NMOSD: aktuelle und zukünftige Therapieoptionen
Autor:
Prim. Univ.-Prof. Dr. Johann Sellner, MBA, FAAN, FANA, FEAN
Abteilung für Neurologie
Landesklinikum Mistelbach-Gänserndorf
Mistelbach
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Einige Inhalte sind aufgrund rechtlicher Bestimmungen nur für registrierte Nutzer bzw. medizinisches Fachpersonal zugänglich.
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf universimed.com und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. allgemeineplus.at & med-Diplom.at)
Diagnostik und Therapie der Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen (NMOSD) haben sich im letzten Jahrzehnt maßgeblich verändert. Der Paradigmenwechsel zu einer behandelbaren Erkrankung basiert auf der Entdeckung der Aquaporin-4-Antikörper, der Weiterentwicklung der diagnostischen Kriterien und der Etablierung von Rituximab als Erstlinientherapie. Dieser Artikel soll einen Überblick über die aktuellen und neuen Therapiemöglichkeiten dieser meist schwer verlaufenden immunmediierten Erkrankung des zentralen Nervensystems vermitteln.
Keypoints
-
Rezidivierende, in der Regel schwer verlaufende Schübe mit häufig inkompletter Remission sind pathognomonisch für die Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen (NMOSD).
-
Bei bis zu 80% der Patient*innen wird ein IgG-Antikörper gegen Aquaporin-4 (AQP4) im Serum nachgewiesen
-
Bislang wurden breite oder selektive Immunsuppressiva „off-label“ als Rezidivprophylaxe eingesetzt.
-
Nun stehen drei von der europäischen Arzneimittelbehörde zugelassene monoklonale Antikörper für die AQP4-positive NMOSD zur Verfügung, die selektiv in die Immunpathogenese der Erkrankung eingreifen: Eculizumab, Inebilizumab, Satralizumab
Einleitung
Die Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen (NMOSD) umfassen eine Gruppe von schubförmig und schwer verlaufenden immunmediierten Erkrankungen des zentralen Nervensystems (ZNS).1 In fast 80% der Fälle gelingt der Nachweis des IgG-Antikörpers gegen Aquaporin-4 (AQP4) im Serum, einen auf Astrozytenfortsätzen exprimierten Wasserkanal. Bei den verbleibenden 20% wird entweder ein IgG-Antikörper gegen das Myelin-Oligodendrozytenprotein (MOG) vorgefunden oder es können keine der beiden Antikörper festgestellt werden. AQP4-IgG-positive NMOSD sind Astrozytopathien, die MOG-IgG-positiven NMOSD sind primär demyelinisierende Erkrankungen.2
Die AQP4-IgG-positive NMOSD manifestiert sich im Schnitt erstmalig in einem Alter von 40 Jahren.3 Bis zu 90% der Erkrankten mit Nachweis von AQP4-IgG sind erwachsene Frauen, während die MOG-assoziierte NMOSD häufiger bei männlichen und durchschnittlich jüngeren Patienten auftreten. Im Kindesalter gibt es dagegen unabhängig von der Serologie kein bevorzugtes Geschlecht.
Eine langstreckige transverse Myelitis mit Ausbreitung der Läsion über drei oder mehr Wirbelkörpersegmente (LETM, „longitudinally extensive transverse myelitis“) und eine ein- oder beidseitige schwere Optikusneuritis mit Beteiligung des Chiasmas sind häufige Manifestationen der Erkrankung.4 Dienzephale Syndrome und Narkolepsie, Hirnstammdysfunktionen und das Area-postrema-Syndrom (unstillbares Erbrechen und/oder Schluckauf) wurden zwischenzeitlich als weitere klinische Präsentationen erkannt. Supratentorielle Hirnläsionen sind zwar zu Beginn der Erkrankung selten, entwickeln sich aber bei bis zu 80% der Fälle im weiteren Krankheitsverlauf und sind meist asymptomatisch. Neuropathische Schmerzen und tonische Spasmen sind häufig. Zu den weiteren Beeinträchtigungen gehören Depressionen, kognitive Störungen, Fatigue und Schlafstörungen.
Persistierende neurologische Defizite sind bei den NMOSD im Wesentlichen die Folge inkomplett remittierter Schübe.5 Die Behinderung ist bei der NMOSD im Gegensatz zur Multiplen Sklerose (MS) daher stark mit der Schubhäufigkeit assoziiert. Nach einem durchgemachten Schub ist insbesondere bei AQP4-IgG-seropositiven Patienten im ersten Jahr von einem hohen Rezidivrisiko auszugehen, wobei die Schübe häufig in Clustern auftreten. Daher sind eine rasche Diagnose, effektive Schubbehandlung und nachfolgende Einleitung einer immunsuppressiven Behandlung erforderlich, um irreversiblen neurologischen Behinderungen bis hin zu Erblindung und Rollstuhlpflichtigkeit zu verhindern.
Behandlung des akuten Schubes
Nach Erstmanifestation sind bei der NMOSD weitere Schübe in etwa 90% der Fälle zu erwarten. Die frühe Behandlung eines NMOSD-Schubs ist entscheidend für das Therapieansprechen, bereits wenige Tage Verzögerung vermindern den therapeutischen Erfolg. Zum Einsatz kommen zunächst hoch dosierte Glukokortikoide (intravenös 1000mg/Tag Methylprednisolon über 5 Tage).6 Es ist auch gängige Praxis, eine orale Ausschleichphase anzuschließen. Die Apheresebehandlung (Plasmapherese/Immunadsorption) sollte bei mangelndem Ansprechen auf einen Zyklus Steroide ohne Therapiepause eingeleitet werden.7
Der erfolgreiche Einsatz von Aphereseverfahren als Ersttherapie wurde insbesondere bei Patient*innen berichtet, die bereits bei früheren Erkrankungsschüben nicht auf Glukokortikosteroide, sondern erst auf Plasmapherese/Immunadsorption angesprochen haben. Ggf. kann auch bei einer LETM als Manifestation der NMOSD eine Plasmapherese (5–7 Zyklen jeden 2. Tag)/Immunadsorption (5–7 Zyklen) an aufeinanderfolgenden Tagen als Ersttherapie des Schubs erwogen werden. Bislang konnte keine Überlegenheit für eines der beiden Aphereseverfahren gezeigt werden. Bei fehlendem Ansprechen auf die Erst- und Zweitlinienbehandlung ist ggf. der Einsatz von Eculizumab (Soliris®) gerechtfertigt, um schwere bleibende neurologische Defizite zu verhindern.8
Verlaufsmodifizierende Therapie: Rezidivprophylaxe
Ziel der Rezidivprophylaxe ist die Verhinderung von weiteren Schüben und den hierdurch assoziierten bleibenden neurologischen Schäden. Eine Immuntherapie soll daher bei sicherer Diagnose einer AQP4-IgG-positiven NMOSD bereits nach dem ersten Schub begonnen werden. Bei Diagnosestellung und Initiierung einer Immuntherapie sowie nach erneuten Erkrankungsschüben und nachfolgenden Therapiewechseln sollten überlappend orale Steroide in absteigender Dosierung über drei bis sechs Monate zusätzlich gegeben werden, um weitere Schübe zu verhindern (z.B. im 1. Monat Prednisolon 20–30mg/d, 2.–3. Monat 10–20mg/d).
Bei der NMOSD werden Immunsuppressiva eingesetzt. Zu beachten sind Einzelfallberichte über mangelnde Effekte von bei der MS zugelassenen immunmodulierend wirkenden Substanzen. Hierzu zählen Betainterferon, Natalizumab, Fingolimod, Alemtuzumab, Dimethylfumarat und Glatirameracetat.
Die Studienevidenz für das therapeutische Vorgehen bei der AQP4-IgG-negativen NMOSD und der MOG-IgG-positiven NMOSD ist dürftig und wird in dieser Arbeit nicht berücksichtigt.
Aktuelle Therapiealgorithmen
Aufgrund der Seltenheit und des Fehlens von kontrollierten, prospektiven Studien war der bisherige Therapiealgorithmus auf den Einsatz von Off-Label-Wirkstoffen aufgebaut (Abb. 1). Der CD20-depletierende monoklonale Antikörper Rituximab (RTX) hat sich als Standardbehandlung der NMOSD in der klinischen Praxis etabliert.6 Nach der Induktion wird die Gabe von RTX entweder fix alle sechs Monate oder nach Wiederauftreten von CD19/CD20-positiven Zellen im peripheren Blut wiederholt (jeweils einmal 500–1000mg oder 375mg/m2 KOF). Zur erforderlichen Dauer der Behandlung und auch Dosierungen gibt es keine kontrollierten Studien. Zur Vermeidung von infusionsbedingten Nebenwirkungen wird vor jeder Infusion eine Prämedikation (Antipyretikum, Antihistaminikum und Prednisolon) verabreicht. In der Anfangsphase einer RTX-Therapie sind Schübe beschrieben, die möglicherweise durch eine zwei bis drei Monate überlappende orale Steroidtherapie vermieden werden können.
Abb. 1: Potenzieller Therapiealgorithmus für die AQP4-IgG-positive NMOSD
Eine Reihe von systematischen Reviews und Metaanalysen bestätigen die Effektivität von RTX bei der NMOSD. Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2021 untersuchte insgesamt 29 Studien zum Off-Label-Einsatz von RTX bei der NMOSD.9 Die Behandlung mit RTX zeigte eine Abnahme der annualisierten Schubrate im Schnitt von 1,57 (95% CI: –1,78; –1,35) und des EDSS um 0,57 (95% CI: –0,69; –0,44). In einer vorangehenden Analyse dieser Autorengruppe waren insgesamt 330 der 528 Patient*innen (62,9%) unter RTX schubfrei.10 Eine weitere Metaanalyse verglich die Effektivität der als Erstlinienbehandlung eingesetzten Immunsuppressiva.11 Hierbei zeigte sich eine höhere Effektivität von RTX als Mycophenolat mofetil (MMF). Inzwischen gibt es auch eine kleine prospektive, kontrollierte Studie aus Japan, die eine wissenschaftliche Evidenz für die Wirksamkeit von RTX vs. Azathioprin (AZA) bestätigt.12 Unter RTX sank die annualisierte Schubrate von 1,30 auf 0,21 und unter AZA von 1 auf 0,51 (p<0,001), auch der mittlere EDSS sank in beiden Therapiegruppen signifikant im Beobachtungszeitraum ab. Diese Studie erfüllt allerdings aufgrund der geringen Fallzahl und des kurzen Beobachtungszeitraums nicht die Kriterien einer Zulassungsstudie.
Gelegentlich wird bei milderen Verläufen AZA eingesetzt, aufgrund der Wirklatenz wird eine Kombination mit oralen Steroiden für 3–6 Monate gegeben. Off-label wurde auch der monoklonale Interleukin-6(Il-6)-Rezeptor-Antikörper Tocilizumab (RoActemra®) bei RTX-refraktären Verläufen eingesetzt, die Verabreichung erfolgt mittels intravenöser oder subkutaner Gabe von 8mg/kg Körpergewicht alle 4 Wochen. Eine Phase-II-Studie (TANGO) zeigte die Überlegenheit von Tocilizumab vs. AZA bei der Verhinderung des nächsten Schubes bei der NMOSD.13 In Einzelfällen wurde eine Stabilisierung der NMOSD durch eine intermittierende Apheresetherapie erreicht, ebenso mit hoch dosierten intravenösen Immunglobulinen (IVIG).14, 15
Weiterhin ist die Studienevidenz für mehrfache Therapiewechsel und Kombinationstherapien unzureichend, sodass keine konklusiven Empfehlungen zu Therapiesequenzen gemacht werden können. Bei therapierefraktärer NMOSD können Kombinationen von AZA, MMF, RTX oder Methotrexat (MTX) mit längerfristig oralen Steroiden eingesetzt werden. Bei Kombinationstherapien muss allerdings das erhöhte Risiko für opportunistische Infektionen einschließlich einer progressiven multifokalen Leukenzephalopathie berücksichtigt werden.
Neue Entwicklungen (alphabetische Reihung)
In den letzten 3 Jahren wurden die Ergebnisse von insgesamt vier randomisierten, kontrollierten, doppelblinden multizentrischen Studien, in denen die jeweiligen Wirkstoffe als Mono- oder Add-on-Therapie zu einer bestehenden Immunsuppression gegen Placebo getestet wurden, publiziert.16 Die Patient*innen mussten in allen Studien Krankheitsaktivität in Form von Schüben in den zwei Jahren vor Studieneinschluss aufweisen.
In allen Studien wurde der primäre Endpunkt erreicht, inzwischen sind alle drei Substanzen zur Behandlung der AQP4-IgG-positiven NMOSD in Europa zugelassen (Tab. 1). Es handelt sich um den Komplement-C5-Inhibitor Eculizumab, den IL-6-Rezeptor-Antagonisten Satralizumab und Depletion von CD19-positiven Immunzellen durch Inebilizumab.
Tab. 1: Überblick über die Zulassungsstudien für die von der EMA für die AQP4-IgG-positive NMOSD zugelassenen krankheitsmodifizierenden Therapien, adaptiert von den Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie, DGN 2021
Eculizumab (Soliris®): monoklonaler Antikörper gegen Komplement C5
Wirkmechanismus und Anwendung
Eculizumab ist ein rekombinanter humanisierter monoklonaler Antikörper, der an das humane Komplementprotein C5 bindet und die Aktivierung des terminalen Komplements hemmt.7 Das Komplementsystem, ein Teil des angeborenen Immunsystems, ist bei der NMOSD ein wesentlicher Effektormechanismus der Gewebsschädigung. Im Juli 2019 wurde Eculizumab schließlich zur krankheitsmodifizierenden Therapie der AQP4-IgG-positiven NMOSD mit schubförmigem Krankheitsverlauf von der europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) zugelassen.
Eculizumab wird als intravenöse Infusion verabreicht, beginnend mit einer vierwöchigen Induktionsphase (900mg Eculizumab einmal wöchentlich), an die sich die Erhaltungsphase (1200mg Eculizumab in Woche 5 und dann alle 14 ± 2 Tage) anschließt. Eine Prämedikation ist nicht notwendig. Für den Einsatz in der klinischen Praxis sind die vor allem aufwendige Gabe des Medikaments (Infusionen alle zwei Wochen) und die extrem hohen Therapiekosten zu berücksichtigen.
Wirksamkeit
In der Phase-III-Studie PREVENT wurde Eculizumab (2:1 Eculizumab versus Placebo) bei AQP4-IgG-positiven Patient*innen mit mindestens zwei Schüben in den letzten 12 Monaten oder drei Schüben in den letzten 24 Monaten (n=143) mit oder ohne zusätzliche Immuntherapie untersucht.17 Bei knapp einem Viertel der Patient*innen war keine zusätzliche Immuntherapie vorbestehend. Die restlichen Patienten hatten eine immunsuppressive Therapie mit AZA, MMF +/– orale Steroide. Fast ein Drittel der Patient*innen wurde zuvor mit RTX therapiert. Die verblindete Phase wurde fortgeführt, bis 23 Schübe aufgetreten waren (Time-to-event-Design). Hierbei führte die Behandlung mit Eculizumab zu einer hochsignifikanten Reduktion des Risikos, einen Schub zu erleiden. Drei von 96 Patienten der Eculizumab-Gruppe (3%, alle mit immunsuppressiver Begleittherapie) entwickelten einen Schub gegenüber 20 von 47 (43%) in der Placebo-Gruppe (p<0,001). Es gab keinen signifikanten Effekt auf den mittleren EDSS.
Nebenwirkungen und Risiken
Akute Infusionsnebenwirkungen inklusive Anaphylaxie können auftreten, sind aber selten. Eine häufige Nebenwirkung ist das Auftreten von Kopfschmerzen. In den Studien wurden häufig Infektionen der oberen Atemwege beobachtet. Wichtigstes Risiko ist das Auftreten von schweren Infektionen. Es wurde über Fälle von schwerwiegenden bzw. tödlich verlaufenden Meningokokken- und Aspergillus-Infektionen bei mit Eculizumab behandelten Patienten in anderen Indikationen berichtet. Die Patient*innen müssen daher zwei Wochen vor Therapiebeginn die entsprechenden Schutzimpfungen und/oder eine Antibiotikaprophylaxe erhalten. Es gab einen Todesfall in der Zulassungsstudie, bedingt durch ein pulmonales Empyem.
Es liegen nun erste Ergebnisse der Open-Label-Extensionsstudie vor.18 Nach im Schnitt 3,7 Jahren unter Eculizumab waren 94,4% (95% CI: 88,6; 97,3) der Patient*innen schubfrei geblieben, es sind in dieser Kohorte keine Meningokokkeninfektionen aufgetreten.
Inebilizumab (Uplizna®): monoklonaler Antikörper gegen CD19
Wirkmechanismus und Anwendung
Inebilizumab wurde im April 2022 von der EMA als Monotherapie zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit NMOSD, die AQP4-IgG-seropositiv sind, zugelassen. Inebilizumab ist ein gegen CD19 gerichteter monoklonaler Antikörper. CD19 wird in allen Stadien der B-Zell-Entwicklung exprimiert, somit werden im Gegensatz zu RTX nicht nur B-Zellen, sondern auch Plasmazellen und Plasmablasten depletiert.19 Diese beiden CD19-exprimierenden Subpopulationen sind für die Sezernierung der AQP4-IgG verantwortlich, somit greift Inebilizumab in einen Schlüsselmechanismus der Immunpathogenese ein. Bei NMOSD-Patient*innen ist die Anzahl zirkulierender CD19+-Plasmablasten erhöht und während eines NMOSD-Schubes steigt die Anzahl dieser Zellen zusätzlich.20 Inebilizumab wird – nach einer Aufdosierung mit je 300mg im Abstand von 2 Wochen – alle 6 Monate mit 300mg intravenös verabreicht. Vor jeder Infusion ist die Gabe einer Prämedikation (Steroid, Antihistaminikum und Antipyretikum) erforderlich, um infusionsbedingte Nebenwirkungen zu minimieren.
Wirksamkeit
Die Wirksamkeit für Inebilizumab als verlaufsmodifizierende Therapie der NMOSD wurde in der N-MOmentum-Zulassungsstudie (Phase II/III, 3:1-Randomisierung) gezeigt. Unter Inebilizumab trat bei 18 von 161 Patient*innen (11 %) mit positivem AQP4-IgG-Status im Verlauf von 197 Tagen ein Schub auf, verglichen mit 22 von 52 Patient*innen (42%), die Placebo erhielten.21 Somit lag eine relative Risikoreduktion des Schubrisikos durch Inebilizumab von 77% vor. Es zeigte sich zudem ein signifikanter Effekt auf die Behinderungsprogression (–57%), gemessen am EDSS (15% unter Inebilizumab und 35% unter Placebo). Weitere sekundäre Endpunkte wie die Anzahl Kontrastmittel-aufnehmender Läsionen (–25%) und die mittlere kumulative Anzahl von Hospitalisierungen (–29%) waren unter Inebilizumab im Vergleich zu Placebo signifikant reduziert.
Nebenwirkungen und Risiken
In Bezug auf Laborparameter zeigte sich im Verlauf eine Reduktion der Immunglobulinwerte im Serum und es traten Lymphozyto- und Granulozytopenien auf. Inebilizumab zeigte in der Zulassungsstudie vergleichbare Raten von schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen und infusionsbedingten Reaktionen zu Placebo. Zu den häufigeren Nebenwirkungen zählen Harnwegsinfektionen, Entzündungen und Infektionen der Nase und des Rachens, Gelenkschmerzen und Rückenschmerzen. Erfahrungen aus der offenen Verlängerungsstudie (≥4 Jahre Behandlung bei 75 Patient*innen) belegen eine anhaltende Wirksamkeit bei gleichbleibendem Nebenwirkungsprofil.22 In der offenen Studienphase wurden zwei Todesfälle berichtet, wovon einer nach erster und einmaliger Infusion mit Inebilizumab 300mg und im Kontext einer schweren, am ehesten NMOSD-mitbedingten Pneumonie auftrat. Bei dem zweiten Todesfall kam es zu neuen neurologischen Symptomen und einer unklaren großen neuen zerebralen Läsion (Tag 9 nach 3. Gabe von Inebilizumab), die nicht endgültig eingeordnet werden konnte.
Satralizumab (Enspryng®): monoklonaler Antikörper gegen den Interleukin-6-Rezeptor
Wirkmechanismus und Anwendung
Satralizumab ist ein humanisierter monoklonaler Anti-Interleukin-6(IL-6)-Rezeptor-Antikörper, der als subkutane Monotherapie oder in Kombination mit einer immunsuppressiven Basistherapie zur Behandlung von AQP4-IgG-positiven NMOSD zugelassen wurde. Die europäische Zulassung erfolgte im Juni 2021 und betrifft Jugendliche ab einem Alter von zwölf Jahren und Erwachsene. Eine neue Recycling-Technologie unterscheidet Satralizumab von anderen IL-6-Rezeptor-Antikörpern, wodurch es mehrfach an der Zielstruktur binden kann.23 Ziel ist es, bei der NMOSD die durch IL-6 vermittelten Entzündungskaskaden zu inhibieren und durch die IL-6-Blockade auch die Differenzierung von B-Zellen in antikörperproduzierende Plasmablasten zu verhindern. Satralizumab wird – nach einer Aufdosierungsphase (Woche 0, 2 und 4) – alle 4 Wochen in einer Dosis von 120mg durch den behandelnden Arzt oder selbstständig durch die Patient*innen subkutan appliziert.
Wirksamkeit
Die Wirksamkeit für Satralizumab als verlaufsmodifizierende Therapie bei der NMOSD wurde im Rahmen von zwei Phase-III-Zulassungsstudien (SAkuraSky und SAkuraStar) gezeigt.24, 25 Die Wirksamkeit war unabhängig von einer begleitenden oralen immunsuppressiven Therapie. In der Monotherapiestudie SAkuraStar erlitten 19 von 63 (30%) Patient*innen (gepoolte Analyse von AQP4-IgG-seropositiv und -seronegativ) unter Satralizumab und 16 von 32 (50%) Patient*innen unter Placebo einen Schub. In der Kombinationstherapiestudie SAkuraSky hatten 8 von 41 (20%) Patient*innen unter Satralizumab und 18 von 42 (43%) Patient*innen unter Placebo einen Schub. Subgruppenanalysen zeigten, dass Satralizumab nur auf AQP4-IgG-positive und nicht auf AQP4-IgG-negative Patient*innen einen signifikanten Therapieeffekt hatte. Satralizumab reduzierte das Risiko für das Auftreten eines weiteren Schubes bei AQP4-IgG-positiven Patient*innen in SAkuraStar um 74% und in SAkuraSky um 79%, sodass nach 96 Wochen 77% der Patient*innen (versus 41% unter Placebo) in der Monotherapiestudie und 92% der Patient*innen (versus 53% unter Placebo) in der Kombinationstherapiestudie schubfrei blieben. Weder in SAkuraSky noch in SAkuraStar zeigte sich ein signifikanter Effekt auf den EDSS.
Nebenwirkungen und Risiken
In den beiden Phase-III-Zulassungsstudien wurde keine erhöhte Nebenwirkungsrate im Vergleich zu Placebo berichtet, insbesondere ergab sich kein Signal für opportunistische Infektionen. Typische Nebenwirkungen sind injektionsbedingte lokale und systemische Reaktionen und Laborveränderungen wie Leukopenie, Neutropenie, Thrombopenie, Hyperlipidämie und Hyperbilirubinämie. In der erst kürzlich publizierten Open-Label-Extensionsstudie mit einer medianen Satralizumab-Exposition von 4,4 bzw. 4 Jahren wurden keine neuen Sicherheitsaspekte identifiziert.26
Zusammenfassung und Ausblick
Bei der NMOSD ist eine effektive Krankheitskontrolle von außerordentlicher Bedeutung, da sich rasch eine Behinderung durch inkomplette Rückbildung der Schübe aufbauen kann. Bislang wurden Off-Label-Therapien mit breiter oder selektiver Immunsuppression als Wirkmechanismus in der Rezidivprophylaxe der Erkrankung eingesetzt. Weiterhin wird die Behandlung mit RTX ihren Stellenwert als First-Line-Therapie aufgrund der soliden Effektivität und Tolerabilität haben. Ein Therapiewechsel unter einer Off-Label-Therapie mit stabilem Erkrankungsverlauf und guter Verträglichkeit muss vermieden werden.
Nun wurden drei neue Therapieoptionen zugelassen, die selektiv in Schlüsselmechanismen der Pathogenese eingreifen. Diese werden zwangsläufig aufgrund der hohen Effektivität zu einem Paradigmenwechsel führen, zunächst wohl primär als Second-Line-Option (Abb. 1). Für die individuelle Therapieentscheidung werden in Zukunft nicht nur das Ausmaß der Krankheitsaktivität und Verträglichkeit unter der First-Line-Behandlung, sondern auch ökonomische Aspekte eine Rolle spielen.
Literatur:
1 Fujihara K: Curr Opin Neurol 2019; 32: 385-94 2 Prasad S, Chen J: Semin Neurol 2019; 39: 718-31 3 Papp V et al.: Neurology 2021; 96: 59-77 4 Wingerchuk DM et al.: Neurology 2015; 85: 177-89 5 Palace J et al.: Outcome prediction models in AQP4-IgG positive neuromyelitis optica spectrum disorders. Brain 2019; 142: 1310-23 6 Sellner J et al.: Eur J Neurol 2010; 17: 1019-32 7 Carnero Contentti E, Correale J: J Neuroinflammation 2021; 18: 208 8 Chatterton S et al.: Front Neurol 2022; 13: 951423 9 Wang Y et al.: Mult Scler Relat Disord 2021; 50: 102843 10 Gao F et al.: MC Neurol 2019; 19: 36 11 Giovannelli J et al.: Ann Clin Transl Neurol 2021; 8: 2025-37 12 Tahara M et al.: Lancet Neurol 2020; 19: 298-306 13 Zhang C et al.: Lancet Neurol 2020; 19: 391-401 14 Lin J et al.: Neurol Sci 2021; 42: 3857-63 15 Viswanathan S et al.: Ther Apher Dial 2021; 25: 513-32 16 Pittock SJ et al.: Nat Rev Neurol 2021; 17: 759-73 17 Pittock SJ et al.: N Engl J Med 2019; 381: 614-25 18 Wingerchuk DM et al.: Ann Neurol 2021; 89: 1088-98 19 Siebert N et al.: Drugs Today (Barc) 2021; 57: 321-36 20 Chihara N et al.: Proc Natl Acad Sci U S A 2011; 108: 3701-6 21 Cree BAC et al.: Lancet 2019; 394: 1352-63 22 Rensel M et al.: Mult Scler 2022; 28: 925-32 23 Sellner J et al.: Drug Discov Today 2021; 26: 1591-601 24 Yamamura T et al.: N Engl J Med 2019; 381: 2114-24 25 Traboulsee A et al.: Lancet Neurol 2020; 19: 402-12 26 Yamamura T et al.: Mult Scler Relat Disord 2022; 66: 104025
Das könnte Sie auch interessieren:
Strategien zur Deeskalation der Therapie bei schubförmiger Multipler Sklerose
Prospektiv gesammelte Daten aus Österreich haben die Wirksamkeit der Deeskalation der Therapie von Kategorie 3 auf Kategorie 1 und 2 bei Patient:innen mit schubförmig remittierender ...
Das AURYN als Retter unseres Gesundheitswesens
Schon glaubt man, unser Gesundheitswesen „wird an die Wand gefahren“ („Die Presse“, 21.10.2024), „muss zum Arzt“ („Wirtschaftsnachrichten“, 21.10.2024), „riecht nach Krise“ („Der ...
Sprache im Fokus der Diagnostik der Alzheimerdemenz
Gängige neuropsychologische Tests erfassen in der Alzheimerdiagnostik die sprachlich-kommunikativen Fähigkeiten der Betroffenen nur unzureichend. Insbesondere komplexe sprachliche ...