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Wiederum ergänzt

„Hallmarks of Cancer“: Eine kurze Geschichte des Fortschritts

Wer kennt sie nicht: die „Hallmarks of Cancer“, mit welchen Hanahan und Weinberg die Entwicklung von normalen Zellen zu Krebszellen veranschaulicht haben – erstmals vor mehr als 22 Jahren. Nach einem ersten Update 2011 folgte nun eine zweite Erweiterung des Schemas, welche u.a. die Fähigkeit zur Änderung des Zell-Phänotyps und den Einfluss des Mikrobioms miteinbezieht. Finden Sie hier einen kleinen Überblick über die letzten zwei Jahrzehnte der tumorbiologischen Grundlagenforschung anhand der Entwicklung der Hallmarks.

Bei den „Hallmarks of Cancer“ handelt sich um ein Schema von Hanahan und Weinberg, welches Fähigkeiten bzw. Markenzeichen („Hallmarks“) definiert, die Zellen bei ihrer Entwicklung hin zur Malignität erwerben.

Die ersten sechs Charakteristika, welche im Jahre 2000 beschrieben wurden, waren:1

  • Eigenständiges Erhalten der Proliferation („sustaining proliferative signaling“): Während gesunde Körperzellen von externen Signalen abhängig sind, um zu wachsen, können maligne Zellen den Großteil der Wachstumssignale einfach selbst generieren.

  • Unempfindlichkeit gegenüber Wachstumsinhibitoren („evading growth suppressors“): Bestimmte Signale behindern das Zellwachstum, was die Homöstase im gesunden Gewebe aufrechterhält. Krebszellen können diesen Signalen entkommen.

  • Umgehen der Apoptose („resisting cell death“): Der freiwillige Zelltod, Apoptose, ist eine wirksame Strategie gegen die Vermehrung maligner Zellen. Jedoch entwickeln Zellen mit zunehmender Malignität Mechanismen, um der Apoptose zu entgehen.

  • Unlimitiertes Replikationspotenzial („enabling replicative immortality“): Normale Körperzellen können sich nicht unendlich teilen, da sich die sogenannten Telomere (Endstücke der Chromosomen) mit jedem Teilungsprozess verkürzen. Krebszellen können sich hingegen immer weiter teilen, da sie ihre Telomere kontinuierlich verlängern.

  • Fortwährende Angiogenese („inducing angiogenesis“): Da der wachsende Tumor einen erhöhten Bedarf an Sauerstoff und Nährstoffen hat, lernt er, gezielt die Bildung von neuen Blutgefäßen anzuregen.

  • Aktivieren der Gewebeinvasion und Metastasierung („activating invasion and metastasis“): Eine der Haupteigenschaften von Krebs ist die Fähigkeit der Zellen, in fremde Gewebe einzudringen, sich dort anzusiedeln und zu wachsen. Dazu werden u.a. Enzyme wie die Matrix-Metalloproteasen (MMP) produziert.

<< Krebszellen können ihre Identität umwandeln in eine, welche eine bessere Anlage für Zellwachstum besitzt.>>

Erstes Update: Von Immunprozessen und Energiekontrolle

Elf Jahre nach der ersten Veröffentlichung, 2011, wurden die oben beschriebenen Fähigkeiten um zwei weitere „Hallmarks“ ergänzt:2

  • Vermeidung von Immunreaktionen („avoiding immune destruction“): Krebszellen entwickeln Wege, den zahlreichen Überwachungsmechanismen des Immunsystems zu entgehen.

  • Deregulation der zellulären Energiekontrolle („deregulating cellular metabolism“): Da Krebszellen viel Energie benötigen, verändern sie ihren Stoffwechsel, um schneller Energie produzieren zu können. Sie benutzen dafür z.B. die aerobe Glykolyse zur Energiegewinnung, selbst wenn genügend Sauerstoff zur Verfügung steht (Warburg-Effekt).

Zusätzlich wurden von Hanahan und Weinberg zwei „enabling characteristics“ definiert:

  • Stimulierende Entzündung („tumor-promoting inflammation“): Entzündliche Prozesse scheinen viele der beschriebenen Hallmarks zu fördern, da durch sie etwa Wachstums- und Überlebensfaktoren freigesetzt werden. Auch können reaktive Sauerstoffspezies produziert werden, die dann zu weiteren Mutationen in Krebszellen führen können.

  • Genomische Instabilität und Mutation („genome instability and mutation“): Die Instabilität des Genoms und das Ansammeln von Mutationen sind charakteristisch für Tumorzellen und ermöglichen es diesen, sich vorteilhafte Genotypen anzueignen.

Zusätzlich wurde in diesem zweiten Review die Tumor-Mikroumgebung („tumormicroenvironment“) hervorgehoben. Es wurde erkannt, dass die Biologie eines Tumors stets in Kombination mit der Biologie seiner Mikroumgebung erforscht werden muss.

Abb. 1: Übersicht über die neu definierten Eigenschaften, die Krebszellen auszeichnen (links), und die neue Komplettversion der „Hallmarks of Cancer“ (rechts). Modifiziert nach Hanahan D et al.1

Zweites Update: Differenzierungspotenzial, Mikrobiom und alte Zellen

Im Jänner dieses Jahres wurden die Hallmarks of Cancer nun ein zweites Mal erweitert.3 Es wurden ein neuer Hallmark und zwei befähigende Charakteristika definiert (Abb. 1).

Zu den Hallmarks zählt nun ab sofort auch die phänotypische Plastizität („unlocking phenotypic plasticity“). In gesunden Zellen führt die finale Differenzierung dazu, dass diese nicht mehr proliferieren können. Es mehrten sich seit den letzten Jahren die Hinweise, dass maligne Zellen der Differenzierung entkommen können und eine phänotypische Plastizität entwickeln, um dadurch immer weiter zu wachsen. In anderen Worten: Krebszellen können ihre Identität umwandeln in eine, welche eine bessere Anlage für Zellwachstum besitzt. Hanahan betont, dass diese Plastizität keine „neue Erfindung“ von Krebszellen ist – wie auch andere Hallmarks –, sondern auch von manchen normalen Körperzellen genutzt wird, etwa um Gewebe zu reparieren.

Neue befähigende Eigenschaften betreffen die Epigenetik und das Mikrobiom:

  • Epigenetische Umprogrammierung („non-mutational epigenetic reprogramming“): Eine gemeinsame Eigenschaft von Krebszellen scheinen großflächige Veränderungen in der epigenetischen Landschaft zu sein. Krebszellen können etwa Genregulationsmechanismen umprogrammieren und dadurch die förderlichen Hallmarks gewinnen.

  • Das Mikrobiom: Die wichtige Rolle von Mikroorganismen, die in riesiger Zahl den menschlichen Körper besiedeln, bei der Krankheitsentwicklung wird zunehmend gewürdigt – und ist nun also auch in den Hallmarks of Cancer besiegelt („polymorphic microbiomes“). Mikroorganismen können einen protektiven oder schädlichen Einfluss auf die Krebsentwicklung ausüben.

Im neuen Paper zu den Hallmarks betont Hanahan zudem die große Bedeutung von seneszenten Zellen in der Mikroumgebung des Tumors. Sie könnten in gewissen Situationen die Tumorentwicklung fördern.

Alle neu beschriebenen Eigenschaften sollen laut Hanahan eine angeregte Diskussion innerhalb der Krebsforschungs-Community entfachen und neue Forschungsarbeiten fördern. Es bleibt also spannend, welche Erkenntnisse im Bereich der Tumorbiologie das nächste Jahrzehnt bereithalten wird.

Licciulli S: New dimensions in cancer biology: Updated hallmarks of cancer published. Offizieller Blog der AACR, 21. Jänner 2022

1 Hanahan D, Weinberg RA: The hallmarks of cancer. Cell 2000; 100(1): 57-70 2 Hanahan D, Weinberg RA: Hallmarks of cancer: the next generation. Cell 2011; 144(5): 646-74 3 Hanahan D: Hallmarks of cancer: new simensions. Cancer Discov 2022; 12(1): 31-46

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