Welche Optionen sind leitlinienkonform und welche eine Überlegung wert?
Bericht:
Mag. Dr. Anita Schreiberhuber
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Im Zuge des Tumorboards zum Blasenkarzinom wurde ein Patientenfall präsentiert, der als Grundlage für die Diskussion über die entsprechenden Therapieoptionen diente. DasPublikum war dazu aufgerufen, abzustimmen, für welche Strategie es sich in der jeweiligen Situation entscheiden würde. Anschließend wurde die Evidenzlage für einzelne Optionen erörtert und danach das Publikum erneut befragt, ob es sich nun anders entscheiden würde.
Assoc. Prof. Dr. Antonín Brisuda, Karls-Universität, Prag, präsentierte den Fall eines Patienten mit der Diagnose eines nichtmuskelinvasiven Urothelkarzinoms (NMIBC) mit intermediärem Risiko (IR), das rasch progredient wurde. Zum Zeitpunkt der Diagnose eines muskelinvasiven Urothelkarzinoms (MIBC) war die Immuntherapie noch nicht zugelassen.
IR NMIBC
Ein zum Diagnosezeitpunkt 65-jähriger Patient stellte sich im Juni 2018 aufgrund einer ausgeprägten Hämaturie an der Universitätsklinik für Urologie in Prag vor. Bei der flexiblen Zytoskopie wurde ein ca. 4cm großer Tumor an der linken Blasenwand diagnostiziert und mittels TURBT („transurethral resection of bladder tumor“) reseziert. Histologisch wurde der Tumor als reines nichtmuskelinvasives Urothelkarzinom (NMIBC) pTa LG („low grade“) G1 mit IR eingestuft.
Nach initialer Observation wurde bereits im September 2018 ein 2cm großes Frührezidiv an der hinteren Blasenwand (pTa LG G1) diagnostiziert.
Das Votum des Auditoriums
Mit knapp 52% optierte die Mehrheit des Publikums für eine TURBT mit anschließender intravesikaler Chemotherapie (CTx), 42% stimmten für eine TURBT, gefolgt von einer intravesikalen BCG(Bacillus Calmette-Guérin)-Therapie.
Dr. Ekaterina Laukthina, MedUni Wien, referierte pro Chemoablation, der vom Publikum am wenigsten präferierten Option: „Das IR NMIBC betrifft die größte Population an NMIBC-Patient:innen und in den meisten Fällen ist die therapeutische Entscheidungsfindung schwierig, da es viele überlappende diagnostische Kriterien gibt“, schilderte sie die Herausforderung in diesem Setting. Sie präsentierte eine aktuell zum IR NMIBC erschienene Publikation, in der eine Orientierung an den Risikofaktoren Frührezidiv (<1 Jahr), häufige Rezidive (>1/Jahr), Tumorgröße >3cm und Versagen einer vorangegangenen intravesikalen Therapie empfohlen wird. Da der Patient in die Gruppe mit ein bis zwei Risikofaktoren fiel, kam er für eine Chemoablation infrage.1 Laukthina argumentierte, dass eine Chemoablation die Qualität der TURBT verbessern und die hohe Rezidivrate bei IM NMIBC von bis zu 70% reduzieren könnte. Auch wenn gemäß einer umfassenden Metaanalyse eine Chemoablation vor der TURBT vielversprechend sein dürfte, sollte sie nur bei gut selektionierten Patient:innen vorgenommen werden.2 In der Phase-III-Studie ATLAS zu einem Mitomycin-haltigen Gel wurde nach drei Monaten bei zwei Dritteln der Patient:innen eine CR (komplette Response) erzielt.3 „Warum sollte man selektionierten Patient:innen während der Wartezeit auf die TURBT diese Chance vorenthalten? Man könnte anschließend mittels Zytoskopie den Remissionsstatus beurteilen und im Fall einer CR die Patient:innen engmaschig alle drei Monate monitieren“, hob Laukthina die Vorteile dieser Strategie hervor. In den Leitlinien der EAU (European Association of Urology) wird die intravesikale Applikation einer CTx oder von BCG angeführt.4
Progression zu pT1 HG
Daraufhin wurde eine intravesikale CTx mit MMC (Mitomycin, Gemcitabin [Gem], Epirubicin) initiiert, jedoch entwickelte der Patient bereits bis März 2019 zwei intravesikale Rezidive. Im en-bloc-TURBT-resezierten Tumorgewebe wurden histologisch eine Progression zu einem NMIBC-Stadium pT1 HG („high grade“) G3 mit 5% mikropapillärem (MP) Anteilund ein Carcinoma in situ (CIS) festgestellt. Es fand sich keine lymphovaskuläre Invasion (LVI–), aber eine beachtliche Detrusormasse (DM+). Das CT-Urogramm war negativ.
Dr. Jošt Janša, University Medical Center Ljubljana, Slowenien, der pro BCG-Instillation argumentierte, gab zu bedenken, dass es sich im Fallbeispiel um einen seltenen Subtyp des NMIBC handelt, sodass nicht viele Daten vorlägen, aus denen die optimale Therapie abzuleiten wäre. Er präsentierte jedoch Daten, wonach eine radikale Zystektomie (RC) im Vergleich zum Blasenerhalt beim NMIBC mit MP-Anteil zu keinem Überlebensbenefit führt.5
BCG-Resistenz, Rezidiv mit 5% MP-Anteil
In weiterer Folge wurden 6 Zyklen einer Induktionstherapie mit BCG und eine anschließende Erhaltungstherapie mit 9 Zyklen BCG durchgeführt. Die Zytologie wurde im Verlauf der Maintenance negativ. Allerdings entwickelte der Patient während der letzten 3 Zyklen der ET erneut eine 2cm große Läsion an der Blasenhinterwand. Das erneut mittels TURBT entfernte Resektat wurde histologisch als NMIBC pT1 HG mit 5% MP-Anteil, LVI–, DM+und der Patient als BCG-Nonresponder eingestuft. Unter den möglichen Therapiestrategien voteten 73% der Zuhörer:innen für eine RC.
Dr. Oana Moldoveanu, Fundeni Clinical Institute, Bukarest, Rumänien, sprach sich für die Identifikation von Patient:innen aus, die für eine verzögerte RC infrage kommen. Außerdem gebe es Patient:innen, die für eine RC ungeeignet sind oder diese ablehnen. Sie wies auf die Möglichkeit der Teilnahme an klinischen Studien hin und argumentierte, dass die Patient:innen diese Option gegenüber einer RC definitiv präferierten.
CTx mit MMC, Progression zu MIBC pT2 HG LVI+
Dem Patienten wurde zwar dringend eine RC empfohlen, er lehnte diese jedoch ab. Während des anschließend verabreichten „Synergo“-CTx-Regimes mit MMC (6 Zyklen Induktion, gefolgt von 6 Zyklen ET) wurde im November 2020 eine suspekte nekrotische Mukosa am Blasenhals im Ausmaß von 30x20x15mm nachgewiesen. Bei der im Anschluss an die TURB durchgeführten bimanuellen Untersuchung konnte die komplette Resektion der Läsion bestätigt werden. Histologisch musste ein Upstaging auf MIBC pT2 HG mit LVI+ erfolgen.
In dieser Situation sprach sich mit 58% die Mehrheit des Publikums für eine neoadjuvante CTx, gefolgt von einer RC, aus. Für das nichtmetastasierte MIBC in den Stadien T2–T4a ohne Lymphknotenbefall wird an sich eine RC mit einer Dissektion der pelvinen Lymphknoten (PVLN) empfohlen.6 Dr. Andrei Andre¸sanu, University of Medicine and Pharmacy, Center for Uronephrology and Renal Transplantation, Bukarest, Rumänien, verwies auf die mit einer RC assoziierte hohe perioperative Morbidität und die hohe Rate an Kompromittierung der Patient:innen in ihrer Lebensqualität (QoL). Er warf ein, dass gemäß den EAU-Guidelines zum MIBC zwar von der alleinigen Gabe einer Radiotherapie (RT), CTx oder TURBT in diesem Setting stark abgeraten, jedoch die Option angeführt wird, eine trimodale Therapie (TMT) zu erwägen.6 Das Ziel dabei ist, Blase und QoL zu erhalten, ohne die onkologischen Outcomes vs. RC zu verschlechtern. Die TMT setzt sich aus einer TURBT, gefolgt von einer Radio-CTx, zusammen.7 In einem systematischen Review wurden krankheits- und Patient:innen-assoziierte Faktoren identifiziert, die für einen Blasenerhalt sprechen. Dazu zählen unter anderem die Abwesenheit eines CIS und einer Hydronephrose sowie ein T2-Stadium und ein normaler/günstiger Performancestatus.8 „Dies trifft auf unseren Patienten zu. Bei einer guten Patient:innenselektion können mit der TMT vergleichbare Krebskontrollraten wie mit der RC mit pelviner Lymphadenektomie erzielt werden“, betonte Andre¸sanu. Auch die Autoren einer vor Kurzem publizierten retrospektiven Analyse kamen zu dem Schluss, dass eine TMT mit vergleichbaren onkologischen Outcomes einhergeht wie eine RC und allen geeigneten MIBC-Patient:innen angeboten werden sollte: Sowohl das krebsspezifische als auch das metastasenfreie Fünf-Jahres-Überleben waren zwischen der Gruppe mit RC und der Gruppe mit TMT vergleichbar (83 vs. 85% bzw. 74 vs. 74% gemäß „propensity score matching“). Spannend war auch die Antwort auf die Frage einer der Vorsitzenden, wofür sich die Zuhörer:innen entscheiden würden, wenn sie selbst Patient:in wären: Während die TMT vorher dem Patienten nicht einmal von 5% empfohlen worden wäre, gaben nun >30% an, dass sie diese Option präferieren würden.
Upstaging zu pT3a HG G3 pN1
Schließlich wurde der Patient im Februar 2021 einer roboterassistierten RC mit einer Ureterileostomie zugeführt. Das Staging ergab ein MIBC mit MP Subtyp pT3a HG G3 pN1 (1/16, keine extranodale Ausbreitung), LVI+.
Da Nivolumab (Nivo) zum damaligen Zeitpunkt noch nicht für das MIBC zugelassen war und der Patient eine weitere CTx verweigerte, wurde keine weitere Therapie verabreicht. Sechs Monate später wurde im 18F-FDG-PET eine solitäre Lungenmetastase detektiert, der Patient befand sich in einem guten Allgemeinzustand.
OA Dr. Kilian Gust, MedUni Wien, referierte über den Status quo in der First-Line-Therapie des lokal fortgeschrittenen oder metastasierten BC und hob dabei zwei Game-Changer hervor, die die Therapielandschaft maßgeblich verändern. In der offenen Phase-III-Studie CheckMate 901 wurden zuvor unbehandelte Patient:innen zur Therapie mit ≤6 Zyklen Nivo + Gem + Cisplatin (Cis) gefolgt von einer Nivo-Erhaltungstherapie für maximal zwei Jahre bzw. ≤6 Zyklen Gem-Cis randomisiert. Den koprimären Endpunkt bildeten das progressionsfreie (PFS) und das Gesamtüberleben (OS). Der Vorteil im PFS war mit 7,9 Monaten vs. 7,6 Monate zwar statistisch, nicht aber klinisch signifikant (p=0,0012) und ist laut Gust kein adäquater Marker, um die Effektivität der beiden Regimes zu beurteilen. Langfristig zeichnete sich jedoch im Nivo-haltigen Arm über die Zeit hinweg bei Patient:innen mit Progressionsfreiheit ein Plateau ab, was auf den anhaltenden Effekt von Nivo hindeuten könnte. Das OS war im Prüfarm mit 21,7 Monaten vs. 18,9 Monate im Kontrollarm signifikant länger (p=0,0001).9
Noch beeindruckender sind die Ergebnisse der offenen Phase-III-Studie EV-302 mit dem Antikörper-Wirkstoff-Konjugat Enfortumab-Vedotin (EV) + Pembrolizumab (P) vs. Gem + Cis- oder Carboplatin. Das PFS (primärer Endpunkt) war unter EV + P vs. CTx nahezu verdoppelt (12,1 vs. 6,3 Monate; p<0,0001); das Gleiche trifft auf das OS zu (31,5 vs. 16,1 Monate; p<0,0001). Besonders beeindruckend sind auch die Ansprechraten: In der objektiven Responserate waren EV + P der CTx mit 67,7 vs. 44,4% überlegen, die CR-Raten betrugen 29,1 vs. 12,5%.10 „Das sind die besten Ergebnisse, die wir jemals in diesem Setting gesehen haben“, betonte Gust und wies damit auf den Stellenwert der Kombination EV + P als neuer SOC („standard of care“) in der Erstlinie hin.
Quelle:
CEM24 Meeting, 27. und 28. April 2024, Wien
Literatur:
1 Tan WS et al.: Eur Urol Oncol 2022; 5: 505-16 2 Yanagisawa T et al.: Euro Urol Focus 2023; 9: 463-79 3 Prasad SM et al.: J Urol 2023; 210: 619-29 4 https://d56bochluxqnz.cloudfront.net/documents/full-guideline/EAU-Guidelines-on-Non-muscle-Invasive-Bladder-Cancer-2023_ 2023-03-10-101110_jued.pdf (Zugriff: 4. August 2024) 5 Durson F et al.: Urol Oncol 2022; 40: 257e1-275e10 6 https://d56bochluxqnz.cloudfront.net/documents/full-guideline/EAU-Guidelines-on-Muscle-Invasive-Bladder-Cancer-2023_2023-03-14-145913_jsen.pdf (Zugriff: 4. August 2024) 7 Zlotta AR et al.: Lancet Oncol 2023; 24: 669-81 8 Hamad J et al.: Int Braz J Urol 2020; 46: 169-84 9 Van der Heijden MS et al.: N Engl J Med 2023; 389: 1778-89 10Powles T et al.: N Engl J Med 2024; 390: 875-88
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