Highlights zum Hoden- und Peniskarzinom
Autor:
Dr. Lukas Scheipner
Universitätsklinik für Urologie
LKH-Universitätsklinikum/Medizinische Universität Graz
E-Mail: l.scheipner@medunigraz.at
Im Rahmen des diesjährigen Jahrestreffens der American Society of Clinical Oncology (ASCO) wurden mehrere Studien zum Thema Hoden- und Peniskarzinom präsentiert, die grundlegende Neuerungen und vielversprechende Ergebnisse lieferten.
Hodenkarzinom
Genetische Tumordiagnostik und die Auswirkungen auf das Management
Den Hintergrund der ersten hier besprochenen Studie von Truong H et al. stellt die Tatsache dar, dass Keimzelltumoren (GCT) eine hohe Heritabilität aufweisen.1 Die zugrunde liegenden genetischen Mechanismen hierfür sind jedoch größtenteils ungeklärt.
Das Ziel der Studie war es, die Prävalenz von pathogenen oder wahrscheinlich pathogenen (P/LP) Keimbahnmutationen in Krebsprädispositionsgenen bei Männern mit GCT zu bestimmen sowie klinische und pathologische Faktoren zu identifizieren, die mit dem Vorhandensein von P/LP-Mutationen verbunden sind.
Es wurden retrospektiv 480 Patienten mit testikulärem (T) oder mediastinalem (M) GCT untersucht, welche zwischen 2015 und 2020 eine gematchte Tumor-Keimbahn-Sequenzierung von ≥310 Genen erhalten haben (MSK-IMPACT-Panel). Das mittlere Alter bei der Diagnose der Kohorte betrug 30 Jahre. Mit 81% bestand der Großteil der Kohorte aus Nichtseminomen. 92% der Patienten mit T-GCT sowie sämtliche Patienten mit M-GCT hatten eine fortgeschrittene Erkrankung. 6% hatten eine familiäre Vorbelastung mit GCT. Von den Männern mit T-GCT hatten 4% einen bilateralen T-GCT. Insgesamt wurden bei 12% der Patienten (52) in der Kohorte pathogene Keimbahnmutationen identifiziert.
Männer mit M-GCT zeigten eine höhere Häufigkeit von P/LP-Mutationen als Männer mit T-GCT (21% gegenüber 10%). Unter den detektierten Keimbahnmutationen zeigten sich 20% mit hoher, 25% mit mittlerer und 55% mit niedriger Penetranz. 10% der Männer mit M-GCT und 5% mit T-GCT wiesen P/LP-Mutationen mit moderater oder hoher Penetranz in bekannten Krebsprädispositionsgenen auf. Die häufigsten Mutationen mit hoher Penetranz waren BRCA1 und BRCA2, PALB2 sowie TP53. Somit treten die meisten P/LP-Mutationen sowohl bei M-GCT (11/15, 73%) als auch bei T-GCT (33/43, 77%) in Genen auf, die an DNA-Reparatur-Pathways beteiligt sind. Familienanamnese und Histologie (Seminom vs. Nichtseminom) waren in der Gesamtkohorte nicht mit dem Vorhandensein einer P/LP-Mutation assoziiert.
Fazit: Die Präzisionsmedizin hat in den letzten Jahren in der Uroonkologie erheblich an Bedeutung gewonnen. Der Einsatz von PARP-Inhibitoren beim metastasierten Prostatakarzinom mit nachgewiesenen BRCA1- oder BRCA2-Mutationen ist ein Beispiel hierfür. In dieser Studie wurden zugrunde liegende Keimbahnmutationen bei Hodenkrebs untersucht.
Bei einem von fünf Männern mit M-GCT zeigte sich eine Keimbahnmutation in bekannten Krebsprädispositionsgenen. Zurzeit eröffnet die Detektion von Keimbahnmutationen keine neuen Therapieoptionen bei Patienten mit Keimbahntumoren, dies könnte sich jedoch in Zukunft ändern. Eine genetische Abklärung und Beratung für die weitere Krebsnachsorge beziehungsweise für gefährdete Familienmitglieder stellt bereits heute eine sinnvolle Überlegung dar.
Spätrezidive bei Hodenkrebs: Resultate einer populationsbasierten Datenbank
Im Jahr 1981 wurde in Norwegen und Schweden das Peer-Network SWENOTECA mit dem Ziel gegründet, die Behandlung von Keimzelltumoren zu standardisieren und somit das klinische Ergebnis zu verbessern. Das Netzwerk umfasst heute alle Krankenhäuser in Norwegen und Schweden, in denen Keimzelltumoren behandelt werden. Seit 1995 wurde von SWENOTECA auch ein standardisiertes, Guideline-basiertes Behandlungsschema für metastasierten Hodenkrebs implementiert.
Spätrezidive bei Hodenkrebs sind relativ selten, jedoch sind die zu dem Thema veröffentlichten Daten spärlich und von Selektionsbias und unvollständiger Datenerhebung bezüglich Follow-up beeinträchtigt. Das Ziel einer beim Jahrestreffen vorgestellten Studie von Tandstad T et al. war es, die Häufigkeit von Spätrezidiven (LR; Rückfall nach einem krankheitsfreien Intervall von zwei Jahren) und sehr späten Rückfällen (VLR; Rückfall nach einem krankheitsfreien Intervall von fünf Jahren) sowie das Überleben dieser Patienten vor und nach Einführung des 1995 implementieren standardisierten Behandlungsschemas zu vergleichen. Es wurden insgesamt 5712 Patienten eingeschlossen, davon 2978 mit Seminomen und 2734 mit Nichtseminomen.2
Ergebnisse: Insgesamt zeigten sich 472 Rezidive in der Kohorte, 186 davon waren Seminompatienten und 286 Nichtseminompatienten. 63% aller Rezidive traten innerhalb der ersten zwei Jahre auf, 23% zwischen zwei und fünf Jahren und 10,5% zwischen fünf und zehn Jahren. Bei 3,5% entwickelte sich das Rezidiv erst nach über zehn Jahren. Bei den Nichtseminomen, die nach 1995 diagnostiziert wurden, lag die VLR-Rate bei 0,8%, gegenüber 2,3% in der früheren Kohorte. Die mediane Zeit bis zum Auftreten eines Spätrezidivs betrug 4,7 Jahre. Das 10-Jahres-krebsspezifische Überleben aller Rezidivpatienten in der Kohorte betrug 81%.
Ca. 10% der Patienten im lokal begrenzten Setting (Stadium I) entwickelten ein Rezidiv. Diese niedrige Rezidivrate ist auf den häufigen Einsatz von adjuvanten Chemotherapien in diesem Zeitraum in Norwegen zurückzuführen. Vergleicht man die Spätrezidivraten der Patienten im Stadium I, zeigten Patienten, welche sich lediglich in Tumornachsorge befanden, eine viermal höhere Rate an LR als jene Patienten, die eine adjuvante Therapie erhielten (4,0% gegenüber 1,0%).
Bei Patienten mit metastasierter Erkrankung kam es bei 166 Patienten zu einem Rezidiv nach initialer Chemotherapie (10,5%), ein Drittel davon waren Spätrezidive. Die 10-Jahres-Gesamtüberlebensrate dieser Patientengruppe in der Kohorte betrug 50%. Vergleicht man die beiden Kohorten vor und nach 1995 zeigt sich eine deutliche Verbesserung in der späteren Kohorte mit einer 10-Jahres-Gesamtüberlebensrate von 61% verglichen zu 35% in der früheren Kohorte.
Fazit: Die bevölkerungsbasierte Studie veranschaulichte, dass Spätrezidive bei Hodenkrebs selten sind, sofern diese Guideline-gerecht behandelt werden. Zusätzlich zeigte sich in der späteren Kohorte ein deutlicher Rückgang von Spätrezidiven sowie ein verbessertes Gesamtüberleben im Falle eines Rückfalls. Die Autoren nennen vor allem die Zentralisierung der Behandlung, die Einhaltung der Leitlinien sowie die kontinuierliche Überprüfung der Therapieerfolge als Schlüssel für die verbesserten Ergebnisse.
Peniskarzinom
Anti-EGFR-Antikörper + Anti-PD-1-Antikörper + Chemotherapie
Nach vielversprechenden Ergebnissen der Phase-I-Studie wurden nun die ersten Ergebnisse einer Phase-II-Studie von An X et al. auf dem diesjährigen ASCO-Jahrestreffen präsentiert.3
Rekrutiert wurden 29 Patienten mit Chemotherapie-naivem, lokal fortgeschrittenem Plattenepithelkarzinom des Penis (cT4 oder cTxN3M0). Die neoadjuvante Tripeltherapie bestand aus einer PD-1-Blockade mittels Toripalimab, des Anti-EGFR-Antikörpers Nimotuzumab und eines etablierten Chemotherapieschemas (Paclitaxel + Cisplatin + Ifosfamid). Eine kurative Operation erfolgte nach maximal vier Behandlungszyklen.
Der primäre Endpunkt der Studie war das komplette pathologische Ansprechen (pCR). Zu den sekundären Endpunkten gehörten die Gesamtansprechrate, das rezidivfreie Überleben, das Gesamtüberleben sowie die therapiebedingten Nebenwirkungen.
Bis Jänner 2022 hatten 21 Patienten die neoadjuvante Tripeltherapie mit maximal vier Zyklen abgeschlossen. Davon erreichten 17 (81%) ein objektives Ansprechen (5 CR, 12 PR), zwei zeigten eine stabile Erkrankung und zwei erlebten eine Progression. Von den 18 Patienten, die sich einer anschließenden radikalen Operation unterzogen, wiesen elf histopathologisch keinen Resttumor auf (pCR-Rate von 61,1%). Das mediane Follow-up betrug 10,6 Monate. Bei Patienten, die eine pCR erzielten, wurde kein Rückfall beobachtet. Die Daten betreffend das Gesamtüberleben sind aufgrund des kurzen Follow-ups noch nicht aussagekräftig.
Es wurden keine unerwarteten Toxizitäten und behandlungsbedingten Todesfälle verzeichnet. Bei insgesamt 5 von 21 (23,8%) Patienten traten hochgradige therapiebedingte Nebenwirkungen (Grad ≥3) auf. Diese umfassten eine drittgradige Neutropenie (3 Patienten), Polyneuropathie (1 Patient) und Anämie (1 Patient). Die häufigsten Nebenwirkungen des Grades 1 und 2 waren Alopezie (100%), verminderter Appetit (85,7%), Übelkeit (71,4%), periphere sensorische Neuropathie (66,7%), Anämie (66,7%), Neutropenie (33,3%) und infusionsbedingte Reaktionen (28,6%).
Fazit: Die Dreifachkombination zeigte in dieser Studie vielversprechende Ergebnisse als neoadjuvantes Behandlungsschema für Patienten mit fortgeschrittenem Peniskarzinom.
Die Ansprechrate der derzeit gängigen neoadjuvanten Chemotherapien (Paclitaxel + Ifosfamid + Cisplatin) beträgt lediglich 65% und ist mit einem erheblichen Nebenwirkungsprofil verbunden.4 Besonders beindruckend ist die komplette pathologische Ansprechrate von 61%. Trotz dieser hervorragenden Ergebnisse sind weitere Studien notwendig, um zu zeigen, ob die Tripeltherapie auch den Einzug in den klinischen Alltag finden wird.
Literatur:
1 Truong H et al.: Defining germline genetics of germ cell tumor: Implications for genetic testing and clinical management. J Clin Oncol 2022; 40(suppl 16): Abstr. #5007 2 Tandstad T et al.: Late relapses in testicular cancer: Results from a national cohort. J Clin Oncol 2022; 40(suppl 16): Abstr. #5008 3 An X et al.: Anti-EGFR antibody plus anti-PD-1 antibody and chemotherapy as a neoadjuvant regimen for patients with locally-advanced penile squamous cell carcinoma: A prospective, single-arm, single-center, phase II clinical trial. J Clin Oncol 2022; 40(suppl 16): Abstr. #5037 4 Dickstein RJ et al.: Prognostic factors influencing survival from regionally advanced squamous cell carcinoma of the penis after preoperative chemotherapy. BJU International 2016; 117: 118-25
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