„Eine Frau sollte selbst bestimmen dürfen, wie ihr Kind zur Welt kommt“
Autor:
o. Univ.-Prof. Dr. Peter Husslein
em. Vorstand der Universitätsklinik für Frauenheilkunde
Wien
E-Mail: ph@husslein.at
Teile der akademischen Geburtshilfe stehen heute auf dem Standpunkt, dass die Vorzüge der vaginalen Geburt grundsätzlicher Natur und somit unumstößlich sind und dass daher eine Geburt per Kaiserschnitt nur bei Vorliegen einer medizinischen Indikation gerechtfertigt ist. Dass dies eine Überhöhung des medizinischen Blickwinkels darstellt, wird zumeist nicht erkannt, jedenfalls aber verdrängt beziehungsweise ignoriert.
Sowohl eine vaginale Geburt als auch ein geplanter Kaiserschnitt können mit Risiken einhergehen. Ob sie eintreten, hängt von der medizinischen Konstellation ab. Moderne Medizin verlangt aus Respekt vor der Autonomie der Schwangeren, dass sie selbst diese Risken beurteilen und sich allein für den Modus der Geburt entscheiden darf. Und das auch dann, wenn sich ihre Beurteilung nicht mit der medizinischen Einschätzung oder mit den Vorgaben in etwaigen Leitlinien deckt. In Österreich hat der Oberste Gerichtshof den Ärzten diese Haltung als nicht verhandelbare Vorgabe aufoktroyiert (unter anderem 5Ob162/03i). Für die Geburt bedeutet das: Stimmt eine Schwangere nach entsprechender Aufklärung einer ärztlich empfohlenen Maßnahme – also einer natürlichen Geburt – nicht zu, stellt das Durch- oder Fortführen derselben eine „eigenmächtige Heilbehandlung“ dar.
Als Folge haftet der Arzt für alle Komplikationen oder vermeintlichen Komplikationen, und zwar auch dann, wenn ihm kein Behandlungsfehler unterlaufen ist. Solche Komplikationen beinhalten alles, was bei einer vaginalen Geburt passieren kann beziehungsweise was die Wöchnerin danach als für sie unangenehme Folge einstuft. Das können erlittene Schmerzen sein, Verletzungen durch die vaginale Geburt, postpartale Angststörungen, psychischer Stress oder gar Entwicklungsstörungen beim Kind. In der täglichen medizinischen Praxis hat sich ein Gespräch auf Augenhöhe bewährt, in dem Ärzt:innen der Schwangeren die medizinische Perspektive erklären und die Frau ihre subjektive Sicht der Dinge einbringen kann. Idealerweise kommt man so gemeinsam zu einer für beide Seiten akzeptablen Entscheidung.
Wünscht eine Schwangere dann einen Kaiserschnitt, muss sie sich heutzutage oft der Bewertung ihrer Situation durch den Geburtshelfer unterziehen und sich seiner Meinung unterordnen. Wichtigtuerische, überhebliche Kolleg:innen sagen dann: „Das kommt nicht infrage, wir werden feststellen, ob es medizinische Gründe gibt, und nur dann bekommen Sie einen Kaiserschnitt.“ Die Frau kann einen solchen Kollegen in diesem Gespräch nicht dazu zwingen,eine andere Einstellung einzunehmen und auf ihre Perspektive einzugehen. Andersherum kann er sie nicht davon abhalten, in ein anderes Spital zu gehen und zu hoffen, dass man dort ihrem Wunsch nach einem geplanten Kaiserschnitt nachkommt.
Will das andere Spital das auch nicht, lässt das OGH-Urteil der Schwangeren dann aber folgende – durchaus brisante – Möglichkeit offen, wie sie ihren Sectiowunsch durchsetzen könnte: In dem Moment, in dem sie mit Wehen oder Blasensprung ins Spital aufgenommen ist, kann die Klinik sie nicht mehr so einfach und für das Spital risikolos zur Geburt ablehnen. Verlangt die Frau zu diesem Zeitpunkt die Aufklärung über die „Behandlungsalternative Kaiserschnitt“ und entscheidet sich nach entsprechender Aufklärung für den Eingriff, würde ein Fortführen des Versuches der vaginalen Geburt eine „eigenmächtige Heilbehandlung“ darstellen, was gegebenenfalls zu einer Klage bezüglich aller denkbaren Folgen einer vaginalen Geburt führen könnte. Das Spital wäre gut beraten, sich auf dieses Risiko nicht einzulassen.
Besser wäre es aus meiner Sicht aber, wenn Ärzt:innen ihre patriarchalische Haltung nach dem Motto „Nur ich weiß, was für meine Patientin gut ist“ aufgeben würden und aus Respekt vor der Autonomie der Schwangeren – natürlich nach entsprechender Aufklärung über die Risken der jeweiligen Vorgangsweise – die Entscheidung der Frau respektieren und gegebenenfalls ihren Wunsch nach selbstbestimmter Geburt mittels Kaiserschnitt umsetzen. Ein Wunsch nach einem Kaiserschnitt ist aus meiner langjährigen Erfahrung ohnehin nur selten gar nicht begründbar; es geht fast immer nur um die subjektive Beurteilung der Belastungen und potenziellen Risken.
In das Argument zu flüchten, ein nicht medizinisch indizierter Kaiserschnitt wäre dann aber selbst zu bezahlen, ist demagogisch und zeigt nur neuerlich die nicht akzeptable überhebliche Einstellung, dass nur Ärzt:innen bewerten können, ob eine medizinische Indikation vorliegt oder nicht.
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