Palliativmedizin

Sterbeverfügung – eine mögliche Alternative zur palliativen Behandlung?

Kann die Sterbeverfügung als alternatives Instrument zur Palliativmedizin dienen? Auch wenn es Widerstände gibt, muss nicht doch der selbstbestimmte Entschluss akzeptiert werden? Im Folgenden werden die rechtlichen Aspekte und das Vorgehen zur Errichtung einer Sterbeverfügung erläutert.

Ich kann nicht mehr! Bei mir wurde vor einem halben Jahr die Diagnose ALS gestellt. Nach der ärztlichen Aufklärung ist die Angst geblieben, ersticken zu müssen. Sicher habe ich mich erkundigt, welche Hilfestellungen es gibt. Die kommen aber für mich nicht infrage“, so ein 50 Jahre alter Patient.

Ein 52-Jähriger berichtet: „Vor 30 Jahren war ich ein begeisterter Sportler. Die Berge waren mein Ein und Alles. Dann kam dieser Unfall. Seitdem leide ich an therapieresistenten Schmerzen. Wird die Schmerzmedikation erhöht, habe ich kein selbstbestimmtes Leben und kann nichts mehr machen. Behalte ich die derzeitige Dosis bei, halte ich die Schmerzen nicht mehr aus.“

Beide haben nach einem Ausweg gesucht. Die bisher zur Verfügung gestellten Möglichkeiten der Schmerz- und Palliativmedizin waren für diese Patienten keine Alternative. Die 2022 in Kraft getretene Möglichkeit des assistierten Suizids war für beide ein „Lichtblick“.

Grundlage und rechtliche Rahmenbedingungen

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 11.12.2020, G 139/2019, die Wortfolge „oder ihm dazu Hilfe leistet“ (§78 Strafgesetzbuch) aufgehoben. Der Gerichtshof hat ausdrücklich das Selbstbestimmungsrecht betont, wobei sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zuvor schon mehrmals mit dem Thema Suizid beschäftigt hat.

Der EGMR sieht einen erheblichen staatlichen Gestaltungsspielraum hinsichtlich des Rechtes, selbst über den Zeitpunkt und die Art seines Lebensendes zu bestimmen. So hat er ausgeführt, dass aus dem Recht auf Leben kein Verbot der Sterbehilfe abgeleitet werden kann (EGMR 29.4.2002, Fall Pretty; 20.1.2011, Fall Haas). Im Fall Haas versus Schweiz hat der EGMR sogar ein Menschenrecht auf Suizid anerkannt (Halmich/Klein: Sterbehilfe/Suizidbeihilfe in Österreich, educa 2021, 16ff).

Um aber einem Ausufern nicht Tür und Tor zu öffnen und vulnerable Personengruppen zu schützen, hat der österreichische Gesetzgeber das Sterbeverfügungsgesetz beschlossen.

Allgemeine und grundsätzliche Bestimmungen

Das Regulativ (Sterbeverfügungsgesetz) umfassend darzustellen, vor allem alle Eventualitäten in einem Praxisbericht zu erfassen, ist aufgrund des Umfangs der Normierungen nicht möglich. Aus diesem Grund werden nur die wesentlichen Aspekte dargestellt.

Es ist österreichisches Recht anzuwenden; die Sterbeverfügung (StV) kann nur höchstpersönlich errichtet werden und die sterbewillige Person muss ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich haben oder österreichische Staatsangehörige sein. Damit wollte man einen „Sterbetourismus“ verhindern (EB 242 BlgNR 27. GP 7).

Ärztliche Aufklärung

Haben Patient:innen den selbstbestimmten Entschluss zur Selbsttötung gefasst, müssen sie zuerst zwei ärztliche Aufklärungsgespräche absolvieren. Bei der Planung der Gesprächstermine ist man mit dem ersten Hindernis konfrontiert: Objektiv gesehen ist die Anzahl der aufklärenden Ärzt:innen limitiert, zumal eine von den beiden ärztlichen Fachpersonen eine palliativmedizinische Ausbildung nachweisen muss.

Findet man die Ärzt:innen, haben diese eine umfangreiche Aufklärung durchzuführen. Dabei haben beide unabhängig voneinander sowohl die Entscheidungsfähigkeit als auch den freien selbstbestimmten Entschluss, aus dem Leben zu scheiden, festzustellen. Kommen Zweifel an der Entscheidungsfähigkeit wegen einer vielleicht vorliegenden krankheitswertigen psychischen Störung, kann eine der aufklärenden Fachpersonen eine Expertise aus der Psychiatrie oder klinischen Psychologie einholen.

Im Gesetz wird nicht unterschieden zwischen somatischer und psychischer Erkrankung. Bei einem ausschließlich aufgrund und im Zustand einer psychischen Krankheit gefassten Sterbewunsch wird in der Regel keine Entscheidungsfähigkeit vorliegen (auch Halmich: Die psychiatrische oder psychologische Abklärung im Bedarfsfall, Online-Symposium 2022). Um aber keine Ungleichheit entstehen zu lassen, sind entscheidungsfähige Personen mit psychischer Erkrankung grundsätzlich nicht von der StV ausgeschlossen, eine genaue Prüfung wird aber notwendig sein.

Grundsätzlich sollten Patient:innen auf die im konkreten Fall möglichen Behandlungs- oder Handlungsalternativen hingewiesen werden. Dazu gehören besonders die Hospizversorgung, palliativmedizinische Maßnahmen, das psychotherapeutische Gespräch, die suizidpräventive Beratung und andere Vorsorgeinstrumente (Vorsorgevollmacht und Vorsorgedialog). Die Patient:innen sollten zudem einen Hinweis auf die Möglichkeit der Errichtung einer Patientenverfügung erhalten.

Außerdem haben Ärzt:innen über die Dosierung des Präparats und die für die Verträglichkeit des Präparats notwendige Begleitmedikation aufzuklären, ebenso über die Art der Einnahme, Auswirkungen und mögliche Komplikationen bei der Einnahme und dass mit einer Patientenverfügung lebensrettende Behandlungen abgelehnt werden können.

Kernelement ist aber die Feststellung im Rahmen der ärztlichen Aufklärung, dass entweder eine unheilbare, zum Tod führende Krankheit oder eine schwere, dauerhafte Krankheit mit anhaltenden Symptomen vorliegt. In beiden Fällen muss die Krankheit einen für die betroffene Person nicht anders abwendbaren Leidenszustand mit sich bringen (subjektives Element der sterbewilligen Person).

Die schwere, dauerhafte Erkrankung ist komplexer in der Beurteilung als Erkrankungen, die zum Tode führen. Die Krankheitsdefinition hängt von der Schwere und Dauerhaftigkeit ab (EB 242 BlgNR 27. GP 9ff). Die Einschätzung, ob eine Krankheit als schwer qualifiziert werden kann, orientiert sich an der Erheblichkeit für Patient:innen.

Bei der Dauerhaftigkeit ist maßgeblich, dass von einem lang andauernden Leidenszustand auszugehen ist. Es muss jedoch zum Zeitpunkt der ärztlichen Aufklärung nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen, dass die betroffene Person für immer an dieser Krankheit leiden wird.

Bei der Beurteilung des Einzelfalls werden die Ärzt:innen teilweise vor große Herausforderungen gestellt. Nicht so sehr bei der Beurteilung, ob diese Erkrankung zum Tod führt oder nicht. Viel eher bei der Einschätzung, ob sie als „schwer“ zu qualifizieren sein wird. Bei schweren therapieresistenten Erkrankungen (z.B. neuropathisches Schmerzsyndrom) ist dies eindeutig. Aber ab welchem Stadium schätzt man die Erkrankung tatsächlich als schwer ein? Wann wird etwa bei einer Parkinsonerkrankung die Schwelle zur „schweren Erkrankung“ überschritten? Wie schätzt man ein Fatigue-Syndrom ohne zusätzliche Diagnosen ein? Es wird eine Einzelfallbeurteilung bleiben müssen.

Errichtung der Sterbeverfügung

Vorgesehen ist, dass Notar:innen oder juristische Mitarbeiter:innen der Patientenanwaltschaften die StV errichten können. Die rein juristische Abwicklung ist definiert und kaum mit Schwierigkeiten verbunden, wenn man die Notwendigkeiten der Aufklärung im Rahmen einer Checkliste abarbeitet: Schriftlichkeit der Errichtung, Überprüfung der ärztlichen Aufklärung, Erörterung gewisser rechtlicher Aspekte, zum Beispiel die mögliche Errichtung einer Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und/oder letztwillige Verfügung, strafrechtliche Grenzen der Hilfeleistung (Verbot der aktiven Sterbehilfe) und Belehrung über weitere Rechtsfolgen (Versicherungen). Anschließend ist das Original der sterbewilligen Person auszuhändigen und die StV ins Sterbeverfügungsregister einzutragen.

Aber diese rein formale Vorgehensweise ist zu überdenken und wird der Situation nicht gerecht. Nicht nur die sterbewillige Person sollte in dieser Situation nicht allein gelassen werden, sondern vor allem die hilfeleistenden Personen benötigen Unterstützung. Daher hat sich ein bestimmter Handlungsablauf etabliert (Abb. 1).

Abb. 1: Handlungsablauf zur Errichtung einer Sterbeverfügung

Abgabe des Präparats

Ein Präparat darf nur von einer öffentlichen Apotheke in der laut StV angegebenen Dosierung samt der erforderlichen Begleitmedikation an die sterbewillige oder eine in der StV namentlich genannte hilfeleistende Person nach Vorlage einer wirksamen StV abgegeben werden.

Die Abgabe und eine allfällige Zurückgabe sind an das Sterbeverfügungsregister unter Angabe des Datums, der abgebenden Apotheke und der Identifikationsdaten der abgebenden Person zu melden.

Vor der Abgabe ist in der Apotheke die Identität der Person, die das Präparat abholen möchte, zu überprüfen. Dies kann anhand eines amtlichen Lichtbildausweises geschehen sowie durch Einsichtnahme in das Sterbeverfügungsregister, falls bereits die Abgabe eines Präparats aufgrund der vorgelegten oder einer früheren StV eingetragen worden ist.

Totenbeschauärztin/-arzt, Notärztin/Notarzt und locus mortis

Totenbeschau

Die Totenbeschauärzt:innen haben eine gesonderte Meldung an den Verantwortlichen für das Register zu erstatten, wenn Hinweise vorliegen, dass der Tod in einem unmittelbaren oder mittelbaren kausalen Zusammenhang mit der Einnahme eines Präparats steht.

Notärztin/Notarzt

Kommt es im Rahmen der Einnahme des Präparates zu Zwischenfällen (Erbrechen, Aspiration, kein unmittelbarer Todeseintritt), kann dies die hilfeleistenden Personen überfordern (weil üblicherweise kein medizinisches Fachpersonal anwesend sein wird). Diese verständigen dann möglicherweise den Notarzt oder die Notärztin. Da es keine gesetzliche Handlungsanweisung gibt, muss auf allgemeine Normen zurückgegriffen werden (dazu auch Aigner: Sterbeverfügung und Notarzt, Online-Symposium 2022).

Ist in einem solchen Fall die sterbewillige Person entscheidungsfähig, entscheidet sie selbst (Ablehnung). Kann sie das nicht, so wird unterschieden, ob der Sterbeprozess schon begonnen hat. Wenn ja, muss man gemäß §49a Abs 2 Ärztegesetz handeln. Hat der Sterbeprozess nicht begonnen: aktive Handlung der Notärztin/des Notarztes, es sei denn, eine Patientenverfügung liegt vor (wenn diese zweifelsfrei und ohne Gefährdung zeitnah ausgelegt werden kann).

Locus mortis

Die konkrete Ausführung der lebensbeendenden Handlung soll in einem privaten Rahmen erfolgen (Wohnort). Das Gesetz sieht von einer Institutionalisierung ab (Überwälzung auf die Ärzteschaft, professionelle Suizidassistent:innen oder Suizidorganisation).

Krankenanstalten sind Aufenthaltsorte zur vorübergehenden Behandlung/Betreuung. Hier wird das Hausrecht die entscheidende Rolle spielen. Der oder die Rechtsträger:in wird die Durchführung des assistierten Suizids verbieten können (Halmich: Der Sterbeort und die Auswirkungen auf Kliniken, Pflege- und Betreuungseinrichtungen, Online-Symposium 2022).

Heimbewohner:innen haben aber im Pflegeheim ihren gewöhnlichen Aufenthalt. Würde man das Recht auf Durchführung einer Sterbehilfe verbieten, sähe sich der oder die Heimträger:in mit einer Diskussion über Gleichbehandlung und Verletzung des Selbstbestimmungsrechts konfrontiert.

Zusammenfassung

Sollten andere Maßnahmen (z.B. Palliativmedizin) eine für die Betroffenen annehmbare Alternative darstellen (immer beurteilt auch nach dem subjektiven Befinden der Patient:innen und nicht der Ärzt:innen), werden sich die Patient:innen für diesen Weg entscheiden. Entschließen sich aber Patient:innen für die StV, ist der assistierte Suizid nicht die Ultima Ratio, sondern als Resultat der Privatautonomie eine echte Alternative zur Palliativmedizin.

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