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Entwicklungen in der adjuvanten Radiotherapie beim frühen Mammakarzinom

Die adjuvante perkutane Radiotherapie ist nach wie vor integraler Bestandteil im primären Behandlungskonzept beim lokalisierten Mammakarzinom. Mit der heutigen besseren Charakterisierung der Tumorerkrankung und des damit verbundenen Risikos ergeben sich Möglichkeiten, risikoadaptiert über eine Deeskalation und Eskalation auch in der Radiotherapie nachzudenken.

Die lokale Tumorkontrolle wird durch eine adjuvante Radiotherapie (RT) signifikant verbessert. Dies ist weitgehend unabhängig vom operativen Vorgehen und von Subgruppen (Reduktion des relativen Risikos um das ca. 3- bis 4-Fache).1 Die Reduktion des absoluten Risikos richtet sich aber nach dem Ausgangsrisiko und liegt in einer Niedrigrisikokonstellation je nach Beobachtungszeitraum im einstelligen Prozentbereich. Hinzu kommt, dass der Einfluss auf das Gesamtüberleben gerade in solchen Situationen nicht bewiesen ist bzw. in einem klinisch gesehen wohl vernachlässigbaren Bereich liegen dürfte.

Keine Wirkung ohne Nebenwirkung: In der Akutphase kommen Reaktionen – einer lokalen Entzündung entsprechend – eigentlich zu 100% und in einem gewissen Maße auch gewollt, weil durch die Inflammation maligne Zellen eliminiert werden sollen. Diese Reaktionen sind meist passager und in seltenen Fällen relevant. Auf lange Sicht können Spätveränderungen – einer „Vernarbung“ entsprechend – auftreten, welche in wenigen Prozent der Fälle gravierend sind. Interessant sind Daten zur Lebensqualität, denn weder in der „Low risk“-Situation (5-Jahres-Ergebnisse der PRIME-1-Studie) noch bei Status nach Mastektomie (2-Jahres-Ergebnisse der SUPREMO-Studie) hatte die adjuvante RT einen signifikanten Einfluss.2,3

Letztlich gilt es, Risiken und Nutzen abzuwägen und das radiotherapeutische Vorgehen risikoadaptiert anzupassen.

Möglichkeiten der Deeskalation (Abb. 1)

Abb. 1: Möglichkeiten der Deeskalation

1. „Ausgeklügelte“ RT

Technische Fortschritte ermöglichen eine optimierte Dosisverteilung und Applikation. Dadurch kann vor allem die Akuttoxizität (z.B. exsudative Hautveränderung) deutlich reduziert werden.4,5 Eine Bestrahlung in Bauchlage oder atemgetriggert bei maximaler Inspiration ermöglicht, das Herz besser auszusparen, und gerade bei großer Brust scheint die RT in Bauchlage auch die Akuttoxizität zu senken.6–8 Die Wertigkeit von Protonen („vorteilhafte“ Dosisverteilung im Gewebe) wird momentan in einer großen randomisierten Studie geprüft.9

2. Dosisreduktion

Nachdem eine Dosissteigerung (Boost) die Lokalrezidivrate bei Brusterhaltung verringern konnte,10 war die Bereitschaft für Studien für eine bewusste Dosisreduktion gering. Der „St. George and Wollongong breast boost trial“ (zusätzlicher Boost in Kombination mit reduzierter Ganzbrustdosis) wurde meines Wissens nie bezüglich lokaler Kontrolle publiziert.11 In einer Niedrigrisikokonstellation wird heutzutage aber zumindest der Verzicht auf eine Boostbestrahlung empfohlen.12

3. Reduktion der Fraktionen

Hypofraktionierte Schemata verwenden erhöhte Einzeldosen. Dadurch wird die RT biologisch „aggressiver“. Will man biologisch eine äquivalente RT verabreichen, resultiert eine Reduktion der Gesamtdosis und der Behandlungszeit. So hat sich ein 3-wöchiges Schema bei der Brusterhaltung bereits durchgesetzt,13 und auch nach Mastektomie gibt es erste randomisierte Daten.14 Die Tendenz zur weiteren Verkürzung hält an, ein 1-wöchiges Schema mit 5x5,2Gy steht kurz vor dem Einzug in die klinische Routine. Allerdings sind erst 5-Jahres-Ergebnisse publiziert.15

4. Reduktion des Bestrahlungsvolumens

Durch Reduktion des Bestrahlungsvolumens (alleinige Teilbrustbestrahlung) lässt sich ebenfalls die Gesamtbehandlungszeit senken. Es gibt verschiedene Techniken und Schemata, generell wurden in den Studien Patientinnen mit niedrigem Rückfallrisiko eingeschlossen. Sowohl 5- als auch 10-Jahres-Daten weisen auf eine vergleichbare (und niedrige) Lokalrezidivrate hin, in den meisten Studien mit weniger Toxizität im Teilbrustbestrahlungsarm. Eine Studie mit einmaliger intraoperativer RT (IORT) zeigte ebenfalls vergleichbare Outcome-Daten, die nicht brustkrebsspezifische Mortalität war mit IORT sogar signifikant geringer.16 Über alle Methoden gesehen ist die Mortalität vergleichbar, die Herztodesfallrate ist um 0,3% geringer.17 Die Teilbrustbestrahlung wird sich bei Patientinnen mit niedrigem Risiko durchsetzen.

5. Reduktion der Indikationen (= Verzicht auf RT)

Je geringer das Ausgangsrisiko für einen lokalen Rückfall, umso kleiner der absolute Gewinn durch die RT. Ein Update der PRIME-2-Studie – vor Kurzem am San Antonio Breast Cancer Symposium (SABCS) vorgestellt – hat bei selektionierten Patientinnen einen Unterschied in der lokalen Kontrolle von ca. 1% mit RT versus ca. 10% ohne RT nach 10 Jahren gezeigt, dies ohne Einfluss auf das Gesamtüberleben. Gerade bei älteren Frauen mit niedrigem Risiko ist der Verzicht auf die RT eine Option. Mehrere Studien laufen zu diesem Thema. Interessant ist der Vergleich zwischen alleiniger Teilbrustbestrahlung versus alleinige antihormonelle Therapie (EUROPA-Trial), der primäre Endpunkt ist die Lebensqualität nach 2 Jahren. Für Schweizer Zentren wird in den kommenden Monaten der EXPERT-Trial für Patientinnen mit Luminal-A-Tumoren und niedrigem Rückfallrisiko aktiviert. Diese Studie läuft schon seit einiger Zeit in Australien/Neuseeland und untersucht den Verzicht auf die Ganzbrustbestrahlung bei antihormoneller Basistherapie.

Möglichkeiten der Eskalation (Abb. 2)

Abb. 2: Möglichkeiten der Eskalation

1. Präoperative RT

Eine RT so schnell wie möglich könnte das Outcome verbessern. Eine große randomisierte Multicenterstudie ist in Deutschland in Planung. Zumindest bezüglich Nebenwirkungen könnte sich dieser Ansatz positiv auswirken.19 Ich sehe vor allem Vorteile bei geplantem Wiederaufbau, da dadurch keine Brustrekonstruktion bestrahlt werden muss.

2. Radiosensitizer

Eine simultane Chemotherapie oder begleitende Hyperthermie sind bekannte Radiosensitizer. Gerade in Situationen mit nicht resektablem Tumor oder bei Lokalrezidiv mit Vorbelastung findet dieser Ansatz gerne Anwendung.20 Bei simultaner Chemotherapie können aber auch Nebenwirkungen zunehmen. Generell wird deshalb die adjuvante RT erst nach abgeschlossener Chemotherapie sequenziell eingesetzt.

3. Dosiseskalation (Boost)

Bei Brusterhaltung wird eine Boostbestrahlung häufig durchgeführt. Am SABCS 2020 wurden die ersten Daten bei DCIS vorgestellt (Reduktion des relativen Risikos für ein Lokalrezidiv um ca. 50%; Reduktion des absoluten Risikos nach 5 Jahren von 7% auf 3%).21 Ähnlich wie beim invasiven Karzinom wird aber auch das Risiko für relevante Nebenwirkungen durch den Boost leicht erhöht. Interessant ist, dass die Boostbestrahlung eine Reexzision bei fokaler R1-Situation zu ersetzen vermag, sofern man einen kleinen Unterschied in der Lokalkontrolle (ca. 1% versus 3% nach 5 Jahren) akzeptiert.22

4. Zusätzliche regionäre RT

Eine zusätzliche regionäre RT führt zu einem kleinen, aber signifikanten Überlebensvorteil.23 Unklar ist dabei, welche Lymphknoten-Region/en (parasternal/periklavikulär/axillär) wirklich bestrahlt werden soll/en. Neuere Daten deuten darauf hin, dass vor allem die RT der Parasternalregion zu einer Abnahme der Fernmetastasierung und damit zu einem Überlebensvorteil führt.24 Studien wie z.B. AMAROS25 haben dazu geführt, dass bei positivem Sentinellymphknoten anstelle einer axillären Dissektion eine regionäre RT durchgeführt wird (identische Tumorkontrolle bei Halbierung des Armlymphödems). Die chirurgische Deeskalation hat eindeutig zur Zunahme der regionären Bestrahlung beigetragen.

5. RT in oligometastasierter Situation

Das Konzept einer optimalen lokalen Tumorkontrolle bei oligometastasierter Tumorerkrankung wird momentan bei verschiedenen Tumorentitäten evaluiert und hat bereits in verschiedene Guidelines Einzug gehalten. Momentan ist unklar, welche Subgruppen von Patientinnen mit Oligo-M1 am ehesten davon profitieren, die Wahrscheinlichkeit eines Selektionsbias in den publizierten Arbeiten ist hoch.26 Die S3-Leitlinie empfiehlt eine individuelle und interdisziplinäre Entscheidung bei selektionierten Patientinnen.12

Welche Strategien helfen hinsichtlich einer risikoadaptierten Radiotherapie?

Als Diskriminator zwischen keiner, lokaler oder lokoregionärer RT werden vor allem das T- und das N-Stadium sowie das Patientinnenalter herangezogen. Allerdings hat sich z.B. die NCCN-Guideline27 bei Status nach Mastektomie seit über 20 Jahren kaum verändert. Bei pT1/2 pN0 erfolgt keine Empfehlung einer RT, bei höherem T-Stadium (pT3/4) sieht man die RT lokal, bei 4 oder mehr befallenen Lymphknoten auch regionär indiziert (Abb. 3). Allerdings ist das Vorgehen uneinheitlich, und es gibt Subgruppen von Patientinnen, für welche die Entscheidung schwerfällt. Wie soll man bei 1–2 positiven Sentinels verfahren? Kann bei Mikrometastasierung getrost auf eine Postmastektomie-RT verzichtet werden? Wie sieht es für Patientinnen mit 1–3 befallenen Lymphknoten nach Axilladissektion aus? Auch wenn die Tendenz in die eine oder andere Richtung geht (blaue Pfeile in Abb. 3), die vorhandene Datenlage erlaubt eine unterschiedliche Wertung. Oft helfen zusätzliche Risikofaktoren in der Entscheidungsfindung (Abb.3). Die Tumorbiologie spielt eine immer größere Rolle, vor allem tripelnegative Tumoren rezidivieren häufiger. Die Identifikation von Biomarkern und die Entwicklung Genom-basierter Assays zur prädiktiven Bestimmung von Effektivität und Nebenwirkungen der RT wird die Zukunft darstellen. Wir sind noch nicht so weit, aber die ersten Ergebnisse als Grundstein für einen breiteren Einsatz in der klinischen Routine sind da.28

Abb. 3: Strategie der RT-Indikationsstellung bei Status nach Mastektomie

1 Early Breast Cancer Trialists’ Collaborative Group (EBCTCG) et al.: Effect of radiotherapy after breast-conserving surgery on 10-year recurrence and 15-year breast cancer death: meta-analysis of individual patient data for 10,801 women in 17 randomised trials. Lancet 2011; 378(9804): 1707-16 2 Prescott RJ et al.: A randomised controlled trial of postoperative radiotherapy following breast-conserving surgery in a minimum-risk older population. The PRIME trial. Health Technol Assess 2007; 11(31): 1-149 3 Velikova G et al.: Quality of life after postmastectomy radiotherapy in patients with intermediate-risk breast cancer (SUPREMO): 2-year follow-up results of a randomised controlled trial. Lancet Oncol 2018; 19(11): 1516-29 4 Joseph K et al.: Skin toxicity in early breast cancer patients treated with field-in-field breast intensity-modulated radiotherapy versus helical inverse breast intensity-modulated radiotherapy: results of a phase III randomised controlled trial. 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SABCS 2020, Abstr. #GS2-04. https://www.abstractsonline.com/pp8/#!/9223/presentation/580 22 Vos EL et al.: Omitting re-excision for focally positive margins after breast-conserving surgery does not impair disease-free and overall survival. Breast Cancer Res Treat 2017; 164(1): 157-67 23 Budach W et al.: Adjuvant radiation therapy of regional lymph nodes in breast cancer – a meta-analysis of randomized trials – an update. Radiat Oncol 2015; 10: 258 24 Haussmann J et al.: Which target volume should be considered when irradiating the regional nodes in breast cancer? Results of a network-meta-analysis. Radiat Oncol 2019; 14(1): 102 25 Rutgers E et al.: Radiotherapy or surgery of the axilla after a positive sentinel node in breast cancer patients: 10 year follow up results of the EORTC AMAROS trial (EORTC 10981/22023). Cancer Research 2019; 79: GS4-01 26 Haussmann J et al.: The role of local treatment in oligometastatic and oligoprogressive cancer. 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