
Gegenwart und Zukunft der Therapie des Nierenzellkarzinoms
Autoren:
Assoz. Prof. Priv.-Doz. Mag. Dr. Martin Pichler
OÄ Dr. Jasmin Terzic
Klinische Abteilung für Onkologie Universitätsklinik für Innere Medizin
Graz
E-Mail: martin.pichler@medunigraz.at
Die Behandlung des metastasierten Nierenzellkarzinoms befindet sich im Wandel, die langfristige Krankheitskontrolle mit Immuncheckpoint-Inhibitoren ist möglich. Neue Kombinationen von Immuncheckpoint-Inhibitoren mit hochwirksamen Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) sowie HIF(Hypoxie-induzierter Faktor)-Inhibitoren stehen im Zentrum zukünftiger Therapieansätze.
Keypoints
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Kombinationstherapien (IO/IO) oder (IO/TKI) wurden als „Standard of Care“ in der Erstlinientherapie etabliert.
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Die Therapiesequenz bleibt ein spannendes Feld in den kommenden Jahren, vor allem in der Studienlandschaft beim mRCC.
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HIF-Inhibitoren auf Grundlage des Pathomechanismus des hereditären wie auch des sporadischen klarzelligen RCC bieten einen vielversprechenden Therapieansatz.
Die aktuellen Therapiealgorithmen in der Behandlung des metastasierten Nierenzellkarzinoms (mRCC) haben sich in den letzten 15 Jahren dramatisch verändert. Das Nierenzellkarzinom wird klassisch nach der Histologie in das häufigste klarzellige (70–80%) und demgegenüber das nichtklarzellige (sehr heterogener Rest) unterteilt. Die Entdeckung des VHL(Von Hippel-Lindau)-HIF-, Hypoxie- und Angiogenese-Signalwegs hat nicht nur zur Etablierung der TKI ab 2005 geführt, sondern wurde 2019 auch mit dem Nobelpreis für Medizin gewürdigt.
In der adjuvanten Therapiesituation steht uns in Europa aktuell keine zugelassene Therapie zur Verfügung, klinische Studienergebnisse zu den Immuncheckpoint-Inhibitoren werden mit Spannung erwartet. Doch hat sich innerhalb der letzten fünf Jahre ein Paradigmenwechsel in der Erstlinientherapie des metastasierten klarzelligen Nierenzellkarzinoms vollzogen und die etwa 10-jährige Ära der reinen TKI-Therapie wurde durch die Einführung der Immuncheckpoint-Inhibitoren abgelöst.
Erstlinientherapie: Breites Spektrum wird Wirklichkeit
CheckMate-214-Studie
Die Ergebnisse der Phase-III-Studie CheckMate-214 führten zur Zulassung der immunonkologischen Kombination von Nivolumab, einem PD-1(„programmed cell death protein 1“)-Checkpoint-Inhibitor, plus Ipilimumab, einem CTLA-4(„cytotoxic T-lymphocyte-associated protein 4“)-Inhibitors. Es konnte die Überlegenheit dieser Kombination gegenüber Sunitinib in der Erstlinientherapie bei Patienten mit klarzelligem mRCC und intermediärem oder schlechtem IMDC(„International mRCC Database Consortium“)-Risiko gezeigt werden. Die erste Analyse zeigte in den primären Endpunkten Gesamtüberleben („overall survival“, OS; p<0,001), und „overall response rate“ (ORR; p<0,001) einen signifikanten Vorteil für die Immuntherapie-Kombination.1
Beim Kongress 2020 der Europäischen Gesellschaft für Medizinische Onkologie (ESMO) bestätigte sich die anhaltende Überlegenheit dieser Kombinations-Immuntherapie (IO/IO) in allen Endpunkten mit einer Nachbeobachtungszeit von (Minimum) 4 Jahren.2 Das mediane OS wurde für Patienten im IO/IO-Arm mit 48,1 Monaten (95% Konfidenzintervall [CI]: 35,6 bis nicht erreicht) berichtet und betrug unter Sunitinib 26,6 Monate (95% CI: 22,1–33,5). Bemerkenswert ist, dass die Raten an Komplettremissionen (CR) signifikant unterschiedlich ausfielen: 10,4% vs. 1,4% im Sunitinib-Arm. An weiteren hoch-interessanten Post-hoc-Analysen ist erfreulich, dass es offenbar beim progressionsfreien Überleben (PFS) nach 2 Jahren zu einer Plateaubildung kommt und dass jene Patienten, die eine CR zeigen, sehr häufig auch noch nach 4 Jahren keine Zeichen einer Krankheitsprogression aufweisen. Auch jene Patienten, die aufgrund von schweren Nebenwirkungen die IO/IO-Therapie abbrechen mussten, zeigten keinen wesentlichen Unterschied bezüglich des OS verglichen mit der ITT(„Intention to treat“)-Studienpopulation.
KEYNOTE-426-Studie
Eine weitere Kombinationsstudie, KEYNOTE-426, konnte auch nach fast 2 Jahren minimalem Follow-up signifikante Unterschiede bestätigen. Die bereits am Genitourinary Cancers Symposium der American Society of Clinical Oncology (ASCO-GU-Symposium) 2019 präsentierte Phase-III-Studie konnte nach einem 23-monatigen Minimum-Follow-up-Update am ASCO-Kongress 2020 die signifikante Überlegenheit der Kombination Pembrolizumab und Axitinib in Bezug auf OS, PFS und ORR gegenüber Sunitinib bei Patienten aller IMDC-Risikogruppen beibehalten.3 Der PD-1-Checkpoint-Inhibitor Pembrolizumab und der potente VEGFR(„vascular endothelial growth factor receptor“)-TKI Axitinib verbesserten die OS-Rate (74% vs. 66% unter Sunitinib nach 2 Jahren) und die PFS-Rate (38% vs. 27% nach 2 Jahren), mit einer Komplettremissionrate von 9% versus 3%. Post-hoc-Analysen zeigten, dass Patienten unter der Immuntherapie/TKI-Kombination auch bei 80%iger Reduktion der Targetläsionen nach 6 Monaten eine vergleichbare Überlebenswahrscheinlichkeit wie Patienten mit komplettem Ansprechen aufwiesen.4
CheckMate-9ER-Studie
Im September 2020 wurde dann die jüngste Kombinationsstudie, CheckMate-9ER, am ESMO Virtual Congress 2020 präsentiert. Sehr rezent gab es auf Grundlage der Ergebnisse dieser Phase-III-Studie auch ein Update der ESMO- und EAU(European Association of Urology)-Guidelines.
Die CheckMate-9ER-Studie konnte bei therapienaiven Patienten mit klarzelligem mRCC in allen IMDC-Risikogruppen die Überlegenheit der Kombination Nivolumab und Cabozantinib gegenüber Sunitinib in sämtlichen primären Endpunkten zeigen. Die IO/TKI-Kombination verringerte das Progressionsrisiko um 49%, die Mortalität um 40% und hatte eine um 28,6%verbesserte ORR verglichen mit der TKI-Monotherapie. Dieser Vorteil der Kombination von IO und TKI war unabhängig von der PD-L1(„programmed cell death 1 ligand 1“)-Expression oder Metastasenlokalisation.5
Fazit
Zusammenfassend sind nun im Jänner 2021 folgende Erstlinientherapien je nach IMDC-Risikoklassifikation zugelassen:
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Nivolumab und Ipilimumab (IO/IO) bei „Intermediate“/„Poor risk“-Patienten, mit den längsten Follow-up-Daten, einer subjektiv sehr guten Verträglichkeit, der Aussicht auf langfristige Krankheitskontrolle, aber dem Potenzial für schwere immunvermittelte Nebenwirkungen;
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Pembrolizumab und Axitinib (IO/TKI) mit hohen Ansprechraten nach kurzer Zeit, jedoch der Toxizität von TKI und noch nicht so langem Follow-up bei allen Risikogruppen;
Avelumab und Axitinib (IO/TKI), mit hohen Ansprechraten, Verlängerung des PFS, jedoch noch fehlendem Nachweis der Verlängerung des OS und relativ geringen Komplettremissionsraten, ebenfalls bei allen Risikogruppen zugelassen.
Zukünftig kann dann sicherlich Nivolumab plus Cabozantinib (IO/TKI) als ein weiterer Erstlinienstandard bei allen Patienten in Betracht gezogen werden, und am ASCO-GU-Symposium 2021 werden die Daten zur Kombination von Pembrolizumab mit dem potenten TKI Lenvatinib erwartet, welche ebenfalls Einzug in die Erstlinie halten könnte.
Die alleinige TKI-Monotherapie ist als Erstlinientherapie obsolet und sollte nur noch als Option bei Kontraindikationen gegen die Immuntherapie oder Nichtverfügbarkeit derselben in Betracht gezogen werden.
Neuer Therapieansatz: HIF-Inhibitoren
Auch im Bereich der Behandlung von hereditären klarzelligen Nierenzellkarzinomen (ccRCC) gab es 2020 Neuigkeiten bzw. Erfolge. Patienten mit hereditärem VHL-Syndrom haben ein erhöhtes Risiko, an verschiedenen Tumoren zu erkranken, inklusive multipler Nierenzellkarzinome. Die Inaktivierung des VHL-Gens führt zu konstitutiver Aktivierung des onkogenen HIF-2α-Transkriptionsfaktors, der selektiv durch den HIF-2α-Inhibitor MK-6482 blockiert werden kann. Es konnte bei VHL-Patienten nun mit der oralen Substanz MK-6482 in einer Phase-II-Studie im Primär- Tumor eine ORR von 27,9% beobachtet werden. 53 der 61 Patienten (86,9%) zeigten eine Regredienz der Targetläsionen. Das PFS nach 12 Monaten betrug 98,3%. Die häufigsten Nebenwirkungen Grad ≥3 waren Fatigue mit 4,9% und Anämie mit 3,3%.6
Diese Substanz wird auch bereits in Phase-III-Studien beim sporadischen klarzelligen Nierenzellkarzinom untersucht und zeigte in frühen Studien vielversprechende Wirksamkeit bei guter Verträglichkeit. Die Hoffnung, dass ein Glutaminasehemmer (Telagelenastat) eine zukünftige Option beim mRCC darstellt, wurden in der rezenten Pressemeldung zur Phase-IIStudie CANTANA leider nicht erfüllt.
Literatur:
1 Motzer RJ et al.: Nivolumab plus ipilimumab versus sunitinib in advanced renal-cell carcinoma. N Engl J Med 2018; 378(14): 1277-90 2 Tannir NM et al.: Overall survival and independent review of response in CheckMate 214 with 42-month follow-up: First-line nivolumab + ipilimumab (N+I) versus sunitinib (S) in patients (pts) with advanced renal cell carcinoma (aRCC). ASCO GU Symposium 2020; Abstr. #609 3 Rini B et al.: Pembrolizumab plus axitinib versus sunitinib for advanced renal-cell carcinoma. N Engl J Med 2019; 380(12): 1116-27 4 Plimack E et al.: Pembrolizumab plus axitinib versus sunitinib as first-line therapy for advanced renal cell carcinoma (RCC): Updated analysis of KEYNOTE-426. ASCO Kongress 2020; Abstract #5001 5 Choueiri TK et al.: Nivolumab + cabozantinib vs sunitinib in first-line treatment for advanced renal cell carcinoma: First results from the randomized phase III CheckMate 9ER trial. ESMO Kongress 2020; Präsentation #696O_PR 6 Jonasch E et al.: Phase II study of the oral HIF-2α inhibitor MK-6482 for Von Hippel-Lindau disease–associated renal cell carcinoma. ASCO-Kongress 2020; Abstract #5003
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