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Resilienz in der Gesundheitsversorgung

Eine offene Fehlerkultur und gute Kommunikation halten gesund

Resilienz ist das Erhalten einer guten psychischen Gesundheit trotz Belastungen, also die Aufrechterhaltung oder rasche Wiederherstellung der psychischen Gesundheit während oder nach schwierigen Lebensphasen.1

Keypoints

  • Resilienz bezeichnet das Erhalten einer guten psychischen Gesundheit bei und nach Belastungen.

  • Resilienz besteht aus persönlichen Eigenschaften und Ressourcen, die durch das Arbeitsumfeld gestärkt oder geschwächt werden.

  • Eine geringe Resilienz in Kombination mit einer schädlichen Fehlerkultur kann nach Fehlerereignissen zu psychischen Symptomen führen („Second-Victim-Phänomen“).

  • Eine offene Kommunikation zu Fehlerereignissen im medizinischen Team und mit den Betroffenen unterstützt die Bewältigung von Fehlerereignissen und fördert die Versorgungsqualität.

Resilienz ist für alle Menschen von Bedeutung. Sie hilft, langfristig gesund und leistungsfähig zu bleiben. Eine gute Resilienz ist besonders für diejenigen essenziell, die regelmäßig psychisch belastenden Situationen oder Umgebungen ausgesetzt sind. Dazu zählen sicher jene, die in der Gesundheitsversorgung tätig sind.

Allerdings werden besonders die Arbeitsbedingungen im Krankenhaus in den letzten Jahren zunehmend als gefährdend für die körperliche und psychische Gesundheit benannt.2 Zu den Belastungen durch ein hohes Arbeitspensum, lange und unregelmäßige Arbeitszeiten und regelmäßiges Arbeiten unter Zeitdruck kommen emotionale Belastungen durch die Arbeit mit schwer kranken und sterbenden Menschen und eine hohe Verantwortung, die häufig allein getragen wird.

Ein wichtiger Belastungsfaktor in der Medizin ist die Sorge vor Fehlern. Spätestens seit dem Bericht „To err is human“3 werden Fehler in der Medizin offener diskutiert und aktuelle Zahlen zeigen, dass Fehler im Gesundheitswesen weniger die Ausnahme sind, sondern häufig auftreten.4 Neben den Folgen für die betroffenen Patient:innen werden in den letzten Jahren zunehmend auch die Belastungen der medizinischen Fachkräfte thematisiert, die an Fehlerereignissen beteiligt sind.

An einem Ereignis beteiligt zu sein, das einem anderen Menschen schadet, ist immer belastend. Bei Ärzt:innen kommt hinzu, dass sie selbst, ihre Patient:innen und die Gesellschaft von ihnen genau das Gegenteil erwarten. Bei hohen Erwartungen wiegen Abweichungen von diesem Anspruch besonders schwer. In der Folge kann es zu verschiedenen Beschwerden kommen, wie zu Selbstzweifeln und weniger Vertrauen in eigene Fähigkeiten, Schlafstörungen, Schuldgefühlen, Depression, Rückzug, Isolation, posttraumatischem Belastungssyndrom und inadäquatem Medikamenten- und/oder Alkoholkonsum. Ferner kann es zu einem veränderten Arbeitsverhalten kommen, z.B. zu Vermeiden von Entscheidungen, Praktizieren defensiver Medizin und zu absicherndem Verhalten, das die Versorgungsqualität verschlechtert.

Das Second-Victim-Phänomen

Das als Second-Victim-Phänomen (SVP, also das zweite Opfer nach den betroffenen Patient:innen) bezeichnete Beschwerdebild wird als „Traumatisierung einer medizinischen Fachperson, durch einen unvorhergesehenen Zwischenfall an einer Patientin/einem Patienten, einen medizinischen Fehler und/oder eine Verletzung einer Patientin/eines Patienten“ definiert.5 Seit den ersten Beschreibungen im Jahr 20006 ist dieses Phänomen Thema verschiedener Untersuchungen und wird in Österreich z.B. auf der Internetseite www.secondvictim.at behandelt.

Eine in Österreich durchgeführte Untersuchung bei Kinderärzt:innen zeigte, dass neun von zehn der teilnehmenden Kinderärzt:innen mindestens einmal in ihrem Berufsleben ein Second-Victim-Phänomen erlebt hatten, und jede:r Fünfte brauchte ein Jahr und länger, um sich wieder vollständig davon zu erholen.7 Andere Untersuchungen sprechen von fast 60% aller Mediziner:innen mit mindestens einer Phase von Second-Victim-Phänomen.8 Das SVP scheint bei Frauen häufiger und mit höhererSymptomlast aufzutreten.5,9

Während eines Workshops im Rahmen der Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Onkologie (2023) konnten die Autorinnen dieses Textes unter anderem die Ursachen für das häufigere Auftreten bei Frauen diskutieren. Die Workshopteilnehmerinnen nannten unter anderem, dass Frauen häufiger dazu neigten, Fehler als persönliches Versagen zu interpretieren, stark mit den geschädigten Patient:innen mitfühlten und einem höheren Leistungsdruck in einer (zumindest in den Führungspositionen) männlich geprägten Berufswelt ausgesetzt seien.

Um alle in der Medizin tätigen Menschen und besonders Frauen, deren Anteil unter Ärzt:innen stetig zunimmt, zu unterstützen, ihre Freude an der Arbeit und ihre wertvolle Arbeitskraft für die Patient:innenversorgung zu erhalten, sollte dieses Phänomen mit besonderer Aufmerksamkeit betrachtet werden.

Maßnahmen ergreifen

Um das Auftreten von SVP zu vermeiden, werden zahlreiche Maßnahmen vorgeschlagen. Dazu gehören individuelle Interventionen, um Resilienz zu stärken, z.B. das Arbeiten an den individuellen Resilienzfaktoren. Diese sind eine optimistische Denkweise, ein hohes Selbstvertrauen und eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung.

Auf der Strukturebene hilft ein unterstützendes soziales Umfeld, generell und besonders auch in Situationen, in denen es zu einem Fehler kommt. Eine offene Fehlerkultur und strukturierte Programme als Unterstützung von Mitarbeitenden nach einem Fehlerereignis gehören dazu.10 Denn der Grad von Resilienz ist auch ein Adaptationsprozess: Positive Erfahrungen im Umgang mit Krisen stärken die Selbstwirksamkeitserwartung, auch zukünftige Herausforderungen zu meistern. Negative Erfahrungen hingegen schwächen das Selbstvertrauen, Krisen gut zu überstehen.

Doch der Umgang mit Fehlern im Umfeld der Humanmedizin ist nicht immer unterstützend. Sehr häufig wird bei Auftreten von Fehlern noch das Modell „blaming – shaming – abandonment“ eingesetzt. Treten Fehler auf, werden Schuldige gesucht, die als Sündenbock die Verantwortung für die Folgen eines Fehlers übernehmen müssen, ungeachtet der Tatsache, dass Fehler selten durch eine Person oder eine Handlung verursacht werden, sondern in der Regel durch ein Zusammentreffen mehrerer fehlerunterstützender Ereignisse und dem Versagen von Sicherheitsbarrieren (vgl. Schweizer-Käse-Modell).

Die Personen, denen Schuld gegeben wird, werden oft mit der Verantwortung und dem Umgang damit allein gelassen. Nun droht ein Teufelskreis, denn eine destruktive Verarbeitung eines Fehlerereignisses führt bei der betroffenen Person zu Ängsten und sinkendem Selbstvertrauen, wodurch Resilienz für zukünftige herausfordernde Ereignisse geschwächt wird.

Eine konstruktive Fehlerkultur

Dieser Teufelskreis wird durch eine konstruktive Fehlerkultur gestoppt. In dieser werden Fehler genutzt, um fehleranfällige Strukturen und Prozesse zu identifizieren und zu verbessern. Zu einem konstruktiven Verarbeiten von Fehlern gehören jedoch die Einigung und Sicherheit im Team, dass über Fehler offen gesprochen werden kann. Ein solcher sicherer Rahmen und gut funktionierende Beziehungen im Team sowie die Unterstützung durch Kolleg:innen nach einem Fehlerereignis – Stichwort „peer support“ – helfen bei einer resilienzfördernden Verarbeitung von Fehlerereignissen.11

Durch einen konstruktiven Umgang mit Fehlern werden also zwei Ziele effizient erreicht: Er hilft, fehlerhafte Prozesse zu identifizieren und zu verbessern, und stärkt zusätzlich die Mitarbeiter:innen. Dies sollte nicht nur in Zeiten knapper Personalressourcen besonders wichtig sein.

Eine der wichtigsten Aspekte einer konstruktiven Fehlerkultur sind die Kommunikation und Beziehung im Team.12 Dazu gehört eine Atmosphäre des Vertrauens und der Wertschätzung, die stark von der Vorbildfunktion von Führungskräften im Umgang mit Fehlern abhängt. „Morbidity and Mortality“-Konferenzen (M&M-Konferenzen) sind strukturelle Maßnahmen, die die Aufarbeitung von Fehlern formalisieren und für einen Lerneffekt sorgen. Dies führt für alle Beteiligten zu einem höheren Selbstvertrauen und höherer Selbstwirksamkeitsüberzeugung, was wiederum die Resilienz fördert und stärkt.

Wichtig: Offenlegungsgespräche

Neben der formellen und informellen Kommunikation im Team spielt auch die Kommunikation mit den von Fehlern Betroffenen, den „first victims“, eine Rolle. Diese Offenlegungsgespräche können einerseits entlastend wirken, andererseits ein Stressfaktor sein.12 Dass mit den „first victims“ gesprochen werden muss, steht außer Frage. Für jeden Fall individuell zu entscheiden ist, wer dieses Gespräch führt: diejenigen, die direkt an dem Fehlerereignis beteiligt waren, oder deren Vorgesetzte bzw. andere Außenstehende. Die Empfehlungen dazu sind uneinheitlich, die jeweiligen Vor- und Nachteile sollten im Einzelfall abgewogen werden. Auch wenn die Entscheidung getroffen wird, dass die beteiligten Personen am Offenlegungsgespräch nicht teilnehmen, so sollten sie auf jeden Fall in die weitere Aufarbeitung des Fehlers einbezogen sein.

Unabhängig davon, wer das Offenlegungsgespräch führt, sollte dieses Gespräch gut vorbereitet sein. Ob, wann und wer das Gespräch führt, sollte im Team besprochen werden und die Inhalte sollten im Vorfeld klar sein. Über die Technik von Offenlegungsgesprächen liegen zahlreiche Empfehlungen vor, z.B. vom Aktionsbündnis Patientensicherheit.13 Die wichtigsten Inhalte sind in der Tabelle 1 dargestellt. Es ist zu empfehlen, dass alle Personen, die an diesen Gesprächen beteiligt sind, ein Training für die Durchführung durchlaufen, um die Ziele dieses Gespräches zu vereinheitlichen (Erhalten des Vertrauens, Vereinbarung notwendiger Maßnahmen, Schadensbegrenzung und zukünftige Schadensvermeidung).

Tab. 1: Die Inhalte eines Offenlegungsgesprächs sollten zuvor im Team abgestimmt werden

1 Leibniz-Institut für Resilienzforschung. Online unter https://lir-mainz.de/resilienz . Abgerufen am 11.3.2024 2 Vincent-Höper S et al.: Arbeitsbelastung im Krankenhaus. Gemeinsam gegen die Ökonomie. Dtsch Arztebl 2020; 117(22-23): A-1143/B-963 3 Kohn LT et al.: To err is human: building a safer health system. Institute of Medicine (US) Committee on Quality of Health Care in America. Washington (DC): National Academies Press (US), 2000 4 Makary MA, Daniel M: Medical error — the third leading cause of death in the U.S. BMJ 2016; 353: i2139 5 Scott SD et al.: The natural history of recovery for the healthcare provider „second victim“ after adverse patient events. Qual Saf Health Care 2009; 18(5): 325-30 6 Wu AW: Medical error: the second victim. The doctor who makes the mistake needs help too. BMJ 2000; 320(7237): 726-7 7 Potura E et al.: Second victims among Austrian pediatricians (SeViD-A1 Study). Healthcare (Basel) 2023; 11(18): 2501 8 Strametz R et al.: Prevalence of second victims, risk factors and support strategies among young German physicians in internal medicine (SeViD-I survey). J Occup Med Toxicol 2021; 16: 11 9 Waterman AD et al.: The emotional impact of medical errors on practicing physicians in the United States and Canada. Jt Comm J Qual Patient Saf 2007; 33(8): 467-76 10 Sexton J et al.: Perceptions of institutional support for „second victims“ are associated with safety culture and workforce well-being. Jt Comm J Qual Patient Saf 2021; 47(5): 306-12 11 Schrøder K et al.: Evaluation of ‘the Buddy Study‘, a peer support program for second victims in healthcare: a survey in two Danish hospital departments. BMC Health Serv Res 2022; 22(1): 566 12 Schwappach DL, Boluarte TA: The emotional impact of medical error involvement on physicians: a call for leadership and organisational accountability. Swiss Med Wkly 2009; 139(1-2): 9-15 13 Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V. (APS): Reden ist Gold. Kommunikation nach einem Zwischenfal. 3. Auflage. Berlin, 2017

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