
Neue Empfehlungen zur Systemtherapie aus der S3-Leitlinie Nierenzellkarzinom
Autoren:
Prof. Dr. Christian Doehn1
Prof. Dr. Susanne Krege2
1Facharzt für Urologie
Urologikum Lübeck
2Direktorin der Klinik für Urologie, Kinderurologie & Urologische Onkologie
Kliniken Essen-Mitte
Evang. Huyssens Stiftung/Knappschaft GmbH, Essen
Korrespondenz:
E-Mail: doehn@urologikum-luebeck.de
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Einige Inhalte sind aufgrund rechtlicher Bestimmungen nur für registrierte Nutzer bzw. medizinisches Fachpersonal zugänglich.
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf universimed.com und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. allgemeineplus.at & med-Diplom.at)
Neue Daten und Zulassungen haben nach 2017 eine weitere Aktualisierung der S3-Leitlinie Nierenzellkarzinom im Hinblick auf die Systemtherapie des metastasierten klarzelligen Nierenzellkarzinoms notwendig gemacht.1 Zu den Neuerungen gehören insbesondere die Kombinationstherapien auf der Basis von Checkpoint-Inhibitoren (CPI).
Keypoints
-
Seit 2016 wurden 14 verschiedene Substanzen für die Systemtherapie des metastasierten klarzelligen Nierenzellkarzinoms zugelassen.
-
Im Jahr 2019 wurden drei Kombinationstherapien (Nivolumab plus Ipilimumab, Pembrolizumab plus Axitinib sowie Avelumab plus Axitinib, jeweils gegen Sunitinib getestet) für die Systemtherapie des metastasierten klarzelligen Nierenzellkarzinoms zugelassen.
-
Diese Kombinationstherapien stellen – unter Berücksichtigung der drei Prognosegruppen – den neuen Standard bei der Erstlinientherapie des metastasierten klarzelligen Nierenzellkarzinoms dar.
Hintergrund
Anfang 2021 stehen – außer den seit vielen Jahren bekannten Zytokinen Interferonα und Interleukin2, deren Stellenwert allerdings mittlerweile zu vernachlässigen ist – insgesamt 14 andere Medikamente zur Therapie des fortgeschrittenen/metastasierten Nierenzellkarzinoms zur Verfügung. Es handelt sich um:
-
Antikörper gegen die Checkpoints PD-1, PD-L1 und CTLA-4
-
Antikörper gegen den vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor VEGF
-
Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI, vor allem gegen VEGFR gerichtet)
mTOR-Inhibitoren
Im Folgenden werden die Empfehlungen der aktualisierten S3-Leitlinie Nierenzellkarzinom vorgestellt.1 Hauptgründe für die Notwendigkeit einer Aktualisierung waren die Ergebnisse und die Zulassung der Kombinationstherapien Nivolumab + Ipilimumab (EMA-Zulassung im Jänner 2019), Pembrolizumab + Axitinib (EMA-Zulassung im August 2019) und Avelumab + Axitinib (EMA-Zulassung im Oktober 2019).2–4
Konkretes Vorgehen bei Patienten mit metastasiertem klarzelligem Nierenzellkarzinom
Bei Patienten mit einem metastasierten klarzelligen Nierenzellkarzinom (etwa 80% aller Patienten mit einem Nierenzellkarzinom) ist die Kenntnis der Vorgeschichte hinsichtlich bisheriger Tumordiagnostik und Tumortherapie essenziell. Patientenfaktoren wie Allgemeinzustand, Alter, Komedikation etc. sind ebenso wie Tumorfaktoren wie Dynamik der Erkrankung, Symptomatik, histologischer Subtyp, Metastasenlast etc. zu dokumentieren.
Bei in situ befindlicher tumortragender Niere (weniger als 15% aller Fälle) ist die Durchführung einer zytoreduktiven Nephrektomie zu diskutieren. Aus onkologischer Sicht ist diese Frage vor dem Hintergrund der Ergebnisse der CARMENA-Studie eher zurückhaltend zu bewerten. Die Europäische Urologenvereinigung (EAU) empfiehlt in ihrer Leitlinie eine zytoreduktive Nephrektomie bei günstiger Prognose, eine individuelle Entscheidung bei intermediärer Prognose und den Verzicht auf eine Operation bei ungünstiger Prognose.5 Unabhängig hiervon ist die eventuelle OP-Indikation bei bestehender Symptomatik.1
Eine lokale Metastasentherapie (OP oder perkutane Radiatio) kann bei Vorliegen einer Oligometastasierung durchaus sinnvoll sein (geschätzt weniger als 10% aller Patienten). Erneut kann eine derartige Therapie bei Vorliegen einer Symptomatik indiziert sein.1
Die Entscheidung für eine bestimmte Therapie wird heute vor allem nach dem Parameter Prognose getroffen. Anstelle des Motzer-Scores wird heute meistens der IMDC(International Metastatic Renal Cell Carcinoma Database Consortium)-Score verwendet.6–8 Anhand von sechs klinischen Parametern werden drei Prognosegruppen gebildet (Tab. 1).
Erstlinientherapie des metastasierten klarzelligen Nierenzellkarzinoms
Die Auswahl der systemischen Therapie sollte individuell anhand der zu erwartenden Effektivität, des Toxizitätsspektrums und der Komorbidität des Patienten erfolgen.1 Bei asymptomatischen Patienten mit günstiger oder intermediärer Prognose kann die zielgerichtete Therapie auch erst bei nachgewiesenem Progress und fehlender lokaler Therapieoption eingeleitet werden. Bei tumorbedingter Symptomatik oder schlechter Prognose soll die Therapie zeitnah beginnen.1 Erstmals werden die Therapieempfehlungen in der S3-Leitlinie Nierenzellkarzinom auch als Algorithmus dargestellt (Abb. 1).
Abb. 1: Algorithmus zur Erst-, Zweit-, Drittlinientherapie des fortgeschrittenen und/oder metastasierten klarzelligen Nierenzellkarzinoms1
Erstlinientherapie bei günstiger Prognose
Als Therapiestandard bei Patienten mit fortgeschrittenem und/oder metastasiertem klarzelligem Nierenzellkarzinom und niedrigem Risiko soll in der Erstlinientherapie Pembrolizumab + Axitinib verwendet werden (Empfehlungsgrad A).1 Mit einer Abschwächung („sollte“ anstelle von „soll“) wird auch die Kombination Avelumab + Axitinib genannt (Empfehlungsgrad B).
Optional können Bevacizumab + Interferonα, Pazopanib, Sunitinib oder Tivozanib (Nennung in alphabetischer Reihenfolge) eingesetzt werden.1
Erstlinientherapie bei intermediärer oder schlechter Prognose
Als Therapiestandard bei Patienten mit fortgeschrittenem und/oder metastasiertem klarzelligem Nierenzellkarzinom und intermediärer oder schlechter Prognose soll Nivolumab + Ipilimumab oder Pembrolizumab + Axitinib verwendet werden (Empfehlungsgrad A).1 Mit einer Abschwächung („sollte“ anstelle von „soll“) wird auch die Kombination Avelumab + Axitinib genannt (Empfehlungsgrad B).
Optional kann Cabozantinib eingesetzt werden. Bei Patienten mit schlechter Prognose kann auch Temsirolimus verwendet werden.1
Zweitlinientherapie des metastasierten klarzelligen Nierenzellkarzinoms
Die Zweitlinientherapie richtet sich vor allem nach der durchgeführten Erstlinientherapie. Hier kommen drei verschiedene Szenarien in Betracht.1
Zweitlinientherapie nach CPI-basierter Kombinationstherapie
Nach Versagen einer CPI-basierten Erstlinientherapie ist kein Standard etabliert. Unter Beachtung des Zulassungsstatus sollte eine TKI-basierte Therapie verabreicht werden.1
Zweitlinientherapie nach alleiniger VEGF-gerichteter Therapie
Nach Versagen einer alleinigen VEGF-basierten Therapie soll die Folgetherapie aus Cabozantinib oder Nivolumab bestehen (Empfehlungsgrad A).1 Eine spezifische Sequenz der Substanzen kann nicht empfohlen werden. Mit einer Abschwächung („sollte“ anstelle von „soll“) wird auch die Kombination aus Lenvatinib + Everolimus genannt (Empfehlungsgrad B). Wenn nach Versagen einer VEGF/R-Therapie keine Standardempfehlung umgesetzt werden kann, kann optional die Behandlung mit einem anderen TKI erfolgen.1
Zweitlinientherapie nach Therapie mit einem mTOR-Inhibitor
Nach Versagen eines mTOR-Inhibitors in der Erstlinientherapie ist kein Standard etabliert.1 Die Folgetherapie sollte mittels eines TKI oder Nivolumab erfolgen.1
Drittlinientherapie des metastasierten klarzelligen Nierenzellkarzinoms
Für die Drittlinientherapie ist kein Standard etabliert.1 Die Auswahl der Systemtherapie soll die Vortherapien berücksichtigen. Es sollen Substanzen gegeben werden, die in der Vortherapie nicht enthalten waren.1
Weitere Daten aus dem Jahr 2020
Auf dem letztjährigen ESMO-Kongress wurden die Ergebnisse einer Phase-III-Studie zur Erstlinientherapie des metastasierten klarzelligen Nierenzellkarzinoms vorgestellt.8 Hierbei konnte die Kombination aus Nivolumab und Cabozantinib einen Vorteil hinsichtlich der Endpunkte progressionsfreies Überleben (PFS), Ansprechrate (ORR) und Gesamtüberleben (OS) gegenüber Sunitinib zeigen.9 Im November 2020 wurde ferner mitgeteilt, dass eine weitere Phase-III-Studie zur Erstlinientherapie (Pembrolizumab plus Lenvatinib gegen Sunitinib) positiv ausgegangen ist.10 Für die mögliche Aufnahme in die deutsche S3-Leitlinie müssten Vollpublikation und Zulassung vorliegen.
Ausblick
Im Jahr 2021 werden für die S3-Leitlinie Nierenzellkarzinom die aktualisierten Kapitel zur operativen Therapie, zur adjuvanten/neoadjuvanten Therapie sowie zur Therapie nichtklarzelliger Nierenzellkarzinome vorliegen. Ferner wird erstmals ein Kapitel zu erblichen Nierentumoren verfügbar sein. Unabhängig hiervon sind alle S3-Leitlinien mittlerweile kostenlos als App verfügbar.
Literatur:
1 www.leitlinienprogramm-onkologie.de/Nierenzellkarzinom.85.0.html, Aufruf am 1.1.2021 2 Motzer RJ et al.: Nivolumab plus ipilimumab versus sunitinib in advanced renal-cell carcinoma. N Engl J Med 2018; 378: 1277-90 3 Motzer RJ et al.: Avelumab plus axitinib versus sunitinib for advanced renal-cell carcinoma. N Engl J Med 2019; 380: 1103-15 4 Rini BI et al.: Pembrolizumab plus axitinib versus sunitinib for advanced renal-cell carcinoma. N Engl J Med 2019; 380: 1116-27 5 www.uroweb.org/guideline/renal-cell-carcinoma/#7, Aufruf am 1.1.2021 6 Motzer RJ et al.: Interferon-alfa as a comparative treatment for clinical trials of new therapies against advanced renal cell carcinoma. J Clin Oncol 2002; 20: 289-96 7 Heng DYC et al.: Prognostic factors for overall survival in patients with metastatic renal cell carcinoma treated with vascular endothelial growth factor-targeted agents: results from a large, multicenter study. J Clin Oncol 2009; 27: 5794-9 8 Heng DY et al.: External validation and comparison with other models of the International Metastatic Renal-Cell Carcinoma Database Consortium prognostic model: a population-based study. Lancet Oncol 2013; 14: 141-8 9 Choueiri TK et al.: Nivolumab + cabozantinib vs sunitinib in first-line treatment for advanced renal cell carcinoma: first results from the randomized phase III CheckMate 9ER trial. Ann Oncol 2020; 31(Suppl4): S1142-S1215 10 www.eisai.com/news/2020/news202073.html, Aufruf am 1.1.2021
Danksagung:
Ein besonderer Dank geht an Frau Heidrun Rexer von MeckEvidence, Frau Dr. Stefanie Schmidt von UroEvidence, Frau Dr. Monika Nothacker von der AWMF sowie Herrn Dr. Markus Follmann und Herrn Dipl.-Soz. Wiss. Thomas Langer vom Office Leitlinienprogramm Onkologie. Ebenfalls nicht vergessen sind die mehr als 50 Experten aus mehr als 30 Fachgesellschaften, die für das Gelingen der S3-Leitlinie Nierenzellkarzinom maßgeblich verantwortlich sind.
Das könnte Sie auch interessieren:
Highlights zu Lymphomen
Assoc.Prof. Dr. Thomas Melchardt, PhD zu diesjährigen Highlights des ASCO und EHA im Bereich der Lymphome, darunter die Ergebnisse der Studien SHINE und ECHELON-1
ASH 2020 – Highlights zu den aggressiven Lymphomen
Highlight-Themen der virtuellen ASH-Jahrestagung im Dezember 2020 waren an erster Stelle die Immunonkologika in all ihren Variationen, aber auch Beispiele für innovative Sequenztherapien ...
Aktualisierte Ergebnisse für Blinatumomab bei neu diagnostizierten Patienten
Die Ergebnisse der D-ALBA-Studie bestätigen die Chemotherapie-freie Induktions- und Konsolidierungsstrategie bei erwachsenen Patienten mit Ph+ ALL. Mit einer 3-jährigen ...