Lärmschwerhörigkeit und Berufskrankheitsmeldung
Autor:
Dr. Adolf Erlach
Facharzt für HNO-Krankheiten
Wien
E-Mail: ordination@hno-erlach.at
Web: www.hno-erlach.at
Die Lärmschwerhörigkeit ist eine häufige Berufserkrankung in Österreich und muss unverzüglich der entsprechenden Unfallversicherung gemeldet werden. Das medizinische Procedere dafür ist im Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz geregelt.
Keypoints
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Die Lärmschwerhörigkeit ist mit einem Anteil von etwa 23% eine häufige Berufserkrankung, 2022 wurden 615 Fälle anerkannt.
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Eine am Arbeitsplatz verursachte Schwerhörigkeit muss vom behandelnden Arzt/der behandelnden Ärztin unverzüglich der zuständigen Unfallversicherung gemeldet werden.
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Bedeutend für die Diagnose ist es, die Erkennungsmerkmale der Lärmschwerhörigkeit zu kennen, dafür ist eine möglichst exakte tonaudiometrische Untersuchung wichtig.
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Die Feststellung einer Lärmschwerhörigkeit mit 100%iger Sicherheit ist nicht möglich.
Obwohl beruflich bedingte Erkrankungen seit vielen Jahrhunderten bekannt sind, entstand der Begriff „Berufskrankheit“ erst im 19. Jahrhundert und sollte (schwer) erkrankten Arbeitnehmer:innen bei beruflich bedingter Erkrankung und dadurch eingetretener Arbeitsunfähigkeit oder verminderter Arbeitsfähigkeit finanziell das Überleben sichern. §177 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) regelt, welche Erkrankungen in Österreich als Berufserkrankungen gelten.
Mit einem Anteil von etwa 23% ist die Lärmschwerhörigkeit eine der häufigsten Berufserkrankungen in Österreich. Laut Statistik der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) wurde sie im Jahr 2022 in insgesamt 615 Fällen als Berufskrankheit anerkannt.
Ursachen der Lärmschwerhörigkeit
Lärmschwerhörigkeit entsteht durch Schäden an den äußeren Haarzellen, die extrem sensibel sind. Durch mit den Schallwellen synchrone Kontraktionen verstärken sie mechanisch den Schall, während die inneren Haarzellen die Schwingungen in bioelektrische Impulse verwandeln, die über den Hörnerv zu den entsprechenden Zentren im Gehirn weitergeleitet werden. Erst bei stärkerer Belastung werden auch die inneren Haarzellen beschädigt, bei einer extremen Belastung, z.B. bei einer Explosion, ist auch eine völlige Ertaubung möglich.
Entwicklungsgeschichtlich diente das Hörorgan der Alarmierung bei Gefahren jeder Art. Laute Geräusche gab es in der Natur nur bei Donner oder Felsstürzen. Seit Beginn der Neuzeit werden die sehr empfindlichen Haarzellen zunehmend durch das Überangebot an Geräuschen mit enormen Schallstärken in Beruf und Freizeit stark belastet und bei ungünstiger Konstellation zerstört, was dann einen bleibenden, irreparablen Hörschaden zur Folge hat.
Meldung einer Berufskrankheit
Der Schutz der Arbeitnehmer:innen hat in Österreich einen hohen Stellenwert. Durch die berufliche Tätigkeit verursachte Schäden zu verhindern hat hohe Priorität – ein bereits entstandener Schaden wird ab einem gewissen Ausmaß finanziell abgegolten. Die Höhe richtet sich nach der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE), die in Prozent angegeben wird.
Eine durch den Beruf verursachte Schwerhörigkeit, gleichgültig ob durch chronische Einwirkung oder ein Knalltrauma entstanden, muss vom behandelnden Arzt/der behandelnden Ärztin unverzüglich der entsprechenden Unfallversicherung gemeldet werden. Das Procedere ist im Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) in den Paragrafen 363 und 364 geregelt.Diese Meldung ist verpflichtend und bedarf nicht der Einwilligung des Arbeitnehmers: „Der Arzt/die Ärztin, der/die bei einer versicherten Person Krankheitserscheinungen feststellt, die den begründeten Verdacht einer Berufskrankheit rechtfertigen, hat diese Feststellung dem zuständigen Träger der Unfallversicherung binnen fünf Tagen zu melden. Der Versicherungsträger hat dem Arzt hiefür eine Vergütung von 5,81 Euro zu leisten. Ein Arzt, welcher der ihm obliegenden Verpflichtung zur Erstattung der Meldung nicht oder nicht rechtzeitig nachkommt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist, wenn er nicht nach anderen Vorschriften einer strengeren Strafe unterliegt, von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geld bis zu 440 Euro, im Falle der Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Wochen zu bestrafen.“1
Hierzu gibt es in Österreich eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (OGH):Er stellte im Rahmen eines Verfahrens fest, dass die Anzeigepflicht des Arztes/der Ärztin (und des Dienstgebers) deshalb zwingend statuiert wurde, da ansonsten zu befürchten wäre, dass vorliegende Berufskrankheiten ungemeldet bleiben, sei es, weil betroffene Dienstnehmer:innen aus Angst um den Arbeitsplatz/die soziale Stellung etc. einer Meldung ablehnend gegenüberstehen oder auch der Dienstgeber evtl. versuchen könnte, Meldungen zu unterbinden.
Kriterien der Lärmschwerhörigkeit
Es ist daher für jeden Arzt/jede Ärztin, der/die die Gehörfunktion untersucht, also vor allem HNO-Ärzt:innen und Arbeits-mediziner:innen, wichtig, die Erkennungsmerkmale der Lärmschwerhörigkeit zu kennen.
Es sind dies im Reintonschwellenaudiogramm (Abb. 1):
Abb. 1: Reintonschwellenaudiogramm mit den Erkennungsmerkmalen für eine Lärmschwerhörigkeit, die durch rote Pfeile markiert sind (modifiziert nach Erlach A 2024)
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ein scharfer Knick in der Hörschwelle (meist bei 2 oder 3kHz)
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eine Senke im Hochtonbereich (in der Regel bei 4 oder 6kHZ)
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ein Wiederanstieg der Kurve bei 8kHz
Natürlich ist eine möglichst exakte tonaudiometrische Untersuchung wichtig, da dieses Kurvenbild nicht immer deutlich ausgeprägt ist. Es kann unter Umständen schwierig sein festzustellen, ob eine schallinduzierte Schwerhörigkeit vorliegt. Noch dazu können Hochtonsenken mit völlig identem Verlauf auch bei Patient:innen ohne jede Lärmexposition beobachtet werden. Die Feststellung einer Lärmschwerhörigkeit ist daher nie mit 100%iger Sicherheit möglich.
Umso wichtiger sind eine möglichst exakte Anamnese und Vorbefunde. Grundsätzlich wäre vor der Aufnahme einer Tätigkeit mit Lärmbelastung die Durchführung eines Reintonschwellenaudiogrammes wünschenswert.
Weitere Berechnungsmodalitäten
Obwohl für die Meldung der Berufskrankheit die Berechnung des prozentuellen Hörverlustes nicht erforderlich ist, ist die Kenntnis der Berechnungsmodalitäten nützlich. Die Ermittlung des Hörverlustes in Prozent erfolgt aus der Reintonschwelle, indem der Wert von 1kHz in Beziehung zur Summe der Wertevon 2kHz und dem Wertvon 3 oder 4kHz (der höhere Wert zählt) gesetzt wird. Hierzu wird die von Brusis 2017 vorgeschlagene Tabelle verwendet.2 In einem Gutachten wird dann zusätzlich das Sprachaudiogramm herangezogen, bei dem das 50%ige Zahlenverständnis in Beziehung zur Summe der Werte des Einsilberverständnisses bei 60, 80 und 100dB gesetzt wird. Zur Ermittlung des Hörverlustes in Prozent dient in diesem Zusammenhang die von Brusis 2015 veröffentlichte Tabelle.2Die genannten Tabellen sind auch in der Königsteiner Empfehlung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung verfügbar.3
Verbesserter Arbeitnehmerschutz
Generell ist es so, dass das Bewusstsein für die Schädlichkeit von Lärm im Übermaß massiv zugenommen hat. Das Angebot an suffizienten Mitteln zum Schutz unserer Hörfähigkeit ist groß.
Abschließend sollen noch die Bemühungen der Unfallversicherungen um wirksamen Lärmschutz gewürdigt werden, die zu einer starken Minderung des Auftretens von beruflich bedingter Lärmschwerhörigkeit geführt haben.
Literatur:
1§363 ASVG, Unfallmeldung: https://www.jusline.at/gesetz/asvg/paragraf/363 ; zuletzt aufgerufen am 4.10.2024 2 Feldmann H, Brusis T: Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohren-Arztes. 8. Auflage. Stuttgart: Thieme, 2019 3 Empfehlung für die Begutachtung der Lärmschwerhörigkeit(BK-Nr. 2301) – Königsteiner Empfehlung – Update 2020. https://publikationen.dguv.de/widgets/pdf/download/article/2559 ; zuletzt aufgerufen am 4.10.2024
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