Multiresistente gramnegative Erreger: Was bringt die neue Leitlinie der ESCMID?
Bericht:
Dr. Norbert Hasenöhrl
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Eine Leitlinie der European Society of Clinical Microbiology and Infectious Diseases (ESCMID) aus dem April 2022 zur Behandlung von multiresistenten gramnegativen Erregern bietet, vorsichtig ausgedrückt, einige Diskussionspunkte, wie die Münchner Infektiologin Dr. Béatrice Grabein bei einem Webinar erklärte. Außerdem zeigt ein Vergleich mit aktuellen IDSA-Leitlinien, dass die Uhren jenseits des Atlantiks anders gehen.
Die European Society of Clinical Microbiology and Infectious Diseases (ESCMID) hat im April 2022 eine neue Leitlinie für den Umgang mit multiresistenten gramnegativen Erregern (MRGN) herausgegeben.1 Sie betrifft folgende Gruppen von Erregern:
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Enterobacterales mit Resistenz gegenüber Drittgenerations-Cephalosporinen (3GCephRE)
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Enterobacterales mit Resistenz gegen Carbapeneme (CRE)
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Pseudomonas aeruginosa mit Resistenz gegen Carbapeneme (CRPA)
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Acinetobacter baumannii mit Resistenz gegen Carbapeneme (CRAB)
„Die Leitlinie versucht vor allem zwei Fragen zu beantworten: nämlich was das Antibiotikum der Wahl bei Infektion durch einen dieser Erreger ist und ob Kombinationstherapien eingesetzt werden sollten“, erklärte Dr. Béatrice Grabein, Stabsstelle Klinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene, LMU Klinikum München.
Details zur Leitlinie
„Zunächst einmal muss man feststellen, dass diese Leitlinie – mit wenigen Ausnahmen – nicht nach Resistenzmechanismen unterscheidet“, fuhr die Expertin fort. Weiters ergibt sich aus den gestellten Fragen, dass sich diese Leitlinie ausschließlich mit der gezielten, nicht mit der empirischen Therapie befasst.
Die Leitlinien (LL) wurden nach einer strengen und auch beschriebenen Methodik erstellt; ein gewisser Nachteil besteht hier wohl darin, dass die in den Literaturreview aufgenommenen Studien spätestens Ende 2019 publiziert sein mussten. Einige signifikante Studien wurden allerdings bis Juli 2021 berücksichtigt.
Aufgenommen wurden Studien mit hospitalisierten Patienten und Infektionen durch die genannten MRGN, die eine systemische Antibiotika(AB)-Therapie erforderten. Patienten mit unkomplizierten Harnwegsinfektionen bzw. Tracheobronchitis wurden ausgeschlossen.
Der primäre Endpunkt war die Letalität jeglicher Ursache, bevorzugt (sofern entsprechende Daten vorlagen) nach 30 Tagen. Sekundäre Endpunkte waren klinische Heilung oder Versagen, mikrobiologisches Versagen, Resistenzentwicklung, Relaps bzw. Rezidiv, unerwünschte Wirkungen und Aufenthaltsdauer im Krankenhaus.
Definitionen
Schwere Infektionen waren in der LL definiert als Sepsis oder septischer Schock. Alle anderen Infektionen galten als nicht schwer. „Mit dieser Definition habe ich schon ein gewisses Problem“, erläuterte Grabein. „Wenn ich z.B. an einen Patienten mit einer Anastomoseninsuffizienz und einer sekundären Peritonitis auf der ICU denke, dann ist das für mich schon eine schwere Infektion, auch wenn er keine Sepsiskriterien erfüllt.“
Eine weitere Definition unterscheidet Infektionen mit niedrigem bzw. hohem Letalitätsrisiko. Erstere sind Infektionen mit Fokus auf die Harn- oder Gallenwege auch dann, wenn eine Blutstrominfektion (BSI) vorliegt. Alle andere fallen in die Gruppe des hohen Letalitätsrisikos.
„Neue Antibiotika“ sind solche, die nach 2010 zugelassen wurden. Großen Wert legt die LL auf Gesichtspunkte des Antibiotic Stewardship.
Die IDSA macht es anders
Wenige Monate früher erschienen amerikanische Empfehlungen der IDSA.2 Hier war man bemüht, wichtige klinische Themen anzusprechen, für die eine Leitlinienentwicklung zu lang dauert. „Es war eine kleine Expertengruppe, der Literaturreview war nicht systematisch, es ist viel klinische Erfahrung und Expertenmeinung eingeflossen und man hat sich natürlich primär auf die Situation in den USA fokussiert. Die IDSA will ihre Empfehlungen mindestens einmal jährlich updaten“, erklärte die Expertin.
Angesprochene Erreger sind ESBL-bildende Enterobacterales, Amp-C-bildende Enterobacterales, CRE, P. aeruginosa mit schwer zu behandelnder Resistenz, CRAB und Stenotrophomonas maltophilia. „Hier wird um einiges besser zwischen verschiedenen Resistenzmechanismen unterschieden“, so Grabein.
Auch gibt die IDSA Empfehlungen für unkomplizierte Harnwegsinfekte (HWI). Die IDSA empfiehlt bei Nicht-HWI durch ESBL-Bildner nur Carbapeneme, die ESCMID auch ältere Betalaktam/Betalak-tamasehemmer(BL/BLI)-Kombinationen. Weiters empfiehlt die ESCMID bei sogenannten nichtschweren Infektionen mit CRE bei Wirksamkeit in vitro alte AB, während die IDSA empfiehlt, Colistin zu vermeiden.
Konkrete ESCMID-Empfehlungen
3GCephRE
Für 3GCephRE empfiehlt die ESCMID-LL Meropenem oder Imipenem, bei Patienten mit BSI, aber ohne septischen Schock auch Ertapenem und nicht zuletzt nach Einsatz eines Carbapenems auch ein Step-down, entweder auf alte BL/BLI, Fluorchinolone, Cotrimoxazol oder andere AB, je nach Antibiogramm. „Hier fehlt allerdings jeglicher Hinweis, in welchen Situationen bzw. nach welchen Kriterien solche Deeskalationen durchzuführen sind“, kritisierte Grabein.
Bei den sogenannten nichtschweren Infektionen mit 3GCephRE empfiehlt die ESCMID an erster Stelle Piperacillin/Tazobactam, Amoxicillin/Clavulansäure oder Fluorchinolone, bei kompliziertem HWI Cotrimoxazol. Grabein: „Interessant finde ich, dass für komplizierte HWI ohne septischen Schock Fosfomycin in Monotherapie mit hohem Evidenzgrad empfohlen wird. Das ist für mich nicht ganz nachvollziehbar.“ Klare Empfehlungen gegen den Einsatz bei 3GCephRE gibt es für Tigecyclin, Cefepim sowie auch neue BLI/BLI-Kombinationen. Hier beruht die Nicht-Empfehlung allerdings nicht auf mangelnder Wirksamkeit, sondern auf ABS-Gesichtspunkten, da diese Antibiotika den Carbapenem-resistenten Erregern vorbehalten bleiben sollen. Keine Empfehlung (weder positiv noch negativ) gibt es aufgrund fehlender Daten für Cefoperazon/Sulbactam, Ampicillin/Sulbactam, Ticarcillin/Clavulansäure, Temocillin und Mecillinam.
CRE
Für schwere CRE-Infektionen empfiehlt die ESCMID als Monotherapie Meropenem/Vaborbactam oder Ceftazidim/Avibactam. Für Imipenem/Relebactam sowie für Fosfomycin gibt es keine Empfehlung. Eine separate Empfehlung besteht für Stämme, die Metallobetalaktamasen (MBL) bilden: Hier wird Cefiderocol empfohlen.
Als Kombinationstherapie bei Vorliegen von MBL wird Ceftazidim/Avibactam plus Aztreonam empfohlen. Bei Resistenz gegen neue BL/BLI-Kombinationen werden Kombinationen von mindestens zwei in vitro aktiven AB, wie Colistin, Aminoglykoside, Tigecyclin oder Fosfomycin, empfohlen. „Welche konkreten Kombinationen man hier nehmen soll, sagt die Leitlinie nicht“, kommentierte Grabein. „Aber wenn ich mir vorstelle, dass ein Patient mit septischem Schock dann mit einer Kombination aus Tigecyclin und einem Aminoglykosid behandelt wird, so bin ich davon eher nicht überzeugt.“
Bei den nichtschweren CRE-Infektionen bevorzugt die ESCMID alte AB, wie eben Colistin, Aminoglykoside, Tigecyclin oder Fosfomycin. „Das bedeutet in erster Linie Colistin und ist im übrigen eine reine Expertenempfehlung. Ich bin davon nicht überzeugt“, warnte die Expertin.
CRPA
Bei schweren Infektionen durch CRPA wird von der ESCMID Ceftolozan/Tazobactam empfohlen, nicht jedoch Ceftazidim/Avibactam, Imipenem/Relebactam oder Cefiderocol. „Hier wird auf eine unzureichende Datenlage verwiesen, was aber eigentlich nicht mehr ganz zutrifft“, berichtete die Expertin. Bei nichtschweren CRPA-Infektionen wird ein altes AB (Colistin, Aminoglykoside, Fosfomycin) empfohlen.
CRAB
„Bei den Empfehlungen für CRAB-Infektionen wird die ESCMID-Leitlinie besonders problematisch“, warnte Grabein. So wird bei HAP/VAP durch CRAB Ampicillin/Sulbactam empfohlen, sofern Sensibilität gegen Sulbactam besteht. „Sulbactam als Monosubstanz ist aber vielerorts gar nicht verfügbar und wird als Monosubstanz in den Labors auch kaum getestet“, bemerkte die Expertin. Weiters gibt es auch keine Breakpoints für Sulbactam. Bei Sulbactam-Resistenz werden Polymyxin B, Colistin oder hoch dosiertes Tigecyclin empfohlen. Hingegen spricht die ESCMID eine Empfehlung gegen Cefiderocol aus. „Das müsste man ebenfalls diskutieren“, forderte Grabein. So gibt es eine im März 2022 publizierte monozentrische, retrospektive Studie, die zeigte, dass die 30-Tages-Letalität zumindest bei BSI – allerdings nicht bei Beatmungspneumonie – unter Cefiderocol geringer war als unter Colistin (für die Gesamtgruppe 55,8% vs. 34%; p=0,018).3
Als Kombinationstherapie bei schweren CRAB-Infektionen wird eine Kombination aus zwei in vitro wirksamen AB empfohlen (Polymyxine, Aminoglykoside, Tigecyclin, Sulbactam). Definitiv nicht empfohlen (also Empfehlung dagegen) werden Polymyxin plus Meropenem oder Polymyxin plus Rifampicin.
Bei einer Meropenem-MHK ≤8mg/L wird eine hoch dosierte Carbapenemtherapie mit verlängerter Infusionsdauer als Kombinationspartner empfohlen.
Fazit der Vortragenden
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Grundsätzlich sind Leitlinien (LL) zu begrüßen.
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Probleme entstehen dann, wenn LL für sehr heterogene Gruppen bzw. Länder gelten sollen.
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Antibiotic Stewardship ist wichtig und richtig; eine Empfehlung für Colistin oder Polymyxin B ist – vor allem aufgrund des Nebenwirkungsprofils – jedoch problematisch.
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Andere alte Antibiotika zu empfehlen, für die es keine Daten und zum Teil nicht einmal Grenzwerte gibt, ist ebenfalls problematisch.
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Die Datenlage im Hinblick auf neue Antibiotika ändert sich sehr schnell; deshalb wird die Beschränkung auf eine klassische LL der Aktualität nicht gerecht.
Quelle:
Vortrag von Dr. Béatrice Grabein, München, im Rahmen des Giftigen Webinars „Die neue ESCMID-MRGN-Leitlinie: Fluch oder Segen“ am 19. Oktober 2022
Literatur:
1 Paul M et al.: Clin Microbiol Infect 2022; 28(4): 521-47 2Tamma PD et al.: Clin Infect Dis 2022;7 5(2): 187-212 3 Falcone M et al.: Antimicrob Agents Chemother 2022; 66(5): e0214221
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