Cortisolsynthese und Lebererkrankung – ein wechselseitiges Zusammenspiel
Autor:
Ap. Prof. Priv.-Doz. Dr. Peter Wolf, PhD
Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel
Klinik für Innere Medizin III
Medizinische Universität Wien
E-Mail: peter.wolf@meduniwien.ac.at
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Einige Inhalte sind aufgrund rechtlicher Bestimmungen nur für registrierte Nutzer bzw. medizinisches Fachpersonal zugänglich.
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf universimed.com und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. allgemeineplus.at & med-Diplom.at)
Hormonelle Störungen und Lebererkrankungen beeinflussen sich häufig gegenseitig. So hat eine vermehrte Cortisolsynthese der Nebennieren zum Beispiel Einfluss auf die Entstehung und Progression der nichtalkoholischen Fettlebererkrankung („non alcoholic fatty liver disease“; NAFLD). Ebenso kann sich eine Lebererkrankung – vor allem im fortgeschrittenen Stadium der Leberzirrhose – auf den Hormonhaushalt auswirken. Auf das Zusammenspiel zwischen Leberzirrhose und Nebenniere sowie mögliche wesentliche klinische Zusammenhänge soll hier in diesem Artikel eingegangen werden.
Keypoints
-
Bei der Abklärung einer NAFLD sollte auch ein Hypercortisolismus in Betracht gezogen werden.
-
Eine akute Nebenniereninsuffizienz ist lebensbedrohlich, die eine Therapie mit Glukokortikoiden bedingt.
-
Häufig betroffen sind kritisch kranke Leberrzirrhose-Patient*innen mit anhaltender Hypotension oder hohem Katecholaminbedarf.
-
Typische Hinweise auf Cortisolmangel sind Schwäche, Müdigkeit, Gewichtsabnahme, sowie neu auftretende niedrige Blutdruck- oder Blutzuckerwerte.
-
Bei Verdacht auf eine akute Nebenniereninsuffizienz sollte bereits vor Diagnosesicherung eine Glukokortikoidsubstitution begonnen werden.
Hypercortisolismus und metabolische Lebererkrankung
Die Hypothalamus-Hypophyse-Nebennierenachse ist ein wesentliches Steuerungsorgan für den Energiestoffwechsel. Cortisol wirkt einerseits antagonistisch auf die Insulinsekretion und -wirkung, anderseits hat es auch direkte Effekte auf den Zucker- und Fettstoffwechsel. So steigert es die Glukoseneubildung in der Leber und fördert die Freisetzung von Fettsäuren aus dem Fettgewebe. Diese Veränderungen erklären die sehr hohe Prävalenz des metabolischen Syndroms bei Patient*innen mit Hypercortisolismus. Dies gilt sowohl für das klassische Cushing-Syndrom, also einen meist ausgeprägten Hypercortisolismus mit typischer Klinik, aber auch für mildere Formen, wie die autonome Cortisolsekretion bei Patient*innen mit Nebennierenadenom.
Aufgrund des stark prävalenten metabolischen Syndroms wird bei Hypercortisolismus auch eine hohe Prävalenz der nichtalkoholischen Fettlebererkrankung (NAFLD) angenommen. Cortisol fördert direkt die Expression von Genen der De-novo-Lipogenese. Anderseits stimuliert die Kombination aus erhöhten Konzentrationen von Glukose, Insulin und Fettsäuren die intrahepatische Lipidsynthese. Interessanterweise gibt es jedoch trotz viel Literatur zum Einfluss von Cortisol auf den Zucker- und Fettstoffwechsel nur wenige Studien, die die NAFLD per se bei Patient*innen mit Cushing-Syndrom oder autonomer Cortisolsekretion untersuchen.1
Für Hepatolog*innen wesentlich ist bei der Abklärung der Genese einer NAFLD an einen Hypercortisolismus zu denken. Dies sollte man einerseits bei typischer Klinik (Vollmondgesicht, Stamm-betonter Adipositas, proximaler Muskelatrophie, Striae, Hautatrophie etc.), andererseits bei Vorliegen von weiteren Komorbiditäten wie Osteoporose, Diabetes mellitus Typ 2 oder Hypertonie sowie auch bei Vorliegen eines Inzidentaloms der Nebenniere. Als erster Schritt in der biochemischen Diagnostik bietet sich ein 1-mg-Dexamethasonhemmtest an. Hierfür wird Patient*innen empfohlen, 1mg Dexamethason gegen 23 Uhr abends vor dem Einschlafen einzunehmen und am nächsten Morgen nüchtern bis 9 die Serumcortisol-Konzentration zu bestimmen.2 Bei einem Cortisolnachwert <1,8μg/dl kann ein endogener Hypercortisolismus in den allermeisten Fällen ausgeschlossen werden. Bei erhöhtem Cortisolnachwert ist eine weiterführende endokrinologische Abklärung über eine Spezialambulanz empfehlenswert.
Leberzirrhose und Nebenniereninsuffizienz
Sucht man in der Literatur nach Auswirkungen der Leberzirrhose auf die Nebennierenfunktion, so stößt man rasch auf den Begriff des „hepato-adrenalen Syndroms“. Hierunter versteht man das Auftreten einer Nebenniereninsuffizienz, also einer ungenügenden Produktion von Cortisol durch die Nebennieren, bei Patient*innen mit Leberzirrhose. Die Prävalenz dieses hepato-adrenalen Syndroms wird in verschiedenen Studien abhängig der Schwere der Lebererkrankung von 0–40% bei Child-Pugh-A-Zirrhose und bis zu 70% bei Child-Pugh-C-Zirrhose angegeben.3 Aufgrund dieses doch ungewöhnlich häufigen Auftretens ist jedoch primär die Definition einer Nebenniereninsuffizienz in dieser Patient*innenkohorte zu hinterfragen.
Gemäß den aktuellen Leitlinien der internationalen Fachgesellschaften für Endokrinologie ist eine Nebenniereninsuffizienz durch eine Serumcortisolkonzentration von <18μg/dl definiert, wobei häufig ein Cortisolstimulationstest zur definitiven Diagnose bei grenzwertigen Blutbefunden erforderlich ist. Allgemein gültige Referenzwerte für das freie Cortisol, das entweder im Blut durch die Mitbestimmung des Cortisol-bindenden Globulins errechnet oder im Speichel direkt gemessen werden kann, gibt es nicht.4
In einem Kollektiv von Patient*innen mit Leberzirrhose liegt in der Interpretation der Serumcortisolkonzentration allerdings schon die erste Schwierigkeit. Cortisol ist im Blut an Bindungsproteine gebunden und nur zu einem sehr geringen Ausmaß als freies Cortisol vorliegend. Die Bindungsproteine werden in der Leber gebildet. Demnach kann eine fortschreitende Leberzirrhose mit niedrigeren Gesamtcortisolwerten einhergehen, ohne dass jedoch die freie und eigentlich biologisch wirksame Cortisolkonzentration wesentlich verändert ist. So zeigen Studien deutliche Differenzen in der Prävalenz der Nebenniereninsuffizienz abhängig der verwendeten Definitionskriterien (Gesamtcortisol vs. freies Speichelcortisol).5 Unter Verwendung der klassischen Diagnosekriterien aus der lebergesunden Allgemeinbevölkerung dürfte man die Nebenniereninsuffizienz bei Zirrhose vermutlich überdiagnostizieren. Dennoch ist auch eine niedrigere Gesamtcortisolkonzentration (unabhängig vom Vorhandensein einer echten Nebenniereninsuffizienz) mit einem erhöhten Risiko für mit einer Leberzirrhose assoziierten Komplikationen assoziiert, wie beispielsweise rezente Arbeiten aus Wien aus der Arbeitsgruppe von Assoc. Prof. Dr. Thomas Reiberger zeigen (Hartl Lukas et al.; manuscript under review).
Hinsichtlich möglicher Entstehungsmechanismen der Nebenniereninsuffizienz bei Patient*innen mit Leberzirrhose werden in der Literatur sowohl primäre, die Nebenniere direkt betreffende Faktoren, wie eine eingeschränkte Synthese durch Cholesterinmangel oder adrenale Hypoperfusion diskutiert, als auch sekundäre Einflussfaktoren, wie die Auswirkungen erhöhter Gallensäurekonzentrationen oder einer chronischen Inflammation auf den Hypothalamus und die Hypophyse. Letztere Faktoren erscheinen insbesondere aufgrund des fehlenden Anstieges von ACTH bei fallender Cortisolkonzentration relevanter, was für eine sekundäre/tertiäre Genese der Nebenniereninsuffiizienz spricht. Die Pathogenese ist womöglich ähnlich zur „critical illness related corticoid insufficiency“, einer (relativen) Nebenniereninsuffizienz bei kritisch kranken Patient*innen für einen längerfristigen Zeitraum.
Therapie
Trotz der bestehenden Schwierigkeiten in der definitiven Diagnose und der damit einhergehenden vermutlichen Überrepräsentation in der vorliegenden Literatur ist eine akute Nebenniereninsuffizienz eine potenziell lebensbedrohliche Erkrankung. Demnach ist die klinische und biochemische Diagnose wichtig und vor allem die Einleitung einer Therapie mittels Glukokortikoidsubstitution lebensrettend. Jedenfalls an eine Nebenniereninsuffizienz bei Patient*innen mit Leberzirrhose denken sollte man bei kritisch kranken Patient*innen mit anhaltender Hypotension oder hohem Katecholaminbedarf. Bei Patient*innen auswärts der Intensivstationen sind klassische Alarmzeichen des Cortisolmangels eine Klinik mit Schwäche, Müdigkeit, Gewichtsabnahme, sowie neu auftretende niedrige Blutdruck- oder Blutzuckerwerte im Erkrankungsverlauf. Laborchemisch ist als erstes Zeichen oftmals eine isolierte Hyponatriämie auffallend. Hier sollte insbesondere bei fehlendem Vorliegen anderer wahrscheinlicher Ursachen wie Aszites oder laufender Diuretikatherapie an einen Cortisolmangel gedacht werden.
Bei klinischem Verdacht auf eine akute Nebenniereninsuffizienz sollte bereits vor Diagnosesicherung jedenfalls eine Glukokortikoidsubstitution begonnen werden. Unbehandelt führt ein Cortisolmangel zu einer lebensbedrohlichen Nebennierenkrise. Anderseits hat eine kurzfristige Glukokortikoidgabe für die Therapie einer potenziellen Nebennierenkrise sehr wahrscheinlich keinerlei Therapierisiken oder negativen Auswirkungen.
Das bevorzugte Glukokortikoidpräparat ist Hydrocortison, welches dem körpereigenen Cortisol aufgrund der kürzeren Halbwertszeit am ähnlichsten kommt. Dabei ist ein sofortiger Bolus von 100 mg Hydrocortison i. v. gefolgt von Hydrocortison über einen Perfusor mit 200 mg über 24 h oder alternativ 50 mg alle 6 h empfohlen. Sollte Hydrocortison nicht vorliegend sein, kann jedes andere Glukokortikoidpräparat verwendet werden, wobei die Unterschiede in der Dosisäquivalenz zu berücksichtigen sind (20 mg Hydrocortison entsprechen in etwa 5 mg Prednisolon bzw. 0,5 bis 0,75 mg Dexamethason) und auch die mineralokortikoide Aktivität geringer ist.6
Für die allgemeine, langfristige Behandlung fehlen zum aktuellen Zeitpunkt leider valide Daten aus prospektiv, randomisiert kontrollierten, klinischen Studien um eine evidenzbasierte Therapieempfehlung geben zu können. Demnach sollte eine eventuelle Glukokortikoidsubstitution abhängig der Klinik, des Therapieansprechens sowie des Nutzen/Nebenwirkungprofils individuell geplant werden.
Literatur:
1 Baumgartner C et al.: Ectopic lipid metabolism in anterior pituitary dysfunction. Front Endocrinol 2023; 14: 1075776 2 Fleseriu M et al.: Consensus on diagnosis and management of Cushing’s disease: a guideline update. Lancet Diabetes Endocrinol 2021; 9(12): 847-75 3 Wentworth BJ et al.: How I approach it: Adrenal insufficiency in cirrhosis. Am J Gastroenterol 2022; 1889-93 4 Bornstein SR et al.: Diagnosis and treatment of primary adrenal insufficiency: an Endocrine Society clinical practice guideline. J Clin Endocrinol Metab 2016; 101(2): 364-89 5 Galbois A et al.: Assessment of adrenal function in cirrhotic patients: salivary cortisol should be preferred. J Hepatol 2010; 52(6): 839-45 6 Pilz S et al.: Emergency card, emergency medication, and information leaflet for the prevention and treatment of adrenal crisis (Addison crisis): an Austrian consensus document. J Klin Endokrinol Stoffwechs 2022; 15(1): 5-27
Das könnte Sie auch interessieren:
HBV-Reaktivierung unter Immunsuppression
Durch rezente Migrationsdynamiken befindet sich auch in Österreich die Prävalenz der Infektion mit dem Hepatitis-B-Virus (HBV) im Steigen. Besonders bei Patient:innen unter ...
OP-Freigabe bei Leberzirrhose
Patient:innen mit Leberzirrhose haben ein erhöhtes Risiko für Komplikationen und eine erhöhte Mortalität – daher muss eine detaillierte präoperative Evaluierung erfolgen. Es stehen ...
10. Hans Popper Lecture an der Medizinischen Universität Wien
Die international renommierte Hans Popper Lecture fand Mitte September 2024 an der Medizinischen Universität Wien zum 10. Mal statt. Dazu wurden begleitende zweitägige Forschungsseminare ...