Einfluss der Luftverschmutzung auf die Entstehung von Lungenkarzinomen
Bericht: Dr. Ine Schmale,
Dr. Kassandra Settele
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Das nicht-kleinzellige Lungenkarzinom (NSCLC) weist bei Nie-Rauchern eine deutlich geringere Mutationslast auf als bei (Ex-)Rauchern, geht jedoch häufig mit EGFR-Mutationen einher. Wie die Luftverschmutzung an der Initiierung des NSCLC beteiligt ist, untersuchte ein globales Team um Charles Swanton, der die Ergebnisse in der ESMO-Präsidentensitzung präsentierte.
Schon seit längerem wird die Entstehung von Lungenkrebs mit der Luftverschmutzung assoziiert: Eine höhere Konzentration an Luftschadstoffen geht mit einem erhöhten Risiko für nicht-kleinzellige Lungenkarzinome einher. Es ist jedoch nicht bekannt, ob Luftverschmutzung Krebs direkt verursachen kann und welche genauen Mechanismen dahinterstecken. Rätselhafterweise scheint die Luftverschmutzung keine DNA-Mutationen zu verursachen, denn bei Nie-Rauchern mit NSCLC findet sich eine deutlich geringere Mutationslast als bei (Ex-)Rauchern.
Das globale Forschungsteam um Charles Swanton vom Francis Crick Institute, London (UK) analysierte Daten von Menschen aus verschieden stark belasteten Erdteilen, setzte Gewebe von Menschen und Mäusen einer erhöhten Konzentration von Luftpartikeln aus und untersuchte schließlich die Konsequenzen im Maus-Lungenkarzinom-Modell. Bei der Präsentation der Ergebnisse beleuchtete Swanton insbesondere die Fragestellung, auf welche Weise Umweltkarzinogene Krebs verursachen.
Wie führen Umweltkarzinogene zur Entstehung von Krebserkrankungen?
Die klassische Annahme ist, dass ein Karzinogen zur Mutagenese führt. Durch klonale Expansion kommt es daraufhin zum Tumorwachstum und zu Krebs. Es gibt jedoch Evidenz, die gegen dieses Modell spricht, wie z.B.:
Die BRAF-V600E-Mutation beim Melanom (welches ja durch UV-Licht getrieben ausgelöst wird) ist selbst keine Mutation, die durch UV-Licht entsteht
Gesundes Gewebe stellt einen Fleckenteppich aus Mutationen dar und beinhaltet Klone krebstreibender Mutationen, ohne jedoch Anzeichen von Krebs aufzuweisen
Eine Untersuchung aus dem Jahr 2020 konnte zeigen, dass 17 von 20 untersuchten Karzinogenen im Mausmodell die Karzinogenese vorantrieben, ohne DNA-Mutationen zu verursachen
In der Studie TRACERx zur Evolution von Lungenkrebs zeigte sich, dass 10% der Raucher mit Lungenkrebs keine durch Tabakrauch getriebene Mutation aufweisen
Eine Alternative ist das Tumor-Promotion-Model: Demzufolge ist neben einer Mutation als Tumorinitiator ebenfalls ein Promoter notwendig, um Krebs zu induzieren – Initiator oder Promoter allein reichen für die Entstehung von Krebs nicht aus.
Swantons Team stellte daher die Frage, ob die Assoziation von Luftverschmutzung mit der Inzidenz von Lungenkarzinomen auf einer möglichen Wirkung von Luftschadstoffen als Promoter für das Lungenkarzinom beruht. Diese Fragestellung wurde unter drei Aspekten untersucht: Ob eine geographische Beziehung zwischen dem Vorkommen von EGFR-mutiertem Lungenkrebs und der Luftschadstoffbelastung besteht, ob und wie Luftschadstoffe in der Entstehung von Lungenkrebs als Promoter wirken und ob zugrundeliegende EGFR-Treibermutationen bereits in gesundem Gewebe vorliegen.
Gibt es eine geographische Beziehung zwischen EGFR-mutierten Lungenkarzinomen und der Luftschadstoffbelastung?
Hierzu wurden Daten einer britannischen Biobank herangezogen, deren Analyse zeigt, dass die erhöhte Exposition gegenüber Luftschadstoffpartikeln mit einer höheren Inzidenz von Mesotheliomen, Analkarzinomen, Dünndarmtumoren und Glioblastomen sowie Lippen-, Mundhöhlen-, Luft- und Speiseröhrenkarzinomen assoziiert war. Dass neben Lungentumoren und Tumoren von Kopf und Hals auch Tumoren des Gastrointestinaltrakts vermehrt vorkamen, könnte damit zusammenhängen, dass Luftschadstoffpartikel nicht nur eingeatmet, sondern auch verschluckt werden.
In Hinblick auf EGFR-mutierten Lungenkrebs konnten die Forschenden eine mit der Schadstoffbelastung korrelierende Inzidenz nicht nur in Großbritannien zeigen, sondern auch in Taiwan und Südkorea – also in Ländern, in denen die Schadstoffbelastung noch um einiges höher liegt.
Wirken Luftschadstoffpartikel als Promoter in der Tumorgenese von vorbestehenden EGFR-mutierten Klonen?
Ob Luftschadstoffe eine Promoterfunktion ausüben, untersuchte die Forschungsgruppe zunächst anhand eines Mausmodells. Sie initiierten EGFR- und KRAS-Mutationen und setzen die Mäuse dann über 10 Wochen einer regelmäßigen Belastung mit Luftschadstoffen aus. Es konnte eine von der Dosis an Luftschadstoffpartikeln abhängige Zunahme von Tumoren nachgewiesen werden – unabhängig vom verwendeten Tumorinitiator.
Als häufigste Progenitorzellen für EGFR-mutierten Lungenkrebs gelten Alveolarzellen von Typ 2 (AT2). Die den Luftschadstoffen ausgesetzten Mäuse (sowohl jene mit EGFR-Wildtyp als auch jene mit EGFR-Mutation) wiesen in der Traskriptomanalyse auch vermehrt Hinweise auf AT2 auf. Ob jedoch tatsächlich vermehrt funktionale Progenitorzellen vorkamen, sollte durch die Untersuchung von Organoiden aus den Epithelzellen der verwendeten Mäuse überprüft werden: Hier zeigte sich, dass dies nur bei jenen Mäusen der Fall war, die sowohl EGFR-Mutationen hatten als auch einer Exposition mit Luftschadstoffen ausgesetzt worden waren.
Eine mögliche Schaltstelle, warum sich letztendlich ein Tumor entwickelt, ist die inflammatorische Achse. Forschungsergebnisse der letzten Jahre suggerieren, dass hier insbesondere Interleukin-1B (IL-1B) eine wichtige Rolle spielt. IL-1B wirkt im Rahmen der Entzündungsreaktion auf die Regeneration von Alveolarzellen und kann Krebs-Progenitorzellen induzieren.
Um der Rolle der Inflammation bei der Entstehung von Tumoren nachzugehen, verglichen die Forschenden das Mausmodell mit der einer Studie zur Schadstoffbelastung an menschlichen Probanden: Es wurde eine weitere Transkriptomanalyse anhand von Lungengewebe menschlicher Proband*innen durchgeführt, die entweder drei Stunden gefilterte Raumluft geatmet hatten oder einer hohen Konzentration an Luftschadstoffen ausgesetzt wurden. Beim Vergleich der Ergebnisse stach den Forschenden schnell ins Auge, dass sowohl im menschlichen Gewebe als auch bei den Mäusen Interleukin-1B eines der unter Schadstoffbelastung am stärksten hochregulierten Zytokine war. Sowohl im Mausmodell als auch im menschlichen Gewebe trieben die eingeatmeten Luftschadstoffpartikel die Ausscheidung von IL-1B aus Epithelzellen und Makrophagen an.
Im CANTOS-Trial von 2017, einer klinischen Studie, konnte bereits eine verringerte Inzidenz von Lungenkrebs bei Gabe eines anti-IL-1B-Antikörpers gezeigt werden. In Anlehnung an CANTOS überprüfte das Forschungsteam daher, ob bei den Mäusen mit EGFR-Mutation, die Luftschadstoffen ausgesetzt worden waren, die Inhibition von IL-1B einen Einfluss auf die Krebsentstehung hatte. Und tatsächlich: Durch die Gabe einer anti-IL-1B-Therapie konnte das Tumorwachstum gänzlich aufgehoben werden.
Existieren in gesundem Lungengewebe Initiatorzellen mit EGFR-Treibermutationen?
Abschließend untersuchte die Forschungsgruppe gesundes, menschliches Lungengewebe von Nie-Rauchern auf das Vorkommen von EGFR-aktivierenden Mutationen und konnte diese in 15% der Proben nachweisen. KRAS-aktivierende Mutationen wurden sogar in 53% der Proben gefunden. Es wurde ein linearer Zusammenhang zwischen zunehmendem Alter der Proband*innen und der Anzahl der Mutationen festgestellt, sodass davon auszugehen ist, dass sich die Mutationen im Laufe des Lebens und des Alterungsprozesses anhäufen.
„No choice over the air we breathe”
Weltweit gehen jährlich 7–8 Millionen Todesfälle auf die Luftverschmutzung zurück. Luftschadstoffe führen damit zu einer ähnlich hohen Mortalität wie Tabakprodukte. Mehr als 99% der Weltbevölkerung leben in Gebieten, die das von der WHO definierte sichere Limit an Luftpartikeln überschreiten. Wenn auch das Risiko durch aktives Rauchen an einem NSCLC zu erkranken erheblich höher ist als durch Luftverschmutzung, so sind doch weltweit um ein vielfaches mehr Menschen von der Luftverschmutzung betroffen, insbesondere in der ärmeren Bevölkerung. Luftverschmutzung stellt ein globales gesellschaftliches Problem dar, für das noch eine Lösung gefunden werden muss.
Fazit
Die Forschungsgruppe um Swanton postuliert, dass Luftschadstoffe über die Induktion von IL-1B die Transdifferentiation der EGFR-mutierten Klone – die als Onkogene auch bei Nierauchern mit zunehmenden Alter in zunehmender Häufigkeit vorliegen – zu einem Stammzell-ähnlichen Zustand bewirken können, was schließlich zur Tumorbildung führt. Diese Tumorinitiation konnte im Modell durch die Gabe einer anti-IL-1B-Therapie blockiert werden.
Swanton hofft, dass diese Ergebnisse neue Türen für die Prävention von Krebs auf dem molekularen Level bei Hochrisikopopulationen öffnen: Möglicherweise gibt es weitere Entzündungsprozesse, die als Krebspromoter fungieren und medikamentös beeinflusst werden können.
Quelle:
Swanton C et al. Mechanism of action and an actionable inflammatory axis for air pollution induced non-small cell lung cancer: Towards molecular cancer prevention. ESMO 2022, Abstr. #LBA1
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