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Urothelkarzinom der Harnblase

Zystektomie: Outcome & Lebensqualität

Wohl gerade aufgrund der radikalen Natur der Operation gilt die Zystektomie seit Jahrzehnten als zentrale therapeutische Behandlungsoption zur lokalen Kontrolle und Verlängerung des Überlebens bei Patient:innen mit fortgeschrittenem bzw. muskelinvasivem Harnblasenkarzinom (MIBC).1 Ergebnisse zu Harnkontinenz, Sexualfunktion und Körperbild sind dabei gleichermassen wichtig für die Betroffenen und wesentliche Faktoren, die in die Entscheidungsfindung zur Behandlung einbezogen werden sollen. Ziel ist es, neben der Tumorkontrolle die bestmögliche Lebensqualität für Patient:innen nach Zystektomie zu erreichen.

Keypoints

  • Es gibt operative Techniken, die – bei onkologischer Sicherheit – die Sexualfunktion nach einer RC erhalten können.

  • Die Form der Harnableitung scheint nur einen geringen Einfluss auf die Lebensqualität zu haben, ebenso das OP-Verfahren.

  • Das Krankenhausvolumen, die chirurgische Erfahrung und die Komorbidität der Patient:innen sind wichtige Faktoren, die das Outcome beeinflussen.

  • Eine standardisierte geriatrische Bewertung («frailty») kann hilfreich sein, um das Outcome nach RC besser abzuschätzen.

  • ePROM haben das Potenzial, den Behandler:innen auch über den stationären Aufenthalt hinaus weiter Feedback zum Ergebnis und zur Lebensqualität der Patient:innen nach RC zu geben.

Durchführung der radikalen Zystektomie

Das klassische chirurgische Vorgehen bei der Zystektomie (RC) beinhaltet die vollständige Entfernung der Harnblase und, abhängig vom Geschlecht, der angrenzenden Strukturen wie Prostata, Samenblasen sowie der proximalen Samenleiter bei Männern oder des Uterus und des ventralen proximalen Scheidendrittels bei Frauen. Die gleichzeitige beidseitige Ovarektomie ist heute nicht mehr Standard. Bei Tumorbefall wird auch die Harnröhre mitentfernt. Die Höhe der Absetzung der distalen Harnleiter orientiert sich idealerweise am intraoperativen Schnellschnitt (tumorfrei, ohne Carcinoma in situ). Zusätzlich erfolgt häufig eine Lymphadenektomie zur Entfernung der regionalen Lymphknoten.1

Die Radikalität der Operation führt u.a. zu deutlichen Einschränkungen der Sexualfunktion und bedeutet gerade für Jüngere eine Beeinträchtigung des Lebensstils. Jedoch auch bei Älteren ist das Sexleben nach RC sehr wichtig.2 Zunehmend kommen deshalb in den letzten Jahren – sofern onkologisch vertretbar – bei geeigneten Patient:innen operative Techniken zur Erhaltung der Sexualfunktion zum Einsatz. Dazu gehören zum Beispiel der Nervenerhalt, der Erhalt der Prostata(kapsel), der Samenblasen/des Ductus deferens bzw. der Erhalt von Vagina/Uterus/Ovarien («organerhaltende Zystektomie»).3

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Abb. 1: ChatGPTs (4o) Vorstellung eines Patienten mit Harnableitung. Generiert von ChatGPT, Open AI, 30.5.2024

Nach RC stehen verschiedene Formen der Harnableitung zur Verfügung (Abb. 1). Die Techniken unterscheiden sich prinzipiell nach dem Ort der Rekonstruktion (orthotop [an der Stelle der Harnblase] oder heterotop [an anderer Stelle]), nach den verwendeten Darmabschnitten (Ileum, ileozökaler Übergang oder Kolon) sowie nach dem Urinhaltevermögen (kontinent oder inkontinent).

Sowohl bei Frauen als auch Männern ist ein kontinenter, idealerweise orthotoper Blasenersatz (Neoblase) wünschenswert. Allerdings ist diese Option nicht für alle Patient:innen geeignet: Faktoren wie Tumorstatus bzw. lokale Tumorausbreitung, Multimorbidität, reduzierte Nierenfunktion sowie eingeschränkte mentale Kapazität spielen hier eine Rolle und können gegen diese Form der Harnableitung sprechen.

Kommt der orthotope Blasenersatz aufgrund von Tumorlokalisation, Harnröhrenbefall oder körperlicher Konstitution nicht infrage, bietet sich als weitere kontinente Form ein katheterisierbarer Pouch («Bauchnabelblase») an. Nur mehr selten zum Einsatz kommt die Harnleiter-Darm-Implantation («Darmblase»). Alternativ steht als inkontinente Harnableitung das (Ileum- oder Kolon-)Konduit zur Verfügung. Hier dient ein Darmsegment, in das beide Harnleiter implantiert werden, als Urinreservoir, das meist rechtsseitig im Unterbauch ausgeleitet und mit einem Beutel versorgt wird. Bei der Ureterokutaneostomie («Harnleiterhautfistel») erfolgt die Harnableitung ohne Zwischenschaltung eines Darmstückes und die Harnleiter werden direkt an die Haut implantiert.

In Bezug auf die operativen Techniken ist die roboterassistierte laparoskopische RC weiter auf dem Vormarsch und zeigt zumindest gleichwertige onkologische und funktionelle Ergebnisse wie das offene Vorgehen.4

Onkologische Ergebnisse

Fahmy et al. konnten in einer rezenten Metaanalyse, die 57 Studien mit insgesamt 30293 Patient:innen einschloss, eine 10-Jahres-Gesamtüberlebensrate (OS) nach RC von 35% und eine krankheitsspezifische Überlebensrate (DSS) von bis zu 58% zeigen.5 Bei Patient:innen mit einem Karzinom im Stadium T2 lag die 10-Jahres-DSS-Rate bei 79% und bei jenen mit einem Karzinom im Stadium T3/T4 bei 43%.

Erheblich eingeschränkt ist die Langzeitüberlebensrate bei Lymphknotenpositivität (5-Jahres-OS-Rate bei N+: 18%). Positiv hingegen wirkte sich eine neoadjuvante Chemotherapie (NAC) aus, damit wurden eine 5-Jahres-OS-Rate bzw. eine DSS-Rate von 76% bzw. 88% erreicht (bei Downstaging <pT1 [29%]). Leider wird eine NAC vor RC immer noch zu wenig eingesetzt (3%).

Eine systematische Überprüfung von zwölf Studien (n=1098), bei denen sexualitäterhaltende Techniken durchgeführt wurden, ergab, dass es keinen Unterschied in den onkologischen Ergebnissen im Vergleich zur RC gab.

Frühe Komplikationen und Einflussfaktoren

Komplikationen nach RC sind häufig und stehen in direktem Zusammenhang mit dem chirurgischen Eingriff selbst, der Darmanastomose und der Harnableitung.

Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2023, die 44 Studien einschloss, zeigte, dass die häufigsten frühen Komplikationen Transfusionsbedarf (36%), Infektionen (17%), Ileus (14%), gastrointestinale Beschwerden (20%) und stationäre Wiederaufnahmen (24%) darstellen. Ein signifikanter Unterschied zwischen den Harnableitungen Ileumkonduit vs. Neoblase konnte hierbei nicht gezeigt werden (6,5% [95% CI: 3,4–12,2] vs. 7,9% [95% CI: 5,5–11,3]; p=0,62).6 Grundlegend für die Erfassung und folglich Auswertung von Komplikationen ist dabei ein standardisiertes Reporting, wie z.B. mit der Klassifikation nach Clavien-Dindo.7

Neben dem chirurgischen Eingriff selbst beeinflussen viele weitere Faktoren das Outcome nach einer RC. Dazu gehören u.a. der Tumorstatus, die technische Durchführbarkeit der Operation, das Krankenhausvolumen und die chirurgische Erfahrung (mindestens 10, besser 20 Operationen/Jahr).1

Einen besonderen Einfluss haben insbesondere der allgemeine Gesundheitszustand bzw. vorbestehende Komorbiditäten und das Alter. Mittlerweile wird eine standardisierte geriatrische Bewertung, die Komorbiditäten, Gebrechlichkeit und Kognition berücksichtigt, für Patient:innen, die sich einer RC unterziehen, empfohlen, um das postoperative Ergebnis besser abschätzen zu können (z.B. G8 Geriatric Screening Tool, Clinical Frailty Scale).1

Komorbiditäten bieten mittlerweile einen besseren Indikator für die Lebenserwartung bzw. das Outcome bei MIBC als das Patient:innenalter!

Langzeitergebnisse: Harnkontinenz, Nierenfunktion & Lebensqualität

Studiendaten aus den Jahren 1998 bis 2010 berichten bei Männern von Harninkontinenzraten nach kontinenter Harnableitung von bis zu 20% untertags und bis zu 45% nachts. Bei Frauen liegen diese Werte bei bis zu 23% untertags, bis zu 28% nachts (Studienlage 2001–2017) und bei 12–39% ist ein Selbstkatheterismus aufgrund von Hyperkontinenz notwendig.8 Pouches weisen die höchsten Kontinenzraten auf (72–96%), jedoch liegt hier auch die Gefahr einer Stomastenose bei bis zu 24%.

Durch sexualitäterhaltende Techniken haben sich diese Zahlen deutlich verbessert, es zeigen sich bei Männern Kontinenzraten von 88–100% untertags und 31–96% nachts und bei Frauen von bis zu 70% untertags, 80% nachts.3

Weitere relevante Folgen nach RC betreffen die Nierenfunktion. Eine Studie von Vejlgaard et al. verzeichnete bei 670 Patient:innen einen Anstieg des Anteils mit einer eGFR <45ml/min nach einer RC von 8,9% auf 19% nach einem mittleren Follow-up von 6,2 Jahren. Somit betrug das Risiko für eine Abnahme der Nierenfunktion auf eine eGFR <45ml/min 17%.9 Risikofaktoren für eine Abnahme der Nierenfunktion nach einer Zystektomie waren in dieser Untersuchung z.B. eine geringere präoperative Nierenfunktion, ein bestehender Diabetes mellitus, eine vorangegangene Radiatio des Beckens sowie eine kontinente Harnableitung.

Die Aufrechterhaltung der Lebensqualität nach einer RC ist stets ein wichtiger Aspekt, u.a. bei der Wahl der Art der Harnableitung. Daten zeigen jedoch, dass hinsichtlich der Lebensqualität zumindest kein signifikanter Unterschied zwischen kontinenter vs. inkontinente Harnableitung besteht (p=0,31). Dies zeigten uni-, aber auch multizentrische Studien ebenso wie ein systematisches Review mit Metaanalyse von insgesamt 29 Studien (n=3754).10–12 Eine physisch schnellere Verbesserung konnte nach inkontinenter Harnableitung gezeigt werden, geistige sowie soziale Gesundheit waren gleichwertig, Emotionen und Körperbild scheinen dagegen besser mit einer Neoblase zu sein.10–12

Wichtig ist die Beobachtung, dass die Lebensqualität nach einer Zystektomie insgesamt auf dem gleichen oder sogar auf einem besseren Niveau zu sein scheint als vor der Operation.10,12 Die Harn- und Sexualfunktion ist üblicherweise deutlich reduziert, ausser bei der organerhaltenden RC, die auch eine signifikant bessere Potenzrate (29–100%; p<0,05) im Vergleich zur konventionellen RC erzielen kann.3 In diesem Zusammenhang konnte gezeigt werden, dass auch bei RC-Patient:innen die allgemeine Gesundheit signifikant mit der sexuellen Zufriedenheit korreliert (p=0,002).2

Keinen signifikanten Unterschied in Bezug auf die Lebensqualität zu allen Messzeitpunkten ergab eine Studie, die das offene vs. das roboterassistierte laparoskopische Verfahren verglich (p>0,05).13

Bei der Erfassung von Lebensqualität und Zufriedenheit nach RC spielt der Einsatz von standardisierten Fragebögen eine wichtige Rolle. Nur so kann eine valide Vergleichbarkeit erreicht werden. Klassische «patient-reported outcome measures» (PROM), die dabei zum Einsatz kommen, sind z.B. der EORTCQLQ-C30 bzw. der SF-8/12/36 (Lebensqualität), der EORTCSHQ-22 (Sexualgesundheit) oder der FACT-Vanderbilt Cystectomy Index (u.a. Kontinenz, Sexualfunktion).

Grosses Potenzial hat in diesem Zusammenhang der Einsatz von elektronischen PROM (ePROM), die den Patient:innen per E-Mail oder Messenger-App zur Verfügung gestellt werden und somit eine Echtzeit-Betrachtung des aktuellen Zustandes zulassen. Wöchentliche Online-Abfragen zu Symptomen, körperlichem Zustand und Lebensqualität im Vergleich zur üblichen Nachsorge können bei Tumorpatient:innen zu signifikant verbesserten Ergebnissen in all diesen Bereichen führen.14

1 Witjes JA et al.: EAU guidelines on muscle-invasive and metastatic bladder cancer. European Association of Urology 2024 2 Nolting J et al.: Prospective evaluation of sexual health following radical cystectomy due to bladder cancer. Sex Med 2024; 12(1): qfae005 3 Clay R et al.: Oncological and functional outcomes of organ-preserving cystectomy versus standard radical cystectomy: a systematic review and meta-analysis. BJUI Compass 2023; 4(2): 135-55 4 Zamboni S et al.: Differences in trends in the use of robot-assisted and open radical cystectomy and changes over time in peri-operative outcomes among selected centres in North America and Europe: an international multicentre collaboration. BJU Int 2019; 124(4): 656-64 5 Fahmy O et al.: Asystematic review and meta-analysis on the oncological long-term outcomes after trimodality therapy and radical cystectomy with or without neoadjuvant chemotherapy for muscle-invasive bladder cancer. Urol Oncol 2018; 36(2): 43-53 6 Katsimperis S et al.: Complications after radical cystectomy: asystematic review and meta-analysis of randomized controlled trials with a meta-regression analysis. Eur Urol Focus 2023; 9(6): 920-9 7 Roghmann F et al.: [Cystectomy in elderly patients: analysis of complications using the Clavien-Dindo classification]. Urologe A 2012; 51(10): 1386-92 8 Nayak AL et al.: Urinary function following radical cystectomy and orthotopic neobladder urinary reconstruction. Can Urol Assoc J 2018; 12(6): 181-6 9 Vejlgaard M et al.: Long-term renal function following radical cystectomy for bladder cancer. Urology 2022; 160: 147-53 10 Yang LS et al.: A systematic review and meta-analysis of quality of life outcomes after radical cystectomy for bladder cancer. Surg Oncol 2016; 25(3): 281-97 11 Becerra MF et al.: Health related quality of life of patients with bladder cancer in the RAZOR trial: a multi-institutional randomized trial comparing robot versus open radical cystectomy. JUrol 2020; 204(3): 450-9 12 Clements MB et al.: Health-related quality of life for patients undergoing radical cystectomy: results of a large prospective cohort. Eur Urol 2022; 81(3): 294-304 13 Parekh DJ et al.: Robot-assisted radical cystectomy versus open radical cystectomy in patients with bladder cancer (RAZOR): an open-label, randomised, phase 3, non-inferiority trial. Lancet 2018; 391(10139): 2525-36 14 Basch E et al.: Effect of electronic symptom monitoring on patient-reported outcomes among patients with metastatic cancer: a randomized clinical trial. JAMA 2022; 327(24): 2413-22

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