Neue Technologien in der interventionellen Behandlung
Autoren:
Dr. med. Peter Dietrich
Oberarzt m.e.V. Kardiologie
PD Dr. med. Gregor Fahrni
Leitender Arzt Kardiologie, Leiter Koronarinterventionen
Klinik für Kardiologie
Stadtspital Zürich Triemli
E-Mail: gregor.fahrni@stadtspital.ch
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Seit der ersten Ballondilatation zur Behandlung der koronaren Herzkrankheit im Jahre 1977 sind viele weitere Meilensteine hinzugekommen. Die Entwicklung des medikamentös beschichteten Stents, Fortschritte in der Drahttechnologie und Mikrokatheter sowie die Möglichkeit der Atherektomie haben die interventionelle Revaskularisationsrate und die Langzeitergebnisse deutlich verbessert. Wir erläutern in diesem Artikel einige neuere Technologien, welche aufgrund ihres grossen Nutzens rasch Einzug in die Behandlung der koronaren Herzkrankheit gehalten haben und nicht mehr aus dem Alltag der interventionellen Kardiologie wegzudenken sind.
Koronarphysiologie: hämodynamische Relevanz einer Koronarstenose und mikrovaskuläre Angina
FFR, iFR, RFR
Die angiografische Einschätzung der hämodynamischen Relevanz einer intermediären Koronarstenose ist unzuverlässig,1 da neben dem Schweregrad der Stenose auch das zu perfundierende Gebiet eine Rolle spielt.
Die invasive Bestimmung der fraktionierten Flussreserve (FFR) zur Beurteilung der hämodynamischen Relevanz einer intermediären Koronarstenose ist aufgrund ihres gut belegten klinischen Nutzens seit Längerem weitverbreitet.2 Hierfür führt man einen Koronardraht mit einem integrierten Drucksensor am Drahtende vorbei an der Stenose in die Gefässperipherie und misst den Druckabfall über der Stenose unter maximalem Koronarfluss. Durch eine intravenöse Gabe von Adenosin erreicht man durch eine Vasodilatation der Mikrozirkulation den maximalen Koronarfluss. Liegt ein Druckabfall über der Stenose von >20% vor (FFR ≤0,80), ist eine Revaskularisation aufgrund einer dadurch möglichen Verbesserung der Symptome und einer Reduktion des Risikos für eine ungeplante Koronarintervention indiziert.
Die Gabe von Adenosin verursacht jedoch ein unangenehmes Gefühl von thorakaler Beklemmung und Dyspnoe. Da während der diastolischen Phase im Herzzyklus physiologischerweise eine maximale Hyperämie vorliegt, korreliert der Druckabfall über der Koronarstenose während der Diastole auch ohne Gabe von Adenosin zuverlässig mit der FFR. Zwei grosse randomisierte klinische Studien konnten bei einer sogenannten «instantaneous wave-free ratio» (iFR) bzw. «resting full-cycle ratio» (RFR) ≤0,89 den Nutzen einer Revaskularisation bezüglich klinischer Endpunkte (Tod, Myokardinfarkt und ungeplante Revaskularisation) bestätigen, sie sind der FFR-geführten Revaskularisation nicht unterlegen.3,4 Die klinische Erfahrung zeigt, dass die Bestimmung des diastolischen Ruhewerts weniger konstant ist als die FFR-Messung, weshalb wir bei einem Teil der Patient:innen, insbesondere bei Vorliegen einer Herzrhythmusstörung oder grenzwertiger Messergebnisse, eine zusätzliche FFR-Messung (unter Hyperämie) mit demselben Drucksensordraht durchführen.
CFR und IMR
Trotz Ausschluss einer hämodynamisch relevanten epikardialen Koronarstenose können Patient:innen an einer typischen Angina pectoris leiden. Der sogenannten mikrovaskulären Angina liegt eine endotheliale Dysfunktion zugrunde. Die Mikrozirkulation verliert die Fähigkeit zur Vasodilatation beziehungsweise Flusssteigerung trotz adäquater Stimulation. Zur Bestimmung der mikrovaskulären Funktion verfügt derselbe oben genannte Drucksensordraht über einen Temperatursensor, mit dem mithilfe der Thermodilution die Flussgeschwindigkeit im Koronargefäss gemessen werden kann. Durch wiederholte Applikation eines Kochsalzbolus bei Raumtemperatur in die Koronargefässe können die Transitionszeit des Bolus und somit die Flussgeschwindigkeit bestimmt werden. Die Zunahme der Transitionszeit des Bolus unter Gabe von Adenosin korreliert mit der Fähigkeit, den Koronarfluss zu steigern, der sogenannten koronaren Flussreserve («coronary flow reserve», CFR), und widerspiegelt die endotheliale Funktion. Eine normale CFR liegt bei >2. Der «index of microcirculatory resistance» (IMR) ist der Quotient aus dem distalen Koronardruck und der Flussgeschwindigkeit unter Hyperämie und widerspiegelt den Widerstand der Mikrozirkulation. Ein IMR <25 wird als normaler mikrovaskulärer Widerstand angesehen.5
Somit kann die mikrovaskuläre Angina, welche bis anhin als Ausschlussdiagnose galt, direkt im Herzkatheterlabor diagnostiziert werden und eine antiischämisch wirksame Therapie kann begonnen werden.6 Umgekehrt ersparen wir den Patienten:innen bei normalen Messwerten der Mikrozirkulation den Versuch einer nicht Erfolg versprechenden Therapie.
Fallbeispiel zur Koronarphysiologie
Eine 58-jährige Frau beklagt seit einigen Monaten ein belastungsabhängiges thorakales Beklemmungsgefühl und Atemnot. Als kardiovaskulärer Risikofaktor liegt eine langjährige Raucheranamnese vor.
Die vorgängig durchgeführte Computertomografie der Herzkranzgefässe lässt eine diffuse Koronarsklerose mit einer fokalen intermediären Stenose im Ramus interventricularis anterior (RIVA) vermuten. Koronarangiografisch bestätigt sich die oben genannte Stenose und der linksventrikuläre enddiastolische Füllungsdruck liegt mit 13mmHg im Normbereich. Mittels invasiver Druckmessung unter Hyperämie können eine hämodynamische Relevanz der RIVA-Stenose (FFR: 0,83) und somit ein Nutzen einer Revaskularisation in diesem Bereich ausgeschlossen werden.
Mithilfe der gleichzeitig durchgeführten Bestimmung der mikrovaskulären Funktion mittels Thermodilution kann bei einem IMR von 18 (und einer CFR von 4,5) eine Mikrozirkulationsstörung und somit eine kardiale Ursache der geschilderten Beschwerden weitgehend ausgeschlossen werden (Abb. 1).
Abb. 1: Bestimmung der fraktionierten Flussreserve (FFR), der koronaren Flussreserve («coronary flow reserve», CFR) und des «index of microcirculatory resistance» (IMR) anhand des distalen Koronardrucks (Pd), des aortalen Drucks (Pa) und der über 3 Injektionen gemittelten Transitionszeit (s) in Ruhe («resting» in Blau) und während Hyperämie («hyperemic» in Orange)
Intravaskuläre Bildgebung: Verstehe das bis anhin Unsichtbare
Die Koronarangiografie kann uns rasch einen Überblick über die Herzkranzgefässe und gegebenenfalls vorliegende Stenosen geben. Das monoplane Röntgenbild ist jedoch nur eine vereinfachte Darstellung des dreidimensionalen Koronarlumens und gibt wenig Auskunft über die Zusammensetzung der erkrankten Gefässwand. Die intrakoronare Bildgebung – sei es mit dem intravaskulären Ultraschall (IVUS) oder mit der optischen Kohärenztomografie (OCT) – kann zusätzliche Informationen liefern. Die spektakuläre Auflösung dieser Techniken im Mikrometerbereich erlaubt quasi eine «Histologie in vivo». So kann der Aufbau einer Plaque differenziert werden in lipomatös, fibrös oder kalzifiziert. Auch ein intravaskulärer Thrombus kann einfach erkannt werden, was im klinischen Alltag im Kontext eines Myokardinfarkts hilfreich sein kann, da so die aktivierte Plaque beziehungsweise die Culprit-Läsion eindeutig identifiziert wird. Neben der verfeinerten Diagnostik ist die koronare Bildgebung auch für die Unterstützung einer Intervention von grossem Wert: Sie hilft uns zum Beispiel bei der Wahl der Interventionsstrategie und der Werkzeuge zur Vorbehandlung vorwiegend von kalzifizierten Stenosen. Auch können Länge und Durchmesser des zu implantierenden Stents präzise gemessen und gesunde Landezonen definiert werden. Schliesslich kännen nach Stentimplantation die Stentapposition (das Anliegen der Stentstruts an der Gefässwand) sowie die Stentexpansion (die adäquate Aufdehnung des Stents) untersucht werden. Beides sind wichtige Prädiktoren für ein gutes Kurz- und Langzeitergebnis. In einer kürzlich veröffentlichten grossen Metaanalyse wurde der klinische Nutzen der mit intrakoronarer Bildgebung gestützten Koronarintervention gezeigt.7
Nicht jede Koronarintervention benötigt eine zusätzliche Bildgebung. Bei unkomplizierten kurzstreckigen Stenosen oder Stenosen in kleinen Gefässen wiegt der potenzielle Nutzen die Kosten nicht auf. Bestehen jedoch Risikofaktoren für ein Stentversagen (Diabetes, komplexe Koronarinterventionen, Bifurkationen), findet die intrakoronare Bildgebung zunehmend Verwendung. Bei Hauptstamminterventionen wird die Kontrolle durch eine intravaskuläre Bildgebung gemäss den aktuellen Europäischen Richtlinien für Kardiologie mit einer Klasse-IIa-Empfehlung unterstützt.2
Fallbeispiel zur intravaskulären Bildgebung
Ein 45-jähriger Patient präsentiert sich mit einem akuten Nicht-ST-Hebungsinfarkt und koronarangiografisch mit einer ektatischen koronaren Herzkrankheit mit einem subtotalen Verschluss des proximalen RIVA. Nach der Revaskularisation mit Implantation eines Stents zeigt sich angiografisch ein gutes Ergebnis. Die OCT zeigt jedoch eine aufgrund der ektatischen Gefässerweiterung inadäquate Stentapposition (Abb. 2). Nach erneuter Nachdilatation mit einem grösseren Ballon kann die Stentmalapposition korrigiert und somit die Kurz- und Langzeitprognose verbessert werden.
Abb. 2: Optische Kohärenztomografie im Querschnitt (links) und simultane 3D-Rekonstruktion (rechts) mit Stentmalapposition (links: Doppelpfeil; rechts: vom System rot eingefärbt) am proximalen Stentende. Stern: Koronardraht; Kreuz: Abgang eines Seitenastes
«Leave nothing behind»-Koronarintervention
Die Einführung von Stents in den 1990er-Jahren war ein wichtiger Entwicklungsschritt in der perkutanen Koronarintervention und führte zu einer deutlichen Abnahme von akuten Gefässverschlüssen und Restenosen. Auch wenn jede neue Iteration der Stenttechnologie zu einer weiteren Reduktion der Stentkomplikationen im ersten Jahr nach Implantation führte, blieb die Komplikationsrate ein Jahr nach Implantation konstant bei 1–2% pro Jahr, unabhängig von der Stentgeneration.8 Durch die Reduktion kurzfristiger Komplikationen rückt der längerfristige Erfolg der perkutanen Behandlung immer mehr in den Fokus. Zunehmend gewinnen daher Technologien an Attraktivität, die ohne Implantation von Metall – das als Nidus auch für spätere Komplikationen begriffen wird – auskommen. Der medikamentenbeschichtete Ballon («drug-coated balloon», DCB) ist eine solche Technologie. Liegt nach Vordilatation einer Stenose ein zufriedenstellendes Ergebnis ohne relevante Gefässdissektion oder Recoil vor, bedarf es nicht zwingend einer Stentimplantation. In diesem Fall können mithilfe eines DCB, der über 45–60 Sekunden an der behandelten Stelle aufgeblasen bleibt, antiproliferative Medikamente an die Gefässwand abgegeben werden, die eine überschiessende Vernarbung (Hyperplasie) und somit Restenosierung verhindern. Die weltweit grösste und bedeutendste Studie auf diesem Gebiet wurde von Raban Jeger et al. durchgeführt.9 In der BASKET-SMALL-2-Studie konnte gezeigt werden, dass die Behandlung von Koronarstenosen mit einem DCB in einem Gefäss mit einem Durchmesser <3mm der Stentimplantation nach drei Jahren bezüglich klinischer Endpunkte nicht unterlegen ist. Auch in diversen anderen Situationen haben die DCB gegenüber der Behandlung mit Stents Vorteile: Bei Patienten mit hohem Blutungsrisiko oder einer in Kürze anstehenden Operation zum Beispiel ist die verkürzte doppelte Plättchenhemmung von 4 Wochen sehr willkommen. Bei Bifurkationsinterventionen kann durch den Einsatz eines DCB häufig auf ein Stenting des Seitenastes verzichtet werden, was übereinanderliegende Stentschichten, die zu Restenosen neigen, verhindert. Nicht zuletzt sind DCB bei In-Stent-Restenosen nützlich, da dort ebenfalls mehrere übereinanderliegende Stentschichten verhindert werden können.
Im Bestreben, kein Fremdmaterial im Körper zurückzulassen («leave nothing behind»), wurden in der Vergangenheit Gefässstützen entwickelt, die sich mit der Zeit selbst auflösen. Der Absorb-Stent war der erste mit dieser Fähigkeit und kam zwischen 2011 und 2017 zum Einsatz. Weil die Gefässstütze nicht gleichmässig degradierte und im Gefäss liegende Stentteile zu einer vermehrten Stentthromboserate führten, musste er vom Markt genommen werden. Aktuell testen auch wir im Rahmen von streng kontrollierten Studien die neuste Generation eines solchen biodegradierbaren Stents, der nun auf Magnesiumbasis besteht. Die bisherigen Resultate sind ermutigend, doch bis diese Technologie als die Zukunft der Koronarintervention bezeichnet werden kann, braucht es noch weitere grosse randomisierte Langzeitstudien, in denen sich der theoretische Vorteil auch an klinischen Endpunkten manifestiert.
Fallbeispiel zur Behandlung mit einem medikamentenbeschichteten Ballon
In der Koronarangiografie zeigt sich bei einem 29-jährigen Patienten mit einer positiven Familienanamnese für eine frühe koronare Herzkrankheit und typischer Angina pectoris eine höchstgradige Stenose im grossen Ramus intermedius (Abb. 3, links). Bei diesem jungen Patienten erfolgt die Behandlung mit einem medikamentenbeschichteten Ballon. Die Kontrollangiografie, die aufgrund atypischer Beschwerden durchgeführt wird, zeigt nach 3 Monaten ein gutes Ergebnis ohne residuelle Stenose (Abb. 3, rechts).
Abb. 3: Index-Koronarangiografie mit einer höchstgradigen Intermediäraststenose vor der Behandlung mit einem medikamentenbeschichteten Ballon (links) und Kontrollangiografie nach 12 Wochen ohne residuelle Stenose (rechts)
Konklusion
Die beschriebenen Techniken sind Zeugnisse des breiten technologischen Fortschritts auf unserem Gebiet in den letzten Jahrzehnten. Uns stehen immer mehr und bessere Werkzeuge zur Verfügung. Die Kunst der modernen Koronarintervention besteht darin, im Zusammenspiel von Patientenfaktoren und Charakteristika der zu behandelnden Läsion eine massgeschneiderte Strategie zu entwickeln, um ein langfristig optimales Resultat für unsere Patient:innen zu erreichen.
Literatur:
1 Toth G et al.: Eur Heart J 2014; 35: 2831-8 2 Knuuti J et al.: Eur Heart J 2020; 41: 407-7 3 Götberg M et al.: N Engl J Med 2017; 376: 1813-23 4 Davies JE et al.: N Engl J Med 2017; 376: 1824-34 5 Luo et al.: Circ Cardiovasc Interv 2014; 7: 43-8 6 Ford Th J et al.: J Am Coll Cardiol 2018; 72: 2841-55 7 Stone GW et al.: Lancet 2024; 403: 824-37 8 Madhavan MV et al.: J Am Coll Cardiol 2020; 75: 590-604 9 Jeger R et al.: Lancet 2020; 396: 1504-10
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