
Therapie des Lymphödems
Autor:
Dr. Dr. Michael Arvanitakis
Facharzt für plastische, rekonstruktive und ästhetische Chirurgie
Wahlarztordination Perg
E-Mail: ordination@arvanitakis.at
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Bei der Genese des Lymphödems wird zwischen primärer und sekundärer Genese unterschieden. Derzeit werden meist nur konservative und rein symptomorientierte Therapien durchgeführt. Doch auch chirurgische Lösungen sind möglich. In diesem Artikel stellt der Autor das nach ihm benannte Arvanitakis-Konzept vor, das auch die lymphovenöse Anastomose (LVA) beinhaltet.
Epidemiologie
Das Lymphödem ist eine komplexe Erkrankung, die nach wie vor häufig nicht oder erst sehr spät diagnostiziert wird. Weltweit sind Schätzungen zufolge 140–250 Millionen Menschen betroffen, wovon ca. 10 Millionen durch eine vorangegangene Operation erkranken. In Österreich geht man von etwa 30000 Lymphödempatient:innen aus. Frauen sind 4- bis 6-mal häufiger betroffen als Männer, die überwiegende Zahl der Patientinnen in Europa entwickelt ein Lymphödem in Zusammenhang mit einer Brustkrebserkrankung. Insgesamt wird davon ausgegangen, dass 20% der Brustkrebspatientinnen ein Lymphödem in unterschiedlichen Ausprägungen entwickeln. Ein relevanter Bezug zur Entstehung eines Lymphödems besteht auch für Prostatakarzinome sowie für Karzinome der Gebärmutter. Die Inzidenz des Lymphödems an den unteren Extremitäten nach Tumoroperationen im Becken beträgt bis zu 47%.
Pathophysiologie
Es wird zwischen primärem und sekundärem Lymphödem unterschieden, wobei in Europa sekundäre Lymphödeme deutlich häufiger auftreten. Die Entstehung des Lymphödems ist, unabhängig davon, ob es sich um ein primäres oder sekundäres Lymphödem handelt, charakterisiert durch chronische Inflammation, reduzierte Immunkompetenz und Ansammlung von Lymphflüssigkeit im Gewebe mit konsekutiver Proteinablagerung sowie sekundärer Fettablagerung und Fibrosierung. Dementsprechend werden vier Stadien (Stadium 0–III, Stadieneinteilung siehe Tab. 1) unterschieden.
Ursachen und Risikofaktoren
Beim primären Lymphödem liegt eine angeborene Störung der Lymphbahnen vor. Dies kann sowohl ein quantitatives (zu wenige Lymphbahnen/-knoten) als auch ein qualitatives Problem (verhärtete/verengte Lymphbahnen) sein. Meist können die bei Geburt vorhandenen und funktionierenden Lymphbahnen die eingeschränkte Funktion vorerst noch kompensieren, das Lymphödem tritt erst während des Wachstums/der Pubertät oder zusätzlicher Verletzung auf.
Das sekundäre Lymphödem entsteht, wie bereits eingangs erwähnt, in den meisten Fällen durch eine iatrogene Verletzung der Lymphbahnen oder -knoten im Zuge einer onkologischen Operation. Bei höherem Tumorstadium und je nach Notwendigkeit einer adjuvanten Radiotherapie erhöht sich das Risiko für das Auftreten eines Lymphödems zusätzlich. Weitere Risikofaktoren sind ein erhöhter BMI sowie Nikotinkonsum.
Diagnostik
In den meisten Fällen kann die Diagnose eines Lymphödems durch eine gezielte Anamneseerhebung in Kombination mit der klinischen Untersuchung gestellt werden. Bei der Anamnese muss auf spezifische Symptome, Krankheitsverlauf und Risikofaktoren (z.B. vorausgegangene Operationen, Krebserkrankungen, Bestrahlungen oder Verletzungen) geachtet werden. Bei der klinischen Untersuchung ist auf typische Merkmale des Lymphödems, wie asymmetrische Schwellungen und die „Stemmer-Zeichen“ (eine Verdickung der Haut an den Zehen oder Fingern), zu achten. Apparative Untersuchungen zur Diagnose sind nur selten notwendig. Die Lymphszintigrafie gilt hierbei als der Goldstandard und wird zur Diagnosesicherung einerseits und als Quantifizierung des Ausprägungsgrades andererseits eingesetzt. Die ICG-Diagnostik ist ein bildgebendes Verfahren, bei dem ein fluoreszierender Farbstoff, das Indocyaningrün (ICG), verwendet wird. Die moderne Lymphchirurgie stützt sich maßgeblich auf dieses Verfahren, um die Diagnose zu bestätigen, die präoperative Planung akkurat durchzuführen, intraoperativ die Lymphbahnen zu detektieren und auch postoperativ den Erfolg der operativen Therapie zu überwachen.
Therapeutische Lücke
Bisher gilt das Lymphödem als chronische Erkrankung, für die es keine Heilung gibt. Die Empfehlungen von Ärzt:innen beschränken sich meist auf konservative und rein symptomorientierte Therapien.
Therapiemöglichkeiten
Komplexe physikalische Entstauungstherapie (KPE)
Die Behandlung des Lymphödems ist meist durch eine lebenslange komplexe physikalische Entstauungstherapie (KPE) dominiert. Hierbei handelt es sich um eine ausschließlich symptomatische Therapie. Durch die KPE soll ein möglichst ödemfreier Zustand bzw. sogar eine Verbesserung des Stadiums erreicht werden. Die KPE umfasst die Hautpflege und, falls erforderlich, Hautsanierung, manuelle Lymphdrainage, konsequente Kompressionstherapie und/oder lymphologische Kompressionsstrumpfversorgung sowie eine entstauungsfördernde Sport-/Bewegungstherapie.
Operative Therapien
Moderne supermikrochirurgische Verfahren haben die Rekonstruktion der Lymphabflusswege zum Ziel. Die bedeutendste operative Technik ist die lymphovenöse Anastomose (LVA). Erwähnenswert ist auch die vaskularisierte Lymphknotentransplantation (VLKT), diese Technik ist reserviert für Patient:innen, bei denen eine LVA erfolglos geblieben ist. Weiters kann die VLKT eingesetzt werden für jene Fälle, die nicht durch eine LVA behandelt werden können, wie beispielsweise Patient:innen in sehr fortgeschrittenen Stadien oder wenn keine adäquaten/auffindbaren Lymphbahnen vorhanden sind. Das erklärte Ziel der modernen Lymphchirurgie ist die ursächliche Behandlung des Lymphödems. Daraus resultiert nicht nur eine Verbesserung der Lebensqualität, sondern auch eine langfristige Reduktion der Behandlungskosten.
Lymphovenöse Anastomose (LVA)
Bei diesem Verfahren werden die oberflächlichen Lymphgefäße direkt an die Venen anastomosiert (Abb.2). So können gestörte Lymphabflusswege umgangen werden, und die Lymphe kann direkt in das venöse System abfließen. Der operative Zugang erfolgt über kleine (2 bis 3cm), oberflächliche Inzisionen. Zur Anlage der Anastomosen müssen supermikrochirurgische Techniken (Durchmesser der Lymphgefäße <0,5mm) angewandt werden.
Vaskularisierte Lymphknotentransplantation (VLKT)
Hierbei werden mehrere Lymphknoten oder Lymphgewebe mit Haut- und Fettgewebe aus einem gesunden Körperareal mit einem eigenen Blutgefäßsystem entnommen. Anschließend wird das Gewebe mittels mikrochirurgischer Techniken in die erkrankte Extremität transplantiert. Das Funktionsprinzip kann durch die Neubildung und Einsprießung von Lymphgefäßen (Lymphangiogenese) erklärt werden. Weiters fungiert das transplantierte Gewebe als eine Art Schwamm, welcher die überschüssige Lymphflüssigkeit aus dem Interstitium aufnehmen kann und in den Blutkreislauf einspeist. Plakativ kann dieses Prinzip auch als Saug-pump-Mechanismus erklärt werden.
Das Arvanitakis-Konzept
Damit die moderne Lymphchirurgie bestmögliche Erfolge erbringen kann, muss sie hochqualitativ und effizient eingesetzt werden. Dafür benötigt es ein strukturiertes Konzept.
Das Arvanitakis-Konzept beginnt bei der strukturierten Diagnostik: Die klinisch gestellte Lymphödemdiagnose wird standardmäßig mit einer Lymphszintigrafie bestätigt und quantifiziert. Anschließend wird eine leitliniengerechte KPE etabliert und für mindestens 6 Monate konsequent durchgeführt. Sind die Patient:innen dadurch nicht beschwerdefrei oder kommt es unter optimaler konservativer Therapie zur Progredienz der Erkrankung, ist ein chirurgisches Vorgehen indiziert. Bei der präoperativen Konsultation wird das Lymphödem standardisiert dokumentiert und die aktuelle Lebensqualität sowie Beschwerden der betroffenen Person werden erfasst. Außerdem wird eine ICG-Untersuchung durchgeführt, bei der die Eignung für ein lymphchirurgisches Vorgehen geprüft und die technische Durchführung geplant wird. Danach können die Erfolgschancen valide abgeschätzt werden. Diese liegen meiner Erfahrung nach bei über 96%. Das chirurgische Verfahren der Wahl ist die lymphovenöse Anastomose (LVA). Hierfür sind supramikrochirurgische Techniken, durchgeführt von erfahrenen Mikrochirurgen, die speziell für „Supramikrochirurgie“ (=Anastomosieren von Gefäßen mit kleinerem Innendurchmesser als 0,5mm) ausgebildet sind, unabdingbar. Die chirurgische Assistenz und die OP-Instrumentar:innen müssen ebenfalls speziell ausgebildet und eingeschult sein. Wir führen die LVA-Operationen in einem ambulanten Setting durch (Abb.1). Dies ist für die Patient:innen sicherer und angenehmer und für unser Gesundheitssystem deutlich kosteneffizienter. Die strukturierte Nachbehandlung erfolgt in der Ordination und wird in definierten Zeitabständen für insgesamt ein Jahr durchgeführt. Dabei werden die gleichen Parameter erhoben wie präoperativ. Um die Datenqualität spezifischer und qualitätsvoller betreffend die Auswirkungen der LVA zu gestalten, wird postoperativ keine supportive Therapie begonnen, die nicht auch präoperativ (mindestens 6 Monate vor dem Eingriff) etabliert war. Die LVA wird als alleinige Therapie bis zum Stadium II eingesetzt. Ab dem Stadium III kann es sinnvoll sein, die LVA-Operation mit einer Liposuktion zu kombinieren. Falls eine LVA nicht durchführbar ist, oder nicht den gewünschten Erfolg gebracht hat, kommt das Verfahren der vaskularisierten Lymphknotentransplantation (VLKT) zum Einsatz.
Fallvorstellung
Vorstellig wurde Ende 2022 eine 69-jährige Patientin mit Schwellung, Schmerzen und Parästhesien an der rechten oberen Extremität. 2004 war bei Frau A. eine Quadrantektomie der rechten Mamma inklusive Axillendissektion rechts durchgeführt worden. Anschließend hatte die Patientin eine adjuvante Radio-/Chemotherapie erhalten. Ein Jahr nach dem Eingriff bemerkte die Patientin erstmals eine zunehmende Schwellung der rechten oberen Extremität. In der behandelnden Klinik wurde die Diagnose eines Lymphödems gestellt und eine komplexe physikalische Entstauungstherapie eingeleitet. Die angepasste Kompressionsbekleidung wurde von Frau A. sowohl tagsüber als auch nachts konsequent getragen, eine Anpassung erfolgte einmal jährlich. Zusätzlich organisierte sich die Patientin selbstständig regelmäßige Lymphdrainagen der oberen Extremität.
Trotz dieser Maßnahmen berichtete Frau A. von rezidivierend auftretenden Erysipelen (bis 3x jährlich) an der betroffenen Extremität, die eine mehrfache intravenöse antibiotische Therapie notwendig machten. Onkologisch erwiesen sich laut Patientin alle Nachsorgeuntersuchungen bisher als unauffällig.
In der bereits auswärtig angefertigten Lymphszintigrafie zeigte sich eindeutig das Vorliegen eines sekundären Armlymphödems rechts. Auch bei der in meiner Ordination durchgeführten dynamischen Lymphangiografie (ICG) zeigte sich ein Armlymphödem in Stadium II und es konnten gleichzeitig mehrere für eine Operation geeignete Lymphgefäße dargestellt werden. Nach Abklärung der venösen Situation und ausführlicher Aufklärung konnte die Patientin schließlich im Juni 2023 der notwendigen Operation unterzogen werden. Während der dreistündigen Operation wurden zwei lymphovenöse Anastomosen am Unterarm der Patientin angelegt und die Funktion der Anastomosen mittels ICG-Technik überprüft. Unmittelbar nach dem Eingriff wurde neuerlich ein Kompressionssystem angepasst, welches die Patientin für zwei Wochen tragen sollte.
Ergebnis
Bereits zwei Wochen nach dem Eingriff zeigte sich eine deutliche Reduktion der Zirkumferenz sowohl am Unter- als auch am Oberarm um durchschnittlich 2cm. Ein Jahr nach der Operation konnte eine weitere Reduktion von insgesamt durchschnittlich 4cm erreicht werden (Abb. 3). Die wichtigste Verbesserung zeigte sich jedoch in einer deutlich gebesserten Lebensqualität mit Schmerzfreiheit, Rückgang der Schwellung und Verbesserung der Hautqualität.
Abb. 3: Bereits zwei Wochen nach dem Eingriff zeigte sich eine deutliche Reduktion der Zirkumferenz sowohl am Unter- als auch am Oberarm um durchschnittlich 2cm. Ein Jahr nach der Operation konnte eine weitere Reduktion auf insgesamt durchschnittlich 4cm erreicht werden
Literatur:
beim Verfasser
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