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Austrian Comprehensive Cancer Network

„Ein Wendepunkt für die Onkologie in Österreich“

Im Vorfeld des Weltkrebstages am 4. Februar gaben die Medizinischen Universitäten in Graz, Innsbruck und Wien einen wichtigen Zusammenschluss bekannt: Das neu gegründete Austrian Comprehensive Cancer Network (ACCN) bündelt die Expertise der drei österreichischen Comprehensive Cancer Center (CCC). Univ.-Prof. Dr. Shahrokh F. Shariat, Leiter des CCC Wien, sprach mit JATROS über Zielsetzungen und erste Erfolge des ACCN.

Was ist das Austrian Comprehensive Cancer Network (ACCN) und welche Zielsetzung verfolgt das Projekt?

S. Shariat: Das Comprehensive Cancer Network ist eine Allianz der drei Comprehensive Cancer Center der führenden humanmedizinischen Universitäten in Österreich: Wien, Innsbruck und Graz. Es besteht seit etwa einem Jahr, wurde bereits über Verträge formalisiert und steht unter der Schirmherrschaft des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung.

Unser Ziel ist es, Schritte für ein besseres Verständnis von Krebs, die Prävention von Krebserkrankungen und für ein besseres Leben mit Krebs in Österreich und darüber hinaus zu setzen. Unser Mission-Statement ist, eine qualitativ hochwertige, wirksame und nachhaltig zugängliche Krebsversorgung zu ermöglichen.

In welchen Bereichen soll die Zusammenarbeit zwischen den drei Comprehensive Cancer Centern intensiviert werden und mit welchen konkreten Maßnahmen soll das erfolgen?

S. Shariat: Wir stehen erst am Anfang. Wir wollen das Netzwerk mit weiteren Zentren ausbauen. Dieses Ziel steht in Einklang mit der „Mission Cancer“ des Forschungsförderprogramms „Horizon Europe“ der EU, die sich zur Aufgabe gemacht hat, über die nächsten Jahre die onkologische Landschaft drastisch zu verbessern und das Leiden an Krebs maximal zu lindern. Diesen EU-Zielen haben wir mit unserem CCC-Netzwerk vorgegriffen. Jede unserer Entscheidungen erfolgt dabei stets gemeinsam und in enger, partnerschaftlicher Abstimmung mit den Leitern der beteiligten Zentren – Prof. Philipp Jost für das CCC Graz und Prof. Dominik Wolf für das CCC Innsbruck.

Unsere strategischen Schritte für die nächsten drei Jahre stehen fest. Der erste ist, die bestehenden Kooperationen zu pflegen und zu nutzen. Vertreter:innen der teilnehmenden Zentren haben sich schon mehrmals getroffen. Zum Prostatakarzinom wurde beispielsweise bereits ein Programm entwickelt, das eng zwischen allen drei Universitäten abgestimmt ist. Es inkludiert unter anderem vereinheitlichte Biobanken. Solche Programme sollen die Spitzenposition der Onkologie in Österreich und in Europa weiter stärken.

Ein zweiter Schritt ist, die Strukturen der teilnehmenden Institutionen zu harmonisieren. Das umfasst die Neustrukturierung und übergreifende Nutzung bestehender Patient:innendatenbanken. So können auch unterschiedliche Schwerpunkte miteinander in Verbindung gesetzt werden. Es soll künftig auch virtuelle Tumorboards geben. Alle Zentren sollen in gleicher Qualität und zeitlich aufeinander abgestimmt arbeiten können, auch was die Einführung neuer Therapien betrifft.

Daran schließt sich das dritte Ziel an, nämlich Komplementarität und wechselseitigen Austausch zu erreichen, statt in den Zentren isoliert zu arbeiten. Daraus ergibt sich der sofortige Benefit für die Patient:innen, in der Administration, in der Forschung und im klinischen Alltag.

Werden, abgesehen von den bereits beteiligten CCC, auch noch andere Stakeholder im Gesundheitssystem im ACCN mit eingebunden sein?

S. Shariat: Die angestrebte Gemeinschaftlichkeit geht über die beteiligten Zentren hinaus. Wir müssen uns auch die Frage stellen, welche Rollen die Krebshilfen, Selbsthilfegruppen, Interessenvertretungen und natürlich auch die Politik übernehmen. Über die Kooperation mit dem Gesundheits- und mit dem Wissenschaftsministerium können wir z.B. auf eines unserer ersten Teilziele hinarbeiten: österreichische Spitzenmedizin und Spitzenforschung in der „Mission Cancer“ in der EU zu repräsentieren.

Aber in dieser Größenordnung müssen wir natürlich damit rechnen, dass eine Lawine an Inzidenz, Komplexität, Erwartungen und vielem mehr auf uns zukommt.

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Abb. 1: M. Polaschek, P. Jost, M. Sibilia, D. Wolf, S.F. Shariat(v.l.n.r. im Hintergrund) und Mitarbeitende des CCC Wien anlässlich der gemeinsamen Bekanntgabe des Zusammenschlusses zum ACCN

Soll die Zusammenarbeit so weit gehen, dass auch Überweisungen von Patient:innen zwischen den Zentren denkbar sein werden?

S. Shariat: Die Nutzung von Synergien betrifft jetzt schon die Patient:innenversorgung. Wenn nötig, können Patient:innen mit geringem Aufwand in Gänze oder für bestimmte Teilschritte an andere Zentren überwiesen werden.

So sehr das den Zielen der EU entspricht, so sehr können die EU-Ziele uns aber auch Probleme bereiten. Mit konkreten Zahlen, wie zum Beispiel der Vorgabe, dass bis 2030 90Prozent der Krebspatient:innen an Zentren behandelt werden sollen, soll eine Qualitätssicherung erreicht werden. Starre Vorgaben können jedoch für Patient:innen auch von Nachteil sein, gerade wenn die Infrastruktur nicht oder noch nicht vorhanden ist. Wir müssen es schaffen, uns im Rahmen der EU-Vorgaben weiterzuentwickeln. Das kann zum Beispiel mit einer Struktur passieren, die alle involviert, von den Zentren bis hin zu den Hausärzt:innen.

Wie sieht es mit der budgetären Ausgestaltung für das Projekt aus?

S. Shariat: Die Universitäten bekommen Geld vom Bund. Ein Teil dieses Geldes wird bereits genutzt, um solche Projekte umzusetzen. Natürlich wird es an uns liegen, die Wertigkeit zu schaffen, dass das auch eine Investition ist.

Aus einer Public-Health-Perspektive gibt es in der Bevölkerung heute jedoch zwei bestimmende Ursachen für Mortalität: kardiovaskuläre Erkrankungen und onkologische – und danach kommt lange nichts. Es macht also Sinn, genau hier in Versorgungsstrukturen zu investieren.

Eine weitere große Hilfe hierbei werden Fördergelder der EU sein. Gemeinsam mit den anderen CCC-Leitern Philipp Jost und Dominik Wolf haben wir bereits einen Antrag auf Fördermittel eingereicht, der auf dem Konzept des ACCN für „Mission Cancer“ basiert.

Was ist die Stärke des ACCN?

S. Shariat: Für ein kleines Land wie Österreich ist es ein besonders großer Schritt. Denn in kleinen Ländern wird nicht nur zusammen, sondern manchmal auch gegeneinander gearbeitet. Das kann auch bei dezidiert onkologischen Förderungen der Fall sein oder bei der Konkurrenz um Studien. Aber hier ist relevant, dass es für eine Institution alleine schwierig ist, internationale Förderungen oder Studien zu gewinnen – bei einem Zusammenschluss von Institutionen sieht es jedoch ganz anders aus. Gebündelte Expertise macht uns wettbewerbsfähig. Auf einer solchen Basis ist es auch leichter, weitere Zentren ins ACCN zu integrieren. Die Politik hat ebenfalls sofort den Mehrwert erkannt. „Gesundheit Österreich“ hat uns zum Beispiel auch als Modellprojekt für die EU vorgeschlagen.

Was ist Ihr Fazit zum ACCN?

S. Shariat: Unser Projekt markiert einen Wendepunkt für die onkologische Versorgung in Österreich: von fragmentierten Einzelbemühungen hin zu geballter Energie und Synergie.

Video-Statement Univ.-Prof. Dr. Shahrokh F. Shariat


„Ein Game-Changer in der onkologischen Versorgung“

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