Rhythmusstörungen: „Wearables“ im Spannungsfeld von Angst und Sicherheit
Autorin:
Dr. Evelyn Kunschitz
Leiterin des Schwerpunkts Psychokardiologie
2. Medizinische Abteilung
Hanusch-Krankenhaus, Wien
E-Mail: evelyn.kunschitz@oegk.at
„Wearables“ bzw. „wearable devices“ (tragbare Geräte), die in der Kardiologie eingesetzt werden, bringen den meisten Patient:innen sowie auch ihren Behandler:innen Sicherheit. Sie versprechen, wichtige Informationen immer im Blick zu haben, den Körper besser kennenzulernen und ein ultimatives Tool für ein gesundes Leben zu sein. Aber halten sie auch, was sie versprechen?
Keypoints
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Es ist wichtig, die Bandbreite von Reaktionen und Persönlichkeiten bei Patient:innen und Ärzt:innen zu berücksichtigen.
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Nicht alle Körpersensationen können in Zahlen und Bilder übersetzt werden.
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Ängste, die nicht durch Rhythmusstörungen ausgelöst werden, sollten ernst genommen werden, jedoch kann es latente hypochondrische Anteile verstärken.
Für die Diagnostik von Rhythmusstörungen sind sog. „Wearables“ wertvoll. In diesem Fall können sie früh hilfreiche diagnostische Ergebnisse bringen, Fehldiagnosen und lange Krankheitsdauern effektiv verhindern und zu einer zeitgerechten Therapie verhelfen.
Auswirkung auf Verhalten & Psyche
Ein Teil der Benützer:innen entwickelt jedoch verhaltensbezogene Störungen bei der Benutzung eines „Wearables“, die sich in Unsicherheiten, Ängsten sowie in zwanghafter Selbstbeobachtung äußern können und die Lebensqualität mindern. Trotz zunehmender Inanspruchnahme gibt es sehr wenige Studien, die den Zusammenhang zwischen der Nutzung von EKG-„Wearables“ und psychischen Störungen untersuchen. Es finden sich hauptsächlich individuelle Erfahrungsberichte in Chats und sozialen Medien von Nutzer:innen, die über ihre persönlichen Erlebnisse mit EKG-„Wearables“ und deren Auswirkungen auf ihre psychische Gesundheit sprechen.
Zusätzlich finden sich noch theoretische Überlegungen über langfristige psychische Auswirkungen der ständigen Überwachung auf Nutzer:innen, wie etwa die Entwicklung von Krankheitsängsten oder die positive Gewöhnung an die Überwachung. Die Software Advice 2023 Consumer Wearables Survey der USA untersuchte 876 Patient:innen, die in den letzten zwei Jahren tragbare Gesundheitstracker wie Apple Watch oder Fitbit benutzten und damit zu ihren Ärzt:innen gingen. Die überwiegende Mehrheit der Patient:innen möchte eine aktive und selbstbestimmte Rolle in ihrer Gesundheit oder beim Management ihrer chronischen Erkrankung einnehmen. Die meisten bevorzugen die persönliche Besprechung ihrer Daten in den Sprechstunden bzw. erwarten sich auf elektronisch übermittelte EKG-Aufzeichnungen eine rasche Antwort (Abb. 1–3).
Abb. 1: Patient:innenumfrage zum Teilen der Gesundheitsdaten mit Ärzten (modifiziert nach Software Advice 2023 Consumer Wearables Survey)
Abb. 2: Patient:innenumfrage zur bevorzugten Methodik, Gesundheitsdaten mit Ärzten teilen zu können (modifiziert nach Software Advice 2023 Consumer Wearables Survey)
Abb. 3: Patient:innenumfrage zur Datenübermittlung von privaten „Wearables“ an Ärzte (modifiziert nach Software Advice 2023 Consumer Wearables Survey)
Über 60% der Nutzer:innen zweifeln jedoch an der Datensicherheit. Sie möchten die ursprünglichen Daten lieber privat speichern. Um „Wearables“ sicher benützen zu können, braucht es ein gewisses Maß an Technikaffinität, d.h. eine positive Einstellung, Vertrauen und Begeisterung für die Methode und Technikaffinität als persönliche Grundeinstellung.1 Kognitive Selbstwahrnehmungen und positive Affekte gegenüber technischen Geräten hängen mit einer allgemein positiven Selbstwirksamkeitserwartung, Intelligenz und einer höheren Performanz im Umgang mit Alltagstechnik zusammen. Negative Affekte zeigen Personen mit niedriger allgemeiner Selbstwirksamkeitserwartung, ausgeprägter externer Kontrollüberzeugung, geringerer Intelligenz und geringerer Fähigkeit im Umgang mit Alltagsgeräten.2 Weniger Akzeptanz findet man bei älteren Patient:innen und älteren Ärzt:innen.3
Was passiert, wenn „Wearables“ das Leben dominieren?
Anfänglich können sich Unsicherheiten zu Angst- und Panikgefühlen entwickeln, v.a. bei Meldungen außerhalb der Norm. Daher kommt es zu häufigeren Arztkontakten oder auch häufigeren Ambulanzbesuchen. Zwanghaftes Beobachten der Daten bestimmt dann den Alltag.
Das Entwickeln einer Scheinsicherheit kann dazu führen,sich nicht mehr auf das eigene körperliche Erleben und die Interpretation von Körpersymptomen zu verlassen. Das führt wiederum zu Abhängigkeit und Ängsten vor Kontrollverlust und zu einer Externalisierung von Verantwortung. So sinnvoll der Einsatz von tragbaren EKG-Geräten auch ist: Smartwatches können bei Patient:innen mit Vorhofflimmern zu vermehrten Krankheitsängsten führen.4 Daher ist es notwendig, im Vorfeld Angsterkrankungen zu diagnostizieren, um nicht unnötig ein maladaptives Krankheitsverhalten zu verstärken.5
Unerkannte Krankheitsängste können bis zur Cyberchondria-Hypochondrie führen (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders [DSM] 5: „somatic symptom disorder, illness anxiety disorder“), was sich als ständiges Suchen nach einer Diagnose äußern kann.6 Es drängt sich eine kritische Frage auf: Ist die technische Überforderung die neue Normalität? Das Paradigma „forever young“ erfordert eine permanente Anpassungsleistung bis ins hohe Alter. Ständige Leistungssteigerung und Selbstverbesserung werden als notwendig erachtet, um mithalten zu können.
Die laufende Selbstmessung äußert sich dadurch als Spannungsfeld mit stabilisierenden Effekten wie Selbsterkenntnis, Empowerment, Achtsamkeit, jedoch auch mit destabilisierenden Effekten wie dem Anhalten an Optimierungszwängen und der neoliberalen Logik der Effizienzsteigerung (Tab. 1).7
Tab. 1: Benefits und Risiken des Screenings auf Vorhofflimmern (nach Hindricks G et al. 2021)7
Literatur:
1 Karrer K et al.: Technikaffinität erfassen – der Fragebogen TA-EG. In: Tagungsband 8. Berliner Werkstatt Mensch-Maschine-Systeme. Zentrum Mensch-Maschine-Systeme (Hrsg.). 2009. 194-9 2 Hahnel C, Stemmann J: Entwicklung eines Fragebogens zur ökonomischen Erfassung technikbezogener Einstellungen und Selbstwahrnehmung. Diagnostica 2023; 70(2): 65-76 3 Nerminathan A et al.: Doctors’ use of mobile devices in the clinical setting: a mixed methods study. Intern Med J 2017; 47(3): 291-8 4 Rosman L et al.: When smartwatches contribute to health anxiety in patients with atrial fibrillation. Cardiovasc Digit Health J 2020; 1(1): 9-10 5 Grupe D, Nitschke J: Uncertainty and anticipation in anxiety. Nat Rev Neurosci 2013; 14(7): 488-501 6 Nadeem F et al.: Relationship between health-anxiety and cyberchondria: role of metacognitive beliefs. J Clin Med 2022; 11(9): 2590 7 Hindricks G et al.: 2020 ESC Guidelines for the diagnosis and management of atrial fibrillation developed in collaboration with the European Association for Cardio-Thoracic Surgery (EACTS): the Task Force for the diagnosis and management of atrial fibrillation of the European Society of Cardiology (ESC) developed with the special contribution of the European Heart Rhythm Association (EHRA) of the ESC. Eur Heart J 2021; 42(5): 373-498
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