
Cholesterinsenkung: kaum ein anderes Gebiet der Medizin hat eine bessere Evidenz
Unser Gesprächspartner:
Prof. Dr. Wolfgang Koenig, FRCP, FESC, FACC, FAHA
Klinik für Herz- & Kreislauferkrankungen
Deutsches Herzzentrum München
TUM Universitätsklinikum
E-Mail: koenig@dhm.mhn.de
Das Interview führte Reno Barth
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Die Publikation der 4S-Studie, die erstmals die Reduktion kardiovaskulärer Endpunkte durch eine Statintherapie zeigte, liegt nun 30 Jahre zurück. Seitdem wurden die therapeutischen Ziele ehrgeiziger und die Auswahl der verfügbaren Lipidsenker wurde größer. Ein relevantes Problem bleibt jedoch die häufig suboptimale Adhärenz der Patient:innen. Wir sprachen mit Prof. Dr. Wolfgang Koenig vom Deutschen Herzzentrum München, der für seine Forschungen auf dem Gebiet von Biomarkern und Atherosklerose international bekannt ist.
Herr Prof. Koenig, als Sie begannen, sich mit dem Thema Lipide zu beschäftigen, was war da der Stand der Forschung?
W. Koenig: Da muss ich noch etwas weiter zurückgehen in die Zeit, bevor ich klinisch tätig wurde. Bereits in den 1960er-Jahren wurden Studien mit Fibraten begonnen, im Jahr 1978 folgte die Publikation der mit Clofibrat durchgeführten WHO-Cooperative-Studie. Das Ergebnis war aufgrund der häufigen Nebenwirkungen negativ, was zu einer generellen Skepsis gegenüber einer LDL-Cholesterinsenkung führte. Anfang der 1980er-Jahre wurde der erste Resorptionshemmer, Cholestyramin, in Studien untersucht, in denen in einer Population von Männern mit primärer Hypercholesterinämie signifikante Senkungen der meisten Endpunkte in der Größenordnung von 20% erreicht wurden.
Und wann kamen die Statine ins Spiel?
W. Koenig:Statine waren zu dieser Zeit bereits entwickelt, schafften es aber erst etwas später, in den 1990er-Jahren, in die Klinik. Die Landmark-Studie in der Statintherapie war die bekannte 4S-Studie (Scandinavian Simvastatin Survival Study), die in der Sekundärprävention in einer Population von Hochrisikopatienten Simvastatin mit Placebo verglich und die im Jahr 1994 publiziert wurde. Ein Jahr später folgte die WOSCOPS-Studie (The West of Scotland Coronary Prevention Study) zu Pravastatin in der Primärprävention. Auch hier zeigte sich eine Reduktion tödlicher und nicht tödlicher kardiovaskulärer Ereignisse unter einer Statintherapie. Diese beiden Arbeiten haben zwar nicht augenblicklich zu einer breiten Verschreibung von Statinen geführt, aber seit damals hat sich die Statintherapie zunehmend durchgesetzt. Wichtig ist, dass zu dieser Zeit Statine noch mit Placebo verglichen wurden. Daher sieht man in 4S auch eine Reduktion der Gesamtsterblichkeit durch Simvastatin. In späteren Studien wurden durchwegs unterschiedliche Dosierungen oder unterschiedliche Statine verglichen. Damit war es zwar möglich, Effekte auf diverse kardiovaskuläre Endpunkte zu zeigen, die Gesamtsterblichkeit konnte gegenüber den Kontrollarmen jedoch nicht mehr gesenkt werden.
Führten diese Studien rasch zu einer Adaption der Therapieempfehlungen seitens der Fachgesellschaften?
W. Koenig:Nach der Publikation von 4S folgten relativ schnell entsprechende Empfehlungen für die Sekundärprävention. In der Primärprävention dauerte es länger und erforderte intensive Diskussionen in den Gesellschaften und Verbänden. Es gab keine einheitliche Meinung, ob man eine Primärprävention durchführen soll oder nicht. Unter den Gesichtspunkten einer evidenzbasierten Medizin haben diese beiden Studien jedoch gezeigt, dass wir durch Statintherapie, also durch Hemmung des Enzyms HMG-CoA-Reduktase in der Leber und die daraus folgende Senkung des LDL-Cholesterins, eine Reduktion kardiovaskulärer Endpunkte erreichen.
Seit man von der Bedeutung des Cholesterins im Zusammenhang mit koronarer Herzerkrankung weiß, werden die empfohlenen LDL-Grenzwerte immer weiter gesenkt …
W. Koenig: Nach den beiden Landmark-Studien folgte noch eine Reihe weiterer Studien, in denen man versuchte, immer niedrigere LDL-Cholesterinziele zu erreichen. Und dabei zeigte sich tatsächlich, dass bei jeder weiteren LDL-Cholesterinsenkung immer noch ein günstiger Effekt zu beobachten ist. Es entsteht ausgehend von der 4S-Studie und weiteren Studien zur LDL-Cholesterinsenkung eine Regressionsgerade. Wir haben gesehen, dass man auch noch einen Nutzen hat, wenn man bei einem LDL-Cholesterin von 100 weiter senkt. Wobei der zusätzliche absolute Effekt natürlich umso geringer wird, je weiter man nach unten geht.
Wie definiert man heute eigentlich ein „normales LDL“?
W. Koenig: Man geht zunehmend davon ab, von Normalwerten zu sprechen, sondern geht eher von Referenzwerten aus. Diese Referenzwerte richten sich nach dem absolutem Risiko. Wir schütten nicht über alle Statine aus, sondern machen eine risikoadaptierte Therapie. Das heißt, je höher das Risiko ist, desto aggressiver gehen wir vor. So gilt für Patient:innen, die bereits einen Herzinfarkt oder Schlaganfall hinter sich haben, auf der Basis klinischer Studien ein LDL-Cholesterinziel von <55mg/dl als unsere härteste Empfehlung für Patient:innen mit sehr hohem Risiko für ein erneutes Ereignis. Bei Patient:innen mit mittlerem Risiko geben wir uns mit 70 oder 100mg/dl zufrieden. Ich gehe bei einem Hochrisikopatienten, der die Therapie gut verträgt, mit dem Statin und eventuellen weiteren Medikamenten auch höher, wobei vertragen langfristig vertragen bedeutet. Bei diesen wäre das Ziel, unter 70mg/dl zu kommen.
Man darf auch nicht vergessen, dass die Labormessungen für das LDL-Cholesterin eine beträchtliche Variabilität aufweisen. Wenn Sie einen Befund mit 70mg/dl vor sich haben, dann können das real sowohl 55mg/dl als auch 80mg/dl sein. Das ist weniger exakt, als man denkt. Insgesamt geht es also um eine individualisierte Therapie, die sich am persönlichen Risiko orientiert – wobei es natürlich nicht nur um LDL-Cholesterin geht und man auch andere Risikofaktoren so gut wie möglich kontrollieren muss.
Und wenn man mit den Statinen nicht zum Zielwert kommt, welche Optionen sind für Sie die nächstliegenden?
W. Koenig: Dann haben wir zunächst den Resorptionshemmer Ezetimib, der bereits seit den frühen 2000er-Jahren auf dem Markt ist. Allerdings hat es sehr lange gedauert, bis auch ein Effekt auf harte Endpunkte gezeigt werden konnte. In der 2015 publizierten Studie IMPROVE-IT konnte für Ezetimib als Zusatz zu einer Statintherapie nicht nur eine anhaltende Senkung des LDL-Cholesterins, sondern auch eine Senkung des kombinierten primären Endpunkts aus kardiovaskulärem Tod, nicht tödlichem Myokardinfarkt, instabiler Angina pectoris, koronarer Revaskularisierung und nicht tödlichem Schlaganfall erreicht werden. Mit der Präsentation dieser Daten gewann Ezetimib schnell an Bedeutung. Davor war es zwar verfügbar, wurde jedoch sehr wenig eingesetzt. Gegenwärtig geht man dazu über, Ezetimib nicht mehr für eine Eskalation der Therapie aufzusparen, sondern gleich initial gemeinsam mit einem Statin zu verschreiben. Mit den heute verfügbaren Kombinationspräparaten ist das einfach zu realisieren. Diese Strategie findet zudem gerade Eingang in die verschiedenen Leitlinien. Auch als Fixkombination mit Bempedoinsäure ist Ezetimib mittlerweile auf dem Markt.
Und wie sieht es mit der Adhärenz aus?
W. Koenig: Mit den Kombinationspräparaten gibt es weniger Compliance-Probleme. Gastrointestinale Nebenwirkungen von Ezetimib sind beschrieben, aber selten. Aber man muss sagen, dass wir in der lipidsenkenden Therapie ganz generell ein Problem mit der Adhärenz haben. Das betrifft die Statine genauso wie Ezetimib. Wir haben potente Medikamente, aber sie werden unvollständig genommen oder einfach wieder abgesetzt, wenn der Zielwert einmal erreicht wurde.
Und wie könnte man die Adhärenz verbessern?
W. Koenig: Das ist ein ganz zentraler Punkt, dem meiner Meinung nach nicht ausreichend Aufmerksamkeit geschenkt wird. Man muss die Menschen aufklären über den Nutzen der Therapie und die Nebenwirkungen. Das kostet aber Zeit und Zeit ist im Gesundheitssystem knapp. Ein weiterer Faktor bei der Verbesserung der Compliance ist der Einsatz von Kombinationspräparaten, da diese die „pill burden“ reduzieren. Auch Therapien mit sehr langen Dosierungsintervallen sind hilfreich. Wir haben eine Substanz zur Verfügung, die eine „small interfering“ RNA benützt, die nur alle sechs Monate injiziert werden muss. Das erfordert jeweils einen Arztbesuch, wodurch die Compliance weitgehend gesichert wird. In der Zukunft könnte Gen-Editing dauerhafte Lösungen des Problems Cholesterin ermöglichen. Dazu gibt es bereits erste klinische Daten, aber bis das verfügbar sein wird, dürfte es noch dauern.
Unter den derzeit verfügbaren Substanzen gibt es seit relativ kurzer Zeit auch Bempedoinsäure – diese haben Sie bereits kurz angesprochen. Was gibt es aus Ihrer Sicht zu ihr zu sagen?
W. Koenig: Bempedoinsäure ist eine Prodrug, die in der Leber in ihren aktiven Metaboliten umgesetzt wird, der durch Hemmung der Adenosintriphosphat-Citrat-Lyase (ACL) in die hepatische Cholesterinsynthese eingreift. Die Umwandlung von Bempedoinsäure in die aktive Thioesterform Bempedoyl-CoA erfolgt ausschließlich in der Leber, da das erforderliche Enzym in Muskelzellen nicht exprimiert wird. Damit bietet sich Bempedoinsäure als Alternative zu einem Statin für Statin-intolerante Patient:innen an. Tatsächlich waren in die große Outcome-Studie CLEAR zu einem großen Anteil Patient:innen mit Statinintoleranz eingeschlossen. In CLEAR zeigte Bempedoinsäure eine signifikante LDL-Cholesterinsenkung sowie eine Reduktion diverser kardiovaskulärer Endpunkte. Damit ist Bempedoinsäure, auch in Kombination mit Ezetimib, zur LDL-Cholesterinsenkung bei Statinintoleranz indiziert. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, Bempedoinsäure zusätzlich zu Statinen einzusetzen, was einen moderaten Effekt über die Statinwirkung hinaus verspricht. Das kann eine Option sein, wenn es im Einzelfall knapp nicht gelingt, mit einer verträglichen Statindosis in den Zielbereich zu kommen. Dann ist es sinnvoll, Bempedoinsäure zu versuchen, bevor man zu den sehr viel teureren PCSK-9-Inhibitoren greift.
Wenn man aber doch auf die PCSK-9-Hemmung angewiesen ist, nach welchen Kriterien entscheidet man zwischen den Antikörpern und Inclisiran?
W. Koenig: Die erreichte Senkung des LDL-Cholesterins ist bei beiden Therapien in etwa vergleichbar, dabei mit Inclisiran etwas weniger ausgeprägt als unter Alirocumab bzw. Evolocumab. Die in Studien erreichten LDL-Cholesterinsenkungen bewegen sich mit den Antikörpern in der Größenordnung von 55%, mit Inclisiran sind es um die 50%. Das spielt also keine große Rolle. Vom Sicherheitsaspekt her gibt es keine wesentlichen Unterschiede. Es geht also um praktische Erwägungen. Wenn jemand z.B. viel auf Reisen ist, dann ist Inclisiran die bequemere Wahl, weil die Verabreichung halbjährlich genügt, wohingegen sie bei den beiden anderen genannten Wirkstoffen öfter notwendig ist. Vielen Patient:innen ist es aber vollkommen egal, wenn sie deswegen öfter kommen müssen. Was man allerdings sieht, sind individuelle Unterschiede im Ansprechen, denen man durch Umstellung der Therapie begegnen kann. Das kann den Wechsel von einem Antikörper auf einen anderen bedeuten, aber auch einen Switch von einem Antikörper auf Inclisiran oder umgekehrt. In manchen Fällen kann es auch nach der Injektion von Antikörpern zu grippeähnlichen Symptomen kommen. Wenn diese ausgeprägt oder für längere Zeit auftreten, kann das auch ein Grund für einen Switch sein. Daher ist es gut, dass wir mehrere Optionen haben.
LDL-Cholesterin lässt sich ja offenbar heute gut beherrschen, wie sieht es aktuell eigentlich mit den Triglyzeriden aus?
W. Koenig: Bei den Triglyzeriden sehen wir immer wieder sehr gute Erfolge durch diätetische Maßnahmen. Das heißt, bei manchen Betroffenen sinken die Triglyzeride auch von Werten von 1000mg/dl wieder in den Normalbereich, wenn Kohlenhydrate reduziert oder Mahlzeiten ausgelassen werden. Medikamentös erreichen wir derzeit bei den Triglyzeriden sehr wenig. Es gab Versuche, Triglyzeride mit Omega-3-Fettsäuren zu senken. Das funktioniert auch, wobei die Studien allerdings zeigen, dass es keinen konsistenten Effekt auf die kardiovaskulären Ereignisse hat. Derzeit werden verschiedene Ansätze auf Basis von RNA-Technologie versucht. Ob sich damit kardiovaskuläre Ereignisse reduzieren lassen, wissen wir noch nicht.
Wenn Sie zurückblicken, gab es ja nicht nur die Lichtblicke, die Sie gerade beschrieben haben, was waren oder sind Ihre größten Enttäuschungen in der Lipidologie?
W. Koenig: Enttäuschend ist, dass wir auch 30 Jahre nach der Publikation von 4S noch immer über die „Cholesterinhypothese“ diskutieren müssen – auch mit Kollegen und Kolleginnen aus dem niedergelassenen Bereich. Das ist keine Hypothese mehr. Es gibt wahrscheinlich in der gesamten Medizin kaum ein anderes Gebiet, das so solide untersucht wurde wie die Hypercholesterinämie, ihre Folgen, die therapeutischen Möglichkeiten sowie die Effekte einer LDL-Cholesterinsenkung. Wir können mit dem intravasalen Ultraschall mittlerweile nachweisen, dass atherosklerotische Plaques kleiner werden, wenn wir das LDL-Cholesterin unter 70mg/dl bringen. Wir haben die Möglichkeiten, wir haben die Daten, aber wir müssen dafür sorgen, dass unsere Therapien konsequenter implementiert werden.
Vielen Dank für das Gespräch!
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