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Artificial Intelligence

Künstliche Intelligenz und Digitalisierung: Perspektiven und Herausforderungen

Die wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) haben das Potenzial für einen Paradigmenwechsel in der Medizin auf allen Ebenen der ärztlichen Tätigkeiten. Für eine optimale Entwicklung klinisch relevanter Anwendungen ist es von großer Bedeutung, dass sich die ärztlichen Fachgesellschaften frühzeitig aktiv im Rahmen wissenschaftlicher Kooperationen und Forschungsprojekte in der weiteren Entwicklung von KI-Anwendungen involvieren. Eine wesentliche Grundlage und Notwendigkeit hierfür ist die zunehmende Umsetzung einer möglichst vollständigen Digitalisierung des Gesundheitswesens.

Keypoints

  • Die Entwicklung künstlicher Intelligenz schreitet aktuell sehr schnell voran.

  • Bereits heute sind zahlreiche KI-Anwendungen verfügbar, die uns in unserer täglichen Arbeit in der Onkologie helfen könnten.

  • Künstliche Intelligenz soll dabei helfen, Tumorkonferenzentscheidungen in der Onkologie zu verbessern (z.B. KITTU-Projekt).

  • Arbeitsgemeinschaften und Entscheidungsträger:innen in den onkologisch tätigen medizinischen Fachdisziplinen sollten die Kennzeichnung und Verwendung von künstlicher Intelligenz in der Onkologie zum Wohle der Patient:innen beeinflussen.

Die Entwicklung künstlicher Intelligenz (KI) ging in den letzten zehn Jahren nahezu unaufhaltsam voran. Im Jahr 2017 konnten Forscher:innen von „Google DeepMind“ ein Schachprogramm mithilfe von KI in rascher Geschwindigkeit auf ein Großmeisterniveau im Schach befördern, eine Leistung, für die Menschen mindestens zwölf Jahre benötigen.1 Nur vier Jahre später gelang den Forscher:innen die Verwendung von KI in der Vorhersage komplexer dreidimensionaler Proteinstrukturen, was als medizinischer Meilenstein für die Entwicklung solcher Proteinmodelle angenommen wird.2,3

Eine weitere erstaunliche Anwendung ist das mittlerweile weltweit täglich genutzte ChatGPT („Generative Pre-trained Transformer“), ein Chatbot, der KI in einem Sprachmodell einsetzt, um mit Nutzer:innen zu kommunizieren.4 Er sagt die statistisch wahrscheinlichste Antwort auf der Basis des künstlichen Lernens und des Inhalts zahlreicher Wissensdatenbanken voraus.

Anhand dieser Beispiele und Meilensteine zeigen sich das enorme Entwicklungspotenzial von KI sowie diesbezügliche Chancen in unserem Alltag. Doch auch die Risiken, die mit der regulären Nutzung KI-basierter Anwendungen einhergehen, dürfen nicht vernachlässigt werden. Daher wird es nun immer mehr unsere Aufgabe als Ärzt:innen, nicht nur mit dieser Entwicklung Schritt zu halten und den Nutzen der KI zum Wohle unserer Patient:innen voranzubringen, sondern gleichzeitig auch mit dieser Entwicklung einhergehende Gefahren zu erkennen und abzuwenden.

Künstliche Intelligenz unterstützt uns bei alltäglichen Aufgaben

Aktuelle Arbeitsmarkt-Studien gehen davon aus, dass bis zum Jahr 2035 wirtschaftlich eine ca. 30-prozentige Produktivitätssteigerung durch den Nutzen von KI-Technologien zu erwarten ist. Dabei wird der höchste Einfluss auf die Bereiche Verlagswesen, Journalismus, Finanzindustrie und Management erwartet. Aber auch in den Sektoren der Krankenhäuser und Gesundheitsdienstleistungen werden deutliche Beeinflussungen durch KI erwartet – und damit auch ein direkter Einfluss der Technologie auf die onkologische Versorgung.5

Bereits jetzt ist der Einfluss der KI auf die Medizin spürbar. Beispielsweise konnte das Programm „Sybil“, ein validiertes KI-Modell zur Beurteilung von Computertomografie-Aufnahmen, kürzlich gute Ergebnisse in der Vorhersage von Lungenkarzinomen präsentieren. Diverse weitere radiologische KI-Vorhersage- und Diagnostikanwendungen sind bereits in der Entwicklung.6

Ein weiteres medizinisches Fachgebiet, in dem die Anwendung von KI bereits weit fortgeschritten ist, ist die Pathologie. Aktuellen Studien zufolge zeigen hier KI-basierte Detektionsroutinen insbesondere bei der Beurteilung histologischer Aufnahmen bereits beachtliche Erkennungsraten in der automatischen „Slide-Analyse“, so zum Beispiel bei der Diagnose des Nierenzellkarzinoms.7

Die alltägliche Verwendung solcher „KI-Tools“ in der onkologischen Routinearbeit der Radiologie und Pathologie scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Wir können heute bereits KI-Tools zur schnellen Zusammenfassung wissenschaftlicher Artikel und wissenschaftlicher Videos verwenden und damit unsere tägliche Arbeit beschleunigen (Bing/ChatGPT™, Tools wie u.a. SciSummary™ oder Eightify™). Ebenso können wir mit KI erstellte Bilder in unseren Publikationen nutzen (z.B. über Bing Image Creator™/Midjourney™/Adobe Firefly™).

Die tägliche Nutzung der KI während unserer Routinearbeiten wird also mit der Nutzung von Software-Kopiloten (wie z.B. von „Microsoft 365 Copilot“ in Office-Programmen) Eingang in das Verfassen von Texten, E-Mails und Präsentationen finden. Schon alleine deswegen ist eine normierte und geregelte Kennzeichnungspflicht dringend angeraten.

Und das Potenzial von KI in der Medizin ist noch lange nicht ausgereizt – für die weitere Zukunft ist es enorm. Hierbei seien unter anderem die KI-unterstütze Entwicklung von „Trackern/Wearables“ in der Erkennung und Ermittlung von Befunden und Krankheiten, KI-basierte Unterstützung in der Technik bei onkologischen Operationen (Laparoskopie/Robotik) und die KI-basierte Vorhersage von Erfolgen, Misserfolgen sowie von Komplikationen von Behandlungen genannt.

Künstliche Intelligenz könnte Tumorkonferenzentscheidungen verbessern

Nahezu alle Patient:innen in der Onkologie erhalten zu Beginn bzw. im Verlauf ihrer Behandlung eine Behandlungsempfehlung im Rahmen einer interdisziplinären Tumorkonferenz, die auch einen wesentlichen Bestandteil der national zertifizierten Tumorzentren darstellt (z.B. der Deutschen Krebsgesellschaft e.V.). Insbesondere bei diesen für Patient:innen so wichtigen Tumorkonferenzentscheidungen, bei denen hunderte Eigenschaften von Patient:innencharakteristika auf der einen und gleichzeitig Eigenschaften potenzieller medikamentöser Tumortherapien auf der anderen Seite berücksichtigt werden müssen, ist es essenziell, eine KI-basierte Empfehlung kompetent einbeziehen zu können.

Eine große Hürde bei dem Einsatz von maschinellen Lernverfahren in der Onkologie sind die Erklärbarkeit und Komplexität der Einsatzgebiete in der Kommunikation mit Laien und medizinischem Personal. Hier gilt es, unser interdisziplinäres KITTU-Projekt zu erwähnen.8

Abb. 1: Schematische Darstellung von möglichen Anwendungsfeldern einer KI-Unterstützung im Rahmen der interdisziplinären Therapieempfehlung einer Tumorkonferenz (KITTU-Projekt). Modifiziert nach Dominique Mercier, Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz, Kaiserslautern

Ein Ziel dieses Projektes ist es, die Behandlungsempfehlungen für Krebspatient:innen in der urologischen Onkologie mittels KI-Algorithmen zu unterstützen. Einer der wichtigsten Aspekte in diesem Kontext ist, die Therapieempfehlung, die von einer KI-Software getroffen wird, im klinischen Alltag zu vermitteln und zu adaptieren (Abb. 1). Eine rein statistische Vorhersage, die dem medizinischen Personal aufgezeigt wird, genügt unserer Meinung nach nicht, um einen Einsatz von KI in der onkologischen Therapieempfehlung zu unterstützen.

KITTU setzt sich zum Ziel, Ärzt:innen und Patient:innen in der Uroonkologie alle verfügbaren Optionen in einer konkreten medizinischen Situation aufzuzeigen und sie in der Entscheidungsfindung zu begleiten. So sollen beteiligte Personen teilweise entlastet und Therapieentscheidungen optimiert werden.

KITTU sollte im Rahmen der allgemeinen Digitalisierung von Abläufen im Gesundheitssystem umgesetzt werden und an Therapieentscheidungen beteiligte Parteien in einem interdisziplinären Setting inkludieren. Interaktive Anwendungen sollen in Zukunft die Kommunikation erleichtern.

Hierbei greift das KI-System auf eine Datenbank zu, in der sowohl Erfahrungswerte aus früheren Tumorbehandlungen als auch relevante wissenschaftliche Veröffentlichungen hinterlegt sind. KITTU nutzt zusätzlich individuelle Patient:innendaten, um Ärzt:innen mithilfe maschineller Lernverfahren eine Hilfe für angemessene Therapieentscheidungen zu bieten.8

Evidenzbasierte Empfehlungen sollen die Therapiequalität verbessern und die Überlebenszeit von Patient:innen verlängern. Gleichzeitig sollen Nebenwirkungen reduziert und die Lebensqualität soll erhöht werden.

Regulation, Datensicherheit, Reflexion: Arbeitsgemeinschaften und Entscheidungstragende sind jetzt gefragt

Die erreichte Fähigkeit heutiger KI zur raschen Bereinigung, Organisation und Analyse riesiger Datensätze wird uns in der Entwicklung von KITTU und vielen weiteren KI-Anwendungen helfen. Sie könnte aber auch erheblichen Schaden für die von (Krebs-)Erkrankungen betroffenen Menschen bedeuten.

Die in letzter Zeit in rascher Folge angekündigte engere Zusammenarbeit zwischen großen Industrieunternehmen und direkter Wissenschaft, hier mit dem Zugriff auf Patient:inneninformationssysteme großer Krankenhäuser mitsamt zugehörigen Onkologie-Datenbanken, sollte für die Entscheidungsträger:innen in der Onkologie nicht nur ein „Win-win“-Szenario darstellen, sondern die drohende Gefahr erheblicher Datenschutzverletzungen mitberücksichtigen.9

Die Weltgesundheitsorganisation hat dabei klare Regeln definiert, wie wir unsere Gesundheitssysteme in Zukunft aufzustellen haben, um mit KI-Systemen umzugehen. Entscheidend ist die Notwendigkeit einer permanent möglichen Reaktionsfähigkeit für diejenigen Institutionen/Abteilungen, die KI in der Medizin/Onkologie nutzen, um bei Gefahren/Fehlern sofort einschreiten zu können, was auch die Beendigung des Einsatzes von KI-Technologien beinhalten kann.10

Abb. 2: Mögliche Arbeitsgemeinschaften für die einzelnen Anwendungsgebiete künstlicher Intelligenz in der Onkologie. Modifiziert nach Duwe G & Höfner T

Im Zuge dessen ist es unserer Meinung nach für alle onkologisch arbeitenden Fachgebiete und Entscheidungsträger:innen dringend geboten, bereits bei der Implementierung von KI-Systemen organisatorisch mit Arbeitsgemeinschaften einzugreifen (Abb. 2). Wir benötigen schon vor dem Einsatz von KI in der Medizin Stellungnahmen dazu, wie wir KI mit unseren Patient:innendaten umgehen lassen wollen.

Wichtige Fragen sind zum Beispiel: Sollen Patient:innen unabhängig von uns onkologisch tätigen Ärzt:innen medizinische KI nutzen, z.B. mit „Chatbots“ oder „Personal Assistants“, und die persönliche Beratung so ergänzen oder ersetzen? Wie sollen wir in unserem medizinischen Alltag KI unterstützend einsetzen und wie müssten wir diesen Einsatz kennzeichnen und öffentlich machen?

KI hat die Fähigkeit, praktisch jeden Bereich in der Onkologie zu revolutionieren. Es sind aber jetzt dringend berufspolitische und wissenschaftlich-technische Maßnahmen erforderlich, um die derart schnell voranschreitenden Entwicklungen der KI in einer solchen Form anwenden zu können, dass wir ihren Nutzen und die dazugehörigen Gefahren ausreichend reflektieren können.

1 Silver D et al.: A general reinforcement learning algorithm that masters chess, shogi, and Go through self-play. Science 2018; 362(6419): 1140-4 2 Tunyasuvunakool K et al.: Highly accurate protein structure prediction for the human proteome. Nature 2021; 596(7873): 590-6 3 https://alphafold.ebi.ac.uk/ 4 OpenAI. Online unter https://openai.com . Abgerufen am 6.9.2023 5 Eloundou T et al.: GPTs are GPTs: an early look at the labor market impact potential of large language models. Cornell University 2023. Online unter https://arxiv.org/abs/2303.10130 Abgerufen am 6.9.2023 6 Mikhael PG et al.: Sybil: a validated deep learning model to predict future lung cancer risk from a single low-dose chest computed tomography. JClin Oncol 2023; 41(12): 2191-200 7 Chanchal AK et al.: Anovel dataset and efficient deep learning framework for automated grading of renal cell carcinoma from kidney histopathology images. Sci Rep 2023; 13(1): 5728 8 Duwe G et al.: KI-unterstützte Therapiebegleitung am Beispiel der Urologie. Johannes Gutenberg-Universität Mainz 2023. Online unter https://www.interaktive-technologien.de/projekte/kittu Abgerufen am 6.9.20239 Federspiel F et al.: Threats by artificial intelligence to human health and human existence. BMJ Glob Health 2023; 8(5): e010435 10 World Health Organization: Ethics and governance of artificial intelligence for health. WHO guidance2021 Online unter https://www.who.int/publications/i/item/9789240029200. Abgerufen am 6.9.2023

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