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ÖKG-Jahrestagung 2024: Diagnostik mittels Computertomografie (CT)

Koronare Herzkrankheit: von adäquater Indikation bis zur Befundinterpretation

Die koronare Herzkrankheit (KHK) ist eine der führenden Ursachen für Morbidität und Mortalität weltweit. Eine genaue und frühzeitige Diagnose ist entscheidend, um geeignete therapeutische Maßnahmen einleiten zu können. Die 2019 publizierte Leitlinie zu Diagnose und Management des chronischen Koronarsyndroms der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) wertet die Rolle der Computertomografie im gesamten Spektrum der KHK deutlich auf (Abb. 1).1

Keypoints

  • Die kardiale CT hat aufgrund robuster Studiendaten die Indikation in einem weiten Spektrum der KHK.

  • Ab einer Vortestwahrscheinlichkeit von >5% kann die cCTA zur nichtinvasiven Diagnostik einer KHK eingesetzt werden.

  • Das Kalziumscoring erlaubt bei asymptomatischen Patienten eine Risikomodifikation, ist aber nicht zur Diagnose einer obstruktiven KHK geeignet.

  • Die CAD-RADS-Klassifikation sollte bei jedem cCTA-Befund verwendet werden, und als Zuweiser sollte man mit ihren Konsequenzen vertraut sein.

Abb. 1: „Landmark“-Studien zum Spektrum der KHK mit nichtinvasiver Bildgebung

Chronisches Koronarsyndrom (CCS)

Das CCS wird in 6 klinische Szenarien unterteilt, die neben der Angina pectoris auch Dyspnoe als Symptom und mehrere Stadien der vermuteten oder manifesten KHK berücksichtigt. Die Vortestwahrscheinlichkeit soll Patientengruppen definieren, die einer entsprechenden nichtinvasiven Diagnostik zugeführt werden sollen (Abb. 2).

Abb. 2:Vortestwahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer signifikanten KHK (modifiziert nach Knuuti J et al. 2020)1

Vortestwahrscheinlichkeit der koronaren Herzkrankheit (KHK)

Der erste Schritt besteht darin, eine Anamnese und körperliche Untersuchung durchzuführen, um Patienten mit möglicherweise instabiler Angina pectoris oder anderen Formen des akuten Koronarsyndroms (ACS) zu identifizieren. Essenziell ist es, Risikofaktoren wie Hypertonie, Hyperlipidämie, Diabetes mellitus und Rauchen zu erfassen. Symptome wie Angina pectoris, Dyspnoe und andere kardiovaskuläre Beschwerden müssen genau erhoben und bewertet werden. Besteht weiterhin der Verdacht eines CCS, werden im nächsten Schritt der Allgemeinzustand und die Lebensqualität des Patienten beurteilt. Komorbiditäten, die potenziell Therapieentscheidungen beeinflussen könnten, müssen in Betracht gezogen werden.

Die anschließende Durchführung von Tests, wie EKG und Belastungs-EKG, sowie einer transthorakalen Echokardiografie zur Beurteilung der Linksventrikelfunktion und der Wandbewegungen erfolgt im nächsten Diagnoseschritt. Insbesondere bei Verdacht auf eine linksventrikuläre Dysfunktion oder um regionale Wandbewegungsstörungen zu erkennen,hat die Echokardiografie in dieser Indikation einen hohen Stellenwert. Eine Anämie, Bluthochdruck, Herzklappenerkrankungen, hypertrophe Kardiomyopathie oder Arrhythmien sollten entsprechend abgeklärt werden.

Je nach klinischer Wahrscheinlichkeit bezüglich des Vorhandenseins einer obstruktiven KHK kann nun die entsprechende Bildgebung eingeleitet werden, um die Diagnose einer KHK zu stellen. Bei Patienten, bei denen eine Revaskularisierung aufgrund von Komorbiditäten und der allgemeinen Lebensqualität nicht sinnvoll ist, kann die Diagnose einer KHK bereits klinisch gestellt werden und primär eine konservative KHK-Therapie etabliert werden. Bei Patienten mit einer hohen klinischen Wahrscheinlichkeit einer KHK und Symptomen, die auf eine medikamentöse Therapie nicht ansprechen, oder dieeine typische Angina pectoris bei geringer Belastung aufweisen, ist die direkte Weiterführung zu einer invasiven Koronarangiografie ohne weitere diagnostische Tests eine sinnvolle Option.

Für symptomatische Patienten, bei denen nun eine obstruktive KHK durch eine alleinige klinische Beurteilung nicht sicher ausgeschlossen werden kann, wurde die Koronarangiografie mittels Computertomografie (cCTA) als initialer Test gleichwertig mit der nichtinvasiven Ischämietestung empfohlen. Neben der Durchführung einer Myokardperfusionsszintigrafie bzw. einer Stress-Echokardiografie zur Beurteilung der myokardialen Perfusion und zur Identifizierung ischämischer Regionen hat nun die cCTA ab diesem Schritt dasselbe Indikationslevel.

Herz-CT: Kalziumscore und Angiografie

Die kardiale CT ist ein nichtinvasives Bildgebungsverfahren, das zur Diagnostik und Bewertung kardiovaskulärer Erkrankungen eingesetzt wird. Mit der Weiterentwicklung der CT-Technologie und der Verfeinerung der Bildrekonstruktionsverfahren hat sich die Herz-CT zu einem wesentlichen Werkzeug in der Kardiologie entwickelt.2,3 Die Akquisition der kardialen cCTA erfolgt EKG-gesteuert. Hierzu gibt es 3 Möglichkeiten, die unterschiedliche Vor- und Nachteile bieten.4 Die zur Zeit am weitesten verbreitete Methode ist die prospektive EKG-Triggerung, bei der die Aufnahmen sequenziell EKG-getriggert erfasst werden. Eine weitere Methode mittels retrospektiven EKG-„Gating“, bei dem das Herz durch eine Spiralabtastung erfasst wird, hat zwar den Vorteil, dass der gesamte Herzzyklus gescannt wird und damit eine stabilere Bildqualität erreichbar ist, aber den Nachteil einer erhöhten Strahlenbelastung. Die dritte zurVerfügung stehende Technik zur Darstellung der Koronararterien mittels CT ist die „Highpitch“-Spirale, bei der mittels sehr schnellen Tischvorschubs die Darstellung der Koronararterien erfolgt.5 Dem Vorteil der geringen Strahlendosissteht der Nachteil der verminderten Robustheit der Aufnahmetechnik und des hohen apparativen Aufwandes gegenüber.

Die Befundung einer Herz-CT erfolgt durch eine detaillierte Analyse der CT-Bilder, wobei verschiedene Aspekte der Herz- und Koronaranatomie bewertet werden. Der Beurteilung der anatomischen Verhältnisse und vor allem der Bewertung von suszipierten Koronarstenosen wird hierbei eine zentrale Rolle zuteil. Bei der Beurteilung wird zur Quantifizierung der Koronarverkalkung (Kalziumscore) der Agatston-Score verwendet, der zur Risikostratifizierung sowie bei der Therapieentscheidung bei Risikofaktoren Anwendung findet. Bei Patienten mit einem Agatston-Score >100 (oder >75%-Perzentile) sollte auch bei asymptomatischen Patienten eine – primärpräventive – Statintherapie plus Acetylsalicylsäure eingeleitet werden.6 Bei symptomatischen Patienten mit niedriger bis mittlerer Vortestwahrscheinlichkeit ist eine cCTA-Untersuchung eine präzise Methode, um eine KHK auszuschließen.7

Kardiale CT: Befundung

Die Befundung einer Herz-CT erfolgt systematisch und umfasst mehrere Schritte. Zunächst wird die Bildqualität hinsichtlich Atem- und Bewegungsartefakten sowie Kontrastmittelverteilung überprüft. Es erfolgt eine Koronararterienanalyse, bei der die Koronararterien auf Plaques, Stenosen und Kalzifikationen hin ausgewertet werden. Plaques werden als kalzifizierte, nichtkalzifizierte oder gemischte Plaques klassifiziert, wobei ein besonderes Augenmerk auf Hochrisikoplaques, die instabil sein können, gelegt wird. Dabei können zusätzlich Plaquemerkmale analysiert werden sowie mithilfe einer Softwareapplikation Koronarplaques anhand unterschiedlicher CT-Dichtewerte der Plaquebestandteile hinsichtlich ihrer Zusammensetzung analysiert werden.8 Die sogenannten „Lowattenuation“-Plaques bestehen aus einem weichen, lipidreichen Plaquekern mit niedrigen CT-Dichtewerten.„Spotty calcifications“ und weiche Plaques, umgeben von einer dichteangehobenen Hülle („napkin ring sign“), werden als instabile Hochrisikoplaques eingestuft.

Zunehmend gewinnt eine strukturierte Befundung an Bedeutung, bei der zur Beurteilung einer cCTA das CAD-RADS™ (Coronary Artery Disease Reporting and Data System) verwendet wird. Hierdurch kann eine interdisziplinär einheitliche Sprache der CT-Befundung implementiert werden.9 Das CAD-RADS-System umfasst sechs Kategorien (CAD-RADS 0–5), die auf dem Schweregrad der koronaren Stenosen basieren:

  • CAD-RADS0: keine Plaque/Stenose

  • CAD-RADS1: minimale Stenose (<25%)

  • CAD-RADS2: geringgradige Stenose(25–49%)

  • CAD-RADS3: mäßiggradige Stenose (50–69%)

  • CAD-RADS4: hochgradige Stenose (70–99%) oder Linkshauptstamm-Stenose (50–99%)

  • CAD-RADS5: Verschluss (100%)

Zusätzlich gibt es Ergänzungen wie „N“ für nicht bewertbare Segmente oder „S“ für Stent und „G“ für Bypass.

Als zusätzliche Parameter können Größe und Funktion der Ventrikel und Vorhöfe beurteilt und die Morphologie und Funktion der Herzklappen untersucht und abgeschätzt werden. Veränderungen wie Perikardergüsse oder auch Pathologien an anderen thorakalen Strukturen (z.B. Lunge, Aorta) können zusätzlich bewertet werden.

Myokardiale CT-Perfusion und CT-basierte fraktionelle Flussreserve

Die myokardiale CT-Perfusion und die CT-basierte fraktionelle Flussreserve (CT-FFR) sind innovative Erweiterungen der Herz-CT. Die myokardiale CT-Perfusion ist eine zweizeitige Technik, bei der eine Bildakquisition sowohl in Ruhe als auch unter Stress (medikamentös induziert) erfolgt. Sie ermöglicht die Beurteilung der myokardialen Perfusion und die Identifikation von Ischämie und ergänzt die morphologische Beurteilung der Koronararterie.10 Die FFR-Messung bei der Koronarangiografie ist der Goldstandard zur invasiven Bestimmung der hämodynamischen Relevanz von Stenosen in den Herzkranzgefäßen.11

Die CT-FFR nutzt die Daten aus der koronaren CT-Angiografie, um mittels Computer-basierter Simulationen die FFR zu berechnen. Die CT-FFRbietet eine funktionelle Bewertung der hämodynamischen Signifikanz von Koronarstenosen, was die Entscheidung für eine invasive Koronarangiografie unterstützt oder vermeidet. Sobald die Diagnose einer obstruktiven CAD bestätigt wurde, wird das Ereignisrisiko des Patienten beurteilt, da dies die weiteren Therapieentscheidungen bestimmt. Üblicherweise wird damit die Dringlichkeit der invasiven KHK-Abklärung festgelegt.

Herz-CT beim akuten Koronarsyndrom (ACS)

Die cCTA hat in der Empfehlung der ACS-Leitlinien eine leichte Abschwächung erfahren(Klasse-IIa-Empfehlung). Sie kann jedoch als nichtinvasive diagnostische Methode bei „non-highrisk“Patienten mit sehr hoher Genauigkeit eine obstruktive KHK ausschließen. Vor allem bei Patienten mit inkonklusiven Untersuchungsergebnissen oder bei klinischen Hinweisen auf extrakoronare Ursachen einer Hs-Troponin-Erhöhung wie Lungenembolie oder Aortendissektion (sog. Triple Rule Out) kann die cCTA rasch diagnostische Klarheit geben.12 Die cCTA kann daher weiterhin bei differenzierter Patientenselektion zum Ausschluss einer koronaren Obstruktion in der Diagnostik des ACS in Erwägung gezogen werden.

Herz-CT bei komplexer Anatomie und Bypässen

Eine zwar nicht alltägliche, aber sehr nützliche Fragestellung kann die Herz-CT oft bei komplexer Koronaranatomie beantworten. Können mittels Herzkatheter abnorm abgehende Herzkranzgefäße, Koronarbypässe oder deren Verlauf nicht sicher dargestellt werden, kann die Herz-CT für diese Fragestellung hilfreich sein.13

Herz-CT bei der Planung von Interventionen

Die Herz-CT erlaubt auch die Planung von vor allem komplexen Herzkathetereingriffen, wie zum Beispiel die Planung von Eingriffen an chronisch verschlossenen Herzkranzgefäßen (CTO). Dabei können die Länge des Verschlusses, der anatomische Verlauf, die Angulierung des verschlossenen Gefäßes sowie der proximale und distale „Cap“ des Gefäßverschlusses beurteilt werden und auf die interventionelle Strategie Einfluss nehmen.14,15

Präoperative Beurteilung

Vor Herzklappenersatz oder anderen nichtkoronaren Herzoperationen kann eine Herz-CT zur Beurteilung der koronaren Anatomie sinnvoll sein.16

Grenzen der Herz-CT

Trotz ihrer Stärken hat die Herz-CT auch einige Einschränkungen. Dazu sind Bildartefakte zu nennen. Die Bildqualität kann durch Atem- bzw. Bewegungsartefakte beeinträchtigt werden, insbesondere bei Patienten mit hoher Herzfrequenz oder Arrhythmien. Stark verkalkte Plaques können zu Überschattungen führen, die die genaue Beurteilung der Koronararterien erschweren undimmer wieder zu einer Überinterpretation von Stenosen führen können. Weiters sind Patienten mit Kontrastmittelreaktionen (Kontrastmittelallergien oder Niereninsuffizienz) für diese Art der Untersuchung nur bedingt geeignet.

Die Strahlenexposition bei einer Herz-CT kann je nach Protokoll und verwendeter Technik variieren. Obwohl moderne Techniken die Strahlendosis reduzieren können, bleibt die Strahlenbelastung ein wichtiger Aspekt, der besonders bei jüngeren Patienten und Frauen im gebärfähigen Alter berücksichtigt werden muss. Wegen der Strahlenexposition ist die Herz-CT bei schwangeren Frauen generell kontraindiziert.

1 Knuuti J et al.: 2019 ESC Guidelines for the diagnosis and management of chronic coronary syndromes. EurHeart J 2020; 41(3): 407-77 2 Blanke P et al.: Computed tomography imaging in the context of transcatheter aortic valve implantation (TAVI) / transcatheter aortic valve replacement (TAVR): an expert consensus document of the Society of Cardiovascular Computed Tomography. J Cardiovasc Comput Tomogr 2019; 13(1): 1-20 3 Meijboom WB et al.: Diagnostic accuracy of 64-slice computed tomography coronary angiography: a prospective, multicenter, multivendor study. J Am Coll Cardiol 2008; 52(25): 2135-44 4 Srichai MB et al.: Prospective-triggered sequential dual-source end-systolic coronary CT angiography for patients with atrial fibrillation: a feasibility study. J Cardiovasc Comput Tomogr 2013; 7(2): 102-9 5 Goetti R et al.: High-pitch dual-source CT coronary angiography: systolic data acquisition at high heart rates. Eur Radiol 2010;20(11): 2565-71 6 Grundy S: 2018 AHA/ACC/AACVPR/AAPA/ABC/ACPM/ADA/AGS/AphA/ASPC/NLA/PCNA guideline on the management of blood cholesterol: executive summary. J Am Coll Cardiol 2019; 73(24): 3168-209 7 Hulten EA et al.: Prognostic value of cardiac computed tomography angiography: a systematic review and meta-analysis. J Am Coll Cardiol 2011; 57(10): 1237-47 8 Baumann S et al.: Prognostic value of coronary computed tomography angiography-derived morphologic and quantitative plaque markers using semiautomated plaque software. J Thorac Imaging 2021; 36(2): 108-15 9 Cury RC et al.: Coronary artery disease—reporting and data system (CAD-RADS): an expert consensus document of SCCT, ACR and NASCI: endorsed by the ACC. JACC Cardiovasc Imaging 2016; 9(9): 1099-1113 10 van Assen M et al.: Prognostic value of CT myocardial perfusion imaging and CT-derived fractional flow reserve for major adverse cardiac events in patients with coronary artery disease. J Cardiovasc Comput Tomogr 2019; 13(3): 26-33 11 Neumann FJ et al.: 2018 ESC/EACTS guidelines on myocardial revascularization. Eur Heart J 2018; 39(42): 3759 12 Byrne RA et al.: 2023 ESC Guidelines for the management of acute coronary syndromes: developed by the task force on the management of acute coronary syndromes of the European Society of Cardiology (ESC). Eur Heart J 2023;44(38): 3720-3826 13 Chaosuwannakit N et al.: Diagnostic accuracy of coronary CT angiography in patients after coronary bypass surgery: evaluation of grafts and native coronary arteries. J Med Assoc Thai 2014; 97(2): 211-9 14 Cheung SCW et al.: The role of coronary CT angiography in chronic total occlusion intervention. Heart Asia 2010; 2(1): 122-5 15 Liang S et al.: The added value of coronary CTA in chronic total occlusion percutaneous coronary intervention: a systematic review and meta-analysis. Eur Radiol 2024; 34(6): 4041-52 16 Zöllner C et al.: Präoperative Evaluation erwachsener Patientinnen und Patienten vor elektiven, nicht Herzthorax-chirurgischen Eingriffen; Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Deutsche Gesellschaft für Chirurgie, Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin. Anaesthesiologie 2024; 73(5): 294-323

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