Digitale Transformation in der Kardiologie – was ist schon klinische Praxis?
Autoren:
Priv.-Doz. Dr. Martin Manninger-Wünscher
PhDUniv.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Daniel Scherr
Klinische Abteilung für Kardiologie
Universitätsklinik für Innere Medizin
Medizinische Universität Graz
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Die digitale Transformation in der Kardiologie hat vor allem durch die Covid-19-Pandemie einen starken Aufschwung erlebt. Viele der aktuell benutzten Applikationen wurden schon vor der Pandemie entwickelt und verwendet, jedoch sind die Nutzung und das Interesse an diesen Möglichkeiten sowohl von Patienten- als auch von Ärzteseite deutlich gestiegen.
Keypoints
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Die Telemedizin umfasst u.a. Telemonitoring von Patienten mit kardialenDevices, Telekonsultationen, -konsile und -konferenzen.
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In einigen Bundesländern wird Patienten nach stationärer Behandlung wegen kardialer Dekompensation eine telemedizinische Betreuung angeboten.
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Mortalität und Rehospitalisierungsrate können im Vergleich zu Patienten ohne telemedizinischeNachsorge reduziert werden.
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Telemedizinische Applikationen dienen u.a. als Arrhythmiedokumentation oder Vorhofflimmer-Screening in Risikopopulationen.
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Der direkte Patientenkontakt bleibt für eine gute Patientenbetreuung jedoch unerlässlich.
Aktuelle Umfragen unter Kardiologen haben ergeben, dass die telemedizinische Versorgung vor der Pandemie ca. 12% der Patientenkontakte ausgemacht hat und in der Pandemie auf ca. 35% angestiegen ist. Es wird erwartet, dass dieser Anteil auch nach der Pandemie unverändert bleibt.1
In der Telemedizin werden Informations- und Kommunikationstechnologien dazu verwendet, um medizinische Patientendaten, die der Prävention, Diagnose, Behandlung oder Weiterbetreuung der Patienten dienen,mit Gesundheitsdienstleistern zu teilen. Telemedizin umfasst u.a. das Telemonitoring von Patienten mit kardialen Devices, Telekonsultationen, Telekonsile und Telekonferenzen. Der Vorteil des Telemonitorings wird v.a. darin gesehen, dass Änderungen im Gesundheitszustand früher erkannt werden können, um im besten Fall eine Verschlechterung einer chronischen Erkrankung zu verhindern. Potenziell tragen telemedizinische Applikationen auch zur Kostensenkung im Gesundheitssystem bei.
Telemedizin bei Herzinsuffizienz
Die Studienlage zur Telemedizin bei Patienten mit Herzinsuffizienz ist komplex. In mehreren Metaanalysen konnten klinische Vorteile des Telemonitorings gezeigt werden, während mehrere prospektive randomisierte Studien dies nicht bestätigten. In der IN-TIME-Studie sah man schon 2014, dass Telemonitoring für Patienten mit Herzinsuffizienz prognostische Bedeutung haben kann.2 In dieser Studie wurden Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz nach ICD(„implantable cardioverter defibrillator“)- oder CRT-D(„cardiac resynchronization therapydefibrillator“)-Implantation eingeschlossen und in telemedizinischer Nachsorge und Routinenachsorge randomisiert. Die telemedizinische Nachsorge konnte die Gesamtmortalität in diesem Patientenkollektiv reduzieren. Festzuhalten ist hier jedoch, dass die telemedizinische Nachsorge tägliche Übertragungen beinhaltete, die mit genauen Workflows zu bestimmten Interventionen hinterlegt waren.Aktuell gibt es fünf große Gerätefirmen im Bereich der Kardiologie. Viele dieser Firmen bieten eigene Parameter zur Früherkennung von kardialer Dekompensation an. Der OptiVol Index der Firma Medtronic sammelt Daten aus Thoraximpedanzmessungen bei Patienten mit implantierten CRT-D-Systemen. In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass die Thoraximpedanz mit Flüssigkeitseinlagerungen und reduziertem Schlagvolumen korreliert und Änderungen in der Thoraximpedanz mit einer höheren Rate an Hospitalisierungen einhergehen.3
Boston Scientific bietet einen Index für ihre implantierten CRT-Systeme an, in den Messungen von Herztönen, Thoraximpedanz, Atemfrequenz, Messungen des Verhältnisses von Atemfrequenz zu Tidalvolumen, der Herzfrequenz und Aktivität über das Aggregat eingehen. Ein Anstieg des sog. HeartLogic Index soll der Früherkennung von kardialer Dekompensation dienen. In einer randomisierten klinischen Studie konnte gezeigt werden, dass Herzinsuffizienzevents mit einer Sensitivität von 70% vorhergesagt werden können und die Rate an unerklärlichen Alarmen nur bei ca. 1,5 Alarmen pro Patientenjahr lag.4
Seit mehreren Jahren wird in Österreich (aktuell in Tirol, der Steiermark, Salzburg und Kärnten) die telemedizinische Betreuung von Patienten nach stationärer Behandlung wegen kardialer Dekompensation angeboten.5 Hier werden Patienten in ein Versorgungsnetzwerk eingebunden und mit einer App, einem Blutdruckmesser und einer Waage versorgt. Erfasst werden Gewicht, Herzfrequenz, Blutdruck und Medikation. In einer rezent publizierten Analyse konnte gezeigt werden, dass durch die telemedizinische Betreuung die Mortalität unddie Rehospitalisierungsrate im Vergleich zumKontrollkollektiv reduziert werden konnten.
Neue telemedizinische Applikationen in der Patientenversorgung
Abb. 1: Gegenüberstellung EKG-basierter und Photoplethysmografie-basierter Geräte
Neben diesen telemedizinischen Applikationen, die durch das Gesundheitssystem initiiert werden, ist der Markt im Bereich telemedizinisch verwendbaren Geräten zum Rhythmusmonitoring für den Privatgebrauch stark gewachsen. Hier kommen vor allem zwei Technologien zum Einsatz (Abb.1):
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Elektroden-basierte Systeme: Patienten-getriggerte 1- bis 6-Kanal-EKGs nutzen eine spezielle Hardware in Form von Elektroden und ermöglichen die Bestimmung von Herzfrequenz und -rhythmus (Beispiele: „Apple Watch“, „Kardia AliveCor“, „FitBit“ u.v.m.)
Kamera-basierte Systeme: nutzen eine Lichtquelle (z.B. Blitz und Kamera eines Smartphones) zur Photoplethysmografieaufzeichnung und ermöglichen die Bestimmung von Herzfrequenz und Regularität (Abb.2).Eine zusätzliche Hardware ist im Regelfall nicht notwendig (Beispiele: „FibriCheck“, „Cardiio Rhythm“, „AppleWatch“ u.v.m.)
Diese Technologien ermöglichen getriggerte Rhythmusaufzeichnungen und beinhalten meist Funktionen, um Daten für betreuende Ärzte aufzubereiten, zu exportieren oder sogar elektronisch zu übermitteln. Medizinische Anwendungen sind z.B. die Arrhythmiedokumentation oder das Vorhofflimmer-Screening bei Risikopopulationen. In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass das Vorhofflimmer-Screening mittels 1-Kanal-EKG-Selbstmessungen Routinekontrollen mit seriellen 12-Kanal-EKGs deutlich überlegen ist.
Abb. 2: Auswertungsmaske Photoplethysmografie-basierter Applikationen. Oben: Pulskurve einer 60-Sekunden-Messung mit Darstellung der absoluten Arrhythmie im Tachogramm und Lorenz-Plot. Unten: Darstellung der einzelnen Messungen im Dashboard.
Initiative TeleCheck-AF
Während der Covid-19-Pandemie wurde in Maastricht die Initiative TeleCheck-AF gestartet und gemeinsam mit der Medizinischen Universität Graz aufgebaut. Ziel war es, Patienten mit Vorhofflimmern so gut wie möglich telemedizinisch zu betreuen, um zu Zeiten der Pandemie Ambulanzbesuche zu reduzieren.6 Europaweit wurden inzwischen mehr als 4000 Patienten eingeschlossen. Statteine Ambulanz zu besuchen, erhielten Patienten Zugang zur App „FibriCheck“, mit der sie für eine Woche Rhythmusaufzeichnungen zu Hause durchführten. Auf Basis der gesammelten Daten wurde dann eine Telekonsultation durchgeführt, um weitere diagnostische oder therapeutische Schritte zu planen. Die Photoplethysmografie-basierte App hat sich aufgrund der breiten Verfügbarkeit und einfachen Installation bewährt und benötigt abgesehen von einem Smartphone keine weitere Hardware. Da sie jedoch keine Möglichkeit einer EKG-Aufzeichnung bietet, ist sie zur Erstdiagnose von Vorhofflimmern nur eingeschränkt verwendbar. In einer rezenten Substudie aus TeleCheck-AF konnte gezeigt werden, dass die Erfassung von Komorbiditäten mittels App, wie sie in manchen Studien bereits durchgeführt wird, viele Fehlerquellen beinhaltet.7Visiten im Rahmen von klinischen Studien sowie der direkte Patientenkontakt bleiben für eine gute Patientenbetreuung unerlässlich. Dieses System wird inzwischen in der Rhythmusambulanz der Medizinischen Universität Graz allen Patienten in der Nachsorge nach Interventionen (Ablation, Kardioversion, Frequenzkontrolleetc.) und in der Therapieplanung (Symptom-Rhythmus-Korrelation, Anfallshäufigkeitetc.) angeboten.
Fazit
Digitale Transformation in der Kardiologie findetschon seit mehreren Jahren statt. Die Covid-19-Pandemie hat in vielen Bereichen diese Transformation beschleunigt. Die Applikationen können Diagnostik beschleunigen und Verschlechterungen des Gesundheitszustands früher erkennen, sie sollten aber den direkten Patientenkontakt nicht ersetzen. Im besten Fall führt die Verwendung dieser Applikationen zu anlassbezogenen statt routinemäßigen Patientenkontakten.
Literatur:
1 Manninger M et al.: Current perspectives on wearable rhythm recordings for clinical decision-making: the wEHRAbles 2 survey. Europace 2021; 23(7): 1106-13 2 Hindricks G et al.: Implant-based multiparameter telemonitoring of patients with heart failure (IN-TIME): a randomised controlled trial. Lancet 2014; 384(9943): 583-90 3 Small RS et al.: Changes in intrathoracic impedance are associated with subsequent risk of hospitalizations for acute decompensated heart failure: clinical utility of implanted device monitoring without a patient alert. J Card Fail 2009; 15: 475-81 4 Boehmer JP et al.: A multisensor algorithm predicts heart failure events in patients with implanted devices: Results from the MultiSENSE study. JACC Heart Fail 2017; 5: 216-25 5 Pölzl G et al.: Feasibility and effectiveness of a multidimensional post-discharge disease management programme for heart failure patients in clinical practice: the HerzMobil Tirol programme.Clin Res Cardiol 2022; 111(3): 294-307 6 Gawalko M, Duncker D et al.: The European TeleCheck-AF project on remote app-based management of atrial fibrillation during the COVID-19 pandemic: centre and patient experiences. Europace 2021; 23(7): 1003-15 7 Hermans ANL, Gawalko M et al.: Self-reported mobile health-based risk factor and CHA2DS2-VASc-Score assessment in patients with atrial fibrillation: TeleCheck-AF results. Front Cardiovasc Med 2022;8: 757587
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