Neu: nur mehr eine Guideline zu Aorten- und peripheren Gefäßerkrankungen
Bericht: Reno Barth
Erstmals wurden dieEmpfehlungen zum Management peripherer arterieller Erkrankungen (PAD) und Erkrankungen der Aorta in einer gemeinsamen ESC-Guideline zusammengefasst und die Empfehlungen an den aktuellen Evidenzstand angepasst. Die „2024 ESC Guidelines for the Management of Peripheral Arterial and Aortic Diseases“ wurden im Rahmen des ESC-Kongresses präsentiert und auch publiziert.1
Keypoints
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Erstmals fasst die ESC ihre Empfehlungen zu peripheren Arterien- und Aortenerkrankungen in einer gemeinsamen Guideline zusammen.
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Eine periphere Arterienerkrankung (PAD) ist oft asymptomatisch, weshalb die ESC Screening-Maßnahmen empfiehlt.
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Das Management von PAD muss auch das hohe kardiovaskuläre Risiko der Betroffenen adressieren und die Lebensqualität verbessern.
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Bei symptomatischer PAD soll erst revaskularisiert werden, wenn mit optimierter konservativer Therapie und Training kein Erfolg erreicht wird.
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Die Leitlinie empfiehlt als Grundlage für das Management von Aortenerkrankungen eine Standardisierung der Nomenklatur und der an der Aorta gemessenen Größen.
Hinter der Entscheidung für eine gemeinsame Leitlinie für PAD und Aortenerkrankungen steht, dass die Aorta und die peripheren Arterien Komponenten des gleichen Gefäßsystems sind. Damit haben Erkrankungen in einem Teil dieses Systems oft Konsequenzen für die anderen Teile. Auch die Risikofaktoren sind die gleichen“, so die Vorsitzende der Guideline-Task-Force, Prof. Dr. Lucia Mazzolai, Universität Lausanne. Damit biete die neue Leitlinie nun Empfehlungen für das Management von Arterienerkrankungen im Allgemeinen. Letztlich solle dies für eine weniger fragmentierte Behandlung und damit bessere Outcomes sorgen. Daraus ergibt sich die Forderung nach einer holistischen Betreuung der Betroffenen durch ein erfahrenes, multidisziplinäres Team. Mazzolai unterstreicht die Häufigkeit dieser Erkrankungen, die rund 15% der Bevölkerung über 80 Jahre betreffen. PAD ist oft asymptomatisch, was dazu führt, dass viele Betroffene nicht diagnostiziert werden und unbehandelt bleiben. Asymptomatische oder atypische Präsentationen sind vor allem bei Frauen häufig, betont Mazzolai. Die Symptome einer typischen Claudicatio intermittens treten eher bei Männern auf.
Diagnose von PAD wird mit dem Knöchel-Arm-Index gestellt
Als initialer diagnostischer Test wird die Bestimmung des Knöchel-Arm-Index (ABI) als Quotient aus Blutdruck am Unterschenkel und Blutdruck am Oberarm empfohlen, wobei Mazzolai darauf hinweist, dass der ABI ein guter Surrogatmarker für kardiovaskuläre Erkrankung und erhöhtes Mortalitätsrisiko ist.Das Diagnosekriterium ist ein ABI ≤0,9. Die Methode der Wahl zur Bestätigung der Diagnose einer peripheren arteriellen Erkrankung ist der Duplex-Ultraschall.
Die Leitlinie gibt auch eine Kategorisierung der peripheren arteriellen Erkrankung nach klinischer Präsentation vor, die von der asymptomatischen PAD über die symptomatische PAD bis zur chronischen Ischämie mit Gefahr des Verlustes von Extremitäten reicht. In den späteren Stadien der peripheren Arterienerkrankung kommt es auch zum Auftreten von Wunden, deren Behandlung in der Leitlinie abgehandelt wird. Dabei dürfe nicht vergessen werden, dass eine periphere Gefäßerkrankung ein prognostisch sehr ungünstiger Faktor ist und ein hohes Risiko von kardiovaskulären Ereignissen, zerebrovaskulären Ereignissen sowie Ereignissen die Extremitäten betreffend (MALE – „major adverse limb event“) wie Amputationen oder Revaskularisierungsbedarf anzeigt.
Das Management der Erkrankung muss daher auch diese Risiken adressieren sowie die Lebensqualität verbessern. Methoden der Wahl zur Erreichung dieser Ziele sind pharmakologische Therapien, Lebensstilmaßnahmen und gezieltes Training unter Überwachung. Die Empfehlung für regelmäßiges Training gilt unabhängig von einer möglichen Revaskularisation. Die geeignetste Trainingsform ist Gehen. Alternative Übungen sind beispielsweise Krafttraining, Arm-Kurbeltraining und Radfahren. Die Übungen sollen mindestens dreimal pro Woche mit einer 30-minütigen Dauer über 12 Wochen durchgeführt werden. Eine Revaskularisation ist bei asymptomatischer PAD nicht indiziert. Auch bei symptomatischer PAD soll erst nach einer Phase mit optimierter Therapie und Training sowie nach multidisziplinärer Fallbesprechung revaskularisiert werden. Für alle Patienten mit PAD wird lebenslang ein Follow-up mit Untersuchungen mindestens einmal pro Jahr empfohlen, bei denen der klinische und funktionelle Status, der kardiovaskuläre Risikostatus, die Therapieadhärenz und die Symptomatik erhoben werden. Darüber hinaus wird ein mindestens jährlicher Ultraschall-Check empfohlen.
Medikamentöses Management des Thromboserisikos
Eine medikamentöse antithrombotische Therapie ist bei chronischer, symptomatischer PAD indiziert. Dazu gibt es neue Empfehlungen, die sich am individuellen Risiko orientieren. Ist dieses niedrig, so wird nun eine Antiplättchen-Monotherapie mit Aspirin oder Clopidogrel empfohlen. Bei höherem Risiko kommen, niedriges Blutungsrisiko vorausgesetzt, zum Aspirin entweder 2,5mg Rivaroxaban b.i.d. hinzu oder es wird eine langfristige Antikoagulation als Monotherapie empfohlen. Nach einer Revaskularisation orientieren sich die Empfehlungen am individuellen thrombotischen Risiko sowie am Blutungsrisiko.
Weiters besteht die Empfehlung für eine lipidsenkende Therapie, wobei PAD-Patienten als Hochrisikopatienten einzustufen sind. Das heißt, es besteht ein LDL-Cholesterin-Ziel von 55mg/dl und es soll eine Senkung des LDL-Cholesterins um 50% vom Ausgangswert angestrebt werden. Zur Erreichung dieser Ziele werden Statine, Ezetimib sowie bei Bedarf PCSK-9-Inhibitoren empfohlen. Bei statinintoleranten Patienten soll Ezetimib in Kombination mit Bempedoinsäure sowie bei Bedarf mit einem PCSK9-Inhibitor zum Einsatz kommen. Mazzolai: „Diese Maßnahmen sollten so schnell und so aggressiv wie möglich mit allem, was wir haben, implementiert werden.“
Standardisierung der Messung der Aortendurchmesser gefordert
Betreffend Erkrankungen der Aorta werden zahlreiche klinische Entscheidungen anhand der Gefäßdurchmesser in verschiedenen Abschnitten des Gefäßes getroffen, so Prof. Dr. José Rodriguez Palomares, Universitat Autònoma de Barcelona. Um hier Empfehlungen geben zu können, empfiehlt die neue Leitlinie zunächst eine Standardisierung der Nomenklatur und der gemessenen Größen. Dazu wird angegeben, an welchen anatomischen Punkten die Durchmesser der Aorta gemessen werden sollen. Dabei soll der größte Durchmesser im untersuchten Abschnitt im rechten Winkel zur longitudinalen Achse stehen. Und es werden auch Referenzwerte für die einzelnen Aortensegmente angegeben (Abb. 1). Bildgebende Methode der ersten Wahl ist die transthorakale Echokardiografie (TTE). Technische Details zur standardisierten Messung der Aortendurchmesser werden in der Leitlinie gelistet. Neben der TTE bestehen jedoch auch Klasse-I-Empfehlungen für den Einsatz von CT oder CMR (kardiovaskuläre Magnetresonanz).
Abb. 1: Standardisierung der Nomenklatur und Messung der Aorta (modifiziert nach Mazzolai L et al. 2024)1
Eine häufige Aufgabenstellung im klinischen Alltag ist die Abschätzung des Rupturrisikos bei Patienten mit Aortenaneurysma. Diese erfolgt zunächst nach dem Durchmesser, wobei Rodriguez Palomares betont, dass neben dem Aortendurchmesser auch andere Risikofaktoren die Prognose beeinflussen. Diese können mit unterschiedlichen Indizes quantifiziert werden. Dieses Vorgehen soll insbesondere bei Patienten mit geringer Körpergröße gewählt werden, da bei diesen der Aortendurchmesser alleine die geringste Aussagekraft besitzt. Weitere Faktoren, die das Rupturrisiko beeinflussen, sind unkontrollierte Hypertonie, die Geschwindigkeit, mit der sich eine Dilatation ausdehnt, eine Aortenlänge >11cm sowie die Lokalisation der Dilatation bzw. deren Phänotyp. Als besonders riskant gelten Aneurysmen im Bereich der Aortenwurzel.
Empfehlungen zum Management von Aortenaneurysmen
Eine Intervention wird mit Klasse-I-Empfehlung bei einer Dilatation der Aortenwurzel oder der Aorta ascendens von mindestens 55mm empfohlen. Bei Dilatation der Aortenwurzel wird ein klappenerhaltender Aortenwurzelersatz empfohlen, sofern dieser in einem spezialisierten Zentrum durchgeführt werden kann. Angesichts der immer besser werdenden Outcomes von Operationen an der Aorta kann die Indikation zur Chirurgie heute allerdings breiter gestellt werden. So besteht in der neuen Leitlinie bei Patienten mit geringem Operationsrisiko eine IIa-Empfehlung für die chirurgische Versorgung von Aneurysmen der Aorta ascendens mit einem Durchmesser von mehr als 52mm. Ist eine Klappenoperation geplant und besteht zusätzlich ein Aneurysma, kann bereits ab einem Durchmesser von 45mm eine chirurgische Versorgung angedacht werden. Ebenso wird bei Vorliegen bestimmter Risikofaktoren, wie beispielsweise einer Zunahme des Aortendurchmessers um mindestens 3mm pro Jahr, bereits ab 55mm Aortendurchmesser eine Operation empfohlen. Auch ein Patientenalter unter 50 Jahren sowie eine geplante Schwangerschaft sprechen für eine großzügige Indikationsstellung zur Chirurgie ab einem Aortendurchmesser von 50mm. Alle diese Faktoren werden in einem Algorithmus zur Diagnostik und Versorgung nichtgenetischer Aortenaneurysmen zusammengefasst.
Besteht Verdacht auf eine genetische Aortenerkrankung, ist eine genetische Testung indiziert, die an einem spezialisierten Zentrum durchgeführt werden und auch Verwandte ersten Grades einschließen sollte. Familienanamnese, Alter unter 60 Jahre, und das Fehlen von kardiovaskulären Risikofaktoren sollten den Verdacht auf eine genetische Aortenerkrankung lenken. Bei Personen mit einer hereditären thorakalen Aortenerkrankung wird eine Untersuchung der gesamten Aorta und anderer Gefäßregionen empfohlen. Auf Basis von Genanalysen können personalisierte und patientenzentrierte Entscheidungen getroffen werden. Dies bezieht sich etwa auf unterschiedliche Schwellenwerte für den Aortendurchmesser als Basis für chirurgische Entscheidungen. Auch die individuellen Protokolle für das Monitoring hängen vom genetischen Hintergrund der Erkrankung ab. So kann in der Patientengruppe mit genetisch bedingten Bindegewebserkrankungen eine operative Versorgung eines Aneurysmas bereits bei einem Aortendurchmesser von 45mm indiziert sein.
Empfehlungen für akute Aortendissektion und Nachsorge
Nach Eingriffen an der Aorta wird eine engmaschige Nachbetreuung empfohlen, konkret soll die erste Nachuntersuchung nach offener Behandlung eines abdominalen Aortenaneurysmas innerhalb eines Jahres erfolgen. Weitere Untersuchungen werden alle fünf Jahre empfohlen. Nach einer endovaskulären Reparatur der Aorta soll die erste Nachuntersuchung mittels CT nach einem Monat und eine Duplexsonografie nach 12 Monaten durchgeführt werden. Weiteres Follow-up ist in Jahresabständen indiziert.
Detaillierte Empfehlungen gibt es auch zu Diagnostik und Management der akuten Aortendissektion. Dazu wird ein Algorithmus vorgeschlagen, mit dem die Wahrscheinlichkeit einer Dissektion ermittelt und eine Risikoabschätzung vorgenommen werden kann. Für das konservative Management der betroffenen Patienten wurde ein einfaches Schema entwickelt, das auf Kontrolle von Blutdruck, Herzfrequenz und Schmerz abzielt. Auch die Zuweisung der Patienten zur offenen Chirurgie oder zur endovaskulären Reparatur der Aorta wird anhand eines Algorithmus gemäß Anatomie, klinischer Präsentation und individuellem Risiko vorgenommen.
Quelle:
ESC 2024, Session „ESC Guidelines Overview“, Vortrag „2024 ESC Guidelines for the Management of Peripheral Arterial and Aortic Diseases“ von Prof. Dr. Lucia Mazzolai (Lausanne, CH) und Prof. Dr. José Rodriguez Palomares (Barcelona, ES) am 30. August in London
Literatur:
1 Mazzolai L et al.; ESC Scientific Document Group: 2024 ESC Guidelines for the management of peripheral arterial and aortic diseases. Eur Heart J 2024; 45(36): 3538-700
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