HIV und das Komplementsystem – neue Forschungsansätze für die Zukunft
Unsere Gesprächspartnerin:
Univ.-Prof. Dr. Doris Wilflingseder
Ignaz Semmelweis Institut
Veterinärmedizinische Universität Wien
E-Mail: doris.wilflingseder@vetmeduni.ac.at
Das Interview führte Mag. Birgit Leichsenring
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Bislang fand das Komplementsystem als Kernstück der unspezifischen Immunantwort in der akuten HIV-Infektion wenig Beachtung. Univ.-Prof. Dr. Doris Wilflingseder übernahm kürzlich die Gründungsprofessur der Vetmeduni am neuen Ignaz Semmelweis Institut für Infektionsforschung in Wien, um hier die Infektiologie in Forschung und Lehre voranzubringen. Im Interview berichtet sie von ihrer bisherigen Forschung zu HIV und dem Komplementsystem sowie ihre diesbezüglicheZukunftsvision dazu.
Das Ignaz Semmelweis Institut – inter-universitäres Institut für Infektionsforschung – ist eine Organisationseinheit der Medizinischen Universitäten Graz, Innsbruckund Wien, der Veterinärmedizinischen Universität Wien und der Johannes-Kepler-Universität Linz. Mit 1. Juli 2024 übernahm die renommierte Wissenschaftlerin Univ.-Prof. Dr. Doris Wilflingseder die Professur für Infektiologie an der Vetmeduni Wien.
Vor Antritt Ihrer Professur in Wien haben Sie an der Medizinischen Universität Innsbruck zu HIV geforscht. Welche Rolle spielte hier das Komplementsystem?
D. Wilflingseder: Eine erste Interaktion zwischen dem Immunsystem und Krankheitserregern erfolgt über das Komplementsystem. Hier werden Oberflächenstrukturen von Komplementfaktoren gebunden, das Komplementsystem dadurch aktiviert und im Regelfall wird der Krankheitserreger zerstört. Nicht so jedoch bei HIV – durch die Mitnahme der Zellmembran der körpereigenen Wirtszelle beim Abknospungsprozess ist HIV vor diesem Mechanismus weitgehend geschützt. Nichtsdestotrotz aktiviert HIV das Komplement und ist somit von Komplementfaktoren bedeckt und nicht als „nacktes“ Partikel im Körper. Meiner Meinung nach wird das zu wenig berücksichtigt. Modelle zu Zellinteraktionen mit HIV, die das Virus als nichtopsonisiertes Partikel darstellen, sind in meinen Augen nicht physiologisch.
Hier liegt auch der Ansatz Ihrer Arbeit, worauf lag das Augenmerk?
D. Wilflingseder: Die Opsonisierung von HIV geschieht nicht nur im Serum, sondern z.B. auch in der Samenflüssigkeit. Wir vermuteten also, dass HIV bereits mit Komplementfragmenten bedeckt übertragen wird. Unsere Frage war somit, welchen Effekt die Opsonisierung beim Erstkontakt von HIV mit Zellen in der Schleimhaut hat. Tatsächlich gab es signifikante Unterschiede, ob man der dendritischen Zelle ein unbedecktes, ein komplementopsonisiertes oder ein antikörperbedecktes Virus präsentierte. Wir sahen auch, dass opsonisierte Viren am Anfang der Infektion, also in Abwesenheit spezifischer Antikörper, die dendritischen Zellen sehr gut aktivieren. Wir konnten sowohl eine antivirale Typ-1-Interferon-Antwort als auch die Aktivierung zytotoxischer T-Zellen beobachten. Der deutliche Abfall der Viruslast in der Frühphase der Infektion dürfte also durch das Komplementsystem bedingt sein.
Das Komplementsystem ist hochkomplex. Welche Faktoren sind involviert?
D. Wilflingseder: Wir konnten immer C3-Fragmente auf der Oberfläche nachweisen. Das bedeutet, der Komplementrezeptor 3, der sich auf dendritischen Zellen, Makrophagen oder Neutrophilen findet, spielt eine große Rolle. Interessant ist auch der Komplementrezeptor 4, der auf fast ausschließlich dendritischen Zellen zu finden ist. Mit Knock-out-Systemen konnten wir zeigen, dassder Komplementrezeptor 4 im Gegensatz zum Komplementrezeptor 3 eine viel effektivere antivirale Immunreaktion erzeugt.
Was sind Ihre Zukunftspläne oder Visionen in Bezug auf diese Thematik?
D. Wilflingseder: Ich hätte natürlich gerne eine genaue molekulare Charakterisierung. Was passiert in der dendritischenZelle? Wie verläuft das Signaling über Komplementrezeptor 4? Man könnte sich diesesWissen zunutze machen, um etwa neuartigeImpfstoffe zu entwickeln, die den Komplementrezeptor 4 ansprechen und dadurch eine bessere Immunantwort bewirken. Das würde ein Umdenken in der Vakzin-Forschung bedeuten. Ein anderer Aspekt befasst sich mit der Schleimhaut, die als erste Barriere eine wesentliche Funktion innehat. Hier haben wir ein Schleimhautmodell für HIV entwickelt, um die Mechanismen in einem realistischen Modell zu erforschen. Beispielsweise, ob ein Durchtreten der Viren durch die Schleimhaut zu verhindern ist. Oder ob dendritische Zellen mit solchen oben erwähnten neuartigen Impfstoffen, die auf Komplementrezeptoren zielen, aktiviert werden können. Das sind spannende neue Forschungsansätze für die Zukunft.
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