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„Wir setzen für die Patient:innen alle Hebel in Bewegung“

Anfang 2024 übernahm Univ.-Prof. Dr. Nicole Concin die Professur für Gynäkologie der MedUni Wien und die Leitung der klinischen Abteilung für allgemeine Gynäkologie und gynäkologische Onkologie an der Universitätsklinik für Frauenheilkunde der MedUni Wien. Seit vielen Jahren ist sie zudem in der Europäischen Gesellschaft für gynäkologische Onkologie tätig, zuletzt als deren Präsidentin. Mit JATROS hat sie über ihre Ämter, Aufgaben und Passionen gesprochen.

Sie sind nicht nur Mitglied der Europäischen Gesellschaft für gynäkologische Onkologie (ESGO), sondern waren bis zu diesem Jahr auch ESGO-Präsidentin. Was können Sie uns zu der Fachgesellschaft erzählen?

Nicole Concin: Die Europäische Gesellschaft für gynäkologische Onkologie (ESGO) ist eine inzwischen globale Gesellschaft, die über 3000 Mitglieder hat, vor allem Gyn-Onkolog:innen. Ihr Vorstand besteht aus 17 demokratisch gewählten Mitgliedern, die ehrenamtlich arbeiten. Die/der Präsident:in ist letztverantwortlich für die ESGO und steht dem Vorstand vor.

Die Gesellschaft hat das Ziel, die Gesundheit und die Lebensqualität von Patient:innen mit gynäkologischen Malignomen zu verbessern. Um dieses Ziel zu erreichen, hat die ESGO essenzielle Standpfeiler definiert.

Um welche Eckpunkte handelt es sich?

N. Concin: „Education“ und „Teaching“ spielen eine entscheidende Rolle. Ein Aspekt davon ist unser jährlicher Kongress – der größte Gyn-Onko-Kongress global. Dieses Jahr in Barcelona hatten wir 3000 Teilnehmer:innen physisch vor Ort. Der Kongress war ein „Educational Event“ über vier Tage, bei dem neueste wissenschaftliche Erkenntnisse, aber vor allem auch State-of-the-Art-Behandlungen vermittelt wurden, also der „Standard of Care“. Es gab auch praktische und theoretische interdisziplinäre Workshops. Neben dem jährlichen Kongress veranstaltet die ESGO außerdem ganzjährig Kurse und Fortbildungen, sowohl online als auch live.

Zusätzlich zur Weiterbildung ist ein wichtiger Standpfeiler der ESGO die Akkreditierung von Zentren, die einen bestimmten Qualitätsstandard in der Behandlung von gynäkoonkologischen Patient:innen aufweisen. Über On-Site-Besuche durch Delegationen stellen wir sicher, dass die ESGO-akkreditierten Zentren unsere Qualitätsstandards erfüllen. So machen wir für Patient:innen und für Zuweisende Qualität in der Behandlung sichtbar. Das stellt auch ein Empowerment von Patient:innen dar – ihnen das Wissen zu geben, wo sie am besten behandelt werden.

Ein dritter Standpfeiler der ESGO ist die Ausbildung des Nachwuchses. Wir bieten Fellowships an: Die ESGO hat ein eigenes Curriculum zur Ausbildung zukünftiger Gyn-Onkolog:innen. Das offizielle Gyn-Onko-Fellowship dauert mindestens zwei Jahre. Am Ende steht ein globales schriftliches Examen, das in Verbindung mit unseren Kongressen angeboten wird (Abb. 1). Wer besteht, ist ESGO-zertifizierte:r Gyn-Onkologin/Onkologe.

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Abb. 1: Beim ESGO-Kongress 2023 in Istanbul legten 119 Kandidat:innen das globale Examen zum ESGO-Fellowship ab

Ein weiterer Grundpfeiler der ESGO ist die Wissenschaft. Zu unserer Gesellschaft gehört das größte klinische Studiennetzwerk in der Gyn-Onkologie in Europa, ENGOT (European Network for Gynaecological Oncological Trial Groups). ENGOT ist die Plattform in der Gyn-Onkologie für die Durchführung klinischer Studien, von „first-in-human“ Phase-I-Studien bis hin zu Phase-III-Studien mit Studienergebnissen, die zu Medikamentenzulassungen führen können. Zur Wissenschaft in der ESGO gehören auch die Entwicklung und die Publikation aktueller Leitlinien zu spezifischen Malignomen und Themenkreisen. Verschiedene europäische Gesellschaften arbeiten hier auch interdisziplinär zusammen und entwickeln gemeinsam Leitlinien für Europa.

Zu guter Letzt ist ein bedeutender Eckpunkt, um die Gesundheit und die Lebensqualität von Patient:innen mit gynäkologischen Malignomen zu verbessern, die Stimme der Patient:innen selbst. Ein wichtiges Netzwerk innerhalb der ESGO ist der europäische Schirmverband von nationalen und regionalen Patient:innengruppen und -vertretungen, ENGAGe (European Network of Gynaecological Cancer Advocacy Groups; Abb. 2).

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Abb. 2: Das ESGO-Netzwerk ENGAGe ist Schirmgesellschaft für 80 Patient:innenorganisationen

Welcher Weg führte Sie zur ESGO-Präsidentschaft?

N. Concin: Ich bin inzwischen seit über acht Jahren im Vorstand der ESGO tätig. 2015 wurde ich in den Vorstand gewählt, habe dort seither verschiedene Komitees geleitet und wurde vor vier Jahren vom ESGO-Vorstand zur President-elect gewählt. Zwei Jahre später bin ich dann Präsidentin geworden. Von allen bisherigen ESGO-Präsident:innen war ich am längsten im Amt. Statt zwei Jahren waren es bei mir zweieinhalb Jahre, weil wir unseren Kongress vom Herbst in den Frühling verlegt haben. Damit haben wir während meiner Präsidentschaft drei ESGO-Kongresse letztverantwortlich organisiert, mit jeweils über 2500 Teilnehmenden in Berlin, Istanbul und jetzt in Barcelona.

Barcelona war der Höhepunkt meiner Präsidentschaft, am Ende konnte ich Bilanz ziehen und die Errungenschaften und Verbesserungen für unsere Patient:innen, die durch den Einsatz des ESGO-Vorstandes und aller Kooperationspartner:innen erzielt werden konnten, in der Presidential Session vorstellen.

Was haben Sie in Ihren Jahren bei der ESGO erreicht?

N. Concin: Wir konnten alle wichtigen Pfeiler der ESGO in den letzten zweieinhalb Jahren meiner Präsidentschaft weiter ausbauen und das Portfolio von ESGO mit neuen Initiativen erweitern. Wir haben auch zum ersten Mal die Grenze von 3000 ESGO-Mitgliedern überschritten.

Es war mir vor allem wichtig, den Forschungsschwerpunkt in der ESGO zu vertiefen, weil wir in diesem Setting sensationelle Möglichkeiten haben und weil Forschung in der internationalen und interdisziplinären Kooperation immer am zielführendsten und erfolgreichsten ist.

ESGO hat inzwischen im Bereich gynäkologische Onkologie global ungefähr 125 Zentren akkreditiert. Der Großteil dieser Zentren ist innerhalb Europas. Aber es gibt auch immer mehr ESGO-akkreditierte Zentren außerhalb Europas. Wir haben zum Beispiel in Ägypten, Indien, Südkorea und in den USA Zentren akkreditiert.

Es war ein großer Traum, die klinischen Daten all unserer ESGO-akkreditierten Zentren in einer robusten gemeinsamen Datenbank zu verbinden, um den wissenschaftlichen Fortschritt in der gynäkologischen Onkologie zu promoten und die Daten als Qualitätssicherungs-Instrument zu verwenden. Eine wichtige Voraussetzung war hier natürlich die Wahrung aller Datenschutz- und rechtlichen Bestimmungen.

Rechtsexpert:innen im Bereich Gesundheitswesen haben mit uns zusammengearbeitet, um entsprechende Verträge aufzusetzen. 82 unserer ESGO-akkreditierten Zentren in 26 Ländern haben diese Verträge unterschrieben. Für die neue paneuropäische und „beyond“ Datenbank haben wir ein initiales Projekt definiert: die Validierung von Qualitätsindikatoren in der chirurgischen Behandlung von Patient:innen mit Eierstockkrebs. Innerhalb nur eines Jahres haben wir die Daten von 11000 Patient:innen mit fortgeschrittenem Eierstockkrebs innerhalb und außerhalb Europas gesammelt und die Initialanalysen beim ESGO-Kongress in Barcelona vorgestellt.Durch diesen unglaublichen Datenschatz können wir nun wichtige Faktoren in der Behandlung von Patient:innen identifizieren und diese zur Sicherung der Behandlungsqualität nutzen. Und wir können den einzelnen Zentren in Zukunft auch ein Benchmarking geben: Wo stehen sie im Vergleich zu vielen anderen Zentren? Wo müssen sie nachschärfen, um die Qualität der Behandlung zu verbessern?

Diese einzigartige paneuropäische und „beyond“ Datenbank in der gynäkologischen Onkologie soll natürlich weiter ausgebaut werden. Weitere Schwerpunkte werden das Endometriumkarzinom und das Zervixkarzinom sein.

Welche Ergebnisse aus der Datenbank sind bisher besonders wertvoll?

N. Concin: Die Erkrankung Eierstockkrebs wird bei zwei Dritteln der Patient:innen in einem fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert. Dementsprechend schwierig und komplex ist es natürlich, in einer Operation den ganzen Tumor zu entfernen. In der ersten Analyse auf Basis der Datenbank haben wir uns angeschaut, wie sich die Qualität der chirurgischen Behandlung auf die Prognose der Patient:innen auswirkt. Unsere Daten haben eindeutig bestätigt, dass es enorm wichtig für die Prognose ist, dass der Tumor komplett entfernt wird. Darum ist es essenziell, dass diese komplexen Operationen, für die sehr viel Erfahrung und chirurgische Fähigkeiten notwendig sind, von spezialisierten, eingespielten Teams in akkreditierten Zentren durchgeführt werden. Während der Operation sind viele verschiedene medizinische Disziplinen und Expert:innen gefragt, vor allem ein routiniertes gyn-onkologisches Team und eine exzellente Zusammenarbeit mit den chirurgischen, urologischen und anästhesiologischen Kolleg:innen und dem Pflegeteam in einem standardisierten Op-Setting. Es sind die eingespielten und auf diese Erkrankung hochspezialisierten Teams, die den Unterschied für die einzelnen Patient:innen machen. Das gilt nicht nur für die Operation, sondern auch für die Behandlung danach, die wiederum viele verschiedene Disziplinen und Expert:innen-Teams involviert.

Wie würden Sie die Lage der onkologischen Versorgung in Österreich beurteilen?

N. Concin: Die Lage ist gut, aber es gibt in Österreich keine Zentralisierung der Onkologie, wie es in vielen nordischen Ländern der Fall ist. Dementsprechend wichtig ist es natürlich, onkologische Zentren, die die entsprechenden Skills und die Expertise für die optimale Patient:innenbehandlung haben, sichtbar zu machen. Es gibt drei ESGO-akkreditierte Zentren in Österreich und mehrere Zentren, die ein sehr gutes Niveau in der gynäkologischen Onkologie haben. In Österreich kommt es also darauf an, dass betroffene Patient:innen diese Zentren erreichen, dorthin überwiesen werden und darüber Bescheid wissen.

Wie ergänzt sich Ihre neue Rolle als Leiterin der Abteilung für allgemeine Gynäkologie und gynäkologische Onkologie an der Universitätsklinik für Frauenheilkunde der MedUni Wien und des AKH Wien mit Ihren Erfahrungen und Errungenschaften bei der ESGO?

N. Concin: Es ist eine wunderschöne Symbiose. Beide Ämter gehen mit komplementären Aufgaben einher, die teilweise auch ineinander übergehen. Die Abteilung Gynäkologie und gynäkologische Onkologie, die ich jetzt in Wien übernommen habe, ist für den Bereich Gyn-Onkologie ESGO-akkreditiert und wir bilden auch ESGO-Fellows aus. Natürlich möchte ich die MedUni Wien innerhalb der ESGO und anderer internationaler Netzwerke weiter vernetzen und stärken.

Ich bringe verschiedene Erfahrungen mit, die ich in vorherigen Positionen gesammelt habe. Ich habe in Wien studiert und meine Ausbildung dann an der Medizinischen Universität in Innsbruck gemacht. Drei Jahre lang war ich an der Katholischen Universität in Leuven in Belgien als Gynäkologin tätig. Dort befindet sich eines der größten europäischen Studienzentren für gynäkologische Onkologie. Danach war ich dann noch dreieinhalb Jahre in Essen, Nordrhein-Westfalen, an einem der größten Zentren für Eierstockkrebs-Chirurgie in Europa. Ich möchte meine klinische Erfahrung aus diesen anderen Häusern hier in Wien einfließen lassen.

Eine Herzensangelegenheit ist mir die Universitätsmedizin. Universitätsmedizin heißt für mich nicht nur, dass wir klinische Patient:innenbetreuung am Puls der Zeit auf international höchstem Niveau anbieten, sondern auch, dass wir unser Handeln auf wissenschaftlicher Evidenz basieren und den wissenschaftlichen Fortschritt aktiv durch eigene Forschungsprojekte vorantreiben. Der größte Antrieb ist hier das Patient:innenwohl: Wir müssen uns die individuell beste Behandlung der einzelnen Patient:innen als Ziel setzen.

Gibt es Forschungszweige an der MedUni Wien, die Sie hervorheben wollen?

N. Concin: Es gibt viele Schwerpunkte an unserer Abteilung. Neben der gyäkologischen Onkologie und Senologie sind wir auch als Beckenbodenzentrum, also im Bereich Urogynäkologie, und als Endometriosezentrum akkreditiert. Weitere Schwerpunkte sind die Kinder- und Jugendgynäkologie sowie der Ultraschall. In allen Bereichen entwickeln wir uns in Richtung Präzisionsmedizin.

Wenn wir bei der gynäkologischen Onkologie bleiben, tut sich aktuell sehr viel im Bereich der zielgerichteten Therapien bei Patient:innen mit Endometriumkarzinom. Molekularbiologisch gesehen handelt es sich beim Endometriumkarzinom nicht um eine einzelne Erkrankung, sondern um mindestens vier verschiedene. Dazu laufen aktuell entscheidende Studien. Wir befassen uns mit der Tumorbiologie und den daraus resultierenden direkten therapeutischen Möglichkeiten.

In meiner Funktion als Chair des ENGOT-„Early Drug Development“-Netzwerks bemühe ich mich aktiv, möglichst viele dieser Studien mit neuen, zielgerichteten, vielversprechenden Medikamenten an die MedUni Wien zu bekommen, um sie für unsere Patient:innen zugänglich zu machen.

Roboterchirurgie ist auch ein wichtiger Fokus. Ich freue mich sehr über die extrem hohe chirurgische Qualität an unserer Abteilung. Die Roboterchirurgie als eine minimalinvasive Methode wollen wir weiter ausbauen, insbesondere für Patient:innen mit einem Endometriumkarzinom oder mit Endometriose.

Sind Sie in Wien auch in der Lehre tätig?

N. Concin: Die Nachwuchsförderung ist mir ein großes Anliegen. Wir bilden die neue Generation an Gynäkolog:innen aus, dieser Verantwortung müssen wir uns bewusst sein. „Teaching“ sollte nicht nur in Vorlesungen passieren, sondern auf einer täglichen Basis automatisch, bei allem, was wir tun. Es gibt immer die Möglichkeit, Wissen und Hintergründe weiterzugeben. Ich glaube auch an die spezifische Nachwuchsförderung in Mentoring-Programmen im Sinne von Mentor:innen-Mentee-Verbindungen. Direkte Ansprechpartner:innen sind sehr wichtig für den Nachwuchs, zum Beispiel, um eigene klinische und wissenschaftliche Schwerpunkte zu finden, Möglichkeiten aufzuzeigen und den individuellen Karriereweg beratend zu unterstützen.

Wie stemmen Sie dieses große Arbeitspensum?

N. Concin: Für mich ist das Schönste eine sinnerfüllte Aufgabe. Im medizinischem Umfeld ist das der patient:innenzentrierte Ansatz. Dieser Ansatz lässt uns alle Außerordentliches leisten. In dem Team der Frauenklinik hier in Wien ist dieser Spirit gegeben. Diese Atmosphäre motiviert und kommt auch bei den Patient:innen an. Wir setzen für sie alle Hebel in Bewegung. Medizin muss eine Passion sein, damit man am Ende des Tages zufrieden nach Hause geht.

Worauf freuen Sie sich im privaten Bereich, nun, da Sie wieder in Wien sind?

N. Concin: Für mich privat ist vor allem die Familienzusammenführung sehr schön. Die letzten acht Jahre habe ich aus dem Koffer gelebt und war jede Woche irgendwo anders. Drei Jahre lang bin ich zwischen meinen beiden Arbeitsplätzen in Innsbruck und Leuven, Belgien, gependelt, dann über drei Jahre zwischen Essen in Deutschland und Innsbruck. Dazu ist noch die starke Reisetätigkeit im Rahmen meiner ESGO-Präsidentschaft gekommen. Mein Mann, der Herzchirurg ist, und meine Tochter sind in all diesen Jahren in Innsbruck geblieben und ich bin alle zwei Wochen nach Hause gekommen. Vor eineinhalb Jahren hat meine Tochter beschlossen, nach Wien ins Gymnasium zu gehen. Jetzt bin ich seit Jänner auch hier in Wien – und so können meine Tochter und ich nach vielen Jahren endlich wieder unter einem Dach leben und uns täglich sehen. Das genieße ich sehr! Am Wochenende besuchen wir zusammen meinen Mann in Tirol.

Mit meinen Hobbys muss ich mich in Wien noch orientieren. Sport ist für mich eine essenzielle Energiequelle. In Tirol bin ich die Berge hinaufgerannt, hier in Wien suche ich noch die perfekte Route.

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