
Invasive Neuromodulation: letzte Option bei refraktärem Kopfschmerz
Bericht:
Reno Barth
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In Fällen chronischer, refraktärer Migräne oder beim refraktären Cluster-Kopfschmerz können invasive Methoden der Neuromodulation zum Einsatz kommen. Die beste Evidenz steht aktuell für die Stimulation des Nervus occipitalis (ONS) zur Verfügung. Die besten Ergebnisse wurden jedoch mit der Stimulation des Ganglion sphenopalatinum erzielt, für die derzeit allerdings kein Device kommerziell verfügbar ist.
Keypoints
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Stimulation des Nervus occipitalis ist die am besten untersuchte invasive Kopfschmerztherapie.
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Okzipitaler Kopfschmerz spricht – kontraintuitiv – schlecht auf Stimulation des Nervus occipitalis an.
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Für die Stimulation des Ganglion sphenopalatinum gibt es gute Daten, aber derzeit kein verfügbares Device.
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Als maximal invasive Therapie sollte die tiefe Hirnstimulation für besonders schwere und refraktäre Fälle reserviert bleiben.
Aktuell befinden sich drei invasive Neuromodulationsverfahren, für die auch Daten aus randomisierten, kontrollierten Studien vorliegen, in der Behandlung chronischer, primärer Kopfschmerzen im klinischen Einsatz, nämlich die Stimulation des Nervus occipitalis (ONS), die Stimulation des Ganglion sphenopalatinum sowie die tiefe Hirnstimulation in der Nähe des Hypothalamus. Hinzu kommen selten eingesetzte und auf schwächere Evidenz gestützte bzw. experimentelle Techniken wie die Stimulation von Trigeminusästen, des Nervus vagus oder des zervikalen Rückenmarks, erläutert Prof. Dr. Manjit Matharu vom University College London. Mit Okzipitalis-Stimulation wurden in der Indikation Kopfschmerz drei klinische Studien durchgeführt, von denen eine (PRISM) allerdings bislang nur als Abstract publiziert wurde. ONSTIM war eine Machbarkeitsstudie mit 66 Patient:innen mit chronischer, therapieresistenter Migräne, die bilaterale ONS mit variabler Stimulation sowohl mit ONS mit fixer Stimulation als auch mit medikamentöser Therapie verglich. Dabei wurde mit der variablen Stimulation bei 39% der Patient:innen Ansprechen erreicht – im Vergleich zu sechs Prozent mit Preset-Stimulation und null Prozent mit medikamentöser Therapie. Ansprechen war definiert durch eine Reduktion der monatlichen Kopfschmerztage um 50% oder eine Reduktion der Schmerzintensität um mindestens drei Punkte auf der Verbal Rating Scale (VRS). Die Zahl der monatlichen Kopfschmerztage wurde mit variabler Stimulation um durchschnittlich sieben Tage reduziert.1
Was zählt? Klinische Endpunkte stehen in Diskussion
In der multizentrischen, doppelblinden, kontrollierten St.-Jude-Medical-Studie war der primäre Endpunkt definiert durch eine Schmerzreduktion um mindestens 50% auf der Visual Analogue Scale. Diesen Endpunkt erreichten lediglich 17,1% der Proband:innen, insgesamt lag die Schmerzreduktion jedoch bei 42,1% und mehr als die Hälfte der Patient:innen waren mit dem Ergebnis zufrieden.2 Dass ungeachtet dieses Erfolgs der primäre Endpunkt verfehlt wurde, werfe die Frage auf, ob man in Studien nicht die falschen Parameter messe, so Matharu, der auch auf Daten der IMMPACT-Initiative hinweist, denen zufolge ab einer Schmerzreduktion von 30% eine signifikante Verbesserung der Lebensqualität zu erwarten ist.3 Hätte man den Endpunkt der St.-Jude-Medical-Studie als Schmerzreduktion um 30% definiert, so wäre der primäre Endpunkt erreicht worden, so Matharu. Nebenwirkungen waren häufig, aber in der Regel mild. Allerdings kam es bei 14% der Patient:innen zur Migration von Elektroden und 13,1% berichteten anhaltende Schmerzen oder Taubheit an der Implantationsstelle. Infektionen traten bei 3,7% der Studienpopulation auf. Matharu betont jedoch, dass sich im zeitlichen Verlauf der Studie eine deutliche Lernkurve zeigte und Patient:innen, die relativ spät implantiert wurden, weniger Komplikationen entwickelten.2
ONS auch bei seltenen Kopfschmerzformen effektiv
Matharu verweist auch auf eine Reihe von Fallberichten und Fallserien, die für die ONS Wirksamkeit beim Cluster-Kopfschmerz nahelegen. Kontrollierte Studien gibt es in dieser Indikation noch weniger als zur Migräne. Die ICON-Studie zeigte in einem Kollektiv von Patient:innen mit refraktärem Cluster-Kopfschmerz eine Reduktion der Attackenfrequenz. Obwohl nur etwas mehr als die Hälfte der Patient:innen eine Reduktion der Attacken um 30% erreichten, gaben 97% an, dass sie die ONS empfehlen würden. ICON verglich auch Stimulation mit 30 und 100% Intensität und fand hinsichtlich der Wirksamkeit keinen Unterschied zwischen den Dosierungen.4 Matharu berichtet auch von guten Erfahrungen an seinem Zentrum, die über die Monate nach der Implantation zunehmend bessere Resultate zeigen. Darüber hinaus bewegen sich die Komplikationsraten mittlerweile im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Fallserien zeigen, dass ONS auch beim kurz andauernden einseitigen neuralgiformen Kopfschmerz mit konjunktivaler Injektion und Tränenbildung (SUNCT) und bei kurz andauernden einseitigen neuralgiformen Kopfschmerzattacken (SUNA) wirksam ist. Die Chancen auf Ansprechen dürften bei diesen seltenen Kopfschmerzformen sogar deutlich höher sein als bei Migräne oder Cluster-Kopfschmerz.
Im Rahmen einer Analyse von 100 Fällen wurde versucht, prädiktive Faktoren für Ansprechen auf ONS zu identifizieren. Dabei zeigte sich unter anderem, dass okzipitaler Kopfschmerz kontraintuitiv als negativer Prädiktor für Ansprechen auf ONS gewertet werden muss. Dies müsse bei der Interpretation der Migränestudien bedacht werden, da in die St.-Jude-Medical-Studie bevorzugt Patient:innen mit okzipitalen Schmerzen eingeschlossen wurden. Ebenso erwiesen sich Angst und Depression als ungünstige Prädiktoren. Patient:innen mit Medikamentenübergebrauch sprachen hingegen gut auf ONS an. Auch ein gutes Ansprechen auf eine Okzipitalnervenblockade in der Anamnese lässt einen Therapieerfolg mit ONS erwarten.5
Sehr gute Erfolge wurden mit der Stimulation des Ganglion sphenopalatinum erreicht. Eine Studie in der Indikation Cluster-Kopfschmerz zeigte bei 71% der Patient:innen Ansprechen, wobei es sich bei 46% um akute Schmerzreduktion und bei 49% um eine Reduktion der Attackenfrequenz handelte.6 Bei 24% konnten sowohl akute Attacken erfolgreich behandelt als auch die Häufigkeit der Schmerzattacken reduziert werden, so Matharu. Leider ist das untersuchte Device derzeit nicht verfügbar. Matharu: „Nach meiner Erfahrung wurden mit der Stimulation des Ganglion sphenopalatinum bessere Erfolge erzielt als mit jeder anderen Neuromodulationstechnik. Wir hoffen auf ein Comeback der Methode.“
Tiefe Hirnstimulation: Mangelan einheitlichen Protokollen
Das invasivste Verfahren im Bereich der Neuromodulation ist die tiefe Hirnstimulation, zumeist in der Nähe des Hypothalamus. In der Literatur finden sich Berichte zu 112 Fällen von Cluster-Kopfschmerz, von denen 47 komplett schmerzfrei wurden und weitere 35 eine Verbesserung um mehr als die Hälfte angaben. Ein wesentliches Problem im Umgang mit diesen Daten liege jedoch darin, dass die verschiedenen Gruppen unterschiedliche Ziel-Loci stimulierten. Matharu betont, dass in keinem Fall direkt der Hypothalamus stimuliert wird und man vielmehr Strukturen wie den Nucleus ruber oder das ventrale Tegmentum anvisiere. Die Fallzahlen der verschiedenen Gruppen sind allerdings so klein, dass es nicht möglich ist, sinnvolle Vergleiche zu ziehen.7 Eine kontrollierte Studie wurde mit tiefer Hirnstimulation in der Indikation chronischer Cluster-Kopfschmerz durchgeführt. Von den lediglich elf Patienten wurden drei schmerzfrei. Allerdings bezeichnet Matharu das Design der Studie insofern als suboptimal als Intervention und Sham-Intervention in einem Cross-over-Design über lediglich einen Monat verglichen wurden. Dies sei problematisch, da die klinische Erfahrung zeige, dass sich die Wirksamkeit von Stimulationsverfahren über mehrere Monate kontinuierlich verbessere und ein Monat folglich eine viel zu kurze Beobachtungszeit sei. Am Ende der einjährigen offenen Studienphase hatten jedenfalls sechs Patient:innen eine Reduktion der Attackenfrequenz um mehr als 50% erreicht.8 Prädiktoren für ein Ansprechen auf die tiefe Hirnstimulation konnten nicht identifiziert werden.
Obwohl die tiefe Hirnstimulation in spezialisierten Zentren niedrige Komplikationsraten zeigt, ist die Methode doch so invasiv, dass sie für Patient:innen reserviert bleiben sollte, die zuvor auf Stimulation des Nervus occipitalis sowie – soweit verfügbar – auch auf Stimulation des Ganglion sphenopalatinum nicht angesprochen haben, erläutert Matharu. Generell sollen invasive Verfahren zur Neuromodulation nur bei primären Kopfschmerzformen mit gesicherter Diagnose zum Einsatz kommen. Die Schmerzen müssen chronischer Natur sein und dürfen nicht adäquat auf medikamentöse Therapien ansprechen.
Quelle:
EHC 2024, Session „Neuromodulation: sham or genuine?“, am 5. Dezember 2024 in Rotterdam
Literatur:
1 Saper JR et al.: Cephalalgia 2011; 31(3): 271-85 2 Silberstein SD et al.: Cephalalgia 2012; 32(16): 1165-79 3 Dworkin RH et al.: J Pain 2008; 9(2): 105-21 4 Wilbrink LA et al.: Lancet Neurol 2021; 20(7): 515-25 5 Miller S et al.: Cephalalgia 2018; 38(7): 1267-75 6 Goadsby PJ et al.: Lancet Neurol 2019; 18(12): 1081-90 7 Matharu MS, Zrinzo L: Curr Pain Headache Rep 2010; 14(2): 151-9 8 Fontaine D et al.: J Headache Pain 2010; 11(1): 23-31
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