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Was ist „State of the Art“ in der adjuvanten Therapie des Kolonkarzinoms? Können wir noch mehr tun?

Das Kolonkarzinom ist bei der Frau der zweit- und beim Mann der dritthäufigste Tumor im deutschsprachigen Raum. Einen Überblick über die „State of the Art“-Therapie und künftige mögliche Therapieoptionen gibt dieser Artikel.

Keypoints

  • Adjuvante Chemotherapie im Stadium II ist in ausgewählten Fällen indiziert.

  • Mikrosatellitenstatus soll zur Entscheidung für oder gegen eine adjuvante Chemotherapie im Stadium II bestimmt werden.

  • Bei Niedrigrisiko-Kolonkarzinom im Stadium III (pT1–3 und pN1) ist eine 3-monatige CAPOX-Therapie indiziert.

  • Bei Hochrisiko-Kolonkarzinom im Stadium III (pT4 oder pN2) ist eine 6-monatige FOLFOX/ CAPOX-Therapie indiziert.

In lokal begrenzten Stadien des Kolonkarzinoms steht die Operation an erster Stelle. Die 5-Jahres-Überlebensrate ist abhängig vom Tumorstadium, klinischen Prognosemarkern und dem Mikrosatellitenstatus. Im Stadium III besteht eine klare Indikation zur Verabreichung einer adjuvanten Chemotherapie über 3 Monate mit CAPOX für Patienten mit einem niedrigen Risiko (T1–3, N1) und 6 Monate mit FOLFOX oder CAPOX bei High-Risk-Patienten (T4 und/oder N2). Bei Kontraindikationen gegen Oxaliplatin oder bei Patienten >70 Jahre wird eine 5-FU-haltige Chemotherapie für 6 Monate empfohlen. Im Stadium II wird ein individuelles Vorgehen anhand den Risikofaktoren und Prognosefaktoren empfohlen. Die Zugabe von Immuntherapie bei MSI-h-Tumoren im Stadium III, die Wertigkeit von zirkulierenden Tumorzellen als prädiktiver Marker für eine Chemotherapie im Stadium II und die Prognoseverbesserung durch körperliche Aktivität nach einer adjuvanten Chemotherapie wird derzeit in laufenden Studien untersucht und wird künftig die adjuvante Therapie des Kolonkarzinoms weiter individualisieren.

„State of the Art“

UICC-Stadium III (Tx, N1–2, M0)

Im Stadium III ist der Therapieansatz kurativ. Durch eine alleinige Operation liegt die Heilungsrate bei <50%. Eine adjuvante Chemotherapie führt zu einer signifikanten Reduktion der Rezidivrate sowie zu einer signifikanten Erhöhung der 5-Jahres-Überlebensrate. Die Wahl der Chemotherapie ist abhängig vom Alter und von vorhandenen Komorbiditäten, die Dauer der Chemotherapie hängt vom Rezidivrisiko ab. Seit Etablierung der 5-FU-haltigen adjuvanten Chemotherapie beim Kolonkarzinom in den 90er-Jahren hat sich die Standardchemotherapie aufgrund neuerer Studien mehrfach geändert. Von der anfänglich empfohlenen 12-monatigen 5-FU-haltigen Chemotherapie1 hat sich die „State of the Art“-Therapie im Jahr 2020 auf eine 3- bis 6-monatige Kombinationschemotherapie mit CAPOX oder FOLFOX geändert (Tab. 1). Capecitabin, ein orales 5-FU Prodrug, hat sich als mindestens genauso effektiv und weniger toxisch als Bolus 5-FU/LV erwiesen.2 Die Zugabe von Oxaliplatin zur 5-FU-basierten Chemotherapie im adjuvanten Setting zeigte eine absolute 4–6%ige Verbesserung des krankheitsfreien Überlebens als auch einen signifikanten Vorteil im Gesamtüberleben im Stadium III.3–5 Die IDEA-Studie6 zeigte, dass bei Patienten mit niedrigem Rezidivrisiko (pT1–3- und pN1-Stadium) eine 3-monatige Oxaliplatin-haltige Chemotherapie in Kombination mit Capecitabin(CAPOX) gleich wirksam war wie die bisherige 6-monatige Standardchemotherapie mit Oxaliplatin und 5-FU, aber weniger Neurotoxizitätsraten aufwies. Patienten mit einem höheren Risiko (pT4 oder pN2) sollen weiterhin eine adjuvante Chemotherapie für 6 Monate erhalten. Bei >70-jährigen Patienten ist der Nutzen einer Oxaliplatin-haltigen Chemotherapie geringer als bei jüngeren Patienten. Bei Risiko für höhere Toxizitäten oder sonstiger Kontraindikation gegen Oxaliplatin sind infusionale 5-FU/LV-Regime (De Gramont) und Capecitabin über 6 Monate Therapiealternativen in der adjuvanten Behandlung.

Tab. 1: Therapiestruktur des Kolonkarzinoms im Stadium III (adaptiert nach Onkopedia-Leitlinien Kolonkarzinom)

UICC-Stadium II (T3,4 N0, M0)

Im Stadium II beträgt die Rezidivrate mit alleiniger Operation nur 20–25%. Die absolute Reduktion des Rezidivrisikos durch eine 5-FU-haltige Chemotherapie beträgt 3–5% mit einem grenzwertigen signifikanten Überlebensgewinn von 1–5%.7,8 Die Zugabe von Oxaliplatin führt zu keiner signifikanten Verlängerung des progressionsfreien Überlebens (PFS) oder des Gesamtüberlebens (OS).3 Es wird daher eine adjuvante Chemotherapie nicht standardmäßig für alle Patienten im Stadium II empfohlen. Bei Patienten mit Kolonkarzinom im Stadium II sollte der potenzielle Gewinn gegen die Chemotherapie-assoziierte Morbidität abgewogen werden. Bei bestimmten klinischen Risikofaktoren wie Perforation, T4-Stadium, G3-Tumoren, <12 Lymphknoten, Angio-, Lymphgefäß- oder perineuraler Infiltration besteht eine schlechtere Prognose und eine adjuvante Chemotherapie ist empfehlenswert. Analog zum Stadium III wurde auch im Stadium II eine verkürzte Therapiedauer (3 gegen 6 Monate) in der IDEA-Analyse bei Hochrisikopatienten mit CAPOX oder FOLFOX untersucht. Eine 3-monatige Oxaliplatin-haltige Chemotherapie war einer 6-monatigen Gabe unterlegen. Nur in der Subgruppenauswertung erfüllte das verkürzte CAPOX-Regime das Nichtunterlegenheitskriterium, sodass CAPOX als Doublette bei Hochrisikopatienten im Stadium II eine Option darstellt. Bei etwa 20% der Patienten mit Kolonkarzinom im Stadium II ist eine sporadische Mikrosatelliteninstabilität (MSI) im Tumorgewebe nachweisbar. Bei nachgewiesener Mikrosatelliteninstabilität (MSI-h) soll aufgrund der guten Prognose9,10 auf eine adjuvante Chemotherapie verzichtet werden. Aktueller Gegenstand der Diskussionen ist, ob bei einem MSI-h-Tumor mit Vorliegen von Hochrisikofaktoren eine adjuvante Chemotherapie empfohlen werden soll. Wenn eine Chemotherapie erwogen wird, wird CAPOX für 3 Monate empfohlen, da Daten keinen oder sogar einen negativen Effekt durch eine alleinige 5-FU-haltige Chemotherapie zeigen.11 Ein möglicher Therapiealgorithmus wird in Tabelle 2 dargestellt.

Tab. 2: Therapiestruktur des Kolonkarzinoms im Stadium II

„Können wir noch mehr tun?“

Mehrere Beobachtungsstudien konnten eine Reduktion der Rezidivrate und eine Verlängerung des krankheitsfreien Überlebens durch körperliche Aktivität nach Beendigung einer adjuvanten Therapie bei Patienten mit Kolonkarzinom aufzeigen.12–14 Zwei Kohortenstudien12,13 zeigten eine relative Reduktion des Rezidivs von 50–60% sowie eine Verbesserung des Gesamtüberlebens bei jenen Patienten, die umgerechnet mindestens 18 metabolische Einheiten pro Woche trainierten im Vergleich zur inaktiven Gruppe. Daten der bisher durchgeführten prospektiven Beobachtungsstudien sprechen für eine therapeutische Wirksamkeit von körperlichem Training. Ergebnisse von prospektiv randomisierten Studien gibt es zu diesem Thema allerdings bisher nicht. Auch ein jüngst erschienener Round-Table-Report des American College of Sports Medicine berichtet über die zunehmende Evidenz, dass körperliche Aktivität einen präventiven Effekt auf die Entstehung von Kolorektalkarzinom hat.15 Darüber hinaus weisen die Autoren auf die Prognoseverbesserung beim Kolorektalkarzinom auf Basis von Observationsstudien hin.

In der derzeit laufenden randomisierten Phase-III-Studie C08 EXERCISE der ABCSG wird die Wirksamkeit eines Ausdauertrainings zur Reduktion der Rezidivrate nach Ende einer adjuvanten Chemotherapie beim lokalisierten Kolorektalkarzinom untersucht. Die Hälfte der Patienten erhält ein pulskontrolliertes Ausdauertraining über ein Jahr, die andere Hälfte der Patienten soll wie bisher aktiv bleiben. Insgesamt sollen 788 Patienten österreichweit eingeschlossen werden. Der primäre Endpunkt ist das krankheitsfreie Überleben. Sekundäre Endpunkte evaluieren unter anderem das Gesamtüberleben, „patient-reported outcomes“, kardiovaskuläre Endpunkte sowie die Auswertung von Blutproben und Tumormaterial. Im ersten Schritt werden in einer erweiterten Pilotphase 100 Patienten eingeschlossen, um die Rekrutierung und Compliance zu überprüfen und gegebenenfalls Anpassungen für den Einschluss der weiteren Patienten vornehmen zu können.

Aktuelle Studien im Stadium III untersuchen unter anderem die Wirksamkeit von Immuncheckpoint-Inhibitoren bei MSI-h-Tumoren (ATOMIC-Studie) sowie die Rolle der zirkulierenden Tumor-DNA (ctDNA) als Risikomarker in der Entscheidungsfindung für oder gegen eine adjuvante Therapie bei Patienten mit UICC-II-Tumoren (CIRCULATE-Studie). Bei ca. 10% der Patienten im Stadium II kann nach der Operation noch ctDNA nachgewiesen werden. Mindestens 75% der ctDNA-positiven Patienten zeigen ein Rezidiv. ctDNA-negative Patienten im Stadium II haben hingegen eine bessere Prognose, welche in etwa mit einer Prognose im Stadium I vergleichbar ist. In der CIRCULATE-Studie wird untersucht, ob die postoperative ctDNA als Selektionskriterium für eine adjuvante Chemotherapie verwendet werden kann.

Autorin:
OÄ Dr. Gudrun Piringer, MSc
Abteilung für Innere Medizin IV
Schwerpunkte Hämatologie, internistische Onkologie und Palliativmedizin, Nephrologie und Dialyse
Klinikum Wels-Grieskirchen
E-Mail: gudrun.piringer@klinikum-wegr.at

1 Moertel CG et al.: Levamisol and fluorouracil for adjuvant therapy of resected colon carcinoma. N Engl J Med 1990; 322: 352-8 2 Twelves CJ: Xeloda in adjuvant colon cancer therapy (X-ACT) trial: overview of efficacy, safety and cost-effectiveness. Clin Colorectal Cancer 2006; 6: 278-87
3 André T et al.: Multicenter international study of oxaliplatin/5-fluorouracil/leucovorin in the adjuvant treatment of colon cancer (MOSAIC). N Engl J Med 2004; 350: 2343-51 4 Kuebler JP et al.: Oxaliplatin combined with weekly bolus fluorouracil and leucovorin as surgical adjuvant chemotherapy for stage II and III colon cancer: results from NSABP C-07. J Clin Oncol 2007; 25: 2198-204 5 Haller DG et al.: First efficacy findings from a randomized phase III trial of capecitabine + oxaliplatin versus bolus 5-FU/LV for stage III colon cancer. Eur J Cancer Suppl 2009; 7: 4 6 Grothy A et al.: Duration of adjuvant chemotherapy for stage III colon cancer. N Engl J Med 2018; 378: 1177-88 7 Quasar Collaborative Group et al.: Adjuvant chemotherapy versus observation in patients with colorectal cancer: a randomised study. Lancet 2007; 370: 2020-9 8 Shi Q et al.: Comparison of outcomes after fluorouracil-based adjuvant therapy for stages II and III colon cancer between 1978 to 1995 and 1996 to 2007: Evidence to stage migration from the ACCENT database. J Clin Oncol 2013; 31: 3656-63 9 Popat S et al.: Systematic review of microsatelitte instability and colorectal cancer prognosis. J Clin Oncol 2005; 23: 609-18 10 Roth AD et al.: Integrated analysis of molecular and clinical prognostic factors in stage II/III colon cancer. J Natl Cancer Inst 2012;104: 1635-46 11 Sargent DJ et al.: Defective mismatch repair as a predictive marker for lack of efficacy of fluorouracil-based adjuvant therapy in colon cancer. J Clin Oncol 2010: 28(20): 3219-26 12 Meyerhardt JA et al.: Physical activity and survival after colorectal cancer diagnosis. J Clin Oncol 2006; 24: 3527-34 13 Meyerhardt JA et al.: Impact of physical activity on cancer recurrence and survival in patients with stage III colon cancer: findings from CALGB 89803. J Clin Oncol 2006; 24: 3535-41 14 Meyerhard JA et al.: Physical activity and survival in male colorectal cancer survivors. Arch Intern Med 2009; 169(22): 2102-8 15 Patel A et al.: American college of spots medicine Roundtable Report on physical activity, sedentary behaviour and cancer prevention and control. Med Sci Sports Exerc 2019: 51: 2391-402

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