Mit Demenz so gut wie möglich leben
Bericht:
Dr. Gabriele Senti
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Das Feld der Demenzerkrankungen ist ambivalent. Zum einen macht sich mittlerweile Ernüchterung breit ob der ausbleibenden Erfolge in der Erforschung neuer medikamentöser Therapieoptionen. Zum anderen gab es in den letzten Jahren jedoch beachtliche Fortschritte auf dem Gebiet der Diagnostik. Auch die Charakterisierung von Risikofaktoren ist nunmehr stark in den Vordergrund getreten.
Demenzerkrankungen zählen zu jenen Themen, die disziplinenübergreifend sowohl in der Neurologie als auch in der Psychiatrie ihren Platz gefunden haben. Bei der Behandlung der Alzheimerdemenz (AD) beschränken sich die derzeit verfügbaren medikamentösen Therapieoptionen auf Acetylcholinesterase-Inhibitoren (AchE-I; Donepezil, Rivastigmin und Galantamin) und Memantin (ein N-Methyl-D-Aspartat- [NMDA]-Rezeptor-Antagonist). Donepezil erhielt als erster AchE-I 1997 die Zulassung, Memantin 2002.
Auch wenn akutell neue Substanzen „in der Pipeline“ sind, kam es in den letzten fast 20 Jahren zu keinem Durchbruch bei neuen Medikamenten. Erkenntnisse, die man in dieser Zeit gewonnen hat, beschränken sich auf die Pathophysiologie, die Biomarkerdiagnostik und die Erforschung von Risikofaktoren. Auf Letztere ging Prof. Reinhold Schmid, Universitätsklinik für Neurologie, Medizinische Universität Graz, in seinem Vortrag bei der Jahrestagung der ÖGN ein.
Fokus auf modifizierbare Risikofaktoren
Kardiovaskuläre Faktoren
Die Therapiemöglichkeiten und Therapieerfolge sind bei der Alzheimererkrankung überschaubar. Aus diesem Grund kommt dem Monitoring der modifizierbaren Risikofaktoren besondere Bedeutung zu.
Ergebnisse aus populationsbasierten Studien zeigen, dass die Inzidenz von Demenzen in den vergangenen Jahrzehnten abgenommen hat. Dies ist zumindest teilweise auf die bessere Kontrolle von Risikofaktoren – insbesondere vaskulären Risikofaktoren – zurückzuführen. Studien zeigen, dass die intensive antihypertensive Therapie das Auftreten von MCI signifikant reduzieren kann.1 Die Senkung des Blutdrucks auf einen Zielwert von 120mmHg ist der Standardtherapie überlegen.
Eine weitere rezente Untersuchung zeigte positive Effekte einer antihypertensiven Therapie auf die Prävention von Demenz, vor allem bei Patienten älter als 65 Jahre, die länger als 5 Jahre dieser Therapie unterzogen wurden. Die Klasse der Antihypertensiva war nicht relevant. 2
Zum Risikofaktor Vorhofflimmern zeigt eine große Registerstudie aus Schweden,3 dass die Therapie mit Antikoagulanzien das Demenzrisiko um rund 30% reduzieren kann, unabhängig davon, welche spezifische Substanz eingesetzt wird.
Multidomain-Interventionen
Auch wenn gut untersucht, die Minimierung einzelner Risikofaktoren kann die Entwicklung einer Demenz nicht verhindern. Spätestens seit der FINGER-Studie wurde deutlich, dass ein Multidomain-Zugang, also körperliche Aktivität und kognitives Training gemeinsam mit einer mediterranen Diät, die kogintiven Fähigkeiten stabilisieren oder verbessern kann. FINGER oder an FINGER angelehnte Projekte werden mittlerweile weltweit in 30 verschiedenen Zentren ausgerollt. Die Erkenntnisse aus FINGER sollen in verschiedenen Settings auf Durchführbarkeit und Effektivität geprüft werden.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch eine große Zahl weiterer Face-to-Face-Studien (Age well, SMARRT, EMuNI, MIND-ADmini) und webbasierter digitaler Studien (MYB, DC-MARVEL, BBL-CD, HAICE) im Hinblick auf die Prävention kognitiven Abbaus – ihr Outcome ist noch nicht bekannt.
Demenz im Alltag
PD Dr. Michaela Defrancesco, Leiterin der Gedächtnissprechstunde an der Universitätsklinik für Psychiatrie I in Innsbruck, beleuchtete in ihrem Vortrag die Bewältigung des Alltags von Menschen mit Demenz und deren Angehörigen.
Zur Versorgung dementer Menschen reichen diagnostische Werkzeuge und medikamentöse Therapien nicht – hier braucht es mehr. Neben der medizinischen Ebene müssen auch die psychosoziale, die Versorgungs- und die finanzielle Ebene (die Sicherung von Betreuung und Pflege) bedacht werden.
Die Regierung hat diesbezüglich 2015 mit der Ausarbeitung der Demezstrategie ein wichtiges Zeichen gesetzt. Darin sind sieben Wirkungsziele vereinbart, die Demenzpatienten ein gutes Leben sichern sollen:
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Teilhabe und Selbstbestimmung der Betroffenen sicherstellen
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Information breit und zielgruppenspezifisch ausbauen
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Wissen und Kompetenzen stärken
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einheitliche Rahmenbedingungen gestalten
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demenzgerechte Versorgungsangebote sicherstellen und gestalten
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Betroffenen-zentrierte Koordination und Kooperation ausbauen
Qualitätssicherung und -verbesserung durch Forschung
Einiges davon wurde bereits umgesetzt, es ist aber noch genug zu tun.
Leben mit Demenz – wie?
Die Demenzerkrankung hat Auswirkungen auf viele Lebensbereiche: physische und psychische Verfassung, soziale Kontakte, Selbstbestimmung, das Umfeld, persönliche Werte und den Glauben als Stütze in herausfordernden Zeiten, um einige zu nennen.
Der Verlauf der Demenzerkrankung ist langsam progredient, an seinem Ende steht das Endstadium der AD. Betrachtet man die kognitiven Fähigkeiten, so verlaufen diese in einem Kontinuum vom MCI über die leicht- und mittelgradige bis hin zur schweren Demenz. MCI ist gekennzeichnet durch Defizite beim Erlernen neuer Fähigkeiten, z.B. der Bedienung eines neuen Mobiltelefons. Bei der leichtgradigen Demenz wird es für die Betroffenen zunehmend schwieriger, Geräte zu bedienen, sich um finanzielle und medizinische Belange oder die aktive Gestaltung des Alltags zu kümmern. Bei der mittelgradigen Demenz wiederum bestehen bereits Defizite bei der Haushaltsführung, beim Lesen und Schreiben – die Alltagsbewältigung ist leicht beeinträchtigt und eine regelmäßige Versorgungsstruktur oder Hilfe von Angehörigen notwendig. Schließlich verlieren Patienten in einem schwergradigen Demenzstadium die Fähigkeit, basale Funktionen selbst durchzuführen, wie sich anziehen und Körperhygiene. Sie benötigen daher eine engmaschige bis ganztägige Pflege.
Demente und Angehörige – die Belastung verläuft gegengleich
Demenzpatienten empfinden vor allem die erste Zeit nach der Diagnose und das Anfangsstadium der Erkrankung als große Belastung. Sie machen sich Sorgen darüber, wie es weitergehen wird und wie sich ihr Leben verändern wird. Da sie aber noch weitgehend selbstständig sind und kaum Betreuung durch Angehörige benötigen, sind diese wenig gefordert. Die Belastung der pflegenden Angehörigen steigt jedoch deutlich im Verlauf der Erkrankung, wenn der Demenzpatient immer unselbstständiger wird. Die subjektive Belastung der Demenzpatienten wiederum nimmt ab, da sie mehr im Jetzt leben und sich nicht mehr differenziert mit der Erkrankung auseinandersetzen können.
Auswirkung der Covid-19-Pandemieauf Menschen mit Demenz
Die Östereichische Alzheimer Gesellschaft hat gleich zu Beginn der Pandemie, nach dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020, ein Positionspapier verfasst, in dem sie sich mit den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf Menschen mit Demenz auseinandergesetzt hat.4 In einer Reviewarbeit wurden Publikationen analysiert, die den Einfluss von Covid-19 auf die verschiedenen Ebenen von Demenzpatienten und deren Betreuungsumfeld untersuchten. Dabei wurden folgende Auswirkungen erfasst
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auf die kognitive, emotionale und Verhaltensebene
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auf die Ebene der Versorgung, Betreuung und Pflege
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auf die soziale Ebene
auf die medizinische Ebene
Auch im Rahmen der Gedächtnissprechstunde wurden Daten zur Situation in Österreich erhoben. Es wurde im September 2020 eine Online-Befragung für ambulante Betreuerinnen von gerontopsychiatrischen Klienten in Tirol (n=69, Stand 17.10.2020) durchgeführt.
Erste Ergebnisse zeigten während des ersten Lockdowns im März/April 2020 einen deutlichen Anstieg von somatischen und psychiatrischen Symptomen, einen deutlichen Anstieg von Bewegungseinschränkungen und auch einen Anstieg der psychopharmakologischen Prämedikation (Dosissteigerung und Neuverschreibung). Positiv ist zu verzeichnen, dass bei 57% der Klienten die ambulante Betreuung fortgeführt wurde, bei 65% wurde die ambulante Betreuung auf Wunsch der Angehörigen oder Klienten verändert.
Quelle:
18. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie, 9.–10. April 2021, virtuell
Literatur:
1 Williamson JD et al.: JAMA 2019; 321: 553-61 2 Peters R et al.: Neurology 2020; 94: 267-81 3 Friberg L, Rosenqvist M: Europ Heart J 2018; 39: 453-60 4 Defrancesco et al.: Neuropsychiatr 2020; 1-13 (Epub ahead of print)
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