Die medizinische Zukunft des Long-Covid-Syndroms
Autorinnen:
Dr. Emilie Han
Prof. Dr. Mariann Gyöngyösi
Universitätsklinik für Innere Medizin II
Abteilung für Kardiologie
Medizinische Universität Wien
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Im Mai 2023 erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Covid-19-Pandemie für beendet. Die Fragen, die weiterhin offen bleiben: Wie wird das Management von Long-Covid-Patient:innen in näherer und fernerer Zukunft aussehen? Und sind die noch andauernden Symptome langfristig gesehen reversibel oder irreversibel?
Keypoints
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Bleibende Organschäden nach einer Covid-19-Infektion sind möglich, sie kommen im kardiovaskulären, pulmologischen und zerebrovaskulären System häufig vor.
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Die Beschwerden von Long-Covid-Patient:innen ohne nachweisbare Organbeteiligung bessern sich oftmals mit der Zeit.
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Mit einer sinkenden Rate von Neuinfektionensinkt künftig wahrscheinlich auch die Zahl der neuen Long-Covid-Patient:innen.
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Dennoch bleibt die derzeitige große und noch wachsende Anzahl an Long-Covid-Patient:innen bestehen, die weiterhin ärztliche Versorgung benötigen.
Im März 2023 stellte die österreichischeKommission der„GesamtstaatlichenCOVID-Krisenkoordination“ (GECKO)ihre Arbeit ein, da sich nach mittlerweile drei Jahren der Covid-19-Pandemie die allgemeine Situation stabilisiert hatte.1 Die Covid-19-Impfstoffe werden aufgrund ihrer nachgewiesenen Effektivität weiterhinempfohlen. Die Meldepflicht läuft aus, aber ein Monitoring von SARS-CoV-2 soll für die Krankheitsprävention fortgeführt werden. Auch die WHO verkündete in einem Statement am 5.Mai 2023, dass Covid-19 mittlerweile ein zwar anhaltendes, aber etabliertes Gesundheitsproblem darstellt, das nicht mehr das Ausmaß einer internationalen Public-Health-Krise hat.2 Die sinkenden Zahlen zur Inzidenz von Covid-19-Erkrankungen sind ebenfalls erfreulich. Allerdings verbleiben viele Menschen postCovid als „long hauler“ mit andauernden Symptomen.
Dieses Krankheitsbild wird LongCovid genannt und ist eine Multiorganerkrankung, die nach einer akuten Covid-19-Erkrankung bei circa 10% der Genesenen auftritt.3 Man spricht von einem Long-Covid-Syndrom, wenn die Symptome nach dem Abklingen der akuten Infektion nach 12 Wochen weiterhin Beschwerden verursachen. Auch neu auftretende Symptome, die 4 Wochen nach anscheinender Genesung auftreten und sich oftmals von den Symptomen während der akuten Erkrankung unterscheiden, können auf LongCovid hinweisen. Die Beschwerden können monate- bis jahrelangandauern und Long-Covid-Patient:innen sind meist täglich von ihnen betroffen.3 Zu den häufig beschriebenen Symptomen gehören Fatigue, Dyspnoe, Palpitationen, Tachykardien, Brustschmerzen, Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen, Geruchsstörungen, orthostatische Dysregulation und Muskelschmerzen (Abb. 1).4 Die Diagnose erfolgt nach Ausschluss anderer organischer Differenzialdiagnosen, die ähnliche Symptome verursachen könnten.
Abb. 1: Übersicht über häufige langandauernde Symptome bei LongCovid
Bei einem Teil der Betroffenen besserten sich die Long-Covid-Symptome mit der Zeit. Die Prävalenz für mindestens ein Symptom sank von 68% auf 49% zwischen 6 und 12 Monaten nach der Covid-Erkrankung.5 Die Langzeitfolgen, die bis zu mehrere Jahre nach der akuten Covid-19-Infektion anhalten können, betreffen eine Vielzahl von Organsystemen. Das kardiovaskuläre, pulmonale, gastrointestinale, neurologische und psychosoziale Risiko und die Inzidenz von kardiovaskulären Risikofaktoren (wie Hypertonie, Hyperlipidämie und Diabetes) bei Long-Covid-Patient:innen werden in den folgenden Abschnitten näher erläutert.
Kardiovaskuläre Langzeitfolgen
Tab. 1, Teil 1: Risiko und 12-Monats-Inzidenz von kardiovaskulären Ereignissen bei Long-Covid-Patient:innen im Vergleich zu Patient:innen der Kontrollgruppe (nach Xie Y et al. 2022)7
Tab. 1, Teil 2: Risiko und 12-Monats-Inzidenz von kardiovaskulären Ereignissen bei Long-Covid-Patient:innen im Vergleich zu Patient:innen der Kontrollgruppe (nach Xie Y et al. 2022)7
Mögliche Pathomechanismen für LongCovid mit kardiovaskulärer Symptomatik sind die zelluläre Dysregulation des Immunsystems nach einer Covid-19-Infektion, Störungen im Gerinnungssystem und Vaskulopathien, eine Persistenz von SARS-CoV-2-Virus-Partikeln in kardiovaskulären oder anderen Organen oder genetische bzw. epigenetische Faktoren bei erkrankten Personen.6 In einer großen Studie aus einer Datenbank von US-Veteranen in den Vereinigten Staaten wurden die langfristigen kardiovaskulären Ereignisse festgehalten, analysiert und mit Kontrollgruppen verglichen.7 Insgesamt wurden über 150000 Personen in der Gruppe der Post-Covid-Kohorte inkludiert. Davon hatten 86% der Covid-19-Erkrankten eine milde Erkrankung durchgemacht, bei der sie nicht hospitalisiert worden waren (n=131612), 11% waren hospitalisiert worden (n=16760), während 3% intensivmedizinische Versorgung benötigt hatten (n=5388). Die mittlere Nachbeobachtungszeit betrug für sowohl die Post-Covid-Studiengruppe als auch für die historische und gegenwärtige Kontrollgruppe ein Jahr. Patienten der Post-Covid-Kohorte hatten im Vergleich zur Kontrollgruppe ein höheres Risiko für die Entwicklung einer bleibenden Herz-Kreislauf-Schädigung nach 12 Monaten (Tab. 1).7 Das erhöhte Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse war unabhängig vom Alter, von der Hautfarbe, dem Geschlecht und anderen kardiovaskulären Risikofaktoren wie Übergewicht, Hypertonie, Diabetes, chronischer Niereninsuffizienz oder Hyperlipidämie. Dieses erhöhte Risiko war auch bei Patient:innen zu beobachten, die vor der Covid-Infektion keine kardiovaskulären Vorerkrankungen aufgewiesen hatten oder bei denendie akute Covid-Erkrankung einen milden Verlauf hatte.7 Auch in einer weiteren Studie mit 346 Probanden, die einer Magnetresonanztomografie des Herzens unterzogen wurden, wurde festgestellt, dass LongCovid nicht nur bei Personen mit einem schweren akuten Infektionsverlauf auftritt: Nach einem leichten Verlauf zeigte sich in einer Studie mit 346 Teilnehmer:innen, dass 73% an kardialen Symptomen wie belastungsabhängiger Dyspnoe, Palpitationen und atypischen Brustschmerzen litten.8 Long-Covid-Patient:innen hatten signifikant häufiger einen Perikarderguss und eine reduzierte Links- und Rechtsventrikelfunktion im Vergleich zu gesunden Kontrollen.8
Neurologische Langzeitfolgen
In einer Metaanalyse mit über 10000 inkludierten Patient:innen konnte eine Persistenz von neurologischen und neuropsychiatrischen Folgen nach über sechs Monaten festgestellt werden.9 Die Häufigkeit der einzelnen Symptome, wie z.B. Angststörungen, „brain fog“, Fatigue, Insomnie, Kopfschmerzen, nahmen im Laufe der Zeit eher zu, wenn zwischen den Zeiträumen 3–6 Monate und mehr als 6 Monate nach Covid-19-Infektion verglichen wurde.9
Pulmologische Langzeitfolgen
Eine weitere prospektive Studie untersuchte verbleibende Lungenpathologien 6Monate nach der akuten Covid-Infektion. Von den 116 inkludierten Patient:innen, die weitere pulmologische Tests absolvierten und Fragebögen ausfüllten, gab die Hälfte an, noch weiter unter Symptomen zu leiden. Die häufigsten radiologischen Befunde bei Patient:innen mit LongCovid waren Atelektasen, Milchglastrübungen in der Lunge und Fibrose, wobei diese organischen Erkrankungen selten (bei ca.10%) zu finden waren. Tatsächlich hatte ein viel größerer Anteil an Patient:innen mit Long-Covid-Symptomen normale Untersuchungsergebnissen in Lungenröntgen, Lungenfunktion oder Computertomografie, klagte aber weiterhin über Dyspnoe und Husten.10
Gastrointestinale Langzeitfolgen
Praxistipp
Um die Diagnose Long Covid zu stellen, sind eine ausgiebige Anamnese und verschiedene Untersuchungsmodalitäten in multidisziplinärer Zusammenarbeit (in spezialisierten Long-Covid-Ambulanzen) erforderlich, unter anderem um andere mögliche organische Ursachen für die Beschwerden auszuschließen.Symptomatische Long-Covid-Patient:innen zeigten ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von verschiedenen gastrointestinalen Störungen ein Jahr nach Infektion, wie z.B. Motilitätsstörungen, Dyspepsie, chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, akuter Pankreatitis sowie Leber- und Gallenwegserkrankungen.11 Außerdembesteht die Hypothese, dass gewisse neurologische Symptome durch Veränderungen der Mikrobiom-Darm-Hirn-Achse bedingt sind, die durch neuroimmunologische, neuroendokrine oder direkte Wege der Neuroinvasion im Darm (z.B. Vagusnerv) entstehen könnten.12
Erhöhte Inzidenz von kardiovaskulären Risikofaktoren
In einer systematischen Literaturanalyse wurde anhand der konsolidierten Studien eine Tendenz zu höheren systolischen und diastolischen Blutdruckwerten sowie höheren Nüchternblutglukosewerten und mehr Dyslipidämien bei Proband:innen nach Covid-19 festgestellt.13
Literatur:
1 Gesamtstaatliche Covid-19-Krisenkoordination: Executive Report der GECKO-Sitzung vom 21. März 2023 2 World Health Organization: Statement on the fifteenth meeting of the IHR (2005) emergency committee on the Covid-19 pandemic. https://www.who.int/news/item/05-05-2023-statement-on-the-fifteenth-meeting-of-the-international-health-regulations-(2005)-emergency-committee-regarding-the-coronavirus-disease-(covid-19)-pandemic ; zuletzt aufgerufen am 29.6.20233 Tran VT et al.: Course of post Covid-19 disease symptoms over time in the ComPaRe long Covid prospectivee-cohort. NatCommun 2022; 13(1): 1812 4 Hayes LD et al.: More than 100 persistent symptoms of SARS-CoV-2 (Long Covid): A scoping review. Front Med 2021; 8: 750378 5 Huang L et al.: 1-year outcomes in hospital survivors with Covid-19: A longitudinal cohort study. Lancet 2021; 398(10302): 747-58 6 Gyöngyösi M et al.: Long Covid and the cardiovascular system-elucidating causes and cellular mechanisms in order to develop targeted diagnostic and therapeutic strategies: A joint scientific statement of the ESC working groups on cellular biology of the heart and myocardial and pericardial diseases. Cardiovasc Res 2023; 119(2): 336-56 7 Xie Y et al.: Long-term cardiovascular outcomes of Covid-19. Nat Med 2022; 28(3): 583-90 8 Puntmann VO et al.: Long-term cardiac pathology in individuals with mild initial Covid-19 illness. Nat Med 2022; 28(10): 2117-23 9 Premraj L et al.: Mid and long-term neurological and neuropsychiatric manifestations of post-Covid-19 syndrome: A meta-analysis. J Neurol Sci 2022; 434: 120162 10 Tuncer G et al.: Long-term effects of Covid-19 on lungs and the clinical relevance: a 6-month prospective cohort study. Future Microbiol 2023; 18: 185-98 11 Xu E et al.: Long-term gastrointestinal outcomes of Covid-19. Nat Commun 2023; 14(1): 983 12 Vakili K et al.: The contribution of gut-brain axis to development of neurological symptoms in Covid-19 recovered patients: A hypothesis and review of literature. Front Cell Infect Microbiol 2022; 12: 983089 13 Wrona M, Skrypnik D: New-onset diabetes mellitus, hypertension, dyslipidaemia as sequelae of Covid-19 infection—systematic review. Int J Environ Res Public Health 2022; 19(20): 13280
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