<p class="article-intro">Clopidogrel, ein irreversibler P2Y<sub>12</sub>-Rezeptor-Inhibitor, weist basierend auf Studien der letzten drei Jahrzehnte ein breites Einsatzgebiet bei kardiovaskulären Erkrankungen auf. Aus kardiologischer Sicht spielt es in der Therapie der stabilen koronaren Herzkrankheit (KHK) sowie in der Behandlung von Patienten mit einem akuten Koronarsyndrom (ACS) mit und ohne gleichzeitige Indikation für eine orale Antikoagulation nach wie vor eine zentrale Rolle. Im folgenden Artikel sollen diese Bereiche im Lichte rezenter Studien beleuchtet und gegebenenfalls kritisch diskutiert werden.</p>
<hr />
<p class="article-content"><h2>Die Studienlage zu Clopidogrel</h2> <p>Der breite klinische Einsatz von Clopidogrel beruht auf Erkenntnissen aus mehreren randomisierten kontrollierten Studien in verschiedenen Krankheitsbildern bzw. Indikationen.</p> <p><strong>CAPRIE-Studie</strong><br /> Eine der ersten Studien war die im Jahr 1996 publizierte CAPRIE(Clopidogrel versus Aspirin in Patients at Risk of Ischemic Events)-Studie. Hier wurden 19 385 Patientinnen und Patienten mit bekannten atherosklerotischen Krankheiten (Anamnese eines ischämischen Schlaganfalles, Herzinfarktes oder mit symptomatischer peripherer arterieller Verschlusskrankheit) eingeschlossen und für die Dauer von 1 bis 3 Jahren (1,9 Jahre im Median) beobachtet, um die Effektivität von Clopidogrel im Vergleich zu Aspirin in diesem Patientenkollektiv zu untersuchen. Die Patienten erhielten entweder Clopidogrel (75 mg 1 x tgl.) oder Aspirin (325 mg 1 x tgl.). Primärer Endpunkt war die Kombination von ischämischem Insult, Herzinfarkt oder Tod aufgrund kardiovaskulärer Ursachen. Sicherheitsendpunkt war das Auftreten von Nebenwirkungen wie Diarrhö, Exanthem, gastrointestinalen (GIT) Beschwerden, intrakraniellen Blutungen, GIT-Blutungen oder abnormer Leberfunktion. Es zeigte sich eine signifikante Reduktion des primären Endpunktes bei vergleichbarem Sicherheitsprofil unter der Therapie mit Clopidogrel.<sup>1</sup></p> <p><strong>CURE-Studie</strong><br /> Die CURE(Clopidogrel in Unstable Angina to Prevent Recurrent Events)-Studie folgte im Jahr 2001. 12 562 Patienten, die sich von 1998 bis 2000 innerhalb von 24 Stunden mit Symptomen eines akuten Koronarsyndroms (ACS) ohne ST-Hebungen präsentierten, erhielten Clopidogrel (300 mg einmalig, gefolgt von 75 mg 1 x tgl.) oder Placebo zusätzlich zu Aspirin für 3 bis 12 Monate (im Durchschnitt 9 Monate). Für den primären Endpunkt aus kardiovaskulärem Tod, nicht fatalem Myokardinfarkt oder Insult konnte eine signifikante Reduktion (p < 0,001) beobachtet werden, ebenso wie für das Auftreten von refraktärer Ischämie, Herzinsuffizienz und notwendiger Revaskularisation. Schwere Blutungen traten signifikant häufiger in der Clopidogrel-Gruppe auf (3,7 % vs. 2,7 %), ohne dass es zu vermehrt lebensbedrohlichen oder intrakraniellen Blutungen gekommen ist.<sup>2</sup></p> <p><strong>CREDO-Studie</strong><br /> In der CREDO(Clopidogrel for the Reduction of Events During Observation)- Studie wurden 2116 Patienten vor einer elektiven perkutanen Koronarintervention randomisiert zu 300 mg Clopidogrel 3 bis 24 Stunden vor der perkutanen Intervention (PCI) (= Studiengruppe) oder Placebo (= Kontrollgruppe). Anschließend erhielten alle Studienteilnehmer über 28 Tage (initialer Standard) hinweg eine DAPT mittels Clopidogrel (75 mg/d) und Aspirin (325 mg/d). Ab Tag 29 wurde die Randomisierung für eine Gesamtdauer von 12 Monaten fortgeführt, Placebo (in der Kontrollgruppe) versus Clopidogrel 75 mg tgl. (in der Studiengruppe). Beide Kohorten erhielten Aspirin. Durch die frühzeitige und verlängerte Gabe von Clopidogrel konnte eine signifikante Reduktion des primären Endpunktes Tod, Myokardinfarkt und Insult belegt werden. Es traten in dieser Gruppe dafür vermehrt schwere Blutungen (unabhängig von der verwendeten Definition) auf (8,8 % versus 6,7 %), aber ohne Signifikanz (p=0,07).<sup>3</sup></p> <p><strong>COMMIT-Studie</strong><br /> Weitere wichtige Erkenntnisse erlangte man durch die COMMIT(Clopidogrel and Metoprolol in Myocardial Infarction Trial)- Studie. Diese in China groß angelegte und 2005 publizierte Studie randomisierte 45 852 Patienten von 1999 bis 2005 mit suspiziertem Myokardinfarkt (87 % waren STEMI; 6 % Linksschenkelblock), die innerhalb von 24 Stunden nach dem Beginn der Symptome vorstellig wurden. Die Studiengruppe erhielt Clopidogrel 75 mg/d (ohne Loadingdosis) und Aspirin 162 mg/d. Die Kontrollgruppe erhielt Placebo und Aspirin 162 mg/d für einen Zeitraum von 28 Tagen unabhängig davon, ob die Patienten davor eine fibrinolytische Therapie erhalten hatten oder nicht. Ausgeschlossen wurden Patienten, die primär einer Koronarangiografie unterzogen wurden. In dieser Studie konnte eine signifikante Reduktion des primären Endpunktes (Kombination aus Tod, Reinfarkt oder Schlaganfall vor Entlassung) durch die zusätzliche Gabe von Clopidogrel zu Aspirin bei Patienten mit Myokardinfarkt aufgezeigt werden, ohne signifikanten Anstieg lebensbedrohlicher Blutungen, unabhängig von Alter oder vorausgehender fibrinolytischer Therapie. Auffällig in dieser Studie ist eine niedrige Blutungsrate in beiden Gruppen (0,58 % versus 0,55 %), wohl bedingt durch die von vielen Studien abweichende Definition.<sup>4</sup></p> <p><strong>CLARITY-Studie</strong><br /> Die CLARITY(CLopidogrel as Adjunctive ReperfusIon TherapY)-Studie randomisierte 3491 Patienten mit ST-Hebungen innerhalb von 12 Stunden zu Placebo oder Clopidogrel (einmalig 300 mg, dann 75 mg/d) zusätzlich zum damaligen Goldstandard (Aspirin, fibrinolytische Therapie ± Heparin). Die eingeschlossenen Patienten wurden alle für eine Koronarintervention (PCI) 48 bis 192 Stunden nach Randomisierung vorgesehen. Primärer Endpunkt war Tod durch kardiovaskuläre Ursachen, Wiederauftreten von Myokardinfarkt oder Ischämie, welche zu einer dringlichen Revaskularisation führte. In der Clopidogrel- Gruppe trat der primäre Endpunkt (15 % versus 21,7 %) signifikant seltener (p < 0,001) im Vergleich zur Placebogruppe auf. Die Inzidenz von schweren Blutungen und intrakraniellen Blutungen war in beiden Gruppen ähnlich.<sup>5</sup></p> <p><strong>CHARISMA-Studie</strong><br />2006 folgte die CHARISMA(Clopidogrel for High Atherothrombotic Risk and Ischemic Stabilization, Management, and Avoidance trial)-Studie, in der 15 603 Patienten mit dokumentierter KHK, dokumentierter zerebrovaskulärer Erkrankung, symptomatischer peripherer arterieller Verschlusskrankheit (PAVK) oder dem Vorhandensein multipler atherothrombotischer Risikofaktoren eingeschlossen wurden. Die Studiengruppe erhielt Clopidogrel 75 mg/d, die Kontrollgruppe Placebo einmal täglich zusätzlich zu Aspirin (75 bis 162 mg/d) für 28 Monate. Dies war die erste negative Studie, da mit der Einnahme einer dualen Plättchentherapie (DAPT) nicht nur mehr moderate Blutungen (2,1 % versus 1,3 %; p < 0,01) aufgetreten sind, sondern es dabei auch zu keiner signifikanten Reduktion des primären Endpunktes (Kombination aus Herzinfarkt, Insult und Tod durch kardiovaskuläre Ursache) gekommen ist. In der Clopidogrel-Population trat Tod durch kardiovaskuläre Ursachen häufiger auf (3,9 % versus 2,2 %; p=0,01).<sup>6</sup><br />Eine wichtige Post-hoc-Analyse hat jedoch aufgezeigt, dass jene Patienten mit dokumentiertem Myokardinfarkt, ischämischem Insult oder PAVK sehr wohl einen signifikanten Benefit durch die DAPT im Vergleich zur ASS-Monotherapie hatten, bezogen auf kardiovaskulären Tod, Herzinfarkt oder Insult (7,3 % versus 8,8 %; p=0,01). Diese Analyse war einer der Wegbereiter für die PEGASUS-Studie.<sup>7</sup></p> <h2>Stabile koronare Herzkrankheit</h2> <p>CAPRIE hat 1990 gezeigt, dass Clopidogrel eine durchaus erwägenswerte Alternative zu Aspirin bei stabiler KHK ist.<br />Durch die rasante Weiterentwicklung in der Kardiologie und Ausweitung der Ressourcen erhielt die perkutane Koronarintervention (PCI) einen immer größeren Stellenwert und wurde mehr Patienten als Therapie auch zugänglich, sodass vermehrt das medikamentöse Regime nach PCI und Stenting in den Fokus der Studien rückte. Wegen der ersten Studien (CAPRIE, CURE, CREDO) und der Entwicklung der ersten „drug-eluting stents“ (DES) mit erhöhten Raten an Stentthrombosen galt die DAPT nach PCI für 12 Monate als Standard trotz der dadurch vermehrt auftretenden Blutungen. Die Weiterentwicklung der ersten Generationen von DES hat jedoch zur Frage geführt, ob im elektiven Setting eine Verkürzung möglich ist. Eine 2016 veröffentlichte Metaanalyse mehrerer Studien untersuchte die Auswirkungen einer verkürzten DAPT hinsichtlich Stentthrombosen, Myokardinfarkten und Blutungskomplikationen. Diese umfasste über 15 000 Patienten in 7 randomisierten Trials, in denen fast ausschließlich Aspirin und Clopidogrel nach PCI als DAPT verwendet wurden sowie überwiegend neue DES der zweiten Generation. Der Vergleich einer kürzeren (≤ 6 Monate) versus eine längere (≥ 12 Monate) DAPT ergab keinen signifikanten Unterschied hinsichtlich des Risikos für Tod, Stentthrombose, Herzinfarkt oder Insult. Schwere Blutungen waren unter der verkürzten DAPT signifikant seltener.<sup>8</sup> <br />Die 2017 veröffentlichten ESC-Guidelines der DAPT empfehlen daher bei stabiler koronarer Herzkrankheit weiterhin Clopidogrel als Antiplättchentherapie der Wahl nach elektiver PCI für 6 Monate und bei erhöhtem Blutungsrisiko sogar nur für 3 Monate zusätzlich zu Aspirin (Abb. 1). Eine DAPT ohne PCI wird eindeutig nicht empfohlen (Klasse-III-Empfehlung).<sup>9</sup> <br />Eine Verabreichung von Clopidogrel („preloading“) vor einer elektiven Koronarangiografie ist weiterhin generell nicht empfohlen, außer die Koronaranatomie ist bekannt und/oder eine PCI ist höchstwahrscheinlich.<sup>10</sup> <br />Clopidogrel hat aber nicht nur im Gebiet der KHK seinen Stellenwert. Bei der Therapie der PAVK wird es sowohl in der DAPT in Kombination mit Aspirin eingesetzt (vor allem nach Interventionen) als auch als medikamentöse Alternative in der Monotherapie bei symptomatischer PAVK dem Aspirin gleichgesetzt.<sup>11</sup></p> <p> </p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Kardio_1902_Weblinks_jatros_kardio_1902_s28_abb1_alber.jpg" alt="" width="550" height="467" /></p> <p> </p> <h2>Akutes Koronarsyndrom</h2> <p><strong>TRITON- und PLATO-Studie</strong> <br />Die aktuellen Richtlinien zur Behandlung von Patienten mit einem akuten Koronarsyndrom (ACS) empfehlen im Rahmen einer dualen Antiplättchentherapie neben Acetylsalicylsäure (ASS) einen neuen P2Y<sub>12</sub>-Inhibitor (Ticagrelor oder Prasugrel; Abb. 2).<sup>12, 13</sup> Die dieser Klasse-IAEmpfehlung zugrundeliegenden Daten beruhen vorwiegend auf den in den Jahren 2006 und 2009 publizierten TRITON(Prasugrel versus Clopidogrel in Patients with Acute Coronary Syndrome)- und PLATO (PLATelet Inhibition and Patient Outcomes trial)-Studien<sup>14, 15</sup>, die mit dem Einsatz der neuen Substanzen im Vergleich zu Clopidogrel eine signifikante Reduktion eines kombinierten ischämischen Endpunktes aufzeigen konnten. Die Rate schwerer, nicht Bypassoperation bezogener Blutungen nach der TIMI-Klassifikation war in den Studien um 0,6 % („number needed to harm“; NNH von 167) erhöht. <br />Dennoch spielte auch im Setting eines akuten Koronarsyndroms Clopidogrel bei Patienten mit Kontraindikationen für einen der neuen P2Y<sub>12</sub>-Inhibitoren (je nach Substanz: Zustand nach intrakranieller Blutung und/oder Insult, Alter ≥ 75 Jahre, Indikation für die Tripeltherapie, Körpergewicht ≤ 60 kg) sowie generell bei Patienten mit erhöhtem Blutungsrisiko weiterhin eine wichtige Rolle. Durch rezent veröffentlichte Studien scheint sich die Einsatzbreite von Clopidogrel erneut auszuweiten. Eine routinemäßige Deeskalation der neueren P2Y<sub>12</sub>-Inhibitoren (Prasugrel, Ticagrelor) auf Clopidogrel nach der ersten Phase eines ACS (d. h. im ersten Monat) für die restliche Dauer der vorgesehenen DAPT scheint derzeit eine Variante zu sein, um potente P2Y<sub>12</sub>-Inhibitoren optimal zu nutzen, ohne dadurch die Komplikationen des erhöhten Blutungsrisikos akzeptieren zu müssen, da initial das Thromboserisiko im Vordergrund steht, jedoch im weiteren Verlauf das Blutungsrisiko stetig ansteigt.</p> <p><strong>CHANGE-DAPT-Studie</strong> <br />Verschiedene Deeskalationsstrategien wurden kürzlich vorgestellt. In der Studie CHANGE DAPT wurden 2062 konsekutive Real-World-Patienten nach ACS und mit durchgeführter PCI auf Tod, Myokardinfarkt, Insult und Blutung untersucht. Die Patientenpopulation teilte sich in 2 Gruppen: Die eine wurde mit Clopidogrel behandelt (Dezember 2012 bis April 2014), die andere mit Ticagrelor therapiert (Mai 2014 bis August 2015). In beiden Gruppen waren etwa gleich viele Patienten, wobei die Ticagrelor- Gruppe etwas älter war, dafür wurden in dieser weniger femorale Zugänge bei der Koronarintervention verwendet (aufgrund der in der Zwischenzeit geänderten Guidelines). Die Analysen der Studie zeigten ein vermehrtes Auftreten von schweren Blutungen in der – Guidelinekonformen – mit Ticagrelor behandelten Gruppe (1,2 % versus 2,7 %; p=0,02), ohne einen Benefit in den ischämischen Endpunkten nachzuweisen.<sup>16</sup></p> <p><strong>TOPIC-Studie</strong> <br />In der TOPIC(Timing Of Platelet Inhibition after Acute Coronary Syndrome)-Studie wurden von März 2014 bis April 2016 645 Patienten mit einem ACS und erfolgreicher PCI 1:1 randomisiert, die grundsätzlich eine Indikation für die DAPT mit einem neueren P2Y<sub>12</sub>-Inhibitor für 12 Monate hatten. Die Kontrollgruppe blieb für 12 Monate unverändert auf Prasugrel oder Ticagrelor. Die Studiengruppe wurde nach einem Monat ohne Komplikationen (Ischämie- oder Blutungsereignis) auf Clopidogrel deeskaliert. Der primäre Endpunkt war eine Kombination von kardiovaskulärem Tod, Blutung, Insult und früher Revaskularisation. Es gab hier keinen signifikanten Unterschied zwischen den beiden Populationen. Auffällig in dieser Studie ist, dass in 2 Jahren nur 645 Patienten eingeschlossen worden sind und die Patientenpopulation zu 80 % aus Männern mit einem Durchschnittsalter von 60 Jahren bestand, was Ausdruck eines gewissen Selektionsfehlers sein könnte.<sup>17 </sup></p> <p><strong>TROPICAL-ACS-Studie</strong> <br />In der TROPICAL-ACS(the Testing RespOnsiveness to Platelet Inhibition on Chronic AntipLatelet Treatment for Acute Coronary Syndrome)-Studie wurden 2610 Patienten von Dezember 2013 bis Mai 2016 mit Herzbiomarker-positiven ACS, die eine erfolgreiche Koronarintervention erhalten hatten und eine DAPT für 12 Monate erhalten sollten, eingeschlossen. Die Kontrollgruppe erhielt 12 Monate lang Prasugrel. Die Studiengruppe erhielt 1 Woche lang Prasugrel, anschließend 1 Woche lang Clopidogrel. Der Responderstatus für Clopidogrel wurde darauffolgend anhand eines Plättchenhemmer-Funktionstests („platelet function testing“ = PFT) überprüft. Patienten mit hoher Plättchenreaktivität unter Clopidogrel wurden wieder mit Prasugrel behandelt, jene mit adäquatem Ansprechen auf Clopidogrel erhielten bis Ende des 12. Monats weiter Clopidogrel (Deeskalationsgruppe). Der primäre Endpunkt, eine Kombination aus kardiovaskulärem Tod, Myokardinfarkt, Insult oder Blutung (mehr als Grad 2 nach den BARC-Kriterien), trat signifikant seltener in der Deeskalationsgruppe auf (7 % versus 9 %; p < 0,0004).<sup>18</sup> <br />Speziell die Erkenntnisse dieser Studie ermöglichten die in den 2018 veröffentlichten Revaskularisationsrichtlinien eingeführte Deeskalation auf Clopidogrel (Klasse-IIb-Empfehlung).<sup>10</sup> Diesen Studien gemein ist zudem, dass der Benefit hochpotenter P2Y<sub>12</sub>-Inhibitoren gegenüber Clopidogrel vor allem durch das zugrundeliegende Risiko des Patientenkollektivs bestimmt wird. Dies wird auch durch eine Metaregressionsanalyse untermauert.<sup>24</sup></p> <p> </p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Kardio_1902_Weblinks_jatros_kardio_1902_s29_abb2_alber.jpg" alt="" width="550" height="583" /></p> <p> </p> <h2>Indikation für DAPT und OAK</h2> <p>Da in den Zulassungsstudien für die neuen P2Y<sub>12</sub>-Inhibitoren eine gleichzeitige orale Antikoagulation (OAK) ein Ausschlusskriterium war, gibt es keine größeren randomisierten Daten dazu. Aus diesem Grund und auf Basis der Tatsache, dass Prasugrel und Ticagrelor häufiger mit schweren Blutungen vergesellschaftet sind, ist Clopidogrel unverändert der ADP-Rezeptorantagonist der Wahl im Falle einer notwendigen Kombination im Sinne einer DAPT mit einer oralen Antikoagulation. Diesbezüglich weisen rezente Publikationen darauf hin, dass ein frühes Weglassen von ASS nach PCI oder ACS im Sinne einer dualen antithrombotischen Therapie (DAT) bestehend aus Clopidogrel und einer OAK einer klassischen antithrombotischen Tripeltherapie (TAT) überlegen ist.<sup>19, 20 </sup></p> <p><strong>WOEST-Studie</strong> <br />Die erste Studie in diesem Zusammenhang ist die WOEST(What Is the Optimal AntiplatElet and Anticoagulant Therapy in Patients with Oral Anticoagulation and Coronary StenTing)-Studie. Hier wurden Patienten mit der Indikation zur dauerhaften oralen Antikoagulation (OAK), die eine PCI erhalten hatten, randomisiert und erhielten die klassische Tripeltherapie (ASS + Clopidogrel + Vitamin-K-Antagonist, VKA) oder Clopidogrel und VKA. Hier zeigte sich, dass in der Gruppe mit Clopidogrel und OAK (DAT) ohne ASS eine signifikante Reduktion der Blutungsraten verzeichnet werden konnte, worauf die Studie auch ausgerichtet war. Zudem waren die ischämischen Ereignisse nicht nur vergleichbar, sondern sogar signifikant geringer im DAT-Arm.<sup>21 </sup></p> <p><strong>PIONEER-AF-Studie</strong> <br />In der PIONEER-AF-Studie wurden ähnliche Ergebnisse präsentiert. 2124 Patienten mit Indikation für eine OAK (bei nicht valvulärem Vorhofflimmern), die eine PCI erhielten, wurden 1:1:1 randomisiert: Vitamin- K-Antagonist und klassische DAPT (P2Y<sub>12</sub> + ASS) für 1, 6 oder 12 Monate im Vergleich zu Rivaroxaban 15 mg einmal täglich (bei eingeschränkter Nierenfunktion, d. h. GFR 30–50 ml/min, nur 10 mg/d) und einem P2Y<sub>12</sub>-Hemmer für 12 Monate im Vergleich zu Rivaroxaban 2,5 mg zweimal täglich und klassischer DAPT für 1, 6 oder 12 Monate. Der primäre Sicherheitsendpunkt war das Auftreten von signifikanten Blutungen. In den beiden Rivaroxaban- Gruppen zeigten sich signifikant weniger Blutungen (16,8 % in Gruppe 1 = 15 mg OD, 18,0 % in Gruppe 2 = 2,5 mg zweimal täglich und 26,7 % in Gruppe 3 mit Vitamin-K-Antagonist; p < 0,001), wobei sich die 3 Gruppen im Hinblick auf das Auftreten von MACE („major adverse cardiovascular events“) nicht signifikant unterschieden. Auch hier beruht die Fallzahlberechnung auf den Blutungen und nicht auf den ischämischen Ereignissen. Kritisch betrachtet muss man sagen, dass ein wesentlicher Vergleichsarm mit Vitamin-KAntagonist und Clopidogrel nicht inkludiert wurde und dass Patienten mit Insultanamnese ausgeschlossen wurden, sodass eher eine Vorhofflimmernkohorte mit geringem Schlaganfallrisiko untersucht wurde. Dennoch lässt sich nicht abstreiten, dass die Ergebnisse dieser Studie klar zeigen, dass die Indikation für eine klassische Tripeltherapie aufgrund des erhöhten Blutungsrisikos sehr kritisch zu stellen ist.<sup>22 </sup></p> <p><strong>Re-DUAL-PCI-Studie</strong> <br />So konnte auch in der Re-DUAL-PCI( Randomized Evaluation of Dual Antithrombotic Therapy with Dabigatran versus Triple Therapy with Warfarin in Patients with Nonvalvular Atrial Fibrillation Undergoing Percutaneous Coronary Intervention trial)-Studie ein Benefit für die duale antithrombotische Therapie (Dabigatran und P2Y<sub>12</sub>-Inhibitor) im Vergleich zur klassischen Tripeltherapie nachgewiesen werden mit deutlich weniger Blutungsereignissen bei vergleichbarer Inzidenz thromboembolischer Ereignisse (15,4 % in der Gruppe mit 110 mg zweimal täglich, 20,2 % in der Gruppe mit 150 mg zweimal täglich, 26,9 % bzw. 25,7 % in der Standard- Tripeltherapie-Gruppe; p < 0,001). Die randomisierten 2725 Patienten mit Indikation für die OAK wegen nonvalvulären Vorhofflimmerns und Indikation für die zusätzliche Plättchenhemmung nach PCI wurden in unterschiedliche Gruppen eingeteilt. Eine Gruppe erhielt wiederum die klassische Tripeltherapie (Vitamin-K-Antagonist, P2Y<sub>12</sub>-Hemmer, Aspirin) für 1 oder 3 Monate, die anderen beiden Gruppen Dabigatran 150 mg oder 110 mg zweimal täglich und einen P2Y<sub>12</sub>-Inhibitor ohne Aspirin für ebenfalls 1 oder 3 Monate.<sup>23</sup> Die rezent veröffentlichte AUGUSTUS-Studie mit einer Beobachtungszeit von 6 Monaten bestätigt weitestgehend für Apixaban die Resultate oben angeführter Studien zu Dabigatran und Rivaroxaban.<sup>26</sup></p> <h2>Unterschiede zwischen Europa und den USA</h2> <p>Die Interpretation der bisherigen Daten ist diesseits (ESC-DAPT-Guidelines<sup>9</sup>, Abb. 3) und jenseits (AHA white paper<sup>25</sup>) des Atlantiks unterschiedlich, wobei in Nordamerika eine DAT als Standardstrategie angedacht ist. In jedem Fall ist das Medikament der Wahl Clopidogrel, da die Zahl der Patienten mit einer OAK, die mit einem neuen P2Y<sub>12</sub>-Hemmer in Studien behandelt wurden, noch zu gering war (≤ 15 % Ticagrelor und Prasugrel in PIONEER- AF, 12 % Ticagrelor in Re-DUAL-PCI sowie ca. 1 % Prasugrel und 6 % Ticagrelor in AUGUSTUS), um von diesem Vorgehen abzuweichen.<sup>22, 23, 26</sup> Die neuesten Daten sprechen sehr dafür, dass sich der amerikanische Ansatz (siehe oben) in dieser speziellen Situation durchsetzen wird.</p> <p> </p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Kardio_1902_Weblinks_jatros_kardio_1902_s31_abb3_alber.jpg" alt="" width="750" height="508" /></p> <p> </p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>In Zusammenschau der erläuterten Daten ist somit die Bedeutung von Clopidogrel in verschiedenen kardiovaskulären Indikationen unverändert gegeben. Die richtige Wahl der Antiplättchensubstanzen mit oder ohne ein orales Antikoagulans, die exakte zeitliche Vorgabe der Therapie sowie regelmäßige Überprüfungen entsprechender Vorgaben erlauben heutzutage im Sinne eines personalisierten Ansatzes eine optimale, individuelle Risiko-Nutzen- Abwägung der antithrombotischen Strategie im Rahmen einer ganzheitlichen vaskulären Protektion.</p> </div></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Gent M et al.: Randomised, blinded, trial of clopidogrel versus aspirin in patients at risk of ischaemic events (CAPRIE). Lancet 1996; 348(9038): 1329-39 <strong>2</strong> Mehta SR et al.: Effects of pretreatment with clopidogrel and aspirin followed by long-term therapy in patients undergoing percutaneous coronary intervention: the PCI-CURE study. Lancet 2001; 358: 527-33 <strong>3</strong> Steinhubl SR et al.; CREDO Investigators: Early and sustained dual oral antiplatelet therapy following percutaneous coronary intervention: a randomized controlled trial. JAMA 2002; 288(19): 2411-20 <strong>4</strong> Chen ZM et al.; COMMIT (ClOpidogrel and Metoprolol in Myocardial Infarction Trial) collaborative group: Addition of clopidogrel to aspirin in 45,852 patients with acute myocardial infarction: randomised placebo-controlled trial. Lancet 2005; 366(9497): 1607-21 <strong>5</strong> Sabatine MS et al.; CLARITY-TIMI 28 Investigators: Addition of clopidogrel to aspirin and fibrinolytic therapy for myocardial infarction with ST-segment elevation. N Engl J Med 2005; 352(12): 1179-89 <strong>6</strong> Bhatt DL et al.; CHARISMA Investigators: Clopidogrel and aspirin versus aspirin alone for the prevention of atherothrombotic events. N Engl J Med 2006; 354:1706-17 <strong>7</strong> Bonaca MP et al.: Design and rationale for the Prevention of Cardiovascular Events in Patients With Prior Heart Attack Using Ticagrelor Compared to Placebo on a Background of Aspirin-Thrombolysis in Myocardial Infarction 54 (PEGASUS-TIMI 54) trial. Am Heart J 2014; 167(4): 437-444.e5 <strong>8</strong> Ziada KM et al.: Safety of an abbreviated duration of dual antiplatelet therapy (≤ 6 months) following second-generation drug-eluting stents for coronary artery disease: a systematic review and meta-analysis of randomized trials. Catheter Cardiovasc Interv 2016; 87(4): 722-32 <strong>9</strong> Valgimigli M et al.: 2017 ESC focused update on dual antiplatelet therapy in coronary artery disease developed in collaboration with EACTS: the Task Force for dual antiplatelet therapy in coronary artery disease of the European Society of Cardiology (ESC) and of the European Association for Cardio-Thoracic Surgery (EACTS). Eur Heart J 2018; 39: 213-60 <strong>10</strong> Neumann FJ et al.: 2018 ESC/ EACTS Guidelines on myocardial revascularization. Eur Heart J: ehy394, https://doi.org/10.1093/eurheartj/ ehy394. Published: 25 August 2018 <strong>11</strong> Aboyans V et al.: 2017 ESC Guidelines on the Diagnosis and Treatment of Peripheral Arterial Diseases, in collaboration with the European Society for Vascular Surgery (ESVS): Document covering atherosclerotic disease of extracranial carotid and vertebral, mesenteric, renal, upper and lower extremity arteries. Endorsed by: the European Stroke Organization (ESO). Eur Heart J 2018; 39(9): 763-816 <strong>12</strong> Roffi M et al.: 2015 ESC Guidelines for the management of acute coronary syndromes in patients presenting without persistent ST-segment elevation. Eur Heart J 2016; 37: 267-315 <strong>13</strong> Ibanez B et al.: 2017 ESC Guidelines for the management of acute myocardial infarction in patients presenting with ST-segment elevation. Eur Heart J 2017; 00: 1-66r <strong>14</strong> Wiviott SD et al.: Evaluation of prasugrel compared with clopidogrel in patients with acute coronary syndromes: design and rationale for the TRial to assess Improvement in Therapeutic Outcomes by optimizing platelet InhibitioN with prasugrel Thrombolysis In Myocardial Infarction 38 (TRITON- TIMI 38). Am Heart J 2006; 152(4): 627-35 <strong>15</strong> James S et al.: Comparison of ticagrelor, the first reversible oral P2Y(12) receptor antagonist, with clopidogrel in patients with acute coronary syndromes: rationale, design, and baseline characteristics of the PLATelet inhibition and patient Outcomes (PLATO) trial. Am Heart J 2009; 157(4): 599-605 <strong>16</strong> Zocca P et al.: Clopidogrel or ticagrelor in acute coronary syndrome patients treated with newer-generationdrug- eluting stents: CHANGE DAPT. EuroIntervention 2017; 13(10): 1168-76 <strong>17</strong> Cuisset T et al.: Benefit of switching dual antiplatelet therapy after acute coronary syndrome: the TOPIC (timing of platelet inhibition after acute coronary syndrome) randomized study. Eur Heart J 2017; 38: 3070-8 <strong>18</strong> Sibbing D et al.: Guided de-escalation of antiplatelet treatment in patients with acute coronary syndrome undergoing percutaneous coronary intervention (TROPICAL-ACS): a randomised, open-label, multicentre trial. Lancet 2017; 390(10104): 1747-57 <strong>19</strong> Golwala HB et al.: Safety and efficacy of dual vs. triple antithrombotic therapy in patients with atrial fibrillation following percutaneous coronary intervention: a systematic review and meta-analysis of randomized clinical trials. Eur Heart J 2018; 39(19): 1726-35a <strong>20</strong> Alber HF, Huber K: Changes and innovations of the 2017 ESC guidelines on dual antiplatelet therapy in coronary artery disease-a review. Wien Klin Wochenschr 2018; 130(23-24): 694-7 <strong>21</strong> Dewilde WJ et al.: Use of clopidogrel with or without aspirin in patients taking oral anticoagulant therapy and undergoing percutaneous coronary intervention: an open-label, randomised, controlled trial. Lancet 2013; 381(9872): 1107-15 <strong>22</strong> Gibson CM et al.: An open-label, randomized, controlled, multicenter study exploring two treatment strategies of rivaroxaban and a dose-adjusted oral vitamin K antagonist treatment strategy in subjects with atrial fibrillation who undergo percutaneous coronary intervention (PIONEER AF-PCI). Am Heart J 2015; 169(4): 472-8.e5 <strong>23</strong> Cannon CP et al.: Dual antithrombotic therapy with dabigatran after PCI in atrial fibrillation. N Engl J Med 2017; 377(16): 1513-24 <strong>24</strong> Jukema JW et al.: The mortality benefit seen with the newer more potent oral P2Y12 inhibitors prasugrel and ticagrelor over clopidogrel is dependent on the underlying risk: a class effect as suggested by a metaregression analysis. Cor et Vasa 2018; 60: e127-32 <strong>25</strong> Angiolillo DJ et al.: Antithrombotic therapy in patients with atrial fibrillation treated with oral anticoagulation undergoing percutaneous coronary intervention. A North American Perspective–2018 Update. Circulation 2018; 138: 527-36 <strong>26</strong> Lopes RD et al.; AUGUSTUS Investigators. Antithrombotic therapy after acute coronary syndrome or PCI in atrial fibrillation. N Engl J Med 2019 Mar 17. doi: 10.1056/ NEJMoa1817083. [Epub ahead of print] <strong>27</strong> Alber HF, Huber K: Changes and innovations of the 2017 ESC guidelines on dual antiplatelet therapy in coronary artery disease—a review. Wien Klin Wochenschr 2018; 130(23-24): 694-7</p>
</div>
</p>