HUYGENS, ACCOST-HH und H-REPLACE – neues Wissen zum ACS
Bericht:
Reno Barth
In den „Late Breaking Trials“-Sessions des ESC Kongresses gaben Forscher Einblicke in unpublizierte Daten oder erste Ergebnisse zu Studien zu kardiovaskulären Erlrankungen. Ein Highlight waren die Ergebnisse der HUYGENS-Studie, die den Einfluss einer konsequenten Senkung des LDL-Cholesterins auf die Plaque-Morphologie untersuchte.
Keypoints
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HUYGENS-Daten zu Evolocumab zeigen, dass es möglich ist, nach einem akuten Koronarsyndrom bestehende Plaques zu stabilisieren.
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ACCOST-HH: Adrecizumab bringt keine Vorteile beim Einsatz beim kardiogenen Schock.
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H-REPLACE: Rivaroxaban ist Heparin auch in einer Situation beim akuten Koronarsyndrom, bei der keine rechtzeitige Revaskularisierung eingeleitet werden kann, überlegen.
HUYGENS: Plaque-Stabilisierung bei starker LDL-C-Senkung
Mit den verschiedenen Vertretern der Gruppe der PCSK9-Inhibitoren, darunter Evolocumab, konnten eindrucksvolle Senkungen des LDL-Cholesterins und relevanter klinischer Endpunkte demonstriert werden. Bereits mit hochpotenten Statinen gelang es, eine Reduktion des Plaque-Volumens nachzuweisen, die mit der kardiovaskulären Risikoreduktion korreliert. Weniger klar ist der Einfluss der verschiedenen lipidsenkenden Therapien auf den Plaque-Phänotyp und damit die Plaque-Stabilität, so Prof. Dr. Stephen Nicholls von Monash Heart in Melbourne, Australien. In sehr aktuellen Studien wurde mittels optischer Kohärenztomografie (OCT) der Einfluss von Statinen auf die Dicke der fibrösen Kappe („fibrous cap thickness“; FCT) sowie die Größe der Lipid-Pools innerhalb der Plaque untersucht. Was den Effekt eines PCSK9-Inhibitors zusätzlich zur Statintherapie auf die Morphologie der Plaque angeht, bestand jedoch eine Evidenzlücke.
Vor diesem Hintergrund wurde die Phase-III-Studie HUYGENS entworfen, die den PCSK9-Inhibitor in einer Population von Patienten nach akutem NSTEMI Koronarsyndrom vor dem Hintergrund einer maximal tolerierten Statintherapie mit Placebo verglich. Primärer Endpunkt war die mittels OCT gemessene Wirkung von Evolocumab auf atherosklerotische Plaques in den Koronararterien – konkret die Veränderung der minimalen FCT in einem Segment der Arterie –, gemessen bei Einschluss und zu Woche 50. Von den 161 in die Studie eingeschlossenen Patienten schlossen 65 in der Evolocumab- und 70 in der Placebo-Gruppe die Studie ab. Erwartungsgemäß kam es unter dem Evolocumab zu einer eindrucksvollen Senkung des LDL-Cholesterins (Abb. 1) und auch der primäre Endpunkt der Studie wurde erreicht.
Abb. 1: In der Studie HUYGENS, die sich primär mit der Stabilisierung von Plaques nach NSTEMI befasste, was auch gelang, senkte Evolocumab auch das LDL-Cholesterin erwartungsgemäß stark ab1
Unter Evolocumab kam es im Vergleich zu Placebo, jeweils vor dem Hintergrund einer maximal verträglichen Statintherapie, zu einer deutlich ausgeprägteren Zunahme der Dicke der fibrösen Kappe und damit zu einer Plaque-Stabilisierung. Im Vergleich zum Ausgangswert nahm die FCT in der Evolocumab-Gruppe um 42,7μm zu, unter Placebo um 21,5μm (p=0,01). Auch die prozentuelle Zunahme der minimalen FCT war ebenso wie die mittlere FCT-Zunahme unter Verum deutlicher. Als exploratorischer Endpunkt wurde auch der Anteil der Patienten mit einer FCT unter 65μm erhoben, da man davon ausgeht, dass unter diese Dicke ein erhöhtes Risiko von Plaque-Ruptur besteht. Dieser lag in der Evolocumab-Gruppe bei rund 10%, in der Placebo-Gruppe bei 30%. Die günstigen Effekte auf die Plaques erwiesen sich als direkt proportional zu den erreichten Lipidsenkungen. Diese Daten zeigen, so Nicholls, dass es möglich ist, nach einem akuten Koronarsyndrom bestehende Plaques zu stabilisieren.1
ACCOST-HH zu kardiogenem Schock: Adrecizumab zeigt keinen Effekt
Der kardiogene Schock zeigt eine zunehmende Inzidenz und wird so zu einem immer dringlicheren Problem im kardiologischen Alltag, was, so PD Dr. Mahir Karakas vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, eine Folge der immer besser werdenden therapeutischen Moglichkeiten bei schwerer Herzinsuffizienz und akuten kardiovaskulären Ereignissen ist. Die klinische Forschung in dieser Indikation beschäftigt sich überwiegend mit mechanischen Devices zur Unterstützung der Pumpfunktion, während medikamentöse Ansätze relativ wenig beforscht werden.
Damit könnten wichtige Chancen übersehen werden, denn neben dem Verlust der linksventrikulären Pumpfunktion tragen auch systemische Faktoren zur Mortalität im kardiogenen Schock bei. Karakas nennt schwere systemische Inflammation mit kapillärem Leck, gestörter Mikrozirkulation und Vasodilatation. Eine Chance, diese Kaskade zu durchbrechen, könnte das Peptidhormon Adrenomedullin als Regulator der vaskulären Barrierefunktion bieten. Der Zusammenbruch des Adrenomedullin-Systems dürfte eine wichtige Rolle in der Pathophysiologie des kardiogenen Schocks spielen. So sind höhere Adrenomedullin-Spiegel beim kardiogenen Schock ein Prädiktor für ein günstiges Outcome. Darüber hinaus wirkt Adrenomedullin antiinflammatorisch und verhindert die Apoptose von Kardiomyozyten. Die direkte Applikation von Adrenomedullin ist jedoch aus pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Gründen nicht möglich. Der monoklonale Antikörper Adrecizumab bindet an Adrenomedullin und verlangsamt so den Abbau des Peptidhormons und erhöht dessen intravaskuläre Verfügbarkeit.
Die klinische Wirksamkeit von Adrecizumab wurde in der Phase-II-Studie ACCOST-HH untersucht, in der 150 Patienten randomisiert mit Adrecizumab (8mg/kg Körpergewicht als Einzeldosis) oder Placebo additiv zur am jeweiligen Zentrum gebräuchlichen Standardtherapie behandelt wurden. Primärer Endpunkt war die Anzahl der Tage ohne notwendige kardiovaskuläre Organunterstützung inklusive mechanischer Kreislaufunterstützung im ersten Monat nach Behandlungsbeginn. Dieser Endpunkt sei, so Karakas, ein starker Surrogatmarker für Mortalität. Untersucht wurde eine für den kardiogenen Schock typische Kohorte mit einem Durchschnittsalter von 66 Jahren. Rund die Hälfte der Patienten hatten ein akutes Koronarsyndrom hinter sich.
Adrecizumab brachte keinen Vorteil im Hinblick auf den primären Endpunkt. Auch sekundäre Endpunkte wie die Mortalität wurden durch die Therapie nicht beeinflusst. Dieses Ergebnis war durch alle Subgruppen konsistent. Auch hinsichtlich der Nebenwirkungen fielen keine Unterschiede zwischen Verum und Placebo auf.2
H-REPLACE: Rivaroxaban statt niedermolekularem Heparin
Die aktuellen ESC-Guidelines empfehlen für Patienten mit akutem Koronarsyndrom (ACS) bei denen keine rechtzeitige Revaskularisierung eingeleitet werden kann, zusätzlich zur dualen Anti-Plättchentherapie Antikoagulation mit subkutanem niedermolekularem Heparin für die Dauer der Hospitalisierung, aber über maximal acht Tage. Häufig kommt dabei Enoxaparin zum Einsatz. Diese Situation finde man in China häufig, wie Dr. Shengua Zhou vom Zweiten Xiangya Hospital der chinesischen Central South University betont. Seine Gruppe untersuchte daher, ob es sinnvoll ist, Heparin durch den Faktor-Xa-Inhibitor Rivaroxaban zu ersetzen, für den bereits in unterschiedlichen Indikationen eine präventive Wirkung gegenüber venösen Thromboembolien demonstriert wurden. Leitlinien empfehlen auch Rivaroxaban zusätzlich zu Aspirin und Clopidogrel bei ACS-Patienten mit geringem Blutungsrisiko.
Davon ausgehend wurde die Studie H-REPLACE geplant als prospektive, randomisierte, offene, aktiv kontrollierte, multizentrische Studie an Patienten mit ACS (STEMI oder NSTEMI, instabile Angina pectoris), bei denen das Zeitfenster für eine Notfallrevaskularisierung versäumt worden war. Vor einer Hintergrundbehandlung mit Aspirin plus Clopidogrel oder Ticagrelor erhielten die Studienpatienten entweder zweimal täglich oral 2,5mg oder 5mg Rivaroxaban oder subkutanes Enoxaparin 1mg/kg zweimal täglich bis zur Entlassung aus dem Krankenhaus oder bis 12 Stunden vor einer elektiven Revaskularisationstherapie, jedenfalls aber für maximal acht Tage. Als primärer Wirksamkeitsendpunkt wurde ein Komposit aus schweren kardiovaskulären Ereignissen (MACE) und schweren Blutungen gewählt.
Der primäre Endpunkt schloss also den wichtigsten Sicherheitsendpunkt bereits ein und reflektiert damit den „Net Clinical Benefit“. Als sekundäre Endpunkte wurden unter anderem Rehospitalisierungen mit kardialer Ursache und Gesamtmortalität erhoben. Ein Follow-up ist über 12 Monate geplant. Die Studie wurde durch den Ausbruch der Covid-19-Pandemie erschwert, bis nun die Sechs-Monats-Ergebnisse präsentieren werden konnten.
Die Studie verlief erfolgreich. Der kombinierte primäre Endpunkt wurde mit Rivaroxaban in der gepoolten Analyse im Vergleich zu Enoxaparin um 35,3% reduziert, wobei Signifikanz knapp verfehlt wurde (p=0,07). Dabei erwiesen sich beide Rivaroxaban-Dosierungen im Vergleich zu Enoxaparin als überlegen. Mit Rivaroxaban 5mg lag die Risikoreduktion bei mehr als 40%. Die Auswertung hinsichtlich des primären Sicherheitsendpunkts zeigte ebenfalls eine numerische Überlegenheit für Rivaroxaban mit einer Risikoreduktion in der Größenordnung von einem Drittel. Die Autoren schließen aus diesen Daten, dass Rivaroxaban bei ACS-Patienten, bei denen das Zeitfenster für eine Notfall-PCR versäumt wurde, eine sichere Alternative zu Enoxaparin ist.3
Quelle:
ESC-Kongress 2021, The Digital Experience, 27.–30. 8. 2021
Literatur:
1 Präsentation: „HUYGENS: Evolocumab and changes in plaque composition on OCT“, Speaker: Stephen Nicholls 2 Präsentation „ACCOST-HH: Adrecizumab in cardiogenic shock“, Speaker: Mahir Karakas 3 Präsentation: Low-dose rivaroxaban during the acute phase of ACS - H-REPLACE Trial, Speaker: Shenghua Zhou
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