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Natriuretische Peptide
Leading Opinions
30
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01.09.2016
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<p class="article-intro">Natriuretische Peptide sind unverzichtbare Diagnosemarker bei Atemnot in der Notaufnahme und bei Herzinsuffizienz mit erhaltener linksventrikulärer Auswurffraktion bei Kardiopathie unklarer Ursache.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Die natriuretischen Peptide bestimmen!» Das forderte Prof. Dr. med. Piotr Ponikowski, Kardiologe an der Universität Wroclaw in Polen, am internationalen Herzinsuffizienz-Kongress 2016 im ersten seiner «zehn Gebote», in welchen er neue Leitlinien zur Herzinsuffizienz zusammenfasste. Das «erste Gebot» beschreibt den überarbeiteten diagnostischen Algorithmus: Bei Patienten mit Symptomen, die auf eine Herzinsuffizienz weisen, wird die Wahrscheinlichkeit dafür anhand von Anamnese, körperlicher Untersuchung und Ruhe-EKG ermittelt. Findet man eine oder mehr Auffälligkeiten, etwa eine koronare Herzkrankheit, Bluthochdruck, bilaterale Ödeme oder ein pathologisches EKG, werden die natriuretischen Peptide bestimmt. Ist NT-proBNP ≥125pg/ml beziehungsweise BNP ≥35pg/ml, empfehlen die Leitlinien-Autoren eine Echokardiografie. <br /> Natriuretische Peptide sind kardiale Hormone, die das Herz als Reaktion auf zu viel Volumen oder einen zu hohen Druck im Herzen ausschüttet (Abb. 1). «Die natriuretischen Peptide sind wertvolle Marker, was Studien klar belegt haben», sagte Prof. Dr. med. Christian Müller, Kardiologe am Universitätsspital Basel, im Gespräch mit<em> LEADING OPINIONS</em> am Kongress. «Die Peptide sind ein quantitativer Marker für kardialen Stress und zeigen uns gut, ob eine Herzinsuffizienz vorliegt und wenn ja, wie schwer diese ist.» Beim Einsatz der natriuretischen Peptide zur Diagnostik muss man zwischen zwei klinischen Situationen unterscheiden: 1) Verdacht auf akute Herzinsuffizienz bei einem Patienten mit Atemnot in der Notaufnahme und 2) asymptomatische Patienten oder allenfalls solche mit leichten Symptomen, etwa Kurzatmigkeit bei körperlicher Belastung oder zunehmende Müdigkeit, die sich in der Regel beim Hausarzt vorstellen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Innere_1604_Weblinks_Seite71.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <p>«Bei Patienten mit Atemnot auf der Notfallstation sind BNP/NT-proBNP und MR-proANP bestens dokumentierte diagnostische Hilfsmittel, um zwischen akuter Herzinsuffizienz und anderen Ursachen der Atemnot zu unterscheiden», sagte Müller. Man verwendet dabei einen «rule-out cut-off» und einen «rule-in cut-off». Misst man einen Wert, der kleiner ist als der «rule-out cut-off», also im Falle von BNP einen Wert von <100pg/ml (Tab. 1), hat der Patient mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit keine akute Herzinsuffizienz, sondern ein anderes Problem, das die Atemnot verursacht, wie etwa eine Lungen- embolie oder einen akuten Asthmaanfall. Umgekehrt hat der Patient mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 90 % eine akute Herzinsuffizienz, wenn man einen BNP-Wert oberhalb des «rule-in cut-off» misst, bei BNP von >400pg/ml. Die Sensitivität des «Rule-out»-Wertes und die Spezifität des «Rule-in»-Wertes liegen bei jeweils rund 90 % .<sup>1, 2</sup> «Liegt BNP zwischen 100 und 400pg/ml, hat der Patient meist eine leichte Herzinsuffizienz», erklärte Müller. «Dann brauchen wir andere Untersuchungen, etwa Röntgen, Echokardiografie oder eine Computertomografie des Thorax, um festzustellen, ob die Atemnot primär durch die Herzinsuffizienz oder durch andere Probleme ausgelöst wird.»<sup>2, 3</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Innere_1604_Weblinks_Seite70.jpg" alt="" width="441" height="290" /></p> <p>Die neue Herzinsuffizienz-Leitlinie der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC), die auf dem Kongress in Florenz vorgestellt wurde, empfiehlt bei allen Patienten mit akuter Dyspnoe und Verdacht auf akute Herzinsuffizienz, BNP, NT-proBNP oder MR-proANP zu bestimmen (Klasse-I-Empfehlung, Evidenzlevel A).<sup>4</sup><br /> Die Peptide eignen sich aber nicht nur, um die Diagnose einer akuten Herzinsuffizienz zu stellen und das Ausmass des Herzmuskelschadens einzuschätzen, sondern sind auch wertvolle Marker für den klinischen Verlauf. «Wir sollten sie in der Notaufnahme nicht nur einmal messen, sondern auch noch einmal nach 24 oder 48 Stunden», sagt Müller. «Denn dann können wir sehen, ob unsere Behandlungsstrategie hilft und die Werte sinken.» Und es helfe bei der Entscheidung, ob ein Patient entlassen werden könne oder nicht: Je höher nämlich der Wert ist, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Patient nach der Entlassung erneut hospitalisiert werden muss oder dass er an der akuten Herzinsuffizienz stirbt.<sup>3</sup> «Welche Ergänzung der Therapie bei dem individuellen Patienten dann sinnvoll ist, um das schlechte Outcome zu verhindern, kann der Wert natürlich nicht anzeigen. Diese Frage klärt nur die detaillierte Zusammenschau aller kardialen Befunde», so Müller. Der ACE-Hemmer oder das Diuretikum könnten höher dosiert, Spironolacton hinzugefügt werden oder bei ausgewählten Patienten ein Herzschrittmacher zur Synchronisierung der Herzkontraktion implantiert werden. «Abgesehen davon fehlt uns noch der Beweis, dass wir durch die geänderte und intensivierte Therapie solche Ereignisse dann auch verhindern können. Hierzu laufen aber derzeit Studien.» <br /> Die zweite Situation, in der natriuretische Peptide wertvolle Informationen liefern können, ist die bei Patienten mit wenigen bis keinen Symptomen bei einer Kardiopathie unklarer Ursache. Zum Beispiel in Fällen wie bei der 73-jährigen Patientin, die Müller kürzlich um eine Zweitmeinung bat. Der niedergelassene Kollege hatte bei ihr intermittierendes Vorhofflimmern diagnostiziert, ausserdem eine Dyspnoe zweiten Grades gemäss NYHA-Klassifikation bei linksventrikulärer Compliance-Störung. Als Ursache vermutete der Kollege entweder eine primäre oder sekundäre Kardiomyopathie, eine koronare Herzkrankheit oder eine Myokarditis. In der Echokardiografie hatte er eine Ejektionsfraktion von 72 % gemessen. «Er hat als Fazit in seinem Arztbrief nur Vorhofflimmern geschrieben und eine Antikoagulation empfohlen», erzählte Müller. «Mithilfe von BNP könnten wir jedoch feststellen, ob die Ursache der Atemnot, wegen welcher die Patientin ja zum Kardiologen überwiesen wurde, tatsächlich die Kardiopathie ist, also eine Herzinsuffizienz mit erhaltener linksventrikulärer Ejektionsfraktion vorliegt.» Bei einem BNP <50pg/ml («Rule-out cut-off»-Wert)<sup>5</sup> hat die Frau mit ziemlich grosser Wahrscheinlichkeit keine Herzinsuffizienz und es muss dringend nach einer anderen Ursache der Dyspnoe gesucht werden, zum Beispiel nach einer obstruktiven Lungenerkrankung. Beträgt das BNP >50pg/ml, hat die Frau eine Herzinsuffizienz. «Eine gute Frequenzkontrolle oder gegebenenfalls Rhythmisierung mit den entsprechenden Medikamenten und eine optimale Einstellung der arteriellen Hypertonie werden die Symptome mit grosser Sicherheit bessern», sagte Müller. «Damit könnten wir dann hoffentlich auch das Fortschreiten der Herzinsuffizienz bremsen. Das scheint gemäss Studien so zu sein.»<sup>6</sup> Müller ist wie einige Kollegen dafür, jede Erhöhung von BNP als Herzinsuffizienz zu definieren. «Das Herz sezerniert nur dann BNP und NT-proBNP, wenn das Volumen zu gross ist und/oder im Herzen ein zu hoher Druck herrscht», sagt er. «Eine Neudefinition der Diagnose Herzinsuffizienz anhand der Spiegel der natriuretischen Peptide wäre daher nur konsequent. Je genauer und früher wir die Diagnose stellen, desto besser können wir den Patienten helfen.»</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Maisel AS et al: Rapid measurement of B-type natriuretic peptide in the emergency diagnosis of heart failure. N Engl J Med 2002; 347: 161-7 <br /><strong>2</strong> Thygesen K et al: Recommendations for the use of natriuretic peptides in acute cardiac care: a position statement from the Study Group on Biomarkers in Cardiology of the ESC Working Group on Acute Cardiac Care. Eur Heart J 2012; 33: 2001-6 <br /><strong>3</strong> Maisel A et al: State of the art: using natriuretic peptide levels in clinical practice. Eur J Heart Fail 2008; 10: 824-39 <br /><strong>4</strong> Ponikowski P et al: 2016 ESC Guidelines for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure: The Task Force for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure of the European Society of Cardiology (ESC). Developed with the special contribution of the Heart Failure Association (HFA) of the ESC. Eur Heart J 2016 [epub ahead of print] <br /><strong>5</strong> Aspromonte N et al: Rapid brain natriuretic peptide test and Doppler echocardiography for early diagnosis of mild heart failure. Clin Chem 2006; 52: 1802-8 <br /><strong>6</strong> Ledwidge M et al: Natriuretic peptide–based screening and collaborative care for heart failure. The STOP-HF randomized trial. JAMA 2013; 310: 66-74</p>
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