 53 Fällen ein Frozen-Embryotransfer und für den verbleibenden Fall waren uns diese Informationen leider nicht zugänglich, da die ART-Behandlung extern durchgeführt wurde. In der Gruppe der ART-Schwangerschaften zeigte sich kein statistisch signifikanter Unterschied in der Erfolgsrate nach medikamentöser Therapie bei nummerisch gleicher Erfolgsrate von 89%. Die Erfolgsrate von je 89% zeigte sich auch in der Subgruppenanalyse mit Unterteilung nach Art des Embryotransfers (frisch vs. frozen).7
Nebenwirkungen
Am häufigsten aufgetreten sind jene Nebenwirkungen, die bei den eingesetzten Medikamenten bereits bekannt sind und durch Begleitmedikation gut zu kontrollieren sind: Übelkeit 8%, Erbrechen 4%, Diarrhö 1%. Zudem benötigte ca. ein Drittel der Patientinnen Schmerzmedikation über das prophylaktisch verabreichte Naproxen® hinaus.
Komplikationen
Wie auch in der Literatur beschrieben, waren schwerwiegende Komplikationen selten. In drei Fällen war eine Gabe von Erythrozytenkonzentraten indiziert. In weiteren drei Fällen wurde eine antibiotische Therapie bei Verdacht auf Endometritis eingeleitet. Damit traten diese beiden erschwerten Komplikationen in unter 1% (0,3%) der Fälle auf.
Zusammenfassung
Die präsentierten Ergebnisse aus der Frauenklinik Innsbruck zeigen, dass die medikamentöse Therapie eine Alternative mit zufriedenstellenden Erfolgszahlen im Vergleich zur primär chirurgischen Therapie darstellt. Die durchgeführten Analysen konnten zeigen, dass diese Therapieform mit gleichwertigen Erfolgsraten auch Frauen mit gestörter Frühschwangerschaft nach ART angeboten werden kann. Nebenwirkungen sind durch Begleitmedikation gut kontrollierbar und schwerwiegende Komplikationen treten selten auf. Daher erscheint es vertretbar, die beschriebene Behandlung auch in einem ambulanten Setting anzubieten. In einem neuen Ansatz wird dies seit Anfang 2024 an der Frauenklinik Innsbruck all jenen Patientinnen angeboten, bei denen eine gestörte Frühschwangerschaft bis zu einschließlich sonografisch 9. Schwangerschaftswoche (entsprechend einer Scheitelsteißlänge bis zu inklusive 15mm) festgestellt wurde. Entsprechende Kontraindikationen wie Sprachbarriere, weite Anreise, Wunsch der Patientin etc. sind dabei zu berücksichtigen. Ergebnisse dazu können wir erst zu einem späteren Zeitpunkt präsentieren.
Literatur:
1 Colleselli V et al.: Medical management of early pregnancy failure (EPF): a retrospective analysis of a combined protocol of mifepristone and misoprostol used in clinical practice. Arch Gynecol Obstet 2014; 289(6): 1341-5 2 Du L et al.: Comparing letrozole and mifepristone pre-treatment in medical management of first trimester missed miscarriage: a prospective open-label non-inferiority randomised controlled trial. BJOG 2024; 131(3): 319-26 3 Gluck O et al.: Medical treatment for early pregnancy loss following in vitro fertilization compared to spontaneous pregnancies. Arch Gynecol Obstet 2024; 309(5): 2137-41 4 Zhang J et al.: A comparison of medical management with misoprostol and surgical management for early pregnancy failure. N Engl J Med 2005; 353(8): 761-9 5 Schreiber CA et al.: Mifepristone pretreatment for the medical management of early pregnancy loss. N Engl J Med 2018; 378(23): 2161-70 6 Machtinger R et al.: Medical treatment with misoprostol for early failure of pregnancies after assisted reproductive technology: a promising treatment option. Fertil Steril 2009; 91(5): 1881-5 7 Colleselli-Türtscher V et al.: Retrospective cohort study comparing success of medical management of early pregnancy loss in pregnancies conceived with and without medical assistance. Fertil Steril 2024; 121(5): 824-31
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